Spielbesprechung von Györög Kurt
Helvetia
22.01.2012

von Matthias Cramer
Kosmos
für 2 – 4 Spieler
ab 12 Jahren

„Gruezi!
Die Schweiz oder auch Confoederatio Helvetica zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Malerische Berge, von tiefen Tälern durchdrungen. Die napoleonische Besetzung ist vorbei, aber deren Spuren sind noch unübersehbar. Viele Dörfer wurden in Mitleidenschaft gezogen, selbst in den entlegensten Winkeln. Doch die Menschen fühlen sich befreit, es herrscht Aufbruchstimmung! Als Ortsvorsteher lenken Sie die Geschicke eines abseits gelegenen Dorfes. Die nächsten Dörfer liegen ein paar Wegstunden entfernt, zur nächsten größeren Stadt ist es ein Tagesmarsch. Zum Überleben reicht das, was Ihre Dorfgemeinschaft produziert, bereits ohne Probleme. Aber natürlich wollen Sie mehr. Ihren Kindern wollen Sie ein eigenes Heim und eine Arbeitsstätte bieten – oder sie in ein Nachbardorf verheiraten, um von deren Wohlstand mitprofitieren zu können. Natürlich sehen Sie es auch gerne, wenn Ihre ledigen Schützlinge einen Lebenspartner von Außerhalb finden. So wird gebaut, geheiratet und werden Kinder in die Welt gesetzt – auf dass die Gemeinschaft wachse und gedeihe. Produktionsüberschüsse können Sie an den Markt in der nächsten Stadt liefern. Auch das mehrt Ihren Wohlstand. Nur so können Sie es sich irgendwann leisten, auch in Projekte zu investieren, die dem Gemeinwohl dienen und Ihr Dorf in eine neue Ära der Blüte führen. Möge Helvetia Ihnen gewogen sein!“


Helvetia: Dörfer bauen – Paare trauen …

Spielmaterial:
1 Spielplan, 64 Spielfiguren (je 16 in 4 Farben, Männer und Frauen, die auf der Unterseite mit „Kinder“-Aufkleber versehen werden), 54 Gebäude-, 6 Sonder-, 5 Personen-, 10 Güter- und 1 Startspielerplättchen, 5 Plättchen „Dorfmitte“, 24 Münzen (je 6 in 4 Farben), 68 Liefersteine (je 17 in 4 Farben) und 1 Spielanleitung.

Spielziel:
Als erster Spieler 20 oder mehr Siegpunkte zu erzielen.

Spielablauf:
Der Spielplan kommt in die Tischmitte. Die Gebäudeplättchen werden nach der Zahl auf der Rückseite in 3 Stapel sortiert – die Plättchen mit der „1“ kommen (nach Gebäudeart sortiert) offen neben den Spielplan. Die Plättchen mit der „2“ und „3“ werden verdeckt gemischt und als Nachziehstapel bereitgelegt.
Die Personen- und Güterplättchen werden auf dem – die Sonderplättchen – neben dem Spielplan ausgelegt.

Jeder Spieler erhält in seiner Farbe 16 Dorfbewohner, 6 Münzen und 17 Liefersteine, wobei einer davon auf das Feld „0“ der Siegpunktleiste kommt. Außerdem erhält jeder Spieler ein Plättchen „Dorfmitte“, das er vor sich auslegt. Nun werden noch an jeden Spieler 3 Startgebäude vergeben, die diese an ihre Dorfmitte anlegen.

Nun verteilt jeder Spieler 3 Paare (3 Männer und 3 Frauen) seiner Farbe wie folgt:
  • Paar 1: auf zwei beliebige eigene Gebäude.
  • Paar 2: 1 Dorfbewohner auf das verbliebene eigene Gebäude und den anderen Dorfbewohner auf die Schule am Spielplan.
  • Paar 3: 1 Dorfbewohner wird in das Dorf des linken Nachbarn „verheiratet“ (ein Mann wird zu einer Frau gestellt, oder umgekehrt) und der andere Dorfbewohner kommt in die eigene Dorfmitte.

