Vortrag Die Erweiterung der EU – Bedrohung oder Chance? Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gleich zu Beginn möchte ich mich an die Gastgeber wenden und festhalten, daß es Ihrem unermüdlichen Einsatz zu verdanken ist, daß so interessante Symposien wie das heutige zustande kommen. Deshalb konnte ich Ihre Einladung, über die Erweiterung der Europäischen Union zu sprechen, nicht ausschlagen. Ich freue mich, als Ihr Gast heute hier sein zu können und hoffe, durch meinen Vortrag Ihr bewundernswertes Engagement ein wenig unterstützen zu können. Ich wurde eingeladen, ein Referat mit dem Titel "Die Erweiterung der Europäischen Union – Bedrohung oder Chance?" zu halten. Eines kann ich Ihnen gleich im voraus sagen: Die Frage "Bedrohung oder Chance" stellt sich für mich eigentlich nicht. Sie ist längst beantwortet. Die Erweiterung ist eine ungeheure Chance für Europa und noch mehr für Österreich. Eine Bedrohung ist sie keinesfalls, weder für die Europäische Union noch für Europa und auch nicht für Österreichs Grenzregionen, wie das leider immer öfter im populistischen Kampf um politisches Kleingeld zu hören ist. Richtig ist aber, daß es noch eine Reihe von wichtigen Fragen gibt, die im Zusammenhang mit dem Erweiterungsprozeß gelöst werden müssen. Diese Fragen hat die Europäische Kommission in der Agenda 2000 thematisiert und gleichzeitig auch Lösungsansätze entworfen, die von den Mitgliedstaaten bei den Beitrittsverhandlungen umzusetzen sind. Diese wichtigen Fragen bilden den zweiten Teil meines Vortrages. Zuerst möchte ich jedoch näher auf den Ablauf des Erweiterungsprozesses, die Erweiterungsstrategie und die dazugehörigen Details eingehen. Wie Sie vielleicht wissen, hat die Vertretung der Europäischen Kommission vor kurzem eine Informationsbustour zum Thema Erweiterung organisiert. Wir sind mit diesem Bus durch diejenigen Grenzregionen Österreichs gefahren, die von einer Erweiterung am ehesten betroffen sein werden. Dabei haben wir einiges gelernt: Zum einen haben sich – zugegebenermaßen nicht überraschend - die Bereiche Arbeitsplätze, Sicherheit und Landwirtschaft als die für die Bürger wichtigsten Fragen herausgestellt. Zum anderen hat sich auch gezeigt, daß man über diese Aspekte nur dann sinnvoll reden kann, wenn gewisse Grundinformationen vorhanden sind. Damit meine ich nicht nur, mit welchen Ländern gerade verhandelt wird, sondern auch auf welcher Basis diese Verhandlungen stattfinden, wie diese Länder jetzt schon in die Union eingebunden sind und unterstützt werden, wie die Kostenrelationen aussehen und in welchem historischen Gesamtkontext dieser Erweiterungsprozeß zu sehen ist. Einen Überblick möchte ich jetzt im ersten Teil meines Vortrags geben. Meine Damen und Herren! Die Geschichte der Europäischen Union ist eine Geschichte der permanenten Erweiterung. Am Beginn des europäischen Integrationsprozesses standen 6 Gründungsstaaten. Lange blieb es aber nicht bei diesem überschaubaren Kreis. Die Europäischen Gemeinschaften waren von Beginn an auf Beitritte weiterer Staaten angelegt. Schon die Gründungsverträge der 3 Gemeinschaften sahen die Möglichkeit einer Erweiterung durch Beitritte neuer Mitgliedstaaten vor. So erklärten die Vertreter der Mitgliedstaaten zum Beispiel anläßlich der Unterzeichnung des EGKS-Vertrages am 18. April 1951: "Dieses Europa steht allen europäischen Völkern offen, die frei über sich bestimmen können. Wir hoffen fest, daß andere Länder sich unseren Bestrebungen anschließen werden." Dieser Hoffnung - oder besser gesagt Einladung - der Unterzeichnerstaaten sind mittlerweile insgesamt 9 Länder gefolgt. Zwischen 1973 und 1995 sind der Europäischen Union neun Länder in 4 Erweiterungsrunden beigetreten. Während dieser Zeit kam es auch innerhalb der EU zu zahlreichen Reformen. Vertiefung und Erweiterung passierten also parallel. Erweiterungen erschweren zugegebenermaßen die gemeinsame Entscheidungsfindung. 