Vortrag

"Agenda 2000 und die Erweiterung der EU mit Polen"

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Am Samstag ist der Europäische Rat von Wien zu Ende gegangen. Auf der Tagesordnung des Rates standen die wichtigen Themen der Europäischen Zukunft, und somit auch die Agenda 2000 und die Erweiterung. Die Staats- und Regierungschefs diskutierten den "Ersten Regelmäßigen Bericht der Kommission über die Fortschritte der Beitrittskandidaten", der am 4. November veröffentlicht wurde, ebenso wie die Vorschläge des Reformpakets Agenda 2000 zum zukünftigen Finanzrahmen und zu den Reformen der Agrar- und Strukurpolitik.

Die Kombination von interner Reform, zu der auch der Vertrag von Amsterdam und die Anpassung der Gemeinschaftsinstitutionen gehören, mit dem Erweiterungsprozeß legt einmal mehr das Innerste – die Identität - der Europäischen Union frei: Sie ist eine demokratische Gemeinschaft, basierend auf sozialer Marktwirtschaft und persönliche Freiheiten garantierenden Menschenrechten, basierend auf dem Gedanken der Solidarität, und das alles zum Zweck des friedlichen Zusammenlebens in Wohlstand.

Namens der Europäischen Union hat der ehemalige Kommissionspräsident Jacques Delors einmal die Frage gestellt, was Europa eigentlich sein soll und was wir unseren Kindern übergeben wollen: "Ein Europa, das die Wiege vieler Werte ist und Zeuge einer echten Kultur" oder ein Europa "dessen einziges Ziel es ist, für einen zweiten Kühlschrank, ein drittes Fernsehgerät und einen Zweitwagen zu sorgen?" Er hat die Antwort auf diese Frage selbst gegeben indem er feststellte: "Wenn es uns in den nächsten Jahren nicht gelingt, Europa eine Seele, eine Spiritualität, einen Sinn zu geben, dann wird es seine Geburt nicht lange überleben." Diese Antwort verdeutlicht, daß wir uns mehr der kulturellen und geistigen Integration zuwenden müssen. Wir müssen verdeutlichen, daß Europa eine Wertegemeinschaft ist; Und zwar über die Grenzen der heutigen Union hinaus.

Die Europäische Union ist keineswegs nur ein Zusammenschluß von verschiedenen Volkswirtschaften, auch wenn am Beginn eine Wirtschaftsgemeinschaft von 6 Staaten stand. Heute haben wir eine politische Union mit 15 Mitgliedern und mehr als 10 Beitrittswerbern.

Jahrzehntelang war die Wirtschaft der alles treibende Motor der Integration. Heute wird ihr diese Position streitig gemacht. Die Erweiterung, die Vertiefung, Fragen der Gemeinsamen Außenpolitik und der Inneren Sicherheit nehmen an Bedeutung zu und verdrängen Wirtschaftsfragen zunehmend von ihrer Position als Motor der Integration. In diesem Sinne wird auch die Einführung des Euro zunehmend als politisches Projekt gewertet.

Die Europäische Union war schon immer eine Wertegemeinschaft. Ihre Weiterverbreitung in Form des Erweiterungsprozesses wirft selbstverständlich auch Schwierigkeiten auf. Ängste und Umstellungsprobleme sind zu bewältigen, und dabei müssen wir alle über den eigenen Tellerrand blicken. Auch das ist eine Frage der Solidarität.

Meine Damen und Herren!

Am 17. Juli 1997 hat die Europäische Kommission die Agenda 2000 präsentiert. In diesem Dokument werden die Perspektiven für die Entwicklung der Europäischen Union und ihrer Politik nach der Jahrtausendwende dargestellt.

Gemäß dem Zeitplan soll im März kommenden Jahres das Agenda 2000 Paket bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs verabschiedet werden, sodaß das Agenda Paket vom Europäischen Parlament noch vor den Wahlen im Juni behandelt werden kann. In diesem Paket sind die größten Reformanstrengungen seit Bestehen der Union zusammengefaßt: Die Strukturpolitik wird neu konzipiert, die Gemeinsame Agrarpolitik muß grundlegend reformiert werden. Vor allem aber muß die finanzielle Basis für die nächsten 7 Jahre inklusive der Finanzierung aller Beitrittshilfen fixiert werden. Dies zeigt, daß die Fragen der Erweiterung eng verbunden sind mit den Fragen zur Agenda 2000, wenn man auch festhalten muß, daß Reformen der Struktur- und Agrarpolitik sowie des Finanzierungssystems der Union jedenfalls auch ohne Erweiterung angestanden wären.

