Um die nördlichen Sporaden – sechzehn Tage und 227 km in der Ägäis

von Jürgen Volk Ulm

Jannis, der stämmige Exsportlehrer und Dauerpaddler, ist Österreicher, aber nur ein halber. Die andere Hälfte ist griechisch, von seiner Mutter her. Er hat viel Verwandtschaft auf der Insel Skiathos, der westlichsten Insel der drei nördlichen Sporaden, spricht griechisch, war in der Gegend schon  mit dem Kajak unterwegs. Gute Voraussetzungen für eine Sporaden-Paddelei. Wir waren vom  2- bis zum 16. September unterwegs, fünf Männer und eine Frau, altersmäßig sehr gemischt. Der Jüngste, Matthias aus Rathenow 27 Jahre alt, dann Günther ein Vierziger aus der Wachau, und alle anderen gut 50 und 60 aufwärts: Herbert , ein wirklich bulliger Exbulle mit seiner Frau Marianne, little big man Jannis und ich, mit 65 der älteste.

Ich treffe Matthias samt VW-Bus und Boot in Ancona. Die Fähre bringt uns nach Igumenitsa und dann kurven wir quer durchs Land zur Melani-Bucht an der Ostküste des Pelion. Die anderen kommen aus Österreich der Länge nach durch den Balkan (Ungarn, Serbien, Makedonien, Griechenland) zum Startplatz. Der ist so eine Art Geheimtipp. Das einzige Gebäude  ist eine Taverne. Der Wirt Apostoli ein Freund von Jannis. Apostoli lebt im Sommer von den Campern, meist Österreichern und Deutschen, und ein bißchen steigern auch die Paddler den Umsatz.

Der erste Tag am Meer , Montag, der 2. September. Wir paddeln ein paar km zur nächsten Bucht, um uns einzuwackeln, und dann üben wir kentern. Der Delinquent kippt sich und sein Boot um, taucht nach unten weg und dann wieder nach oben. Das geht erstaunlich glatt, die Spritzdeck löst sich wie von selbst. Das Boot haben die freunde schon wieder umgedreht und pumpen es leer. Selbst der „Feathercraft K1“ der keine Schotts hat, macht bei der Kenterung erstaunlich wenig Wasser. Dann legt einer eine Paddelbrücke zum leeren Kajak, der Gekenterte stemmt sich hoch, und flutsch, ist er wieder im Boot. Gut zu wissen, wie es geht. Gebraucht haben wir diese Kenntnis auf dieser Fahrt nicht.

Am zweiten Tag geht es wirklich los, aber nicht gleich. erst einmal regnet es. Dann starten wir endlich und schippern bei heftigem Wind die Pelion-Küste entlang nach Katigiorgi. Solche Einschätzungen der Windes entsprechen natürlich immer meinem Greehorn-Empfindungen und sind nicht als Verbindlich anzusehen. immerhin sagt Jannis mein Seepadel-Mentor: „Zieh mal die Schwimmweste an.“ Eine Bucht hinter Katigiorgi  finden wir einen brauchbaren Übernachtungsstrand. – und eine Taverne. Reiner Zufall, aber meine Neigung zu Buchten mit Tavernen führte einmal später zu Spannungen in der Gruppe.

dem dritten Tag, der erste Sprung sechs Kilometer übers Meer. Wind und Wellen schräg von Backbord vorne, es platscht etwas, aber unproblematisch. An der Nordspitze der Insel Skiathos platscht es etwas mehr, aber mittlerweile vertraue ich dem „Feathercraft“ und mir immer mehr. Paddeln,  etwas mehr, aber mittlerweile vertraue ich dem „Feathercraf“ und mir immer mehr. Paddeln, paddeln, es ist heiß und ich bin schlapp: jetzt wäre ein Bier recht. Und siehe da zur rechten Zeit schiebt sich eine Bucht (Mandraki) mit Taverne ins Blickfeld. Später paddeln wir die NW-Küster der Insel entlang, gelangen zur Nordspitze Kastro und finden eine weitere Bucht wieder mit Taverne. Ruhepause eine kleine Brotzeit und dann weiter nach Lalaria. Fototermin, jedes Boot durchfährt einmal das Felsentor und dann laufen wir am späten Nachmittag friedlich in der Xanemos-Bucht  an der NO-Küste von Skiathos ein.

wird ein Besuchs-Tag. Jannis nimmt mich zu einigen seiner Onkel und Tanten mit. Englisch ist Pflichtfach - wer kann schon die griechische Sprache außer Griechen und Halbgriechen ?  Seit Skiathos einen Flughafen hat sucht man dort die Seele Griechenlands vergebens. In beinahe jeder Bucht mindestens ein Hotel (nicht so Xanemos) und die Inselhauptstadt ist voll von dicken, bleichen oder gerösteten, freizeitgekleideten Touristen.

