Vortrag

Die Grundlagen der Erweiterung der Europäischen Union

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Der Traum von einem vereinten Europa ist Jahrhunderte alt. So schlug als einer der ersten der französische Jurist Pierre Dubois 1306 in dem Werk "De recuperatione Terrae Sanctae" die Bildung eines Europäischen Staatenbundes vor, der unter anderem als Instrument zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Mitgliedern fungieren und somit eine Alternative zum Krieg sein sollte. Es dauerte aber bis in die 2. Hälfte unseres Jahrhunderts, bis erste konkrete Schritte gesetzt werden konnten, die aus diesem Traum Wirklichkeit machten.

Der nicht umkehrbare Integrationsprozeß begann 1952 mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Danach folgten die Europäische Atomgemeinschaft und Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Nach einer langen, relativ ruhigen Entwicklungsphase brach Mitte der achtziger Jahre eine regelrechte Reformlawine über die Union herein, gefolgt von immer weiteren, bis heute. Den Anfang machte 1987 die Einheitliche Europäische Akte und den vorläufigen Höhepunkt das Treffen der Staats- und Regierungschefs am 24. und 25. März, als sie die Umsetzung des Reformpaketes Agenda 2000 beschlossen und die Politiken der Union auf die Erweiterung vorbereiteten. Darüber hinaus wird in 4 Tagen – am 1. Mai 1999 – der Vertrag von Amsterdam in Kraft treten und die Europäische Union eine neue Qualität der Integration erreichen.

Angesichts des schrecklichen Krieges vor unserer Haustüre im Kosovo klingen diese Worte vielleicht etwas zu pathetisch, mancher sieht sie möglicherweise sogar widerlegt. Aber eines möchte ich ganz deutlich zum Ausdruck bringen: Die Erweiterung der Europäischen Union ist eine Investition in Frieden, Stabilität und Wohlstand für die Bürger Europas. Der ganze Integrationsprozeß Europas zielt auf die Erhaltung des Friedens und die Verhinderung kriegerischer Auseinandersetzungen ab. Das waren die Gedanken von Pierre Dubois im 14. Jahrhundert, das waren die Überlegungen von Robert Schuman und Jean Monnet in den 50er Jahren als sie die Grundlagen für die Union schufen und das sind die Ziele des gegenwärtigen Erweiterungsprozesses.

Jedes Land, das der Union beitreten möchte, muß politische Kriterien erfüllen, zu denen unter anderem der Schutz von Minderheiten gehört. So ist zum Beispiel die neue Regierung der Slowakei an der Lösung der Probleme der ungarischen Minderheit sehr interessiert und die Situation der Roma in Bulgarien hat sich schon verbessert. Es wäre selbstverständlich verfehlt, diese Situation mit Jugoslawien, Bosnien oder den Kosovo zu vergleichen, aber eines muß uns bewußt sein: das wichtigste Ziel der Erweiterung ist die Ausdehnung der Zone der Sicherheit, des Friedens, des Wohlstandes und der Stabilität auf unsere Nachbarstaaten. Und es zeigt sich, daß die Tatsache einer in Aussicht gestellten Mitgliedschaft schon viele Länder animiert hat, ihre Minderheitenprobleme und inner- oder zwischenstaatliche Divergenzen auf friedlichem Weg zu lösen.

Von der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die Union erwarten wir uns natürlich auch wirtschaftliche Vorteile, - für beide Seiten. Derzeit haben wir mit allen 10 mittel- und osteuropäischen Ländern sogenannte Europaabkommen abgeschlossen. Diese sind Wirtschaftsabkommen, institutionalisieren aber auch den politischen Dialog. Kernpunkt ist die Liberalisierung des Handels. Dabei wurde asymmetrisch zugunsten der mittel- und osteuropäischen Länder vorgegangen. Gelegentlich wird argumentiert, daß die Europaabkommen schon alle für die wirtschaftliche Prosperität notwendigen Freiheiten gebracht haben und die Beitritte zur Union für uns nur mehr mit Nachteilen verbunden sind. Das stimmt aber nicht. Durch einen Beitritt wird erhöhte politische und wirtschaftliche Stabilität geschaffen, die den Unternehmen und Investoren ebenso zugute kommt, wie die Vereinheitlichung der Spielregeln durch die Übernahme des acquis communautaire.