Erlauben Sie mir einen Überblick in Form eines kurzen Zahlenspiels zu geben: Das derzeitige Jahresbudget der Union beträgt rund 91 Mrd. Ecu. Für die 7 Jahre von 2000 – 2006 kalkuliert die Kommission insgesamt 341 Mrd. Ecu für die Landwirtschaft, 286 Mrd. Ecu für die Strukturpolitik und 101 Mrd. Ecu für die weiteren Politiken wie zum Beispiel Phare und die Forschung. Die Kosten der Erweiterung für den EU-Haushalt berechnet die Kommission für diesen Zeitraum mit 80 Mrd. Ecu, aufgeteilt auf die soeben erwähnten Posten.

Die Reformvorschläge der Agenda 2000 zielen hauptsächlich auf die Erhöhung der Effizienz der Unionspolitik ab. Für die Bewältigung der Erweiterung soll keine Erhöhung der Beitragssätze der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt notwendig sein. Obwohl alle Betrittswerber potentielle Nettoempfänger sind, die Bevölkerung der Union um bis zu 100 Millionen Menschen anwachsen und die landwirtschaftliche Nutzfläche um die Hälfte zunehmen könnte, soll der Beitrag der Mitgliedstaaten 1,27 % des Brutosozialproduktes der Union nicht überschreiten. Diese Grenze gilt auch jetzt schon, wenngleich sie bisher noch nie ausgeschöpft wurde.

Der erste Punkt der Agenda 2000 ist die Landwirtschaft. Oftmals wird behauptet, die derzeit diskutierte Reform der Agrarpolitik ist wegen der Erweiterung notwendig. Das ist falsch: Die Senkung der Preisstützungen ist unter anderem wegen der von der Union im Rahmen der WTO eingegangenen Verpflichtungen notwendig und wird nicht von der Erweiterung verursacht. Stellen wir unser Subventionssystem nicht um, riskieren wir handelspolitische Differenzen vor allem mit den USA und Australien. Durch diese WTO-konforme Reform sichern wir die Existenz der Bauern, weil ihre Produkte dann am Weltmarkt abgesetzt werden können, und nicht nur am bereits ziemlich gesättigten EU-Markt.

Darüber hinaus würde ein Festhalten der EU an der bisherigen Agrarpolitik zu Beginn des neuen Jahrhunderts neue Überschüsse zur Folge haben. Eine Übertragung der bestehenden Agrarpolitik auf die Beitrittsländer würde die damit verbundenen Probleme noch zusätzlich verstärken.

Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit der Agrarproduktion steigern. Dies können wir nur durch eine Rücknahme der Preisgarantien erreichen. Dadurch werden einerseits Ungleichgewichte auf den Agrarmärkten vermieden und andererseits die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Agrarprodukte gesteigert. Gleichzeitig müssen die Einkommensverluste der Landwirte, die durch eine Preissenkung entstehen, durch Direktzahlungen abgefedert werden.

Die ländliche Entwicklungspolitik soll zu einer zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik ausgebaut werden, um neue Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten in den ländlichen Räumen zu erschließen. Dies würde gerade Polen nach einem Beitritt besonders zugute kommen.

Die Qualität der Produkte ist ein anderer, mindestens ebenso wichtiger Faktor. Es ist eine grundlegende Verpflichtung, die Sicherheit der Lebensmittel für die Verbraucher innerhalb wie außerhalb der Union zu garantieren. Nach Möglichkeit wird die Gemeinsame Agrarpolitik weiterhin Qualitätsprodukte fördern, die häufig mit einem spezifischen geographischen Ursprung oder spezifischen von den Verbrauchern erkennbaren Produktionsmethoden in Verbindung stehen.

Ziel der Agrarreform insgesamt ist es, die Preise für die Konsumenten spürbar zu senken, aber trotzdem das Einkommensniveau in der Landwirtschaft konstant zu halten. Besonders die Reform der Agrarpolitik stößt europaweit auf teilweise heftigen Widerstand. Unbestritten ist aber die Erkenntnis, daß der 1992 mit der GAP eingeschlagene Weg weitergegangen werden muß. Ansonsten läuft die Gemeinsame Agrarpolitik Gefahr, unfinanzierbar zu werden.