Der fünfte Tag, der zweite Sprung zur nächsten Insel: Skopelos. In 55 Minuten sind wir drüben, keine Probleme, dann entlang der kargen (1*)NO-Küste zu dem Felsenkoltz Agio Jannis mit einer Kirche oben drauf und einer Kantina zu seinen Füßen. Am Abend kurz vor Einbruch der Dunkelheit laufen wir in die tiefe Bucht von Glisteri vor der Inselhauptstadt Skopelos ein. Und siehe da: eine Taverne. Mit einer hübschen Kellnerin sogar.

Am sechsten Tag legen wir im Hafen von Skopelos-Stadt an, um zu essen und Proviant einzukaufen. Ich neige angesichts der Tavernendichte zur Minimalausstattung, Herbert hingegen staut beachtliche Mengen Bier in seinen geräumigen Zweier. Ein Kühlaggregat hat er allerdings nicht. Dann schippern wir rüber nach Alonnissos, vorbei an zwei Inseln, eigentlich mächtigen Felsbrocken (Agio Giorgios, Mikrinissi) die die Überfahrt optisch verkürzen. Das Wetter ist ruhig,  etwas drückend, fast verdächtig. Die NW-Küste von Alonnissos, an der wir vorbeiziehen, ist wenig einladend. Eine etwas öde Paddelei und ich bin wie immer der Langsamste, Matthias ist unterfordert und kann seine Kraft kaum aufs Wasser bringen muß immer warten, Herbert und Marianne sind schnell wie ein Turbinendampfer, Günther fährt jede Bucht aus und erforscht Löcher und Höhlen und Jannis leistet mir Gesellschaft. Wir suchen den Strand Agalou Lakka, lange Zeit kommt nichts und dann ist er endlich da. Und siehe da – keine Taverne(2*). Dafür ein nackertes österreichisches Paar, das hier mit dem Motorrad unterwegs ist. Schließlich sind wir ganz unter uns, essen Mitgebrachtes, Herbert stiftet aus seinen Stauräumen Retsina – und am Horizont dräut und gewittert es. Nachts kommt es über uns. Ein wahrer Wolkenbruch, es blitzt und kracht und scheppert, direkt über unserem Lager. Jannis bläst Alarm und wir bringen drei Kajaks und zwei Zelte in geschütztere Lagen. Ich lasse mein Zelt, wo es ist, und es passiert auch nichts, außer daß ein lehmiger Regenbach einige Zeit direkt unter mir durchläuft. Ich schlafe dennoch und drinnen bleibt alles trocken. Ein Lob an das dichte Material von „VauDe“. In der Gruppensprache geht dieser Platz als „Gewitterbucht“ ein.

Wieder eine unwirtliche NW-Küste am siebenten Tag, der Wind bläst gegen eine Steilküste ohne Landemöglichkeit, nicht heftig zwar, aber immerhin. Wir paddeln etwas angespannt (ich zumindest) und zügig, bis wir das Nordkap Jerakas erreicht und umrundet haben. Hier ist der Wendepunkt unserer Reise und wir sind in sicherer Abdeckung. Ich atme auf und wir begießen das Ereignis mit etwas Schnaps. Der Abend bringt an der SW-Küste einen freundlichen Strand (Kalivia Antoni) – mit Taverne – und zwei netten Frauen aus Deutschland, die hier mit ihren Freunden urlauben. Die Freunde angeln und ich plaudere mit den Ladies. Jannis Fahrtenbuch vermerkt hier: „Jürgen erklärt zwei jungen Frauen das Leben.“

Am achten Tag ruhiges Gepaddele. Zuerst bis zur Mittagsrast in den Jachthafen Steni Vala. Jannis holt die Wettervorhersage ein: Der Wind soll heftiger werden, Windstärken bis 5 Bf sind möglich. Auch sein KW-Radio spricht von heftigen NW-Winden und höherem Seegang. Gegenüber läge einladend die kleine, schöne Insel Peristeria, die eigentlich zu unserem Reiseprogramm gehört. Wir beraten und beschließen im Windschutz zu bleiben und paddeln weiter entlang der sicheren NO-Küste  zu einem tavernenlosen Strand nach Marpunta. Hier schaukeln sich die Meinungsverschiedenheiten über „Bucht mit Taverne“ und „Einsamkeit und Sterne“ hoch. Matthias und ich sind Gegenpole. Wer hat recht. Siehe dazu Tucholsky: „Jeder hat ja so recht.“

