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DIE GLEICHENFEIER


von Susanne Stahr



Der Wandimer richtete zwei seiner Stielaugen auf den Menschen vor ihm. Die restlichen drei schauten auf die lange Liste auf dem Schreibtisch. "Ich sehe keinen Bedarf für die angeforderten Gegenstände, Polier Melzer", sagte er mit der rasselnden Stimme, die seinem Volk eigen war. "Wozu brauchen Sie Musikchips? Oder buntes Seidenpapier? Ein Tannenbäumchen, 40 bis 60 cm groß, Lampions, Girlanden und fünfzig Kisten Bier? Außer der Tanne ist in den Plänen nichts davon erhalten."
"Nun, Oberbauleiter Rollmops, die Sachen brauche ich für die Gleichenfeier." Melzer lächelte möglichst gewinnend. Dazu wackelte er mit den Brauen, eine Geste, die Wandimer erfahrungsgemäß freundlich stimmte.
"Gleichenfeier? Ist das ein Fest?", rasselte der Bauleiter. Eine seiner sechsfingrigen Hände tippte das Wort in den Computer. Für diese Tätigkeit brauchte er alle fünf Stielaugen. Konzentriert starrte er auf den Schirm. Dann schwenkte ein Auge zu Melzer. "Sie sind doch ein Terraner, oder?"
"Ja, sicher, Oberbauleiter Rollmops", bestätigte Melzer eifrig. "Und es ist ein sehr wichtiges Fest der Terraner."
"Terraner!", seufzte der Wandimer. "Wenn ihr nicht so gute Techniker wärt, hätten wir Argeten für die Arbeiten an der Raumstation genommen. Ihr habt so einen eklatanten Wildwuchs von Religionen." Seine Fühler schwangen frustriert auf und ab.
"Aber ...", begann Melzer und wurde sogleich unterbrochen.
"Welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie an?"
"Äh ... den Neuen Reformierten Rechtgläubigen vom goldenen Dreieck. Aber ..." Er verstummte als der Bauleiter mit drei seiner Hände vor seinem Gesicht wedelte.
Wieder tippte der Wandimer etwas in seinen Computer. "Die Neuen Reformierten Rechtgläubigen vom goldenen Dreieck haben kein Fest, das Gleichenfeier heißt." Alle Stielaugen richteten sich auf den Polier. "Hier habe ich nur das Fest des neunfachen Pfades, das Dreieckwerfen, der Geburtstag des Reformators Hinkelmann und das Fest der Haare. Ist diese Gleichenfeier eines dieser Feste, nur mit einem anderen Namen?"
"Nein, aber ..."
Wieder wedelte Rollmops mit seinen Händen. Diesmal nahm er sogar fünf. "Rein private Feste kann ich nicht bewilligen."
"Es handelt sich um einen Brauch der Zimmerleute", rief Melzer nun verzweifelt. "Es ist sehr wichtig. Ohne Gleichenfeier können wir nicht weiterarbeiten. Es bringt Unglück!"
Jetzt hatte der Polier die volle Aufmerksamkeit seines Vorgesetzten. Die Stielaugen waren auf ihre volle Länge von einem halben Meter ausgefahren und beäugten Melzer scharf.
"Ist es nun eine Religion oder nicht?", donnerte er.
"Nun, es ist nicht direkt eine Religion." Melzer suchte nach geeigneten Worten. Gleichzeitig verfluchte er seine Geldgier. Wandimer zahlten einfach sagenhaft hohe Löhne, aber das Wesen der Terraner würden sie in tausend Jahren nicht verstehen. "Ein Brauch ist eine in Jahrtausenden gewachsene Gewohnheit. Mit der Zeit nimmt sie religionsähnliche Züge an."
"Also doch eine Religion", konstatierte der Bauleiter. "Wenn mir die terranischen Behörden eine Bestätigung schicken, werde ich mir die Sache überlegen."
Damit war der Polier entlassen. Vor der Tür wischte er sich zuerst einmal den Schweiß von der Stirn. Halb gewonnen, dachte er und startete los zur Funkzentrale.