Mehr noch als jede Wirtschaftsstatistik zählt aber die Ausdehnung der Stabilitätszone EU auf ganz Europa und die gegenseitige Bereicherung unserer Kulturen. Das ist jetzt schon erkennbar, beispielsweise in bezug auf Forschung und Entwicklung, Kunst und Bildung. Das sind unschätzbare Werte, die wir in Geld nicht aufwiegen können. Je greifbarer die Vorteile der Erweiterung sind, desto einfacher dürfte es letztlich auch sein, den Anpassungsdruck und die damit einhergehenden Belastungen für die Politiken der Gemeinschaft, einschließlich ihrer finanziellen Dimension, zu bewältigen.

Meine Damen und Herren!

Daß die Erweiterung kommt, daran besteht heute überhaupt kein Zweifel mehr. Ebenso klar ist aber auch, daß diese nicht von heute auf morgen und nicht mit allen beitrittswilligen Ländern zugleich erfolgen kann. Oft wird man nach einem möglichen Zeitpunkt für die Erweiterung gefragt. Dieser ist aber heute unmöglich vorauszusehen. Selbst wenn die Europäische Kommission in ihre Finanzvorschau für die nächsten 6 Jahre eine Erweiterungsrunde im Jahre 2002 als Arbeitshypothese miteinkalkuliert hat, bedeutet dies noch nicht, daß eine solche dann tatsächlich stattfinden wird. Nach Meinung der Europäischen Kommission müssen nämlich vor einer Erweiterung der Europäischen Union 2 große Aufgaben bewältigt werden: Einerseits sind die Politik und die Institutionen der EU zu modernisieren und für eine größere Union zu adaptieren. Und zum anderen müssen die Kandidatenländer so große Fortschritte im Aufholprozeß machen, daß ein Beitritt ohne politische, wirtschaftliche oder soziale Spannungen in diesen Ländern oder in den bisherigen Mitgliedsländern bewältigt werden kann.

Während die zweite Voraussetzung zweifellos gemeinsame Anstrengungen aller europäischer Länder bedarf, muß die erste Aufgabe von der Union allein bewältigt werden. Und damit hat sie schon begonnen: In 4 Tagen – am 1. Mai 1999 – tritt der Vertrag von Amsterdam in Kraft und am 24. / 25. März haben der Europäische Rat der Umsetzung des Reformpaketes Agenda 2000 zugestimmt.

Der Vertrag von Amsterdam beinhaltet eine Reihe von institutionellen Reformschritten. Einige wichtige, erweiterungsrelevante Entscheidungen wurden aber auf die nächste Regierungskonferenz verschoben. So wurde zur Lösung der noch offenen Fragen im Artikel 2 des "Protokolls über die Organe im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Union" festgehalten, daß spätestens ein Jahr vor dem Zeitpunkt, zu dem die Zahl der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zwanzig überschreiten wird, eine Regierungskonferenz einberufen wird, um die Zusammensetzung der Organe zu überprüfen." In dieser Regierungskonferenz muß dann auch über die Neugestaltung der Entscheidungsfindung im Ministerrat und die Stimmengewichtung unter den Mitgliedstaaten verhandelt werden. Ob dies durch eine Neuverteilung der Stimmen im Rat oder durch ein System der doppelten Mehrheit – beispielsweise gekoppelt an die Wirtschaftsleistung eines Landes - geschehen wird, ist noch nicht entschieden. Diese Entscheidung wurde vertagt, gleichzeitig aber mit einer gewissen Automatik versehen und an die Reform der Europäischen Kommission gekoppelt.