6 Staaten finden leichter zum Konsens als 15, oder in Zukunft vielleicht gar 20 bis 26. Dies bedeutet, daß die Institutionen und Beschlußfassungsregeln der EU in einem internen Reformprozeß laufend verbessert werden müssen, damit Entscheidungen effizient und demokratisch getroffen werden können. Die Zukunft der Europäischen Union wird also auch weiterhin von einem Wechselspiel aus Vertiefung und Erweiterung gekennzeichnet sein. Ende der 80er Jahre überschlugen sich vor allem in Europa die politischen Ereignisse. Die mittel- und osteuropäischen Länder brachen aus ihrer jahrzehntelangen Isolation aus und öffneten die Grenzen. Eine neue Ära der Europäischen Integration hatte begonnen. Heute, nur 10 Jahre nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs, prägen fast überall demokratische Strukturen, Achtung der Menschenrechte und wirtschaftliche Stabilität den Alltag dieser Länder. Für Europa eröffneten sich neue Perspektiven in der internationalen und nachbarschaftlichen Zusammenarbeit. Österreich hat davon besonders profitiert. So haben viele österreichische Firmen die Marktchancen genutzt und Geschäftsbeziehungen zu den Nachbarländern aufgebaut. Der Handelsbilanzüberschuß gegenüber den mittel- und osteuropäischen Ländern wuchs von 1,2 Milliarden Schilling im Jahr 1989 auf 28,9 Milliarden Schilling 1997. Der Anteil der Exporte in diese Länder an den Gesamtexporten Österreichs stieg von 5% 1989 auf 13,8% 1997 und hat sich somit fast verdreifacht. 1997 hat Ungarn die Schweiz als drittwichtigsten Handelspartner Österreichs abgelöst. Die Europäische Union ist sich ihrer Verantwortung für diese Länder bewußt. Sie unterstützt die Festigung der Demokratie sowie das wirtschaftliche Aufholen der mittel- und osteuropäischen Länder. Deshalb gewann die Union innerhalb kurzer Zeit eine Schlüsselrolle bei der Förderung des friedlichen Wandels und der Ausbreitung der Stabilität auf ganz Europa. Die Europäische Union hat in den letzten Jahren zahlreiche Netzwerke mit den mittel- und osteuropäischen Ländern aufgebaut und vor allem die Europa-Abkommen geschlossen. Insbesondere werden diese Staaten in einer für sie schwierigen Zeit aus Mitteln des Phare-Programms unterstützt. Die Weichen für die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Länder wurden im Juni 1993 gestellt, als der Europäische Rat in Kopenhagen das historische Versprechen an die beitrittswilligen Länder richtete: "Die mittel- und osteuropäischen Länder können Mitglieder der Europäischen Union werden, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen." Diese 1993 aufgestellten Beitrittskriterien dienten der Kommission als Basis für ihre Stellungnahmen (Avis) zu den einzelnen Beitrittsanträgen und werden jetzt als eine der Grundlagen für die Beitrittsverhandlungen herangezogen. Ein wenig vereinfacht sind das folgende Kriterien: - Hat das Land institutionelle Stabilität derart verwirklicht, daß diese für die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten garantiert? - Gibt es eine funktionierende Marktwirtschaft und kann diese dem Wettbewerb und den Marktkräften innerhalb der Union standhalten? - Kann der Kandidat den gesamten bisherigen EU-Rechtsbestand und die Pflichten, die sich aus der Mitgliedschaft ergeben, nicht nur übernehmen, sondern auch am Beitrittstag umsetzen? Und ist er in der Lage, in der