Vortrag Der Reformprozeß der Europäischen Union und die Präsidentschaft Österreichs Meine Damen und Herren! Die Anzahl der Europäischen Gipfel, die als historisch bezeichnet werden, häuft sich. Aber nicht, weil mit der Bezeichnung "historisch" leichtfertig umgegangen wird, sondern weil es tatsächlich um historische Entscheidungen geht. Erst vor zwei Wochen haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union den Start der Währungsunion für 11 Länder beschlossen. Kommissionspräsident Santer kommentierte den Gipfel mit den Worten: "Der große Moment des Starts des Euro ist für mich ein Gefühl der Genugtuung, ein großer Moment, der durch Fragen, die später belanglos scheinen werden, nicht getrübt werden kann." Wer hätte sich 1988 gedacht, daß wir in zehn Jahren europaweit eine einheitliche Währung haben werden, unsere östlichen Nachbarstaaten eng mit der Europäischen Union assoziiert sind und gerade mit den Beitrittsverhandlungen beginnen? Mehr als vierzig Jahre hat der Systemkonflikt zwischen Ost und West die politischen Realitäten in Europa geprägt. In der Folge der politischen Umbrüche in Osteuropa haben alte Freunde die politische Weltbühne neu betreten und ihr eindeutiges Interesse an der Erfolgsstory Europäische Union bekundet. Ich habe die Möglichkeit, die Reformprozesse der Union aus der inneren Perspektive der Kommission mitverfolgen zu können. Es freut mich deshalb auch besonders, diese Eindrücke an Sie weiterzugeben und ich möchte mich daher herzlich für Ihre Einladung bedanken. Meine Anwesenheit hier hat allerdings für mich nicht nur dienstlichen Charakter, sondern auch eine persönliche Komponente. Als überzeugter Europäer verfolge ich die Entwicklungen in der EU seit Jahrzehnten, und die derzeit überall spürbare Aufbruchstimmung stärkt die Gewißheit, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Für die Zukunft Europas steht meiner Ansicht nach folgendes fest: Das nächste Jahrtausend wird eine wachsende Union mit neuen politischen Kompetenzen und einer gemeinsamen Währung bringen. Europa wird weiterhin aus verschiedenen Völkern bestehen und die von dem polnischen Schriftsteller Witold Gombrowicz aufgestellte Definition von Europäertum auch in Zukunft gelten: "Das Europäertum beruht nicht auf einem Sich-Verschmelzen mit Europa, sondern darin, ein Bestandteil zu sein - ein spezifischer, einer, der sich durch nichts ersetzen läßt." Derzeit gibt es insbesondere drei Politikfelder, an denen man nicht vorbeikommt, wenn man sich mit der Europäischen Union beschäftigt. Dies sind auch genau die drei Politikfelder, die in ihrer Gesamtheit den Europäischen Reformprozeß ausmachen. Dazu zählt erstens natürlich der Euro, der in etwas mehr als einem halben Jahr unsere neue Währung sein wird. Über die Einführung des Euro muß nicht mehr diskutiert werden. Die Entscheidungen sind längst getroffen und die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Vor zwei Wochen haben die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten die Teilnehmer an der Währungsunion fixiert und deren bilaterale Wechselkurse festgelegt. Zum zweiten rückt die Erweiterung der Union immer mehr in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Dabei geht es, ähnlich wie beim Euro, um die politische Zukunft des Kontinents. Zu Gesprächen eingeladen sind alle beitrittswilligen Kandidaten, doch die Union hat ein komplexes System aus Verhandlungen, Konferenzen und Partnerschaften entwickelt, das - nuanciert - die unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsgrade der einzelnen Länder berücksichtigt. An dritter Stelle steht die Vertiefung, der interne Reformprozeß der Union, durch den Vertrag von Amsterdam und die Agenda 2000. Letztere sind der Kommissionsvorschlag