Meine Damen und Herren!

Der zweitgrößte Budgetposten der Union ist die Strukturpolitik. Insgesamt 286 Mrd. Ecu sieht die Kommission für die Jahre 2000 – 2006 vor. 218 Mrd. Ecu für die derzeitigen Mitglieder, 21 Mrd. Ecu für den Kohäsionsfonds und 47 Mrd. Ecu für die Beitrittskandidaten (Preise 1999).

Angesichts der personellen Möglichkeiten und um die optimale Effizienz der Mittelverwendung zu erreichen, schlägt die Kommission eine Vereinfachung der Verwaltungsabläufe vor. Diese Dezentralisierung und Flexibilisierung soll durch eine engere Kooperation zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Die Kommission wird ihr Hauptaugenmerk auf die Festlegung und Präzisierung der Prioritäten richten, während den Mitgliedstaaten die Durchführung der Förderaktion obliegen wird.

Die Kernpunkte der Reform sind die Reduktion der Anzahl der Zielgebiete der Gemeinschaftsinitiativen. Die derzeit geltenden 7 Zielgebiete sollen zu 3 zusammengefaßt und die 13 Gemeinschaftsinitiativen sollen auf 3 reduziert werden. Die maximale Fördersumme für einen Mitgliedstaat wird mit 4% des BIP begrenzt.

Ziel 1 - Fördergebiete wären weiterhin solche Regionen, deren Pro-Kopf-Einkommen unter 75% des Gemeinschaftsdurchschnitts liegt. Diese Gebiete haben die größten Probleme hinsichtlich Einkommen, Beschäftigung, Produktionssystemen und Infrastruktur. Deshalb soll hier mit einem Anteil von 2 Dritteln an den gesamten Strukturfondsmitteln weiterhin der Schwerpunkt der Förderungen aus den Strukturfonds liegen. Nach einem Beitritt können die Länder Mittel- und Osteuropas die gemeinschaftlichen Strukturfondsmittel in Anspruch nehmen. Sie werden aller Voraussicht nach als Ziel 1 Regionen mit höchster Priorität gefördert werden (Franz Fischler).

Ziel 2 - Fördergebiete wären Regionen, die von erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Umstellungen betroffen sind. Zum Beispiel die Umstellung von einer Industrie- auf eine Dienstleistungsregion oder ländliche Gebiete mit stark rückläufiger Entwicklung.

Regionen, die nicht in die beiden vorigen Kategorien fallen, hätten Anspruch auf Förderungen im Rahmen des dritten Förderzieles. Dieses bezweckt, die Ausbildungs-, Berufs- und Beschäftigungssysteme der Mitgliedstaaten anzupassen und zu modernisieren. Während die ersten beiden Ziele auf Regionen abzielen, wäre dieses dritte Ziel ein sogenanntes horizontales, das heißt unionsweites Ziel.

Der Kohäsionsfonds wird die finanzielle Unterstützung von transeuropäischen Verkehrsnetzen und Vorhaben im Umweltbereich fortsetzen.

Insgesamt sollen aus Strukturfondsmittel von 2000 bis 2006 rund 39,6 Milliarden ECU für die neuen Mitgliedstaaten und weitere 7,3 Milliarden ECU als sogenannte "Heranführungshilfen" für die Beitrittskandidaten bereitgestellt werden.

Meine Damen und Herren!

Nach den tiefgreifenden Umwälzungen in Mittel- und Osteuropa in den vergangenen Jahren, befinden wir uns jetzt in einer entscheidenden Phase für die zukünftige Entwicklung in Gesamteuropa. Es geht darum, die Beitrittskandidaten noch stärker in unser demokratisches Rechtssystem zu integrieren und Sie beim Aufbau der materiellen Basis zur Absicherung der gemeinsamen Grundwerte zu unterstützen.

Die Erweiterung der Union ist eine logische Schlußfolgerung aus der gemeinsamen europäischen Geschichte und ein entscheidender Schritt, um die europäische Integration weiter voran zu bringen. Dafür sind gründliche Vorbereitung und Anpassungsleistungen auf beiden Seiten notwendig, bei den Beitrittskandidaten und in der Union selbst. Das gilt nicht nur für die Politik und für die Verwaltung, das gilt auch für die Bürger, die Arbeitnehmer, die Unternehmen und in besonderem Maße für die Landwirtschaft.