zukünftigen Entwicklung die Ziele der Politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion zu verfolgen? Meine Damen und Herren! Seit Mitte der neunziger Jahre ist nun klar, daß 10 mittel- und osteuropäische Länder beabsichtigen, der Europäischen Union beizutreten. Hinzu kommt noch Zypern, das bereits 1990 einen Beitrittsantrag stellte und im Juni 1993 eine positive Antwort der Union bekommen hat. Die Beitrittsverhandlungen mit Zypern und 5 mittel- und osteuropäischen Ländern haben am 31. März 1998 begonnen. Es stellt sich die Frage, wie die Union die Aufnahme einer so großen Anzahl von Ländern mit unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Strukturen verkraften könne. Der Vertrag von Amsterdam hat im Juni 1997 einen ersten Schritt zur Anpassung der Institutionen an eine größere Union gesetzt. Reformen der Agrar- und Strukturpolitik, der beiden größten Ausgabenposten der Union, sind nicht nur, sondern auch wegen der Erweiterung notwendig und wurden von der Europäischen Kommission in der "Agenda 2000" vorgeschlagen. In diesem umfassenden Dokument werden die Perspektiven für die Entwicklung der Europäischen Union und ihrer Politik nach der Jahrtausendwende dargestellt. Konkret beinhaltet die Agenda 2000 die Vorschläge der Kommission zur Reform der Agrar- und Strukturpolitik, den Finanzrahmen für die Jahre 2000 – 2006, die Erweiterungsstrategie und die Stellungnahmen zu den Beitrittsanträgen der einzelnen Länder. Die von der Europäischen Kommission in der Agenda 2000 vorgeschlagene Erweiterungsstrategie ist dann im Dezember 1997 vom Europäischen Rat von Luxemburg akzeptiert worden. Mit ihrer Umsetzung konnte, wie erwähnt, im Frühjahr 1998 begonnen werden. Konkret sieht die Erweiterungsstrategie der Europäischen Union 3 Ebenen vor: - Erstens: Die Europa-Konferenz als permanentes Diskussionsforum für alle beitrittswilligen Staaten, inklusive Türkei. - Zweitens: Die "intensivierte Heranführung", die die 10 mittel- und osteuropäischen Länder Ungarn, Polen, Rumänien, die Slowakei, Lettland, Estland, Litauen, Bulgarien, die Tschechische Republik und Slowenien auf einen zukünftigen Beitritt vorbereiten soll. Als Mittel hierzu wurden die Beitrittspartnerschaften entwickelt. - Und drittens die Beitrittsverhandlungen mit 6 Ländern: Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik, Slowenien und Zypern. Die Europa-Konferenz ist ein Forum für zwischenstaatliche Zusammenarbeit, in dem die Staats- und Regierungschefs einmal jährlich zusammentreffen. Alle Mitgliedstaaten der Union und alle europäischen Länder, die für einen Beitritt in Frage kommen und über ein Abkommen mit der Union verbunden sind, sollen in diesem Forum zusammenkommen. Derzeit sind dies die Mitgliedstaaten der EU, die 10 mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten und Zypern. Die Europa-Konferenz ist für alle beitrittswilligen Länder der Zukunft offen, sofern diese die Ziele der Union teilen. Die Türkei wurde ebenfalls zur Europa-Konferenz eingeladen, hat aber die Teilnahme vorerst abgelehnt. Von der Türkei liegt schon seit 1987 ein gültiger Beitrittsantrag vor. In der Stellungnahme hielt es damals die Kommission nicht für zweckmäßig, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Sie bekräftigte aber ihr Interesse an einer Vertiefung der Beziehungen zur Türkei, auch unter dem Gesichtspunkt der Hilfe zur Annäherung an die Union. Die Agenda 2000 und der Europäische Rat von Luxemburg haben diese Meinung bekräftigt. Seit 1996 bilden die Europäische Union und die Türkei übrigens eine Zollunion. Interessante Entwicklungen zeichnen sich in der Schweiz ab, die schon 1992 