für eine Neuorientierung und Neuorganisation der meisten Politiken der Europäischen Union, - auch im Hinblick auf die Erweiterung. Österreich wird bei all dem eine besondere Position einnehmen, da es in der 2. Hälfte 1998 routinemäßig als erster der neuen Mitgliedstaaten die Präsidentschaft der Europäischen Union übernehmen wird. Die Zahl der zu lösenden Aufgaben ist beträchtlich und die Erwartungen hochgesteckt: Reform der Strukturfonds, Reform der Agrarpolitik, der letzte Schritt zur Währungsunion und die Beitrittsverhandlungen. Meine Damen und Herren! Der Traum von einem vereinten Europa ist schon Jahrhunderte alt. Aber erst in der 2. Hälfte dieses Jahrhunderts wurden konkrete Schritte gesetzt, die aus einem Traum Wirklichkeit machten. Erst die Verbrechen und Verwüstungen des II. Weltkrieges haben ein Umdenken gebracht, die Europäer waren bereit zu lernen. Der britische Premierminister Winston Churchill forderte 1946 die Schaffung der "Vereinigten Staaten von Europa" und Jean Monnet und Robert Schuman schufen die Grundlagen für die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Der Weg von der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl über die Europäische Atomgemeinschaft und Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bis heute ist bekannt. Nach einer langen, relativ ruhigen Entwicklungsphase begann Mitte der achtziger Jahre in der Union ein Reformprozeß, der bis heute anhält und dessen Ende noch in keiner Weise absehbar ist. Den Anfang machte 1987 die Einheitliche Europäische Akte und den vorläufigen Abschluß der Rat der Staats- und Regierungschefs vor zwei Wochen, als sie den Start der Währungsunion definitiv festlegten. Damit bin ich schon bei meinem ersten Punkt, dem Euro: Neuerungen sind natürlich oft mit Ängsten verbunden. Dieses Phänomen ist auch bei der Einführung des Euro erkennbar. Umso erfreulicher ist es, daß die Informationsaktivitäten der Bundesregierung und der Europäischen Kommission schon erste Erfolge zeigen: Bei einer vor kurzem präsentierten Meinungsumfrage sprachen sich 55% der Österreicher für die Einführung des Euro aus. Außerdem haben die Österreicher mit der geringen Unterstützung für das Schilling-Volksbegehren bewiesen, daß sie sehr wohl differenzieren und sich durch Argumente überzeugen lassen. Die Vorbereitungen für den Beginn der Währungsunion treten langsam aber sicher in das Endstadium ein. Am 25. März hat die Europäische Kommission ihre Stellungnahme darüber abgeben, welche Mitgliedstaaten ihrer Meinung nach fit für die Euroteilnahme sind. Vor zwei Wochen ist der Rat in Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs dem Vorschlag der Kommission gefolgt. Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien erfüllen die notwendigen Voraussetzungen für die Einführung der Einheitswährung am 1. 1. 1999. Darüber hinaus wurden von diesem Rat auch die bilateralen Wechselkurse zwischen den Teilnehmern der Währungsunion fixiert. Auch zur Person des Präsidenten der Europäischen Zentralbank wurde ein Kompromiß gefunden. Gemäß Vertrag ist die Funktionsperiode des EZB-Präsidenten auf 8 Jahre festgelegt. Der Niederländer Wim Duisenberg ist nun zum ersten Präsidenten ernannt worden. Er hat aber erklärt, daß er nach der Einführung der Euro-Münzen und Scheine - also etwa zur Hälfte seiner Funktionsperiode – zurücktreten wird. Mit erstem Januar 1999 schließlich ist der Euro unsere gemeinsame Währung. Ab 2002 werden wir den Euro auch in unseren Geldbörsen haben. Die gemeinsame Währung wird aber zweifellos mehr sein, als nur Geld. Sie ist ein europäisches Kind und wird somit ein Symbol für die europäische Identität sein. Meine Damen und Herren! Schon sehr bald wird ein anderer Themenkomplex die öffentliche