Diese neue Regierungskonferenz könnte nun früher kommen, als allgemein angenommen. Der Ratspräsident und deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder hat vor kurzem angekündigt, daß die deutsche Ratspräsidentschaft die Voraussetzungen dafür schaffen will, daß diese Regierungskonferenz noch heuer beginnen kann.

Meine Damen und Herren!

Sie sehen also, daß sich die Europäische Union ständig weiterentwickelt. Aber nicht nur die Frage, wer welche Aufgaben in der Union wahrnehmen soll ist interessant. Ganz entscheidend ist darüber hinaus, wie diese Aufgaben und die damit verbundenen Ziele erreicht werden können. Um Antworten auf diese Zukunftsfragen der Union zu geben, hat die Europäische Kommission im Juli 1997 das Reformpaket Agenda 2000 präsentiert.

In der "Agenda 2000" wird nicht nur über die bisherige Politik der EU Resümee gezogen, sondern sie enthält ganz konkrete Vorschläge, wie die Politik der EU effizienter und effektiver zu gestalten wäre. Dies alles vor dem Hintergrund der zunehmenden Internationalisierung der Märkte und vor einer möglichen Erweiterung der Europäischen Union. In der Agrarpolitik wird eine stärkere Hinwendung zum Weltmarkt und eine vermehrte Förderung der naturnahen Produktion verfolgt. Die Regional- und Strukturpolitik soll konzentriert, ihre Effizienz gesteigert werden und so vermehrt der wirklich bedürftigen Bevölkerung zu Gute kommen. Zugleich galt es, die Erweiterung der Union so vorzubereiten, daß auf die bisherigen Mitgliedstaaten keine unverkraftbaren Belastungen zukommen werden. Dies war die Vorgabe des Rates, und die Agenda 2000 sieht ein Finanzierungskonzept für die Jahre 2000-2006 vor, welches keine Anhebung des bisher geltenden Beitragshöchstsatzes von 1,27 % des BSP benötigt. Am 24./25. März dieses Jahres haben die Staats- und Regierungschefs nach fast 2 jährigem Diskussionsprozeß die Agenda 2000 verabschiedet. Die von der Kommisson vorgeschlagenen Grundlagen sind dabei im großen und ganzen gleich geblieben. Vom Vorschlag abweichende Kompromißlösungen haben die Staats- und Regierungschefs bei der finanziellen Ausstattung des Reformpakets gefunden, das nun wie folgt aussieht:

Das derzeitige Jahresbudget der Union beträgt rund 91 Mrd. Euro, für die Jahre 2000 – 2006 liegt es im Durchschnitt bei 92 Mrd. Euro. Für diese 7 Jahre hat der Rat die Mittel für Verpflichtungen mit insgesamt 298 Mrd. Euro für die Landwirtschaft, 213 Mrd. Euro für die Strukturpolitik und 74 Mrd. Euro für die weiteren Politiken wie zum Beispiel Phare und die Forschung festgelegt. Bei den Kosten der Erweiterung für den EU-Haushalt hat der Rat die von der Kommission vorgeschlagenen 80 Mrd. Euro ohne Abstriche übernommen.

Soviel zur finanziellen Grundlage der Erweiterung. Eine weitere Grundlage bilden die sogenannten Beitrittskriterien, die schon 1993 in Kopenhagen formuliert wurden. Diese besagen, daß ein Land, das Mitglied der Europäischen Union werden will, politische und wirtschaftliche Kriterien erfüllen muß sowie die Fähigkeit, den Gemeinschaftsrechtsbestand zu übernehmen und anzuwenden. Diese Kriterien waren die Basis für die Stellungnahmen der Europäischen Kommission, sie sind die Basis für die Beitrittsverhandlungen und sie bleiben die Basis für die jährlichen Berichte der Kommission über die Fortschritte der Kandidaten auf ihrem Weg zum Beitritt. Außerdem sind diese Kriterien auch Grundlage der Erweiterungsstrategie der Union, die 3 Ebenen vorsieht:

  • Erstens: Die Europa-Konferenz als permanentes Diskussionsforum für alle beitrittswilligen Staaten, inklusive Türkei.
  • Zweitens: Die "intensivierte Heranführung", die die 10 mittel- und osteuropäischen Länder Ungarn, Polen, Rumänien, die Slowakei, Lettland, Estland, Litauen, Bulgarien, die Tschechische Republik und Slowenien auf einen zukünftigen Beitritt vorbereiten soll. Als Mittel hierzu wurden die Beitrittspartnerschaften entwickelt.
  • Und drittens die Beitrittsverhandlungen mit 6 Ländern: Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik, Slowenien und Zypern.