einen Beitrittsantrag gestellt hat. Nachdem sich die Bürger in einer Volksabstimmung gegen einen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum ausgesprochen hatten, wurden die Integrationsbestrebungen der Schweiz auf Sparflamme gestellt. Aber seit einigen Monaten werden die Bemühungen wieder intensiver und haben ihren vorläufigen Höhepunkt in dem Wunsch nach Teilnahme an der Europa-Konferenz. Außerdem bemüht sich die Schweizer Regierung, sozusagen als "Zwischenlösung", um verschiedene Abkommen mit der EU, am bekanntesten ist das Transitabkommen. Spannende Entwicklungen sind auch in Malta zu erwarten. Nachdem Malta seinen 1990 gestellten Beitrittsantrag lange Jahre nicht weiter verfolgte, hat die neue Regierung den Beitrittsantrag erneut gestellt. Die Kommission prüft derzeit im Auftrag des Rates die Konsequenzen der Entwicklungen in der Schweiz und in Malta. Die zweite Ebene der Erweiterungsstrategie ist die "intensivierte Heranführung", als deren Kern die Beitrittspartnerschaften bezeichnet werden können. Die 10 mittel- und osteuropäischen Länder sollen mittels Beitrittspartnerschaften bei der Erreichung der Kopenhagener Kriterien unterstützt und auf den Beitritt vorbereitet werden, so daß sie bereits vor Beginn ihrer Mitgliedschaft das EU-Recht in großen Teilen übernehmen können. Dafür sind sogenannte Prioritäten und Zwischenziele mit jedem einzelnen Beitrittskandidaten ausgehandelt worden, die zum Teil bis Ende 1998 erreicht werden müssen. Folgende Bereiche wurden unter anderem festgelegt: politische Kriterien für die Mitgliedschaft, wirtschaftliche Reformen, Steigerung der Leistungsfähigkeit der Verwaltungsbehörden, Vorbereitung auf die Beteiligung am Binnenmarkt, Justiz und Inneres, Landwirtschaft, Umwelt, Verkehr, Beschäftigung und Soziales, Regionalpolitik und Kohäsion. Zur Förderung dieser Anstrengungen hat die Europäische Kommission finanzielle Unterstützungen vorgeschlagen. Das wichtigste Finanzinstrument ist demnach das Programm "Phare", das in den Jahren 2000 – 2006 fast 152 Milliarden Schilling als Hilfeleistung zur Verfügung stellen wird. Hinzu kommen noch 97 Milliarden Schilling aus den Strukturfonds und über 50 Milliarden Schilling aus Mitteln zur Agrarförderung. Das sind für die Jahre 2000 - 2006 insgesamt fast 300 Milliarden Schilling. Die Union investiert also in die mittel- und osteuropäischen Länder ungefähr 42 Milliarden Schilling pro Jahr als "Heranführungshilfe". Diese Unterstützungen sind jedoch an Bedingungen geknüpft. Die beitrittswilligen Länder müssen ihren Verpflichtungen aus den Beitrittspartnerschaften nachkommen sowie für die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien sorgen. Tun sie dies nicht, könnte vom Rat die Aussetzung dieser Hilfen für ein Land beschlossen werden. Als Kern der Erweiterungsstrategie gelten selbstverständlich die Beitrittsverhandlungen, die am 31. März 1998 mit den 6 Ländern Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik, Slowenien und Zypern offiziell eingeleitet wurden. Der Verhandlungsprozeß hat mit sogenannten "Screenings" begonnen. Dabei stellt die "Task-Force Erweiterung" den Beitrittswerbern schrittweise das EU-Recht vor und kontrolliert, ob die Bestimmungen der Union von den Beitrittskandidaten akzeptiert und umgesetzt werden können. Die "Screenings" sind in über 30 Kapitel aufgeteilt und die ersten Kaptitel wurden schon "gescreent". Für die ersten 7 Kapitel haben die Beitrittswerber auch schon die dazugehörigen Positionspapiere erstellt. Deshalb hat der Rat beschlossen, am 10. November mit den konkreten Verhandlungen über diese ersten Kapitel auf Ministerebene zu