Diskussion beherrschen: Die Erweiterung der Europäischen Union. Die Zielsetzung der Europäischen Kommission ist eindeutig: Wir wollen die Erweiterung bei gleichzeitiger Vertiefung, sodaß die Union weiterhin ihre Rolle als Anker der Stabilität im neuen Europa einnehmen kann. Die Euphorie nach dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs 1989 war auf beiden Seiten groß. Doch die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Der Wunsch nach westlichem Lebensstandard, Demokratie und Menschenrechten im Osten ist verständlich, aber der Weg dorthin lang und beschwerlich. Nichtsdestotrotz ist der Fortschritt der mittel- und osteuropäischen Länder seit 1989 bemerkenswert. Vor kurzem wurden im Eurobarometer die Meinungen der Unionsbürger zur Erweiterung analysiert: Fragt man heute die Bürger der Europäischen Union, so unterstützen 47% den Beitritt Ungarns, 43% den Beitritt Polens, 41% den Beitritt Tschechiens und 40% den Beitritt Zyperns. Nur um die 30% der Unionsbürger lehnen derzeit die Aufnahme dieser Staaten ab. Bei Estland und Slowenien sieht diese Relation anders aus. (Es gibt derzeit noch mehr Gegner als Befürworter.) Als Resümee kann man aber festhalten, daß die europäische Öffentlichkeit schon jetzt die Beitritte von 4 der 6 Kandidaten, mit denen konkret verhandelt wird, überwiegend unterstützt, ohne daß die intensive Diskussionsphase schon begonnen hätte. Der Europäische Rat reagierte 1993 in Kopenhagen auf die besondere Situation mit einem für die Union historischen Versprechen. Die mittlerweile assoziierten mittel- und osteuropäischen Länder, die dies wünschen, können Mitglieder der Europäischen Union werden. Der Beitritt kann erfolgen, sobald ein assoziiertes Land in der Lage ist, den mit einer Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen nachzukommen und die gestellten wirtschaftlichen und politischen Bedingungen zu erfüllen. In Kopenhagen wurden diese Bedingungen auch genauer definiert, die von einem potentiellen Beitrittskandidaten zu erfüllen sind. Wesentliche Voraussetzungen für den Beitritt sind demnach, daß Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gewahrt sowie die Grundrechte respektiert werden. Weiters muß eine funktionierende Marktwirtschaft existieren, die dem Wettbewerb in der Union standhalten kann. Schließlich muß der Beitrittskandidat in der Lage sein, den Rechtsbestand der EU zu übernehmen und anzuwenden. Letzter Punkt schließt insbesondere den Beitritt zur Währungsunion, aber auch die Gemeinsame Außen - und Sicherheitspolitik mit ein. Der Rat beauftragte die Europäische Kommission, die Beitrittsanträge der Kandidaten im Lichte dieser Kriterien zu beurteilen. Die Antwort der Kommission wurde letzten Juli als Teil der "Agenda 2000" der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Ergebnisse sind bekannt: Die Europäische Kommission meint, daß zum jetzigen Zeitpunkt keiner der Beitrittswerber für die Mitgliedschaft bereit ist. Aber wenn der Reformprozeß weitergeführt und in einigen Bereichen intensiviert wird, dann werden mittelfristig fünf mittel- und osteuropäische Länder fähig sein, die geforderten Verpflichtungen einer Mitgliedschaft bei der Europäischen Union zu erfüllen. Dies bedeutet, daß konkrete Beitrittsverhandlungen neben Zypern, das schon 1993 einen positiven Avis bekommen hat, mit Estland, Polen, Slowenien, Tschechien und Ungarn aufgenommen werden sollen. Der Europäische Rat in Luxemburg hat diese Kommissionsvorschläge Ende 1997 weitestgehend akzeptiert und mit einigen politischen Differenzierungen versehen. Die Staats- und Regierungschefs haben eine Erweiterungsstrategie beschlossen, die im März 1998 begonnen hat und aus einem Erweiterungs-, Beitritts- und Verhandlungsprozeß besteht. Dies ist