Die Europakonferenz wurde am 12. März 1998 in London gestartet. Alle EU-Mitgliedsstaaten und alle Beitrittskandidaten haben daran teilgenommen. Auf dem künftigen Programm der Europa-Konferenz stehen so zentrale Aufgaben wie die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, die Verbesserung des Umweltschutzes, die Abstimmung der Außen- und Sicherheitspolitik, die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und die regionale Zusammenarbeit. Die Türkei wurde ebenfalls zur Europa-Konferenz eingeladen, hat aber die Teilnahme vorerst abgelehnt.

Durch die gezielte Heranführungsstrategie soll es allen Bewerberländern ermöglicht werden, sich schon vor dem Beitritt so weit wie möglich diesem gemeinschaftlichen "acquis" anzunähern. Neben den Europa-Abkommen, die nach wie vor die Grundlage der gegenseitigen Beziehungen bilden, wurden individuelle Beitrittspartnerschaften abgeschlossen und die Heranführungshilfen der Gemeinschaft intensiviert. Die Beitrittspartnerschaften enthalten Prioritäten, Prinzipien und Etappenziele und gehen maßgeschneidert auf die besonderen Stärken und Schwächen eines jeden Kandidatenlandes ein.

Das wichtigste Finanzinstrument der Heranführungshilfe ist das Programm "Phare", das in den Jahren 2000 – 2006 fast 152 Milliarden Schilling als Hilfeleistung zur Verfügung stellen wird. Hinzu kommen noch 97 Milliarden Schilling aus den Strukturfonds und über 50 Milliarden Schilling aus Mitteln zur Agrarförderung. Das sind für die Jahre 2000 - 2006 insgesamt fast 300 Milliarden Schilling.

Diese Unterstützungen sind jedoch an Bedingungen geknüpft. Die beitrittswilligen Länder müssen ihren Verpflichtungen aus den Beitrittspartnerschaften nachkommen sowie für die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien sorgen. Tun sie dies nicht, könnte vom Rat die Aussetzung dieser Hilfen für ein Land beschlossen werden. So wurde zum Beispiel die für Polen 1998 vorgesehenen Phare-Mittel von 212 Millionen Ecu auf 178 Millionen Ecu reduziert, da einige der von Polen geplanten Phare-Projekte nicht den Prioritäten der Beitrittspartnerschaft entsprachen.

Als Kern der Erweiterungsstrategie gelten selbstverständlich die Beitrittsverhandlungen, die am 31. März 1998 mit den 6 Ländern Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik, Slowenien und Zypern offiziell eingeleitet wurden. Diese konkreten Verhandlungen werden bilateral von den Mitgliedstaaten mit den einzelnen Kandidaten geführt. Der damalige Ratsvorsitzende und britische Außenminister hat einen Tag zuvor - am 30. März 1998 – alle 11 Beitrittskandidaten mit folgenden Worten begrüßt: Ich zitiere: "Unsere Tagung heute ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Erweiterung der Union. Damit werden wir die künstliche Teilung unseres Kontinents beenden. Und wir werden die Bedingungen schaffen, die uns helfen, eine Rückkehr zu den schrecklichen Leiden und Zerstörungen, die Europa im Laufe dieses Jahrhunderts erfahren hat, zu vermeiden. Die Vision der Gründerväter der Europäischen Union - eine zwischen den Völkern Europas immer enger werdende Union – ist um einen weiteren Schritt nähergerückt." Zitat Ende. Alle beitrittswilligen Länder sind in den Beitrittsprozeß eingebunden und sie alle haben die reelle Perspektive eines Beitritts. Es geht um die Ausdehnung der Friedens- und Wohlstandszone Europäische Union auf die Nachbarstaaten.