beginnen. Meine Damen und Herren! Nun zum zweiten Teil meiner Ausführungen, den konkreten Fragen zur Erweiterung. Am Beginn des Vortrags habe ich auf die Informationsbustour der Vertretung hingewiesen, in der wir mit den für die Bürger wichtigsten Fragen konfrontiert wurden. Dies waren die Bereiche Arbeitsplätze, Sicherheit und Landwirtschaft. Eine Frage kam aber – zu unserem Erstaunen – so gut wie gar nicht vor: Die Frage nach den Kosten der Erweiterung. Schade, denn die Europäische Kommission hat hier ein sehr weitsichtiges und rational kalkuliertes Konzept erstellt, das in Expertenkreisen allgemeine Zustimmung findet. Da dieser Punkt für die Kommission besonders wichtig ist, möchte ich kurz auf die Frage der Erweiterungskosten eingehen.Die Kommission veranschlagt die Kosten des Erweiterungsprozesses in der Agenda 2000 für die 7 Jahre 2000 – 2006 mit insgesamt 1100 Milliarden Schilling: 300 Milliarden Schilling für die Hilfe zur Vorbereitung auf den Beitritt und 800 Milliarden Schilling für die Finanzierung der Beitritte. Dies ist eine historische Aufgabe für die "Solidargemeinschaft Europäische Union". Die Berechnungen der Kommission gehen von einem durchschnittlichen jährlichen Wirtschaftswachstum von 2,5 % in den EU-Staaten und 4 % in den mittel- und osteuropäischen Ländern zwischen 2000 – 2006 aus. Der größte Teil der Kosten wird durch die Umstrukturierungen im Bereich der Agrar- und Strukturpolitik finanziert, sowie durch die Ausschöpfung der schon geltenden Beitragssätze von 1,27 % der nationalen Bruttoinlandsprodukte (BIP). Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, daß auch die neuen Mitgliedstaaten ihre Beiträge zahlen müssen. Und noch wichtiger: Wird das BIP in der EU wachsen, stehen auch bei gleich gebliebenen Beitragssätzen absolut größere Geldbeträge für die Erweiterungsunterstützung bereit. Diese entsprechen ungefähr 4 % des BIP von Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik und Slowenien. Derzeit erhalten zum Beispiel die beiden Kohäsionsländer Griechenland 6% und Irland 2,5% ihres BIP an Unterstützung durch die Partner in der Union. Die Investitionen in die Erweiterung sind also rational kalkuliert und halten sich in überschaubaren Grenzen. Zum Vergleich: Das jährliche Budget der Europäischen Union beträgt mittlerweile 1250 Milliarden Schilling. Westdeutschland hat 1997 ungefähr 966 Milliarden Schilling nach Ostdeutschland transferiert. Die Erweiterung der Union wird langfristige, positive Folgen für Europa haben. Diese Kosten sind vertretbar und gerecht. Die Europäische Kommission hat in der Agenda 2000 zum Thema Kosten-Nutzen-Balance festgehalten: "Bei der Bewertung der Erweiterungskosten sollte der insgesamt erwartete wirtschaftliche Nettonutzen ein zentraler Erwägungsfaktor sein. Politische Vorteile, wie die Förderung der regionalen Stabilität, sollten ebenfalls in Betracht gezogen werden, nicht zuletzt aufgrund ihrer indirekten Auswirkungen auf die Wirtschaft und auch auf den Haushalt. Die Erweiterung ist eine Investition in Frieden, Stabilität und Wohlstand für die Bürger Europas." Es ist aber klar, daß mit einer Erweiterung auch die Unterschiede innerhalb der Union wachsen. Die Beitritte müssen deshalb sehr sorgfältig vorbereitet werden. Zum Schutz der Beitrittskandidaten wie auch zum Schutz der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Die Länder Ost- und Mitteleuropas dürfen nicht vom freien Markt "überrollt" werden, und in den alten Mitgliedstaaten der Union sollten keine Ängste vor einer Erweiterung entstehen. Deshalb müssen die Beitrittswerber noch erhebliche Investitionen tätigen, vor allem in Bereichen