notwendig, um die Länder, die nicht in der ersten Verhandlungsrunde dabei sind, näher an die Union heranzuführen. Sobald diese Länder die erforderlichen Verpflichtungen erfüllen, können die Beitrittsverhandlungen auch mit ihnen sofort beginnen. Andererseits geht es darum, eine Plattform zur Integration der Türkei und zur Lösung des Zypernkonflikts zu finden. Das Herz des Erweiterungprozesses ist die Europa-Konferenz. Die 15 Mitgliedstaaten haben die zehn mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten, sowie Zypern und die Türkei zur Teilnahme eingeladen. Darüber hinaus soll die Europa-Konferenz für alle beitrittswilligen Länder der Zukunft, die die Ziele der Union teilen, offen sein. Inhaltlich wird sich die Europa-Konferenz mit Außen- und Sicherheitspolitik, Innere Sicherheit und Justizwesen sowie mit der wirtschaftlichen und regionalen Kooperation beschäftigen. Das erste Treffen fand am 12. März in London statt. Die Nichtteilnahme der Türkei wurde von Europa bedauert. Der Beitrittsprozeß hat am 30. März mit 11 Kandidaten, den zehn mittel- und osteuropäischen Ländern und Zypern, mit einem Treffen der Außenminister begonnen. Basis des Beitrittsprozesses sind die Beitrittspartnerschaften, welche alle Formen der Unterstützung für die jeweiligen Beitrittskandidaten zusammenfassen. Die konkreten Verhandlungen wurden tags darauf, am 31. März mit Estland, Polen, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern gestartet. Diese sechs Kandidaten werden die Beitrittsverhandlungen in bilateralen Regierungskonferenzen unter der Leitung der jeweiligen Ratspräsidentschaft führen. Parallel zu den Verhandlungen wird es einen Screening Prozeß geben, der die Fortschritte aller Kandidaten bezüglich der geforderten Kriterien untersucht. Auf Basis dieser Screenings werden die konkreten Beitrittsverhandlungen geführt und die Verhandlungen mit den Ländern, die derzeit nur im Beitrittsprozeß involviert sind, vorbereitet. Wenn die notwendigen Fortschritte erreicht sind, können die restlichen 5 Länder jederzeit in den Verhandlungsprozeß nachrücken. Die Kommission überprüft diese Fortschritte und gibt ihre Stellungnahmen ab, die dem Rat als Entscheidungsgrundlage dienen. Meine Damen und Herren! Bereits in der Agenda 2000 hat die Europäische Kommission die Strategie für den Erweiterungsprozeß entworfen und im Jänner ist die Task Force für die Beitrittsverhandlungen ins Leben gerufen worden. Als Grundsatz für die Verhandlungen wurde festgelegt, daß der Besitzstand der Union vom ersten Tag des Beitrittes an angewendet werden soll. Die Kommission will keinerlei Formen einer Mitgliedschaft zweiter Klasse oder Opt-outs in Betracht ziehen. Deshalb tritt die Kommission für eine intensivierte Heranführungsstrategie ein, sodaß die Kandidaten bereits vor Beginn der Mitgliedschaft den Besitzstand in großen Teilen übernehmen können. Die Intensivierung der Heranführungsstrategie bedeutet nun erstens, daß alle Unterstützungsformen der Union in einem einheitlichen Gesamtrahmen - den Beitrittspartnerschaften - zusammengefaßt werden und innerhalb dieses Rahmens die zur Vorbereitung auf den Beitritt erforderlichen Arbeiten durchgeführt werden. Zweitens sollen die Bewerberländer mit den einzelnen Bereichen der Politik und mit den Verfahren der Union vertraut gemacht werden, indem sie die Möglichkeit erhalten, an Programmen der Gemeinschaft mitzuwirken. Die finanzielle Unterstützung für die Beitrittswerber durch die Heranführungsstrategie ist beträchtlich. Aus den Fonds der Union sollen zwischen 2000 und 2006 insgesamt 45 Milliarden ECU, das sind derzeit etwa 620 Mrd Schilling, zur Verfügung stehen, 38 Mrd ECU für die dann neuen Mitgliedstaaten und 7 Mrd ECU als "Heranführungshilfe" für jene, die