Vortrag

Die österreichische Präsidentschaft und ihre Agenda

 

Meine Damen und Herren!

Es freut mich, daß sich so viele Interessenten zu so früher Stunde im Renner Institut eingefunden haben. Der heutige Tag steht im Zeichen der österreichischen Präsidentschaft, ihren Aufgaben und Chancen für dieses Land. Zu dieser Thematik gibt es einen großen Informationsbedarf, der in zahlreichen in- und ausländischen Seminaren und Workshops zum Vorschein kommt. Dabei ist es für mich besonders interessant, daß nach einer relativ langen und ruhigen Vorbereitungsphase in Österreich jetzt so etwas wie eine Aufbruchstimmung zu erkennen ist. Die Präsidentschaft steht vor der Tür und die Verantwortlichen haben die dadurch entstehenden Chancen erkannt und arbeiten an einer sowohl organisatorisch als auch inhaltlich erstklassig vorbereiteten Präsidentschaft.

Österreich nimmt innerhalb der Union eine besondere Position ein, da es als erster der neuen Mitgliedstaaten die Präsidentschaft der Europäischen Union übernehmen wird. Somit wird Österreich nach einer relativ kurzen Mitgliedschaft ein halbes Jahr lang an der Spitze der Union stehen und alle anstehenden Verhandlungen leiten. Schweden und Finnland können insofern von Österreich lernen. Österreich kann sich nur an den erfahrenen Mitgliedstaaten orientieren, die schon Präsidentschaften absolviert haben und einigermaßen routiniert sind. Dementsprechend sind sie für die Probleme eines Neulings in diesem Bereich nicht mehr sensibilisiert.

Die rechtliche Basis für die Präsidentschaft ist äußerst knapp gehalten und durch Artikel 146 des EG-Vertrages definiert. Nur 3 Zeilen des Vertrages beschäftigen sich mit den Grundlagen des Ratsvorsitzes: "Der Vorsitz im Rat wird von den Mitgliedstaaten nacheinander für je 6 Monate wahrgenommen, die Reihenfolge wird vom Rat einstimmig beschlossen." Gemäß dem Beschluß des Rates vom 1. 1. 1995 hat Österreich die Präsidentschaft in der 2. Hälfte 1998 inne, als Nachfolger von Großbritannien und gefolgt von Deutschland. Gemeinsam werden diese 3 Länder auch die Troika im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik während des österreichischen Vorsitzes bilden.

Da die Aufgaben der Präsidentschaft nicht in den Verträgen festgelegt sind, muß auf die Geschäftsordnung des Rates und auf die Praxis Bezug genommen werden. Demnach leitet und organisiert der Präsident die Arbeiten des Rates, indem er den Rat einberuft, die vorläufige Tagesordnung aufstellt, von sich aus Abstimmungen veranlassen kann und die erlassenen Rechtsakte unterzeichnet.

Von Österreich erfordert dies primär eine organisatorische Höchstleistung. Die Präsidentschaft beginnt und endet mit jeweils einer "Megaveranstaltung". Am 1. und 2. Juli tagt die Bundesregierung mit der gesamten Europäischen Kommission und am 11. und 12. Dezember findet der Europäische Rat in Wien statt. Innerhalb von nur 6 Monaten sind etwa 40 Ministerratstagungen und zwischen 1300 und 1600 Treffen auf Beamtenebene zu leiten. Dazu kommen noch zahlreiche Kontakte mit Drittstaaten auf Regierungs- und Beamtenebene sowie Termine im Plenum des Europäischen Parlaments und in seinen Ausschüssen.

Die Präsidentschaft kann somit nicht nur auf die Regierung oder gar nur auf den Bundeskanzler und Außenminister "abgeschoben" werden. Der Kreis der unmittelbar Betroffenen ist ausgedehnt und erstreckt sich bis zur mittleren Beamten- und Expertenebene. Schließlich führt auch im Ausschuß der Ständigen Vertreter und in den Arbeitsgruppen des Rates der Delegierte der Präsidentschaft den Vorsitz.

Meine Damen und Herren!

Der Vertrag von Maastricht hat eine sehr wichtige Aufwertung der Präsidentschaft gebracht. Seit 1. 11. 1993 vertritt der Vorsitz die Union in Angelegenheiten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und ist verantwortlich für die Durchführung der gemeinsamen Aktionen. Dies soll dazu beitragen, daß Europa nach Außen mit einer Stimme spricht. Die Präsidentschaft kann hierbei von der Troika unterstützt werden.

Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wird sicherlich eine wesentliche Herausforderung für den Vorsitz Österreichs sein. Oftmals sind Verhandlungen zwischen Mitgliedstaaten mühsam und Kompromisse scheinen unmöglich. In diesem Fall liegt es am Vorsitz, Alternativen auszuarbeiten und Kompromisse zu ermöglichen.

Die Eskalation des Konflikts in Kosovo läßt erahnen, welch heikle diplomatische Aufgaben auf die österreichische Präsidentschaft zukommen können. Problematisch ist dabei, daß die Union - realistisch betrachtet - in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik noch immer ein Zwerg ist. Gerne wird der Vergleich mit dem Flugzeug verwendet: "In der EG sitzt ein Pilot im Cockpit der Maschine, während in der GASP im führerlosen Flugzeug 15 Co-Piloten diskutieren, ob und wann man starten soll." Die Situation hat sich zwar mit den Amsterdamer Beschlüssen verbessert, aber Österreich wird den Ratsvorsitz noch auf Basis der Maastrichter Regelungen inne haben.

Die Vertretung der Union nach Außen ist eine permanente Aufgabe der Präsidentschaft. Sie zählt daher genauso zur regulär anfallenden Arbeit wie zum Beispiel die Verabschiedung des jährlichen Haushalts, der immer in der zweiten Jahreshälfte beschlossen werden muß.