Ich werde des öfteren mit der Einstellung konfrontiert, Erweiterung ja aber bitte nicht so schnell. Hier wird meist vergessen, daß der Annäherungsprozeß schon vor fast 10 Jahren begonnen hat. Mit Polen hat die Union schon im September 1989 ein Handels- und Kooperationsabkommen unterzeichnet. Am 16. Dezember 1991 wurde ein Assoziationsabkommen – das Europa-Abkommen - zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Polen unterzeichnet, das am 1. Februar 1994 in Kraft getreten ist. Der handelspolitische Teil ist aufgrund eines Interimabkommens bereits am 1. März 1992 in Kraft getreten. Darin wurde die schrittweise und asymmetrische Schaffung einer Freihandelszone im Laufe von zehn Jahren vorgesehen. Am 5. April 1994 hat die polnische Regierung dann ihren formellen Beitrittsantrag gestellt.

Im November 1996 hat Präsident Kwasniewski den Integrationswillen Polens in einem Vortrag eindeutig zum Ausdruck gebracht: "Der nach dem historischen Durchbruch von 1989 in Polen eingeleitete Wandel beschränkt sich nicht nur auf die Reform der Wirtschaft, sondern besteht auch in einer Öffnung gegenüber der Welt. Offenheit hat in Polen Tradition. Die Teilnahme an dem natürlichen Integrationsprozeß unseres Kontinents gehört zu unserem Verständnis von polnischer Souveränität. Für uns ist die künftige europäische Integration eine historische Herausforderung. Wir denken nicht nur an die Vorteile, die uns ein Beitritt zur Europäischen Union bringen wird. Wir sind uns auch der Verpflichtungen bewußt, die unsere Rolle bei der Einigung des Kontinents mit sich bringen wird".

Meine Damen und Herren!

Im Juli letzten Jahres hat die Kommission in der Agenda 2000 ihre Stellungnahmen zu den Beitrittsanträgen der 10 MOEL vorgestellt. Daraufhin hat der Europäische Rat von Luxemburg im Dezember letzten Jahres die Strategie der Union für die Erweiterung beschlossen. Dazu gehören:

  • Erstens: Die Europa-Konferenz als permanentes Diskussionsforum für alle beitrittswilligen Staaten, inklusive Türkei.

- Zweitens: Die "intensivierte Heranführung", die die 10 mittel- und osteuropäischen Länder Ungarn, Polen, Rumänien, die Slowakei, Lettland, Estland, Litauen, Bulgarien, die Tschechische Republik und Slowenien auf einen Beitritt vorbereiten soll. Als Mittel hierzu wurden die Beitrittspartnerschaften entwickelt.

- Und drittens die Beitrittsverhandlungen mit 6 Ländern: Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik, Slowenien und Zypern.

Die Europa-Konferenz ist ein Forum für zwischenstaatliche Zusammenarbeit, in dem die Staats- und Regierungschefs einmal jährlich zusammentreffen. Alle Mitgliedstaaten der Union und alle europäischen Länder, die für einen Beitritt in Frage kommen und über ein Abkommen mit der Union verbunden sind, sollen in diesem Forum zusammenkommen. Derzeit sind dies die Mitgliedstaaten der EU, die 10 mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten und Zypern. Die Europa-Konferenz ist für alle beitrittswilligen Länder der Zukunft offen, sofern diese die Ziele der Union teilen.

Die Türkei wurde ebenfalls zur Europa-Konferenz eingeladen, hat aber die Teilnahme vorerst abgelehnt. Von der Türkei liegt schon seit 1987 ein gültiger Beitrittsantrag vor. In der Stellungnahme hielt es damals die Kommission nicht für zweckmäßig, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Sie bekräftigte aber ihr Interesse an einer Vertiefung der Beziehungen zur Türkei, auch unter dem Gesichtspunkt der Hilfe zur Annäherung an die Union. Die Agenda 2000 und der Europäische Rat von Luxemburg haben diese Meinung bekräftigt. Seit 1996 bilden die Europäische Union und die Türkei übrigens eine Zollunion.

Interessante Entwicklungen zeichnen sich in der Schweiz ab, die schon 1992 einen Beitrittsantrag gestellt hat. Nachdem sich die Bürger in einer Volksabstimmung gegen einen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum ausgesprochen hatten, wurden die Integrationsbestrebungen der Schweiz auf Sparflamme gestellt. Aber seit einigen Monaten werden die Bemühungen wieder intensiver und haben ihren vorläufigen Höhepunkt in dem Wunsch nach Teilnahme an der Europa-Konferenz. Außerdem konnte die EU und Schweizer Regierung, sozusagen als "Zwischenlösung", am Wiener Gipfel verschiedene Abkommen, am bekanntesten das Transitabkommen, abschließen. Sie werden voraussichtlich im März 1999 signiert und 2001 in Kraft treten.

Spannende Entwicklungen sind auch in Malta zu erwarten. Nachdem Malta seinen 1990 gestellten Beitrittsantrag lange Jahre nicht weiter verfolgte, hat die neue Regierung den Beitrittsantrag erneut gestellt. Die Kommission prüft derzeit im Auftrag des Rates die Konsequenzen der Entwicklungen in Malta.

Die zweite Ebene der Erweiterungsstrategie ist die "intensivierte Heranführung", als deren Kern die Beitrittspartnerschaften bezeichnet werden können. Die 10 mittel- und osteuropäischen Länder sollen mittels Beitrittspartnerschaften bei der Erreichung der Kopenhagener Kriterien so unterstützt und auf den Beitritt vorbereitet werden, daß sie bereits vor Beginn ihrer Mitgliedschaft das EU-Recht in großen Teilen übernehmen können.

Dafür sind sogenannte Prioritäten und Zwischenziele mit jedem einzelnen Beitrittskandidaten ausgehandelt worden, die zum Teil bis Ende 1998 erreicht werden müssen. Folgende Bereiche wurden unter anderem festgelegt: politische Kriterien für die Mitgliedschaft, wirtschaftliche Reformen, Steigerung der Leistungsfähigkeit der Verwaltungsbehörden, Vorbereitung auf die Beteiligung am Binnenmarkt, Justiz und Inneres, Landwirtschaft, Umwelt, Verkehr, Beschäftigung und Soziales, Regionalpolitik und Kohäsion. Zur Förderung dieser Anstrengungen hat die Europäische Kommission finanzielle Unterstützungen vorgeschlagen. Das wichtigste Finanzinstrument ist demnach das Programm "Phare", das in den Jahren 2000 – 2006 fast 11 Milliarden Ecu als Hilfeleistung zur Verfügung stellen soll. Hinzu kommen noch 7,3 Milliarden Ecu aus den Strukturfonds und über 3,6 Milliarden Ecu aus Mitteln zur Agrarförderung. Das sind für die Jahre 2000 - 2006 insgesamt fast 22 Milliarden Ecu. Die Union investiert also in die mittel- und osteuropäischen Länder ungefähr 3 Milliarden Ecu pro Jahr als "Heranführungshilfe".

Diese Unterstützungen sind jedoch an Bedingungen geknüpft. Die beitrittswilligen Länder müssen ihren Verpflichtungen aus den Beitrittspartnerschaften nachkommen sowie für die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien sorgen. Tun sie dies nicht, könnte die Aussetzung oder Reduktion dieser Hilfen für ein Land beschlossen werden.

A propos Reduktion der Hilfen: Da einige der von Polen geplanten Phare-Projekte nicht den Prioritäten der Beitrittspartnerschaft entsprachen, mußten diese gestrichen werden. Nach mehreren Verhandlungen wurden die für Polen 1998 vorgesehenen Phare-Mittel von 212 Millionen Ecu auf 178 Millionen Ecu reduziert.

Meine Damen und Herren!

Als Kern der Erweiterungsstrategie gelten selbstverständlich die Beitrittsverhandlungen, die am 31. März 1998 mit den 6 Ländern Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik, Slowenien und Zypern offiziell eingeleitet wurden.

Der Verhandlungsprozeß hat mit sogenannten "Screenings" begonnen. Dabei stellt die "Task-Force Erweiterung" den Beitrittswerbern schrittweise das EU-Recht vor und überprüft, ob die Bestimmungen der Union von den Beitrittskandidaten akzeptiert und umgesetzt werden können. Die "Screenings" sind in 31 Kapitel aufgeteilt und die ersten Kapitel wurden schon "gescreent". Für die ersten 7 Kapitel haben die Beitrittswerber auch schon die dazugehörigen Positionspapiere erstellt. Deshalb konnte auf Initiative der österreichischen Ratspräsidentschaft am 10. November – und damit früher als geplant - mit den konkreten Verhandlungen auf Ministerebene begonnen werden. Die Kapitel Bildung, Forschung sowie kleinere und mittlere Unternehmen sind sogar schon inhaltlich vorläufig abgeschlossen worden. Österreich hat daher den Erweiterungsverhandlungen eine deutliche Beschleunigung verliehen!