nicht in der ersten Runde aufgenommen werden. Als "Heranführungshilfe" stehen - zusätzlich zu den 7 Mrd ECU aus den Fonds - noch 10,5 Mrd ECU aus dem Phare-Topf und 3,5 Mrd ECU als Mittel zur Agrarförderung zur Verfügung. Das sind für die Jahre 2000 - 2006 insgesamt 21 Mrd ECU oder 3 Mrd ECU pro Jahr. In jene Länder, die nicht bei der ersten Runde der Union beitreten, investiert die EU also pro Jahr 3 Mrd ECU beziehungsweise 41,5 Mrd Schilling als "Heranführungshilfe". Insgesamt werden die Förderungen der Union ungefähr 2,7% des BIP der Beitrittskandidaten ausmachen. Das ist mehr Geld, als Österreich durch den Marshallplan bekommen hat. Was die finanzielle Seite der Union betrifft, sollte diese gemäß der Agenda 2000 ab dem Jahr 2002 fit für den Beitritt von sechs neuen Staaten sein, was nicht heißt, daß der Beitritt zu diesem Zeitpunkt erfolgt. Ich will nur sagen: 2002 sind wir finanziell vorbereitet. Die Kommission wird ab Ende 1998 über die Fortschritte der Beitrittskandidaten an den Rat berichten. Dabei wird die Prüfung des Umsetzungsstandes der Europa-Abkommen und der Beitrittspartnerschaften einen wichtigen Teil einnehmen. Meine Damen und Herren! Die Europäische Union wächst. Es gibt natürlich auch kritische Stimmen, die dem Erweiterungsprozeß skeptisch entgegenblicken. Aber wir sollten immer bedenken, daß die Erweiterung ein Prozeß ist, der schon vor Jahren begonnen hat und noch einige Jahre andauern wird. In dieser Zeit müssen sich die Beitrittswerber noch dem wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Niveau der Union annähern, ansonsten können wir sie im gegenseitigen Interesse nicht aufnehmen. Die Europäische Union nimmt nicht morgen zehn osteuropäische Staaten auf, sondern im Laufe der nächsten Jahre werden einzelne oder mehrere Reformstaaten in einem sukzessiven Prozeß der Union beitreten und vollwertige Mitglieder sein. Die österreichische Wirtschaft braucht sich ja doch nicht vor der Erweiterung zu fürchten. Im Gegenteil: Österreich wird von einer Erweiterung profitieren, genauso wie es vom Verschwinden des Eisernen Vorhangs profitiert hat. Erst vor wenigen Wochen hat Eurostat veröffentlicht, daß die EU-Ausfuhren in die mittel- und osteuropäischen Länder im ersten Halbjahr 1997 gegenüber dem Vergleichszeitraum 1996 um 20,7% gestiegen sind. Österreich ist nach Deutschland und Italien der drittgrößte EU-Handelspartner dieser Länder, mit Ausfuhren von 3,7 Milliarden ECU und Einfuhren von 2,4 Milliarden ECU. Meine Damen und Herren! Wann der erste Staat oder die ersten Staaten der Union beitreten, kann heute noch nicht gesagt werden. Für die Kommission ist jedoch vor allem relevant: Die Erreichung und Einhaltung der objektiven Kriterien, wie sie der Europäische Rat 1993 in Kopenhagen aufgestellt hat. Und hierfür müssen die Beitrittskandidaten noch einige Anstrengungen unternehmen. Anstrengen muß sich aber auch die Union. Die Institutionen, Entscheidungsprozesse und die Bereiche Agrar- und Strukturpolitik müssen einer erweiterten Union angepaßt werden. Der Vertrag von Amsterdam hat die Grundlagen für eine Anpassung der Institutionen sowie der Entscheidungsprozeduren gebracht. Zusammen mit der Beurteilung der Beitrittsanträge hat die Agenda 2000 die Reform der Strukturfonds und der Agrarpolitik skizziert. Ein wichtiges Kapitel der Agenda 2000 ist demnach die Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Die Agrarreform soll zwei Ziele verfolgen: Erstens sollen die Preise für die Konsumenten spürbar gesenkt werden. Trotzdem soll aber das Einkommensniveau in der Landwirtschaft konstant bleiben. Zum zweiten muß die Agrarpolitik den Gatt-Bestimmungen angepaßt werden. Deshalb müssen die Preisstützungen abgesenkt werden und als Ausgleich dazu wird es notwendig sein, die produktionsunabhängigen Zahlungen an die Bauern zu erhöhen. Gedacht ist etwa an eine direkte Abgeltung von bestimmten gesellschaftlich erwünschten Leistungen wie etwa die Erhaltung des ländlichen Kulturgutes oder die Landschaftspflege, die unter anderem für den Tourismus außerordentlich wichtig sind. Um den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt innerhalb der größeren Union besser fördern zu können, schlägt die Europäische Kommission auch eine Reform der Strukturfonds vor. Die derzeit geltenden 7 Zielgebiete sollen zu 3 zusammengefaßt werden. Die maximale Fördersumme für ein Empfängerland soll mit 4% seines BIP begrenzt werden.
Ziel 1 - Fördergebiete wären weiterhin solche Regionen, deren Pro-Kopf-Einkommen unter 75% des Gemeinschaftsdurchschnittes liegt. Diese Gebiete haben die größten Probleme hinsichtlich Einkommen, Beschäftigung, Produktionssystemen und Infrastruktur. Deshalb soll hier mit einem Anteil von 2 Dritteln an den gesamten Strukturfondsmitteln weiterhin der Schwerpunkt der Förderungen aus den Strukturfonds liegen. Wesentlichstes Ziel der Förderungen ist die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, die letztendlich die Voraussetzung für die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen ist. Für Regionen, die nach Auslaufen der geltenden Planungsziele ab dem Jahre 2000 nicht mehr im Ziel 1 - Katalog aufscheinen, da sie nun knapp über der 75%-Marke liegen, sollte es, unseren Vorstellungen nach, kein abruptes Ende sondern ein sogenanntes "phasing-out" der Förderungen geben. Ziel 2 - Fördergebiete wären Regionen, die von erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Umstellungen betroffen sind. Zum Beispiel die Umstellung von einer Industrie- auf eine Dienstleistungsregion oder ländliche Gebiete mit stark rückläufiger Entwicklung. Wichtigster Ansatzpunkt für diese Förderung sind die innovativen Klein- und Mittelbetriebe sowie die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung in den städtischen Problemgebieten. Durch die Förderung der allgemeinen und beruflichen Bildung soll der Zugang zu den neuen Technologien erleichtert und somit die Qualifikation der Arbeitnehmer den Anforderungen der modernen Wirtschaft angepaßt werden. Kriterien der Mittelvergabe sind die Arbeitslosenquote, der Wandel der Beschäftigung in der Industrie und in der Landwirtschaft sowie die Dimension der sozialen Ausgrenzung. Zur Erfassung der nicht unter die Ziele 1 und 2 fallenden Regionen wird ein neues Ziel 3 geschaffen. Dieses bezweckt, die Ausbildungs-, Berufs- und Beschäftigungssysteme der Mitgliedstaaten anzupassen und zu modernisieren. Während die ersten beiden Ziele auf Regionen abzielen, wäre dieses dritte Ziel ein sogenanntes horizontales, das heißt unionsweites, Ziel. Das insbesondere für den Steuerzahler Interessante an den Vorschlägen der Agenda 2000 liegt aber nicht nur in der Erhöhung der Effektivität der Unionspolitik, sondern vor allem auch darin, daß für die Bewältigung der Zukunft keine Erhöhung der Beitragssätze der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt notwendig sein wird. Obwohl alle Beitrittswerber potentielle Nettoempfänger sind, die Bevölkerung der Union um 100 Millionen Menschen anwachsen und die landwirtschaftliche Nutzfläche um bis zur Hälfte zunehmen könnte, wird der Brutto-Beitrag, den Österreich und die anderen Mitgliedstaaten höchstens leisten muß, 1,27 % des jeweiligen BIP nicht überschreiten. Diese Obergrenze galt schon bisher und stellt somit keine Neuerung dar, wenngleich nicht zu leugnen ist, daß für manche Mitgliedstaaten geringere Rückflüsse aus Brüssel nicht auszuschließen sind. Meine Damen und Herren! Neue Mitgliedstaaten bedeuten zunehmend