Zu diesem regulären Aufgabenfeld wird in Zukunft auch die Evaluierung der Beschäftigungsstrategien der Mitgliedstaaten, wie sie vom Luxemburger Rat beschlossen wurden, gehören. Österreich wird die erste Evaluierung leiten und wird sich hierbei mit der zweitniedrigsten Arbeitslosenrate der Union profilieren und als relativ neutraler Ideengeber fungieren können.

Noch interessanter werden aber sicherlich die "nicht regulären Aufgaben" für die Österreichische Präsidentschaft. Österreich übernimmt nämlich in einer für die europäische Integration sehr spannenden Zeit den Vorsitz. Die Union befindet sich gerade in einer intensiven Reformphase, deren vorläufige Höhepunkte der Vertrag von Amsterdam und die Agenda 2000 sind.

Die Europäische Union hat sich in den letzten Jahren von einer relativ kleinen Wirtschaftsgemeinschaft zu einer politischen Union mit fünfzehn Mitgliedern und mehr als zehn Beitrittswerbern entwickelt. Das nächste Jahrhundert wird eine wachsende Union mit neuen politischen Kompetenzen und einer gemeinsamen Währung bringen. Über die Einführung des Euro muß nicht mehr diskutiert werden. Die Entscheidungen sind getroffen, nun geht es um die Durchführung. Um für die weiteren Herausforderungen gewappnet zu sein, hat in der Union ein intensiver Reformprozeß begonnen. Mit dem Vertrag von Amsterdam und der Agenda 2000 ist das Fundament für das zukünftige Europa gelegt worden.

Die wichtigen inhaltlichen Aufgaben der österreichischen Präsidentschaft sind somit schon vorherbestimmt: Euro, Erweiterung und Vertiefung werden die großen Themen der österreichischen Präsidentschaft sein. Jetzt ist es an der Zeit, den begonnenen Reformen den Feinschliff zu geben. Eine spannende Zeit liegt unmittelbar vor uns und wird die Vorentscheidungen für die inhaltliche Komponente der österreichischen Präsidentschaft bringen. Am 18. März werden, dem Kommissionsprozedere folgend, die Erweiterungen zur Agenda 2000 vorgestellt, am 25. März wird der Konvergenzbericht präsentiert und am 30. und 31. März beginnt der Verhandlungsprozeß mit den beitrittswilligen Staaten.

Die Zahl der zu lösenden Aufgaben ist also beträchtlich: Reform der Strukturfonds, Reform der Agrarpolitik, der neue Finanzrahmen 2000-2006, der letzte Schritt zur Währungsunion und die Beitrittsverhandlungen.

Die Europäische Kommission hat mit der Agenda 2000 letzten Juli ihre inhaltlichen Vorstellungen für die Zukunft der Union vorgelegt. Die Zielsetzung der Europäischen Kommission ist eindeutig: Wir wollen die Erweiterung bei gleichzeitiger Vertiefung, sodaß die Union weiterhin ihre Rolle als Anker der Stabilität im neuen Europa einnehmen kann. In diesem Sinne wurden Stellungnahmen zu den Beitrittsanträgen der mittel- und osteuropäischen Länder abgegeben, sowie die Reformen einiger Politiken der Union, vor allem der Strukturpolitik und der Agrarpolitik, vorgenommen.

Die Europäische Kommission hofft, daß die Verhandlungen dieser Kapitel schnell voranschreiten und hat gegenüber der österreichischen Präsidentschaft relativ hohe Erwartungen. Wir hoffen, daß in einigen Bereichen der Agenda 2000, wie zum Beispiel der Strukturpolitik, während dieser Periode konkrete Kompromisse zustande kommen werden. Dies ist wichtige, da im Juni 1999 die Wahlen zum Europäischen Parlament anstehen. Die Europa-Parlamentarier werden daher vor Juni im Wahlkampf unterwegs sein, wodurch die nachfolgende Präsidentschaft Deutschlands einen engeren zeitlichen Aktionsradius erhalten könnte.

Die Zahl der Aufgaben für Österreichs Präsidentschaft ist - ich wiederhole es - groß. Durch die Art der Verhandlungsführung kann die Präsidentschaft zum Gelingen der Reformvorhaben wesentlich beitragen. Gerade kleinere Mitgliedstaaten haben in der Vergangenheit mehrmals bewiesen, gute Ratspräsidentschaften zu absolvieren. Größere Staaten lassen sich aufgrund ihres Machtpotentials leichter dazu verleiten, ihre nationalen Interessen in den Vordergrund von Verhandlungen zu stellen. Dadurch wird die Kompromißfindung erschwert. Österreich kann sich jedoch an zwei guten Beispielen für gelungene Präsidentschaften kleinerer Staaten - nämlich Holland und Luxemburg - orientieren. Unter holländischer Präsidentschaft ist der Vertrag von Amsterdam beschlossen worden und Luxemburg hat die Staats- und Regierungschefs zu einem eigenen Beschäftigungsgipfel zusammengerufen.

Meine Damen und Herren!

Österreich ist für seine Kompromißfähigkeit bekannt. Ich denke, daß Österreich es schaffen kann, im Rahmen der Präsidentschaft die anderen Mitgliedstaaten mit dieser Kompromißfähigkeit anzustecken und somit den Vorsitz zum Erfolg zu verhelfen. Für Ludwig Erhard ist ein Kompromiß "die Kunst, einen Kuchen so zu teilen, daß jeder meint, er habe das größte Stück bekommen."

Ich denke, daß Österreich es schaffen wird, den Kuchen gerecht zu verteilen(, sodaß wir Ergebnisse vorweisen können und nicht wie 1815 tanzen müssen).

 

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