Die Kosten des Erweiterungsprozesses veranschlagt die Kommission für das EU-Budget in der Agenda 2000 für die 7 Jahre 2000 – 2006 mit insgesamt 80 Milliarden Ecu: 22 Milliarden Ecu für die Hilfe zur Vorbereitung auf den Beitritt und 58 Milliarden Ecu für die Finanzierung der Beitritte. Der größte Teil der Kosten wird durch die Umstrukturierungen im Bereich der Agrar- und Strukturpolitik finanziert, sowie durch die Ausschöpfung der schon geltenden Beitragssätze von 1,27 % des Bruttosozialproduktes (BSP). Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, daß auch die neuen Mitgliedstaaten ihre Beiträge zahlen müssen. Und noch wichtiger: Wird das BIP in der EU wachsen, stehen auch bei gleich gebliebenen Beitragssätzen absolut größere Geldbeträge für die Erweiterungsunterstützung bereit.

Es ist aber klar, daß mit einer Erweiterung auch die Unterschiede in der größeren Union wachsen. Die Beitritte müssen deshalb sehr sorgfältig vorbereitet werden. Zum Schutz der Beitrittskandidaten wie auch zum Schutz der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Die Länder Ost- und Mitteleuropas dürfen nicht vom freien Markt "überrollt" werden, und in den alten Mitgliedstaaten der Union dürfen keine Ängste vor einer Erweiterung bestehen bleiben.

Deshalb müssen die Beitrittswerber noch erhebliche Investitionen tätigen, vor allem in Bereichen wie Umwelt, Verkehr, Energie, Umstrukturierung der Industrie und Agrarinfrastruktur. Die Union wird ihnen dabei helfen. In diesem Sinne wurde die Kommission beauftragt, regelmäßige Berichte über die Fortschritte der Kandidaten auf dem Weg zum Beitritt zu erstellen. Nach den Agenda-Stellungnahmen im Juli 1997 ist am 4. November der Erste Bericht erschienen, der dem Europäischen Rat von Wien als Diskussionsgrundlage diente.

An der Beobachtungsmethode hat sich nichts verändert. Weiterhin werden die Kopenhagener Kriterien als Basis der Beurteilungen herangezogen:

  • Hat das Land institutionelle Stabilität derart verwirklicht, daß diese für die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten garantiert?

  • Gibt es eine funktionierende Marktwirtschaft und kann diese dem Wettbewerb und den Marktkräften innerhalb der Union standhalten?

  • Kann der Kandidat den gesamten bisherigen EU-Rechtsbestand und die Pflichten, die sich aus der Mitgliedschaft ergeben, nicht nur übernehmen, sondern auch am Beitrittstag umsetzen? Und ist er in der Lage, in der zukünftigen Entwicklung die Ziele der Politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion zu verfolgen?

Die wohl wichtigste Schlußfolgerung des Berichts ist, daß die Kommission den Zeitpunkt noch nicht für gekommen hält, um dem Rat die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit Ländern der zweiten Gruppe vorzuschlagen. Das heißt, die Erweiterungsstrategie wird fürs Erste so beibehalten wie bisher.

Die Bewertung der Fortschritte Polens würde ich als positiv, zufriedenstellend beurteilen. Polen erfüllt die politischen Kriterien, seine politischen Institutionen funktionieren reibungslos. Die im Agenda-Avis festgestellten Schwachstellen beim Schutz der Zivilrechte sowie dem Straf- und Strafprozeßrecht wurden behoben.

Die makroökonomische Stabilisierung hat zugenommen, bei der Umsetzung der Rentenreform gab es Fortschritte, der Finanzsektor unterzog sich weiteren Reformen und ausländische Investoren melden sich in zunehmenden Ausmaß. Polens Exportleistung hat sich so stark verbessert, daß die Ausweitung des Handels- und Leistungsbilanzdefizits gebremst werden konnte. Im Handel mit der EU konnte Polen seinen Anteil an den Gesamtein- und ausfuhren weiter steigern. In den ersten fünf Monaten des Jahres 1998 entfielen 65 % der Gesamtexporte auf Ausfuhren in die Europäische Union. Die Einfuhren aus der EU stiegen von 64 % im Jahr 1997 auf 70 % der Gesamtausfuhren.