komplexere Entscheidungsstrukturen in den EU-Institutionen. Der im Juni 1997 durch den Europäischen Rat angenommene Vertrag von Amsterdam hat hier einige Verbesserungen gebracht. Ich möchte nicht verhehlen, daß sich einige Leute mehr von diesem Vertrag erwartet haben. Aber die Zukunft wird zeigen, daß dieser Vertrag in vielen Bereichen ein Meilenstein für die Europäische Integration ist. Die Anzahl der Beschlußfassungsverfahren wird von derzeit über 20 auf generell 3 reduziert: die Anhörung des Parlaments, das Verfahren der Mitentscheidung des Parlaments und die Zustimmung des Parlaments. Die Anwendung des Mitentscheidungsverfahrens wird erheblich ausgeweitet, sodaß fast alle Bereiche, die im Rat mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden, dem Mitentscheidungsverfahren unterliegen. Der Ablauf des Verfahrens wird vereinfacht und das Europäische Parlament sukzessive dem Rat gleichgestellt. Der Vertrag von Amsterdam beinhaltet eine Reihe von institutionellen Reformschritten. Zur Lösung der noch offenen Fragen wurde im Artikel 2 des "Protokolls über die Organe im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Union" festgehalten, daß spätestens ein Jahr vor dem Zeitpunkt, zu dem die Zahl der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zwanzig überschreiten wird, eine Regierungskonferenz einberufen wird, um die Zusammensetzung der Organe zu überprüfen." Fixiert wurde aber zum Beispiel schon, daß es nach einer Erweiterung nur mehr einen Kommissar je Mitgliedstaat geben wird. Außerdem wird die Kommission ihre Tätigkeit in Zukunft unter der politischen Leitung des Präsidenten ausüben. Die Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips wird eingeschränkt und zu einem großen Teil durch Entscheidungen mittels qualifizierter Mehrheit ersetzt. Über die Neustrukturierung der qualifizierten Mehrheit muß aber noch verhandelt werden. Ob dies durch eine Neugewichtung der Stimmen im Rat oder durch ein System der doppelten Mehrheit geschehen wird, ist noch nicht entschieden. Diese Entscheidung wurde vertagt, gleichzeitig aber mit einer gewissen Automatik versehen und an die Reform der Europäischen Kommission gekoppelt. Das Europäische Parlament wird nicht mehr als 700 Abgeordnete zählen und ein Zustimmungsrecht bei der Ernennung des Kommissionspräsidenten haben. Neu ist, daß der Vertrag von Amsterdam die Möglichkeit zur engeren Zusammenarbeit einer Gruppe von Mitgliedstaaten schafft. Die Mitgliedstaaten, die beabsichtigen, untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit zu begründen, können die in den Verträgen vorgesehenen Organe, Verfahren und Mechanismen in Anspruch nehmen, sofern sie gewisse Voraussetzungen erfüllen. Welche Konsequenzen dieses System mit sich bringen und wo es Anwendung finden wird, ist noch nicht vorhersehbar. Wird es genutzt, eröffnen sich aber weite Spielräume der intensiveren Zusammenarbeit. Selbstverständlich hat der Vertrag von Amsterdam neben dem Beginn der Institutionenreform noch unzählige weitere Neuerungen gebracht. Ich möchte nur das Beschäftigungskapitel, die endgültige Durchsetzung der Freizügigkeit für die Unionsbürger und die Aufnahme der Schengener Bestimmungen in die Unionsverträge erwähnen. Meine Damen und Herren! Die Geschichte der Europäischen Union ist beeindruckend: Sie hat sich von einer relativ kleinen Wirtschaftsgemeinschaft in den letzten Jahren zu einer politischen Union mit fünfzehn Mitgliedern und mehr als zehn Beitrittswerbern entwickelt. Diese Basis der gegenwärtigen Reformbestrebungen setzt sich zusammen aus Euro, Erweiterung und Vertiefung. Der konkrete Reformprozeß hat begonnen und jetzt ist es an der Zeit, ihm den Feinschliff zu geben. Österreich hat hierbei eine besondere Position, da