    Alle Dorfbewohner sind anfänglich wach und werden aufgestellt. Wurde ein Dorfbewohner eingesetzt, schläft er danach ein und die Figur wird umgelegt.

    Nun nimmt noch jeder Spieler 2 seiner Münzen und legt je 1 davon als „Mitgift“ in die Dorfmitte seines linken und rechten Mitspielers.

    Das Spiel geht nun über mehrere Spielrunden, die wie folgt ablaufen:
    1. Münzen einsetzen und Persönlichkeiten nutzen:
    Abwechselnd wählen die Spieler eine Persönlichkeit am Spielplan aus und legen 1 oder mehrer Münzen auf diese Person. Folgende Persönlichkeiten stehen zur Verfügung:
    • Baumeister:
      Für jede Münze darf der Spieler ein Gebäude bauen, wobei darauf zu achten ist, das jeder Spieler jede Gebäudeart nur einmal bauen darf. Besitzt ein Spieler nicht alle geforderten Güter, so können diese (Holz, Ziegel oder Stein) auch für 1 Münze gekauft werden.
      Ein Gut wird produziert, indem auf dem entsprechenden Gebäude ein wacher (aufgestellter) Dorfbewohner „schlafen geschickt“ (umgelegt) wird. Für komplexere Güter muss dies auch für vorbedingte Güter durchgeführt werden.
    • Fuhrmann:
      Für jede Münze darf der Spieler ein Gut zum Markt liefern und dies dort mit einem seiner Liefersteine markieren. Jeder Spieler kann somit jedes Gut nur einmal zum Markt liefern – jeder Lieferstein ist 1 Siegpunkt wert. Für spezielle Güter erhält der erste Spieler, der dies zum Markt liefert zusätzlich noch das entsprechende Güterplättchen im Wert von 1 oder 2 Siegpunkten.
      Wurde mit der Lieferung auch noch eines der 4 Sonderziele erfüllt, erhält Spieler auch noch das entsprechende Sondersiegpunktplättchen.
    • Nachtwächter:
      Für jede Münze darf der Spieler alle Dorfbewohner 1 kompletten Viertels seines Dorfes aufwecken – d.h. alle Dorfbewohner (eigene und fremde) werden wieder aufgestellt.
    • Pfarrer:
      Für jede Münze darf der Spieler einen eigenen, nicht verheirateten Dorfbewohner aus der Dorfmitte oder der Schule in ein fremdes Dorf verheiraten. Gibt es in dem Dorf in der Dorfmitte noch eine „Mitgift“, so kann er sich eine davon auswählen. Eine eigene „Mitgift“ kommt in den eigenen Vorrat und kann dann als eigene Münze verwendet und genutzt werden, eine fremde „Mitgift“ kommt wiederum in die Dorfmitte.
    • Hebamme:
      Für jede Münze darf der Spieler zu eine Paar im eigenen Dorf 1 Kind (= gekippte Spielfigur) stellen.

    Die Runde endet, wenn nur noch 1 Spieler Münzen besitzt – dieser Spieler kommt dann nicht mehr an die Reihe, wird aber Startspieler der nächsten Runde und erhält das Startspielerplättchen, das 1 Siegpunkt wert ist.

    2. Vergabe der Personenplättchen und Münzen zurücknehmen:
    Auf jeder Persönlichkeit liegt anfänglich ein dazupassendes Personenplättchen. Dieses geht nun – entweder vom Spielplan oder dem entsprechenden Spieler – an den Spieler, der in dieser Runde die meisten Münzen auf der entsprechenden Persönlichkeit eingesetzt hat. Bei einem Gleichstand verbleibt das Personenplättchen wo es ist.
    Jedes Plättchen bringt dem Besitzer 2 Vorteile: 1. ist das Plättchen 1 Siegpunkt wert und 2. berechtigt es den Besitzer, zu einer zusätzlichen Aktion mit der entsprechenden Persönlichkeit, wenn er am Zug ist. Jeder Spieler kann nur ein Personenplättchen pro Zug einsetzen – danach wird es umgedreht. Er kann dies aber auch nur tun, wenn er nicht schon gepasst hat.
    Nun nehmen alle Spieler ihre Münzen wieder in den eigenen Vorrat zurück.