Weitere Reformen sind aber notwendig, insbesondere bei der Privatisierung der staatlichen Unternehmen, der Umstrukturierung der Kohle- und Stahlindustrie und der Modernisierung der Landwirtschaft.

Die Umsetzung und Implementierung des Acquis bietet ein differenziertes Bild. Polen hat die kurzfristigen Prioritäten der Beitrittspartnerschaft in den Bereichen Wirtschaftsreform, Umgestaltung der Industrie - vor allem der Kohle- und Stahlindustrie -, Justiz und Inneres, Binnenmarkt und Regionalentwicklung teilweise erfüllt. Trotz einiger noch ungelöster Handelsfragen hat Polen bewiesen, wichtige Entscheidungen im Sinne des Europa-Abkommens zu treffen. Dadurch konnten und können dauerhafte Lösungen für die verschiedenen Probleme im Handel und in der Industrie gefunden werden.

Die Übernahme des Binnenmarktrechts ist aber vor allem wegen fehlender institutioneller Strukturen im Bereich der Zertifizierung nicht angemessen vorangekommen. Außerdem verlangt die Kommission noch die Schaffung eines wirklich effizienten System für die Kontrolle staatlicher Beihilfen. Ein entscheidender Schwachpunkt ist der Umweltschutz, wo nur begrenzte Fortschritte gemacht wurden. Als nicht ausreichend bewertet der Bericht auch die Fortschritte im Bereich der Landwirtschaft, des Umweltschutzes und des Aufbaus administrativer Strukturen.

Daran anknüpfend hält der Bericht fest, daß die Durchführung der geplanten Reformen der öffentlichen Verwaltung auf Schwierigkeiten stößt. Diese Reformen sind aber notwendig, um das Fundament für weitere Verbesserungen der Verwaltungskapazitäten in bestimmten Bereichen des gemeinschaftlichen Besitzstands zu legen. Die Übernahme und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts in Schlüsselbereichen des Binnenmarkts, wie z. B. Normung und Zertifizierung, Schutz geistigen Eigentums sind davon abhängig. Fortschritte wurden in den Bereichen Regionalentwicklung und Finanzkontrolle gemacht.

Soviel zum Beurteilungsbericht, wie gesagt, einem im Ganzen positiven Beurteilungsbericht. Jedoch Landwirtschaft, Umweltschutz, Verwaltungsstrukturen, Teile der Binnenmarktregeln, die Umstrukturierung der Kohle- und Stahlindustrie und Privatisierungsabläufe stellen noch gewisse Herausforderungen dar.

Aber auch die Europäische Union selbst hat noch über die Agenda hinaus Reformfortschritte zu erzielen. Die Größe Polens und die Auswirkungen des Beitritts Polens und anderer Länder auf das institutionelle Gefüge der Union zeigen die Notwendigkeit einer vollständigen Reform der Institutionen der Europäischen Union. Im Vertrag von Amsterdam wurde ja auch festgeschrieben, daß vor einem Beitritt weiterer Länder eine Regierungskonferenz die in Amsterdam begonnene Institutionenreform finalisieren muß. Beide Seiten haben ihre Hausaufgaben zu erledigen.

Meine Damen und Herren!

Polen nimmt unter den Beitrittskandidaten eine spezifische Position ein Die anderen 5 Kandidaten der ersten Verhandlungsrunde haben zusammen nur 80 % der Fläche und 60 % der Einwohner Polens. Polen ist also mit seinen fast 39 Millionen Einwohnern ein Riese. Dementsprechend stark ist auch die Wirtschaftsleistung mit fast 120 Milliarden Ecu BIP 1997. "Die Zeit" hat vor wenigen Wochen geschrieben: "Polen hat mehr Passion und mehr Power als die übrigen fünf Mitbewerber, deren Einwohnerzahl zusammen nicht einmal zwei Drittel der polnischen Bevölkerung ausmacht. Polen ist neben Irland zum Europameister im Wachstum geworden – und liegt zugleich mit seiner Landwirtschaft und Montanindustrie noch in der Abstiegzone."