"Was brauchen Sie?" Das Gesicht des Beamten füllte den ganzen Schirm aus als er sich vorbeugte. "Ich verstehe nicht. Wollen Sie unsere guten Beziehungen zum Wandimischen Reich aufs Spiel setzen, nur weil Sie mit Ihren Kumpels ein Besäufnis veranstalten wollen?"
"Sir!" Melzer fand sich in seiner Ehre als Polier getroffen. "Eine Gleichenfeier ist ganz und gar kein Besäufnis. Die Außenschale wird demnächst fertig gestellt und da ist eben eine Gleichenfeier fällig. Was kann es Ihnen denn ausmachen, mir eine kleine Beschreibung zu faxen? Sie bezahlen es doch nicht, oder? Außerdem würde es eine Bildungslücke der Wandimer schließen."
Der Diplomat zog geringschätzig die Mundwinkel nach unten. Er stammte aus der Provinz Japan und hatte, wie viele seiner Landsleute, keine gute Meinung von Europäern. Jetzt hatte er endlich eine Gelegenheit, einen der Großnasen zappeln zu lassen. "Ehrlich gesagt, ich sehe auch keine Notwendigkeit, diese Feier abzuhalten."
"Es ist aber ein wichtiger Brauch der Zimmerleute." Melzer war der Verzweiflung nahe. Er hatte es seinen Kumpels versprochen und sie zählten auf ihn.
"Ach ja, die Europäer! Es herrscht noch immer in weiten Teilen der Provinz krasser Aberglaube. Erklären Sie mir doch mal den Brauch."
"Nun." Melzer holte tief Luft und kratzte seinen letzten Rest an Beherrschung zusammen. "Wenn ein Haus gebaut wird ... also wenn der Rohbau mit dem Dach fertig ist, dann steckt man ein geschmücktes Bäumchen an den Dachfirst. Und dann wird gefeiert, mit Musik und Tanz und es wird auch gut gegessen und getrunken. Das soll dem Haus Glück bringen. Unter einem Dach, das keine Gleichenfeier erlebt hat, wird nie Friede herrschen. Sie können das sicher in einem einschlägigen Lexikon nachlesen. Ich bitte Sie nur, den diesbezüglichen Artikel zu kopieren und umgehend zu faxen."
"Nun, das werde ich gerne tun", sagte der Diplomat und Melzer jubilierte schon im Geheimen. Leider verging ihm das bei den nächsten Worten des Japaners. "Verraten Sie mir nur, wo Sie das Bäumchen befestigen wollen. Meines Wissens wird die Raumstation in Kugelform gebaut. Die hat kein Dach." Ein breites Grinsen ließ seine Augen fast in den Höhlen verschwinden.
"Nun, äh, wir stecken es eben oben dran", stotterte Melzer.
"Oben? Und wo, bitte, ist im Weltall oben?" Man konnte sehen, wie viel Spaß dem Mann dieses Gespräch machte.
"Äh, das lassen Sie meine Sorge sein. Schließlich bin ich hier der Techniker. Schicken sie mir einfach den Artikel." Am liebsten hätte er noch gesagt: "Damit Sie wenigstens einmal etwas für Ihr Geld tun." Aber er verkniff es sich.

Zwei Tage später hatte er das Fax in Händen und begab sich freudestrahlend zu Bauleiter Rollmops. Es befanden sich noch zwei weitere Wandimer bei ihm, hohe Regierungsbeamte, die sich nach den Fortschritten der Bauarbeiten erkundigten.
Vorsorglich wackelte Melzer mit den Brauen. "Bauleiter Rollmops, ich habe das Fax, das Sie gewünscht haben", sagte er lächelnd und überreicht die Folie.
Fünfzehn Augen richteten sich auf das Papier. "Seltsam, diese Terraner", brummte einer der Beamten. "Was hat das mit unserer Raumstation zu tun?"
"Das, Regierungsrat Krautstengel, lassen Sie sich am besten von Polier Melzer erklären", erklärte Rollmops und lehnte sich gemütlich zurück.
"Wie Sie sehen", begann der Polier auf einen Wink des Beamten, "ist eine Gleichenfeier ein halbreligiöser Brauch, der den Frieden in dem neuen Bauwerk sichern soll. Da schon geringfügige kriegerische Handlungen auf einer Raumstation wesentlich fatalere Folgen hätten als auf einem Planeten, halten wir es für absolut notwendig, diese Feier abzuhalten." Er brachte dies im Brustton der Überzeugung vor und beglückwünschte sich dabei für seine diplomatische Gerissenheit.
"Ja, wir können Frieden brauchen", stimmte ihm Krautstengel zu. "Was sagst du dazu, Schweinshaxe?"
Der zweite Beamte hob nur müde zwei Augen und winkte kurz. "Ich hab letzte Nacht fast nichts geschlafen", maulte er. "Unterschreib doch die Anforderung, damit ich endlich ins Bett komme."
"Er hat vier seiner Ehefrauen mitgenommen", flüsterte Krautstengel. "Die haben ihn ganz schön hergenommen."
Rollmops kritzelte etwas auf die Liste und wedelte mit drei Händen. Melzer war entlassen. Vor der Tür küsste er den Zettel und rannte schnurstracks in das Quartier der Terraner.
"Mädels, Jungs!", schrie er. "Ich hab's geschafft! Koitschi, Mustafa und Elfriede kommen mit mir. Wir holen uns die Sachen!"
Im Laufschritt rannten die Vier zum Zentrallager. Das Freudengebrüll der Mannschaft blieb hinter ihnen zurück.

Ein Jahr später kam der Oberste Administrator der Wandimer um die neue Raumstation zu besichtigen. Bauleiter Rollmops scharwenzelte um ihn herum.
"Auf dieser Raumstation wird immer Frieden herrschen, Erhabener", flötete er.
"Und woher wollen Sie das wissen?", rasselte der Herrscher.
"Die Terraner haben ein Ritual abgehalten. Sie nannten es Gleichenfeier. Oh, wie haben diese Leute doch gelitten! Sie mussten riesige Mengen einer Flüssigkeit, genannt Bier, in sich hinein schütten. Dies versetzte sie in einen tranceartigen Zustand und am nächsten Tag konnten sie gar nicht arbeiten, da sie alle krank waren. Es ist unvergleichlich, was die Terraner für das Wandimische Reich auf sich genommen haben. Sie haben eine Auszeichnung verdient."
Melzer lächelte ein wenig säuerlich während ihm Krautstengel, der den Herrscher begleitete, einen Orden in Form eines verbogenen Nagels an die Jacke steckte. Er konnte sich wirklich nicht mehr erinnern, was er gegen Ende der Gleichenfeier getan hatte. Aber der Gentest bewies, dass Elfriedes Sohn auch seiner war.


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