Die Differenzierung beim Start der Beitrittsverhandlungen bedeutet keinesfalls eine Diskriminierung der anderen Länder. Daß die Verhandlungen mit einigen Ländern schon begonnen haben, schließt nicht aus, daß andere Länder bald nachziehen oder sogar früher am Ziel sein könnten. Auch wenn sich der Zeitplan und die Beitrittspartnerschaften individuell unterscheiden, die Basis für die Erweiterung ist und bleibt der gemeinschaftliche "acquis", - und der ist derselbe für alle Beitrittskandidaten.

In diesem Zusammenhang ist auch Malta zu erwähnen. Nachdem Malta seinen 1990 gestellten Beitrittsantrag lange Jahre nicht weiter verfolgte, hat die neue Regierung den Beitrittsantrag erneuert. Daraufhin hat die Kommission im Februar dieses Jahres den Beginn von "Screenings" mit Malta empfohlen. Die Kommission präsentierte die neue aktualisierte Stellungnahme, die sich auch auf Bereiche wie Justiz und Inneres sowie die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bezieht, die in der alten Stellungnahme noch nicht berücksichtigt worden waren.

Sowohl mit den 6 "ins" (Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik, Slowenien und Zypern) als auch mit den 5 "pre-ins" (Bulgarien, Lettland, Litauen, Rumänien und Slowakei) hat der Beitrittsprozeß mit sogenannten "Screenings" begonnen. Zuerst stellt die Kommission den Beitrittswerbern das EU-Recht vor und danach kommt es zu einem detaillierten Rechtsvergleich zwischen dem Stand des Gemeinschaftsrechts und den adäquaten Rechtsnormen der Kandidaten.

Die Screenings finden parallel mit zwei separaten Gruppen statt. Mit der ersten Gruppe, den "ins", führt die Task Force Erweiterung die "Screenings" durch. Die "Screenings" mit den "pre-ins" werden nicht von der Task Force durchgeführt, sondern von den Dienststellen der Generaldirektion IA. Im Gegensatz zur Task Force Erweiterung hat sich die Generaldirektion IA entschieden, zunächst sogenannte "pädagogische" multilaterale Treffen zur Gesamtheit der Kapitel zu organisieren und dann bilaterale Gespräche aufzunehmen. Ziel und Zweck des "Screenings" ist bei beiden Gruppen gleich, nämlich die Vorbereitung der bilateralen Verhandlungen durch die Mitgliedstaaten.

Nachdem die Screenings der ersten der insgesamt 31 Kapitel abgeschlossen waren und alle 6 "ins" für die ersten 7 Kapitel ihre Verhandlungspapiere erstellt hatten, konnte auf Initiative der österreichischen Ratspräsidentschaft am 10. November 1998 – und damit früher als geplant - mit den konkreten Verhandlungen auf Ministerebene begonnen werden. Die Kapitel Bildung, Forschung sowie kleinere und mittlere Unternehmen konnten dabei inhaltlich schon vorläufig mit allen 6 Kandidaten abgeschlossen werden.

Meine Damen und Herren!

Lassen Sie mich nun zu den 2 wichtigen Fragen kommen. Zum einen - Wie ist der Stand der Verhandlungen und zum anderen - Wie geht es weiter?

Nachdem die Kommission letzten Monat zurückgetreten ist, wurden manchmal Stimmen laut, die eine Verzögerung der wichtigen europäischen Entscheidungen prophezeiten. Mit der raschen Einigung auf die Agenda 2000 und der Benennung des neuen Kommissionspräsidenten hat der Europäische Rat bewiesen, daß eher das Gegenteil der Fall ist. Für die Frage der Erweiterung ist folgendes festzuhalten: Die Kommission geht ihrer Arbeit mit derselben Intensität nach wie vor dem Rücktritt. Im Bereich der Erweiterung herrscht "business as usual". Darüber hinaus sind die Arbeiten der Kommission schon sehr weit gediehen, sodaß nun der Schwerpunkt bei den bilateralen Verhandlungen der Kandidaten mit den Mitgliedstaaten liegt. Die Kommission arbeitet hierbei Vorschläge aus und hat beratende Funktionen.