es in der 2. Hälfte 1998 routinemäßig als erster der neuen Mitgliedstaaten die Präsidentschaft der Europäischen Union übernehmen wird. Somit steht Österreich ein halbes Jahr lang an der Spitze der Union und wird alle notwendigen Verhandlungen leiten. Die wichtigen Themen der österreichischen Präsidentschaft sind schon vorherbestimmt: Euro, Erweiterung und Vertiefung werden die großen Themen der österreichischen Präsidentschaft sein. Interessant wird auch die erste Evaluierung der Beschäftigungsstrategien der Mitgliedstaaten, wie sie vom Luxemburger Rat beschlossen wurden. Österreich kann sich hierbei mit der zweitniedriegsten Arbeitslosenrate der Union sicherlich profilieren und als relativ neutraler Ideengeber fungieren. Daneben muß aber auch die regulär anfallende Arbeit erledigt werden. So muß zum Beispiel immer in der zweiten Jahreshälfte der Haushalt für das nächste Jahr beschlossen werden. Außerdem vertritt die Präsidentschaft die Europäische Union nach Außen. Wir müssen uns nur die gegenwärtige Eskalation im Kosovo vor Augen führen, um die heiklen Aufgaben für die österreichische Präsidentschaft zu erahnen. Problematisch ist dabei, daß die Union - realistisch betrachtet - in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik noch immer seine Kräfte zu wenig bündelt. Die Zahl der Aufgaben für Österreichs Präsidentschaft ist also groß. Durch die Art der Verhandlungsführung kann die Präsidentschaft zum Gelingen der Reformvorhaben wesentlich beitragen. Gerade kleinere Mitgliedstaaten haben in der Vergangenheit mehrmals bewiesen, gute Ratspräsidentschaften zu absolvieren. Größere Staaten kommen aufgrund ihres Machtpotentials leichter in Versuchung, ihre nationalen Interessen in den Vordergrund von Verhandlungen zu stellen. Dadurch wird die Kompromißfindung erschwert. Zwei gute Beispiele für gelungene Präsidentschaften kleinerer Staaten sind Holland und Luxemburg. Unter holländischer Präsidentschaft ist der Vertrag von Amsterdam beschlossen worden und Luxemburg hat die Staats- und Regierungschefs zu einem eigenen Beschäftigungsgipfel zusammengerufen. Neben dem inhaltlichen Aspekt ist die Präsidentschaft auch eine organisatorische Höchstleistung. Sie beginnt und endet mit jeweils einer "Megaveranstaltung". Am 1. und 2. Juli tagt die Bundesregierung mit der gesamten Europäischen Kommission und am 11. und 12. Dezember findet der Europäische Rat in Wien statt. Dazwischen kommt es zu zahlreichen weiteren Ministerräten, Konferenzen und sonstigen Veranstaltungen. Die Europäische Kommission hat gegenüber der österreichischen Präsidentschaft relativ hohe Erwartungen. Wir hoffen, daß in einigen Bereichen der Agenda 2000, wie zum Beispiel bei der Strukturpolitik, während dieser Periode konkrete Resultate zustande kommen werden. Dies ist umso wichtiger, als die nachfolgende Präsidentschaft Deutschlands durch die Wahl zum Europäischen Parlament im Juni 1999 komplizierter werden könnte. Meine Damen und Herren! Wir leben in einer Zeit der friedlichen Umbrüche. In etwas mehr als einem halben Jahr beginnt die Europäische Währungsunion. In 11 Ländern wird der Euro dann das einheitliche Zahlungsmittel sein. Und es ist auch nur mehr eine Frage der Zeit, bis wir unsere Nachbarn in der Union begrüßen dürfen. Wer hätte das vor zehn Jahren für möglich gehalten? Die deutsche Wochenzeitschrift "Die Zeit" hat vor kurzem unter dem Titel "Auf der Großbaustelle" den Reformprozeß in Europa analysiert und kam zu dem Schluß: "Die Zeit der Euro-Sklerose, der Bewegungslosigkeit, des institutionellen Auf-der-Stelle-Tretens ist vorbei. Wir erleben eine neue Europäische Gründerzeit." Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. |
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