Die Landwirtschaft ist tatsächlich Polens Spezifikum. Mit über 4 Millionen Menschen arbeiten in der Landwirtschaft mehr als ein Viertel aller Erwerbstätigen Polens, erbringen aber nur 7,6 % der gesamten Bruttowertschöpfung des Landes.

Aus Sicht der Kommission liegen die wichtigsten Aufgaben für die Vorbereitung auf den Beitritt im Agrarsektor im Aufbau einer kohärenten Politik für die ländliche Entwicklung, in der Stärkung der Verwaltung und in einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Ernährungsindustrie.

Die Modernisierung der polnischen Landwirtschaft wird tiefgreifende Strukturveränderungen im Agrarsektor und große Auswirkungen auf die ländlichen Gebiete zeigen. Umso mehr sind gerade die überwiegend kleinen polnischen Landwirtschaftsbetriebe auf eine wirksame Politik der ländlichen Entwicklung angewiesen, um Arbeitsplatzverluste und Abwanderung aus den ländlichen Gebieten zu vermeiden.

Die Europäische Union wird deshalb im Rahmen ihrer Heranführungshilfen verstärkt dazu beitragen, moderne Infrastrukturen, die allgemeine und berufliche Bildung oder die Nutzung neuer Technologien auszubauen. Auch die Dorferneuerung leistet einen direkten Beitrag zur Verbesserung der Wirtschaftskraft und der Lebensverhältnisse in den ländlichen Gebieten. Investitionen in den landwirtschaftlichen Betrieben und den Verarbeitungsbetrieben sind notwendig, um mit den technologischen Entwicklungen Schritt halten zu können und um auf den überregionalen Märkten präsent zu sein. Die Modernisierung der polnischen Lebensmittelindustrie wird von der EU unterstützt, sowohl finanziell als auch beratend.

Ich bin optimistisch, was den weiteren Ablauf der Verhandlungen betrifft. Präsident Kwasniewksi hat am 18. November in einer Rede vor dem Europäischen Parlament gefordert, dem Prozeß der Erweiterung neuen Schwung zu geben. Probleme, die mit der Einführung der Freizügigkeit oder Gemeinsamen Agrarpolitik entstehen, seien lösbar und in der Vergangenheit bei der Aufnahme neuer Länder meist nur in sehr abgeschwächter Weise aufgetreten. Zur Umweltschutzproblematik meinte er, daß Polen erhebliche Mittel für Investitionen in den Umweltschutz mobilisiere. 1996 hätten diese Investitionen fast 10% des gesamten Investitionsaufkommens in der polnischen Wirtschaft sowie 1,7% des BIP betragen.

Auch die polnische Bevölkerung ist optimistisch: Vor kurzem hat die Paul Lazarsfeld – Gesellschaft für Sozialforschung in der Studie "Politischer Wandel und Wohlstandsentwicklung in Mittel- und Osteuropa" eruiert, daß 85 % der Polen für einen Beitritt zur Europäischen Union votieren. Allerdings habe ich auch schon deutlich niedrigere Zahlen gehört, wie z. B. 64% "pro" Beitritt. Weniger eindeutig ist das Ergebnis unserer Euro-Barometer-Umfragen über die Zustimmung der Unionsbürger zur Erweiterung. Die höchsten Zustimmungsraten von den Unionsbürgern erhielten Ungarn mit 47 % und Polen mit 43 %. Zu Hoffnungen berechtigen diese Umfrage jedoch, weil ein erheblicher Anteil der Unionsbürger noch keine Meinung zu dieser Frage geäußert hat und sich vielleicht doch noch zu einer positiven Meinung durchringt.

Meine Damen und Herren!

Bei den Beitrittsverhandlungen darf es keine "Sieger" und "Verlierer" geben, alle müssen gewinnen. Polen wird nach einem Beitritt Teil der Union sein und genauso wie die jetzigen Mitglieder seine Stärken und Schwächen in die Gemeinschaft einbringen. Bis dahin ist es ein harter Weg, aber es lohnt sich für Europa. Denn wie Jacques Santer bei der Präsentation der Agenda 2000 gesagt hat: "Die Erweiterung ist für Europa ein Unterfangen von historischer Bedeutung; sie ist aber auch eine Chance für Europa, seine Sicherheit, seine Wirtschaft, seine Kultur und seinen Platz in der Welt."

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

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