Eine wichtige Aufgabe der Kommission ist die Weiterführung und Beendigung der Screenings. Der gesamte "Screening-Prozeß" mit den Ländern der ersten Gruppe wird mindestens bis Juli 1999 dauern. Die "Screenings" mit den Ländern der zweiten Gruppe sind im März 1999 in die wichtigere bilaterale Phase übergegangen. Diese werden voraussichtlich bis Herbst 1999 dauern.

Die Screenings dienen auch als wichtige Grundlage für die von der Kommission zu erstellenden Berichte über die Fortschritte der Kandidaten auf ihrem Weg zum Beitritt. Den ersten Bericht hat die Kommission am 4. November letzten Jahres präsentiert.

Die Fortschrittsberichte werden mit der gleichen Methode und auf Basis derselben Kriterien ausgearbeitet, wie die Stellungnahmen im Jahr 1997. Die Frage ist, inwieweit die einzelnen Kriterien von Kopenhagen bereits erfüllt sind und vor allem inwieweit die Verwaltungen der einzelnen Bewerberländer in der Lage sind, den gemeinschaftlichen Besitzstand anzuwenden.

Ich möchte beispielhaft einige Gebiete beschreiben, die vom Fortschrittsbericht bei fast allen Beitrittskandidaten – mehr oder weniger stark – als reformbedürftig eingestuft worden sind. Kurz: Woran müssen die mittel- und osteuropäischen Kandidatenländer noch besonders arbeiten, wenn sie der Europäischen Union beitreten wollen?

Ein grundsätzliches Problem aller Transformationswirtschaften ist die Klärung der Besitzverhältnisse an den Produktionsfaktoren. Es steht außer Streit, daß Privateigentum in der Regel effizienteres Wirtschaften ermöglicht. Deshalb muß der weiteren Privatisierung der ehemaligen verstaatlichten Betriebe erhöhtes Augenmerk geschenkt werden. Insbesondere die großen staatlichen Monopolbetriebe stellen eine enorme Herausforderung dar, erfordern sie nicht selten recht drastische Sanierungs- bzw. Privatisierungsmaßnahmen.

Großes Sorgenkind nahezu aller Kandidaten ist der Landwirtschaftssektor. Einige Transformationsländer haben noch einen derart großen Agraranteil am BIP, daß eine uneingeschränkte Teilnahme an der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU zumindest mittelfristig undenkbar ist. Das besondere Problem mancher Länder ist darüber hinaus der außerordentlich hohe Anteil der Beschäftigung in der Landwirtschaft bei gleichzeitig kleinen Betriebsgrößen und damit einhergehender geringer Produktivität.

Der Binnenmarkt ist ein weiteres heikles Thema, da er den Kern des europäischen Wirtschaftssystems darstellt. Der Aufbau eines EU - konformen Normen- und Zertifizierungssytems sowie die effiziente Kontrolle der staatlichen Beihilfen ist eine unumgängliche Voraussetzung für den Beitritt der Kandidatenländer und oftmals leider erst in Ansätzen ohne effiziente Verwaltungsstrukturen vorhanden.