Der neunte Tag bringt einen etwas ruckartigen Mehrheitsbeschluß: Wir fahren rüber nach Skopelos und in die Stadt Skopelos, um uns zu verproviantieren.  Ein Umweg von etlichen Meilen. Die Kumpel tun, als würden wir in Papua-Neuguinea paddeln. Ich paddle knirschenden Zahns mit und kaufe noch zwei Schachteln Zigaretten. Aber so wie das Paddeln den Körper reinigt, so lüftet es auch die Seele. Bald gehen wir wieder friedlich miteinander um. Abends zelten wir in der Bucht Stafilios an der SO-Seite der Insel. Die Bucht hat alles: Felsen, feinen Kies, einen Strandteil für Nackerte und Süßwasserquellen, die aus den Uferfelsen fließen. Hier bleiben wir auch am nächsten Tag, dem zehnten Tag und feiern Jannis Geburtstag. In einer Taverne, die es natürlich doch gab, jedoch in einiger Entfernung.

Der elfte Tag bringt einigen Wind und zügige Fahrt, Pause in dem kleinen Ort Elios, der alles hat, was man braucht, und dann ein Stück zurück zu einem wirklich einsamen Strand. Günther findet eine Höhle, in der er übernachtet – aber erst nachdem er zuvor mit Jannis und mir einen kleinen Höhlensuff veranstaltet hat.

Kräftigen Wind bringt der zwölfte Tag, so daß wir bei Kap Arminopetra umkehren und auf ruhigere Zeiten warten, die auch eintreten. Dann erreichen wir sicher Loutraki , wo wir auf meinen zaghaften Wunsch – noch einer Stunde warten, denn es bläst noch ganz ordentlich. Dann der Sprung nach Skiathos, wieder so acht, neun Kilometer. Es ist einiges los, was ich auch daran erkenne, daß Jannis sich neben mir hält und fragt: „Fühlst du dich sicher ?“ Das tue ich, mein von Jannis geliehener „Feathercraft“ und ich werden ein immer besseres Team. Comming home: Wieder die Xanemos-Bucht. Wieder Besuch in der Stadt und schließlich – am dreizehnten Tag – mit Regen und kräftigem Wind zum Banana (igitt) – Strand gegenüber von Katigiorgi auf dem Festland.

Der Sprung über das offene Meer zur Pelionküste der vierzehnte Tag – wir halten schräg gegenan, es gibt viel zu tun, aber wir machen eine gute Figur und laufen, von etlichen Touristen bestaunt, in den Hafen von Katigiorgi ein. Hier gönne ich mir ein Zimmer, denn es regnet und die drei Inseln habe ich umrundet. Die anderen fahren noch ein Stück weiter Richtung Golf von Volos zur Bucht Hadri Amos. Ich genieße ein Bett, eine heiße Dusche und natürlich ein Abendessen und der Taverne.

Am nächsten Mittag Wiedervereinigung und gemeinsames Mittagessen. Genußpaddeln hatte Jannis für diesen fünfzehnten Tag, den letzen Tag angesagt. Gewiß – aber mit kräftigem Wind. So kräftig, daß Matthias, der schon voraus gefahren war, auf halbem Weg zur Melani-Bucht auf uns wartete, um in sicherer Gesellschaft zu paddeln. Am letzten Tag noch kräftig Wellen zu reiten, das war keine schlechte Idee. Schließlich die Felsentürme der Melani-Bucht, die Kiele knirschen auf dem Uferkies, geschafft. Und schon mischt sich Wehmut in das Glücksgefühl. Doch: die nächste Reise kommt bestimmt.

Die NO-Küste wählte unser Fahrtenleiter Jannis, weil Wind, Wetter und Seegang dies zuließen. Andernfalls ist es ratsamer, die NW-Küste entlang zu paddeln.

Entlang der gesamten NW-Küste von Alonnissos findet sich zumindest im September gegen Ende der Saison keine Taverne, keine Einkaufsmöglichkeit und keine Versorgungsmöglichkeit mit Wasser. Wer unsere Fahrt nachpaddeln möchte, muß sich darauf einrichten. Auch diese Strecke ist dem offenen Meer ausgesetzt und sollte nur unter guten Bedingungen gefahren werden.