    3. Dorfbewohner kommen aus der Schule in das Dorf:
    Alle Dorfbewohner kommen aus der Schule in das eigene Dorf und müssen dort in freie Gebäude einziehen. Ist die nicht möglich kommen sie in die Dorfmitte, bis ein Platz frei wird.

    4. Kinder kommen in die Schule:
    Nun stellen alle Spieler ihr „Kinder“ vom in die Schule am Spielplan.

    5. Anpassung der Siegpunkte:
    Jeder Spieler kontrolliert nun seine Siegpunkte und passt seinen Zählstein auf der Siegpunkteleiste entsprechend an.

    6. Neue Gebäude:
    Nun werden 5 neue Gebäude aufgedeckt (zuerst vom „2“er- und dann vom „3“er-Stapel) und offen zu den anderen Gebäude gelegt.

    Danach beginnt eine neue Runde.

    Spielende:
    Das Spiel endet, wenn bei der Anpassung der Siegpunkte ein Spieler 20 oder mehr Siegpunkte erzielt hat. Der Spieler mit den meisten Siegpunkten hat gewonnen – bei einem Gleichstand gewinnt der Spieler mit den meisten wachen Dorfbewohner. Gibt es auch hier einen Gleichstand, gibt es mehrere Gewinner.

    Vereinfachte Variante:
    Es wird ohne Personenplättchen – und nur auf 18 Siegpunkte gespielt.

    Das Spiel für 2 Spieler:
    Folgende Änderungen sind beim Spiel zu zweit zu beachten:
  • ein Startspieler wird zufällig bestimmt und die Startgebäudeplättchen werden wie im Spiel zu dritt vorbereitet und die Startgebäude nach den normalen Regeln verteilt.
  • eine dritte Dorfmitte als neutrales Dorf wird ausgelegt und die Dorfbewohner einer dritten (neutralen) Farbe bereitgelegt. Das neutrale Dorf erhält die übrigen 4 Gebäudeplättchen, so dass von jedem Gebäudetyp genau 2 im Spiel sind.
  • die neutralen Gebäude werden von den Spielern abwechselnd platziert und mit neutralen Dorfbewohnern besetzt.
  • jeder Spieler platziert je 1 Münze in der neutralen Dorfmitte und in der Dorfmitte des Mitspielers. 1 Münze der neutralen Farbe wird neben dem neutralen Dorf bereitgelegt.

    Der grundsätzliche Ablauf des Spiels bleibt gleich, man kann sowohl ins Dorf des Mitspielers bzw. ins neutrale Dorf einheiraten und die eigenen Dorfbewohner dort nutzen.

    Fazit:
    Helvetia ist ein interessantes und durchaus spannendes Aufbau-, Sammel- und Positionsspiel, bei dem man sich von der Anleitung bzw. dem Spielablauf anfänglich nicht abschrecken lassen darf.
    Nach dem ersten Durchlesen der Anleitung scheint es sich um ein sehr kompliziertes und unübersichtliches Spiel zu handeln, aber wenn man einmal ein paar Runden gespielt und sich den Durchblick geholt hat, merkt man sehr schnell, dass das Spiel eigentlich recht einfach und leicht zu spielen ist.

    Sehr schnell erkennt man dann die Zusammenhänge und das Zusammenspiel der einzelnen Aktionen – und das größte Problem besteht dann nur mehr darin, Männer und Frauen auseinander zu halten. Wir haben uns hier an den „Ohren“ orientiert, die bei den Männern ausgeprägter als bei den Frauen sind, wobei die Frauen eher nach „Sträuchern“ aussehen ;-).