Aufgrund ihrer Analysen hat die Kommission im November 1998 beschlossen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Empfehlung zu geben, mit weiteren Ländern Verhandlungen aufzunehmen. Den drei Ländern Lettland, Litauen und Slowakei stellt die Kommission die baldige Aufnahme von Beitrittsverhandlungen in Aussicht. Im Falle Lettlands hat die Kommission die Aufnahme von Verhandlungen bis Ende 1999 vorgeschlagen, wenn der Transformationsprozeß im gegenwärtigen Tempo fortgesetzt wird. Die Kommission hat die nach den letzten Wahlen entstandene veränderte Lage in der Slowakei zur Kenntnis genommen und ist zu der Ansicht gelangt, daß dadurch die Aufnahme von Verhandlungen näher gerückt ist. Gleichzeitig forderte die Kommission die Kandidaten der ersten Gruppe dazu auf, den Prozeß der Annahme und Umsetzung des Acquis fortzusetzen. Diese Aufforderung richtete sich vor allem an die Tschechische Republik und Slowenien, bei denen eine Verlangsamung des Reformprozesses festgestellt wurde.

Den nächsten Fortschrittsbericht wird die Kommission im Spätherbst dieses Jahres vorlegen, sodaß dieser dem Europäischen Rat in Helsinki als Handlungsgrundlage dienen kann.

Meine Damen und Herren!

Als Resümee und inhaltlicher Ausblick bleibt festzuhalten: Der gesamte "Screening-Prozeß" mit den Ländern der ersten Gruppe wird mindestens bis Juli 1999 dauern. Die "Screenings" mit den Ländern der zweiten Gruppe werden voraussichtlich bis Herbst 1999 dauern. Der nächste Fortschrittsbericht der Kommission wird Ende 1999 vorgelegt. Dabei ist die Empfehlung zur Aufnahme weiterer Länder in den Verhandlungsprozeß nicht unwahrscheinlich. (Danach werden weitere Fortschrittsberichte folgen, höchstwahrscheinlich einer pro Jahr.)

Von den insgesamt 31 Verhandlungskapitel konnten die 3 Kapitel Forschung, Bildung und kleinere und mittlere Unternehmen schon vorläufig abgeschlossen werden. Derzeit werden weitere 12 (4 konnten letztes Jahr nicht abgeschlossen werden und werden derzeit weiterverhandelt und 8 sind neu hinzugekommen) auf Botschafter- bzw. Ministerebene verhandelt. Es sind dies die Kapitel Fischerei, Verbraucher- und Gesundheitsschutz, Gesellschaftsrecht, Statistiken, freier Warenverkehr, Wettbewerbspolitik, auswärtige Beziehungen und Zollunion sowie Industriepolitik und Telekommunikation aus dem letzten Jahr. Die Kapitel GASP und audiovisuelle Medien/Kultur, die ursprünglich aus dem Verhandlungspool des letzten Jahres stammen wurden ein wenig nach hinten verschoben. Die GASP, weil das Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam einige Änderungen bringen wird und das Kapitel audiovisuelle Medien, weil noch weitere Verhandlungen benötigt werden, vor allem aufgrund der von der Union geforderten Quoten für europäische Sendungen.

Die deutsche Präsidentschaft hat sich vorgenommen, eine möglichst große Anzahl von Verhandlungskapitel abzuschließen und hat hierzu für den 22. Juni eine Ministerkonferenz der Union mit den sechs Kandidatenländern einberufen. Wie viele Kapitel dabei vorläufig abgeschlossen werden können und wie viele der finnischen Präsidentschaft weitergegeben werden müssen, kann nicht vorhergesagt werden. Aber schon jetzt ist klar: Die Kapitel freier Warenverkehr und Wettbewerbsrecht zählen zu den Kernbereichen der Union und somit zu den schwierigsten Verhandlungspunkten.

Wenn aber in der jetzigen Geschwindigkeit weitergearbeitet wird, sind voraussichtlich ab der französischen Präsidentschaft (Juli – Dezember 2000) alle Kapitel in Verhandlung und ein Ende der Verhandlungen ist dann abzuschätzen.

Meine Damen und Herren!

Es liegt vor allem an den Beitrittskandidaten, wie schnell die Verhandlungen abgeschlossen werden können. Sicher ist nur, daß sie die Kommission – wo immer dies auch möglich ist – in ihren Bestrebungen, Mitglieder der Union zu werden, auch in Zukunft mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen wird. Eine Hinauszögerung der Beitrittsverhandlungen wird es nicht geben.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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