wie Umwelt, Verkehr, Energie, Umstrukturierung der Industrie und Agrarinfrastruktur. Die Union wird ihnen, wie gesagt, dabei helfen. Meine Damen und Herren! Die häufigste Frage bei unserer Informationsbustour war jene nach den Arbeitsplätzen. In der Gemeinschaftsfachsprache geht es dabei um die Freizügigkeit. Diese Freizügigkeit ist das Recht der Arbeitnehmer, in jedem Mitgliedstaat der Union arbeiten zu dürfen. Darüber hinaus hat jeder Unionsbürger das Recht, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Nach der Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Länder in die Union, können auch die Bürger dieser Staaten grundsätzlich von diesem Recht Gebrauch machen. Befürchtungen hinsichtlich einer "Überflutung" der Arbeitsmärkte der derzeitigen Mitgliedstaaten mit billigen Arbeitskräften sind jedoch nicht angebracht. Die Wanderung von Arbeitskräften wird nicht allein durch Lohnunterschiede bestimmt. Sprachbarrieren und die positive Einstellung zum Heimatland sind Faktoren, die eine Einschränkung der tatsächlichen Migration bewirken und auch die tatsächliche Verfügbarkeit von Jobs in den "alten" Mitgliedstaaten. Wissenschaftliche Studien kommen oftmals zu unterschiedlichen Zahlen, da es praktisch keine Erfahrungswerte gibt. Das Wifo rechnet in einer Studie mit jährlich 26.000 Pendlern und 21.000 potentiellen Auswanderern nach Österreich bei derzeitigem Wohlstandsgefälle. Das Wohlstandsgefälle wird aber durch einen stetigen Aufholprozeß unserer Nachbarstaaten schon bis zum Beitritt, und dann weiter, verkleinert, sodaß der Migrationswille laufend sinkt. Die Aufgabe der Union ist es daher, diesen Aufholprozeß zu unterstützen.
Hinzu kommen noch einige Fakten, die ich schlagwortartig erwähnen möchte:
Die zweithäufigste Frage bei unserem Dialog in den Grenzregionen war jene nach der Sicherheit. Wird die Kriminalitätsrate steigen und erleichtert eine Erweiterung die Machenschaften der organisierten Kriminalität? Offene Grenzen bringen zwar Reisefreiheit und bessere Bedingungen für die Wirtschaft. Leider kann diese neue Freiheit aber auch für illegale Geschäfte und organisierte Kriminalität genutzt werden. In der Agenda 2000 weist die Kommission darauf hin, daß alle Bewerberländer – in unterschiedlichem Ausmaß – vor der Herausforderung der Bekämpfung von organisiertem Verbrechen, Terrorismus, Menschenhandel und Rauschgifthandel stehen. Aber eines ist doch klar: Die Kriminalität macht auch jetzt schon nicht an unseren Außengrenzen halt. Hier bietet die Erweiterung der Union die einzigartige Gelegenheit zur Zusammenarbeit. Gemeinsame Probleme in diesen Bereichen, die sowohl die heutige Union als auch die Beitrittsländer betreffen, können wirksamer gelöst werden. Und dies geschieht bereits jetzt: So haben die Justiz- und Innenminister der EU und ihre 11 Kollegen aus den beitrittswilligen Staaten im Mai 1998 einen "beitrittsvorbereitenden Pakt gegen organisierte Kriminalität" geschlossen. Die Beitrittskandidaten sollen dadurch bei der Annahme des EU-Rechts in den Bereichen Inneres und Justiz sowie bei der Umsetzung von gemeinsamen Projekten zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität unterstützt werden. Zusätzlich können bei den Beitrittsverhandlungen die Kandidaten ersucht werden, sich noch intensiver mit Fragen der inneren Sicherheit zu beschäftigen. Und gerade Österreich sollte in diesem Zusammenhang ein besonderes Interesse am Beitritt seiner Nachbarstaaten haben. Denn durch eine Erweiterung wird Österreich von der Randlage in der EU in ihr Zentrum rücken und deshalb nicht mehr für die Sicherung der EU-Außengrenze zuständig sein. Die Außengrenze würde weiter nach Osten und Südosten verschoben und die Verantwortung für ihre Kontrolle nach Schengen-Regeln auf die neuen Mitgliedstaaten übergehen. Ich glaube, daß die Übernahme der Schengen-Regelungen und Europol-Bestimmungen durch die mittel- und osteuropäischen Länder für Österreich und Europa einen Sicherheitsgewinn bringen werden, der mit anderen Mitteln nicht erreichbar und natürlich auch nicht finanzierbar wäre. Der dritte Fragenkomplex betraf die Landwirtschaft. Gerade dieses Thema scheint prädestiniert für Fehlinformationen zu sein. Mit so vielen Verwechslungen und Mythen wird man sonst selten konfrontiert. Oftmals wird behauptet, die derzeit diskutierte Reform der Agrarpolitik ist wegen der Erweiterung notwendig. Das ist falsch: Die Senkung der Preisstützungen ist wegen der von der Union im Rahmen der WTO eingegangenen Verpflichtungen notwendig und wird nicht von der Erweiterung verursacht. Stellen wir unser Subventionssystem nicht um, riskieren wir handelspolitische Probleme vor allem mit den USA und Australien. Durch diese WTO-konforme Reform sichern wir die Existenz der Bauern, weil ihre Produkte dann am Weltmarkt abgesetzt werden können, und nicht nur am bereits gesättigten EU-Markt. Des weiteren gibt es die diffuse Angst vor der Überschwemmung des österreichischen Marktes mit billigen "Ostagrarprodukten". Tatsache ist aber, daß durch die Ostöffnung beim Handel mit Agrarprodukten jetzt schon hauptsächlich die EU-Staaten profitiert haben. Die Union hat ihre Agrarexporte deutlich erhöhen und sogar erstmals beträchtliche Exportüberschüsse erzielen können. Die österreichischen Agrarexporte nach Mittel- und Osteuropa haben sich seit der Ostöffnung verdoppelt, während die Importe wertmäßig gleichgeblieben sind. Tatsache ist, daß in den beitrittswilligen Ländern weiterhin ein hoher Anteil der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft arbeitet, verglichen mit nur 5,3 % in der EU. Den höchsten Anteil findet man in Rumänien mit 34,4 %, den niedrigsten in der Tschechischen Republik mit 6,3 %. Für die aktuellen Beitrittsverhandlungen stellt vor allem die Situation in Polen eine besondere Herausforderung dar. In Polen arbeiten 26,9 % der Beschäftigten im Sektor Landwirtschaft. Die Preise der Agrarprodukte liegen in den meisten Bewerberländern zur Zeit weit unter denen der Union. Die Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie weisen aber starke Strukturschwächen auf, die in niedrigerer Produktion resultiert. Eine Überschwemmung des österreichischen Marktes ist also schwer vorstellbar. Für österreichische Unternehmen eröffnet der enorme Modernisierungsbedarf der mittel- und osteuropäischen Landwirtschaften hingegen die Möglichkeit, vermehrt Maschinen und Know how in diese Länder zu exportieren. Die sofortige Übertragung der Agrarbestimmungen der Union auf diese Länder ist somit schwer zu rechtfertigen. Deshalb empfiehlt die Kommission, für die meisten Bewerberländer eine Übergangszeit in Betracht zu ziehen. Diese könnte je nach Land von unterschiedlicher Dauer sein. Mit der Übergangsfrist könnte der Schock der Preisangleichung abgefedert werden und die Verarbeitungsindustrie würde nicht von heute auf morgen dem freien Wettbewerb ausgeliefert sein. Die Union erspart sich während dieser Zeit Geld, da die direkten Einkommenshilfen für die Bauern der dann neuen Mitgliedstaaten nicht zu zahlen wären. Statt dessen sollten diese Länder Hilfen zur Entwicklung ihrer Agrarstruktur und ihres Verarbeitungssektors erhalten, um sie schrittweise auf die vollständige Eingliederung in den gemeinsamen Agrarmarkt vorzubereiten. Selbstverständlich gibt es noch weitere Bereiche, die diskutiert werden müssen, wie zum Beispiel Umwelt- oder Verkehrsfragen. Aber wenn man die Vor- und Nachteile zusammenzählt, bleibt unter dem Strich immer ein großes Plus über. Bei näherer Betrachtung werden Ängste oftmals als propagandistisch vorbereitete Bedrohungen entlarvt. Wenn man erkennt, daß diese Bedrohungen eigentlich keine sind, dann zeigt sich das Spektrum der Möglichkeiten und Chancen viel deutlicher. Ich möchte jedoch nicht schönfärben und mir ist bewußt, daß es noch zu harten Verhandlungen kommen kann, damit die Beitritte unserer Nachbarländer problemlos ablaufen werden. Aber es ist meine tiefste Überzeugung, daß die Vorbereitungen gut durchdacht sind und so gut laufen, daß die Menschen auf beiden Seiten der jetzigen Grenzen profitieren werden. Gelegentlich wird argumentiert, daß die Europaabkommen schon alle für die wirtschaftliche Prosperität notwendigen Freiheiten gebracht haben und die Beitritte zur Union für uns nur mehr mit Nachteilen verbunden sind. Das stimmt aber nicht. Genau hier liegen unsere zukünftigen Chancen für die Unternehmer aber auch für die Arbeitnehmer. Denn die positive Handelsbilanz der Europäischen Union hat ihre negative Seite in den Beitrittsländern. Weiter steigende Exporte in die mittel- und osteuropäischen Länder sind daher nur denkbar, wenn es parallel zu steigenden Deviseneinnahmen dieser Länder in Form von Kapitalzuflüssen – sprich Direktinvestitionen - kommt. Geschieht dies nicht, wäre eine längerfristig stagnierende oder gar schrumpfende Exportentwicklung in diese Länder wahrscheinlich. Durch einen Beitritt wird erhöhte politische und wirtschaftliche Stabilität geschaffen, die den Unternehmen und Investoren ebenso zugute kommt, wie die Vereinheitlichung der Spielregeln durch die Übernahme des acquis communautaire. Österreich hat aufgrund seiner geographischen Lage einige Startvorteile gehabt, aber diese Vorteile können auch wieder verloren gehen. Deshalb sind Anstrengungen und Innovationen gefragt und nicht Zögern und Ängstlichkeit. Österreich muß mehr als bisher versuchen, wirtschaftliches Sprungbrett in den Osten zu werden.
Meine Damen und Herren! Die Erweiterung ist eine Investition in unsere Zukunft. Die Entscheidungen, die heute getroffen werden, werden uns langfristig Vorteile bringen und die Existenz künftiger Generationen positiv gestalten. Wir sollten achtsam sein, ob wir uns kurzsichtigen Egoismen hingeben oder dem Aufbau einer langfristigen sicheren, friedlichen, gerechten und prosperierenden Zukunft. Mehr noch als jede Wirtschaftsstatistik zählt die Ausdehnung der Stabilitätszone EU auf ganz Europa und auch die gegenseitige Bereicherung unserer Kulturen. Die Europäische Union wird durch die Erfahrung und das Potential der Beitrittsländer bereichert. Das ist jetzt schon erkennbar, beispielsweise in bezug auf Forschung und Entwicklung, Kultur und Bildung. Das sind unschätzbare Werte, die in Geld nicht aufzuwiegen sind. Meine Damen und Herren! Vor zehn Jahren war es noch utopisch, an einen Beitritt unserer mittel- und osteuropäischen Nachbarstaaten zur Europäischen Union zu denken. Heute sind wir mitten in den Beitrittsverhandlungen und es ist nur mehr eine Frage der Zeit, wann die Union den ersten Staat aufnehmen wird. Die Geschichte hat uns wieder einmal eines besseren belehrt. Graf Coudenhove-Kalergi, der Gründer der Paneuropa-Bewegung, meinte in diesem Zusammenhang zu Recht: "Jedes große historische Geschehen begann als Utopie und endete als Realität."Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit |
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