    Und nach dem ersten Spiel weiß man dann auch genau auf welche Dinge speziell zu achten sind und welche Vorteile für das Spiel bringen. Dazu gehört z.B. sich rechtzeitig in fremde Dörfer einzuheiraten und eine eigene „Mitgrift“ für weitere eigene Aktionen zu nutzen, oder sein Dorf mit fremder „Mitgift“ attraktiveren zu machen.
    Aber auch rechtzeitig darauf zu schauen, dass es genügend Nachwuchs gibt, ist von Vorteil, da einem sonst recht schnell bei der Produktion von Gütern die Dorfbewohner ausgehen und fehlen.
    Sich in fremde Dörfer einzuheiraten hat aber noch einen wesentlichen weiteren Vorteil, man kommt so an Produktionsgebäude, die man nutzen kann, ohne dass man diese selbst bauen muss.
    Denn nicht immer ist man schnell genug und kann das Gebäude bauen, dass man so gerne hätte. Sei es, weil einem die Güter zum Bau fehlen, oder eben ein Mitspieler schneller war.

    Nutzen kann ich dass alles aber nur, wenn ich immer genügend „wache“ Dorfbewohner – im eigenen oder fremden Dorf – habe. Hier sollte man immer die Übersicht behalten und taktisch agieren, sodass man – wenn man schon den Nachtwächter wählen muss – auch recht viele eigene Dorfbewohner wecken kann. Nicht außer Acht lassen sollte man dabei aber auch, dass alle fremden Dorfbewohner in diesem Viertel ebenfalls aufgeweckt werden müssen.

    Der zweite Punkt, auf den geachtet werden soll, sind die Warenlieferungen. Mit ihnen kommt man an zusätzliche Siegpunkte, bzw. sogar an Sonder-Siegpunkte, wenn man der erste Spieler ist, der ein bestimmtes Gut liefert. Dies ist nicht außer Acht zu lassen – sowie auch die Siegpunkte und zusätzlichen Aktionen, die mit den Personenplättchen verbunden sind.

    All diese Komponenten und Abhängigkeiten machen Helvetia zu dem interessanten und spannenden Spiel, indem die Punkte sich von Runde zu Runde ändern können, bis dann nach ca. 1 bzw. 1½ Stunden der Gewinner feststeht.

    Das Spiel ist dabei für 2 bis 4 Spieler ausgelegt – wobei für das Spiel mit 2 Spielern Sonderregeln gelten und ein neutrales Dorf ins Spiel kommt. Dies funktioniert ebenfalls sehr gut und macht Spaß.

    Das Spielmaterial besteht aus kompakten und sehr schön illustrierten Plättchen aus Karton – und Spielfiguren aus Holz. Leider sind die Männer von den Frauen nicht ganz so einfach zu unterscheiden – hier wären eindeutigere Figuren besser und übersichtlicher gewesen. Alles ist in der für Kosmos üblichen großen Schachtel.

    Die Spielanleitung besteht aus 8 Seiten, auf denen ausführlich und sehr genau der ganze Ablauf sowie auch die einzelnen Gebäude beschrieben werden. Viele Bilder und Beispiele helfen beim Verstehen und lassen – zumindest nach dem ersten Spiel – keine Fragen mehr aufkommen.

    Uns hat Helvetia sehr gut gefallen und schon jede Menge Spaß und Spannung bereitet. Für Messebesucher der Spiel ’11 gab es eine 6. Persönlichkeit zum Auslegen: den Wanderarbeiter aus Österreich. Mit ihm wird es möglich, bereits eingesetzte Dorfbewohner von einem Gebäude auf einer anderes zu versetzen - nähere Informationen dazu gibt es auf BoardGameGeek.
    Da wir leider nicht auf der Messe waren, haben wir ihn uns selbst gebastelt, sodass er nun auch bei uns zum Einsatz kommt …

    Vielen Dank an KOSMOS für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars