Der Schüttelreim ist wahrscheinlich die bekannteste Form des Wortspiels in der deutschen Sprache. Der klassische Reim beruht auf dem Gleichklang eines betonten Vokals und der ihm folgenden Laute, jeweils am Ende einer Zeile. Ein Schüttelreim ist ein Doppelreim, wird also mit zwei Reimen gebildet, wobei zusätzlich verlangt wird, dass die Anfangskonsonanten der letzten beiden betonten Silben miteinander vertauscht werden.
Die hier gesammelten Schüttelreime müssen noch einer weiteren Bedingung genügen: eine Zeile muss mit einem Ferienziel enden! (Etwas Großzügigkeit ist hier schon erlaubt; es ist ja auch Geschmacksfrage, wo man seine Ferien verbringen möchte - viele bleiben einfach zu Hause.)
Niemand kennt den genialen Dichter dieses Vierzeilers, in dem ein
kleiner Ort südlich des Brenners als Reiseziel fungiert:
Ein Wagen fuhr in Gossensaß,
durch a tiefe Soßengass,
Sodass die ganze Gassensoß
Sich über die Insassen goss.
Zuerst eine kurze Szene aus der heimischen Landwirtschaft, die ja heuer (2014) mit dem nassen Sommer ums Heu regelrecht ringen musste:
Es schallt ein Ruf durch Mauerbach:
"Fahr schnell dein Heu ein, Bauer, mach!"
Dem Wald wird der Regen wohl weniger Schaden zugefügt haben. Glatter sind die Bäume damit aber nicht geworden, wie ein Reisender berichtet:
Im schönen Reichenau
sind alle Eichen rau!
Unbedingt sollte die Viehzucht im schönen Land Tirol erwähnt werden; kleine Probleme sind auch hier an der Tagesordnung.
Des Hubers Hochlandrind in Nassereith
erregt beim Nachbarbauern Rassenneid.
So manches Missgeschick passiert, doch es muss nicht immer gleich das Allerschlimmste passieren.
Mit Pech fiel auf den Steiß er: Kein Bruch!
Das war sein Glück in Kaisersteinbruch.
Wechseln wir das Thema, denn die Romantik darf nicht zu kurz kommen.
Mit einem Mägdlein fein aus Fischamend
gar gern sein großes Glück der Mischa fänd'!
Wir wollen dem Mischa von Herzen Erfolg gönnen! Offenbar schon viel weiter im Verlauf ihrer Beziehung ist das folgenden Reim besungene Paar gekommen, wird doch ein Lob hausfraulicher Tugenden zum Ausdruck gebracht:
Zu seinem Männerrock in Rottenmann
lässt sie auf keinen Fall die Motten ran.
Hier ist neben der fast banalen Aussage über die Pflege von Textilien eine zweite Bedeutungsebene unterlegt, die sich dem aufmerksamen Leser über die Assoziationskette "Männerrock" mit der bekräftigend wirkenden Silbe "-mann" in Verbindung mit "heranlassen" von "Motten" erschließt. Selbstverständlich ist "Motte" als Metapher für Mädchen zu verstehen, wie ja auch die richtungsweisende Wortwahl "Rock" (denken wir an Schottenrock!) das Sinngefüge vervollständigt.
Hier folgen ein paar nicht ganz saubere Reime. Sie sind mangelhaft, weil zwei aufeinanderfolgende Silben nicht betont sein können.
Ein Ruf erschallt in Rossatz
"Fall' nicht in die Soß, Ratz!"
Ich sah ihn jüngst in Stockholm
und sag': "Wie du da hockst, Olm!"
Leider gibt's in Imbach
weder Bus noch Bim - ach!
Bevor wir Österreich verlassen, gedenken wir noch rasch der Tierwelt, wobei es hier richtig "schweinisch" zugeht:
Ein Keiler klagt betrübt in Sollenau:
"Wann komm' ich wieder heim zur ollen Sau?"
Im zweiten Abschnitt wagen wir uns ins Ausland, ja sogar auf andere Kontinente. Das Motto lautet:
Auf Fahrt in ferne Länder
man vieles lerne, fänd er.
Auf der Reise nach Westen kehren wir gerne im benachbarten Bayern ein, wobei ein Bier nicht fehlen darf:
Ich sitz' beim Bier in Rosenheim,
wo ich auf Rosen Hosen reim'.
Zunächst die Begründung, warum Bahnfahren immer teurer wird.
Schienen, Räder und Achsen san halt
teuer, net nur in Sachsen-Anhalt.
Und ein kleiner Stimmungsbericht vom Immobilienmarkt:
Nicht nur in Graubünden
Sucht Urs nach Baugründen.
Weiter geht es nach Frankreich, wo der Elsass bei Feinschmeckern bekannt und beliebt ist.
Zum Riesling gab's in Reichenweier
nach Schnacka einen weichen Reiher.
Kennern des Landes wird der deutsche Name von Riquewihr geläufig sein, der elsässische Dialektausdruck für "Schnecken" ist weniger bekannt. - Das Fernweh drängt zum Meer - suchen wir einen Hafen!
Zum Kuchen, wie er schmeckt in Rotterdam,
nimm Mehl mit Butter, Zucker, Dotter, Rahm!
Ja, wirklich. Zurück auf's Schiff und durch den wohlbekannten Kanal ins Mittelmeer, aber auch hier ist nicht alles so, wie es sein soll:
Skandalspital auf Spaniens Balearen:
verschmutzt und abgenutzt sind alle Bahren!
So gestärkt, gelingt auch der Sprung über den großen Teich und in eine ganz andere Gastronomie.
In jedem Honky-tonk in Santa Fe
ich viele volle Flaschen Fanta seh'.
Wenden wir uns nach Süden. Hier passiert in der großen Hitze vieles, was anderswo nicht möglich ist. (Pardon!)
Sie trug beim Marsch zum Popocatepetl
zu Stock und Hut am Popo Pate-Kett'l.
Die Fahrt auf dem Festland endet erst an der Südspitze des Doppelkontinents, erfreulicherweise mit einem prächtigen Erfolg.
Er kam ganz glücklich heim aus Feuerland,
weil dort den allerschönsten Leu er fand.
Wagemutig stechen wir in die Südsee. Was wird uns dort erwarten?
Ich fahr' nicht auf die Weihnachtsinsel
weil ich dort ohne Ei nachts winsel.
Eine Insel, aber kein Ei-Land, sozusagen. Die lange Heimreise bringt uns zunächst nach Afrika, aber das scheint nicht unser wahres Ziel zu sein:
Was hilft mir der Weiße Nil,
wenn ich an die Neiße will?
Nicht immer ist der Reisende an fernen Stränden glücklich, vor allem dort, wo er sich in der Temperatur des Meeres getäuscht hat.
Ich frier' allhier am Weißen Meer:Oft gibt es nach der Rückkehr Diskussionen, wer wohl weiter weg oder höher hinauf gewesen sei.
"Da war ich doch im Himalaya
höher drob'n als du in Lima, ha?" "Ja!"
Die folgenden Reime sind thematisch durch die Wiener U-Bahn verbunden. (Wegen der mangelhaften Political Correctness im ersten Vers wird um Nachsicht gebeten.)
War es nicht am Schottentor
wo man die Hottentotten schor?
Ich traf sie am Schwedenplatz
auf Eis und einen bleden Schwatz.
Gottlob ist es nicht nur Kagran,
wohin ich mit meiner Podagra kann.
Ich führ so gern zur hippen Landstraße,
auch wenn ich Hanna hier am Strand lasse!
Mit Kortschnoi war's, nicht weit von Stadtpark,
wo mir gelang Remis durch Patt - stark!
Wir suchten lang den Weg zum Gasometer,
bis freudig Franz rief: "Ma, so geht er!"
Ich war zum Schlemmen in der Seestadt
und bin noch immer - ich gesteh' - satt!
Es holt sich Egon Eis aus Kaisermühlen
und kann damit den Mais er kühlen.
Eine dem Schüttelreim sehr eng verwandte Form ist der englische Spoonerism, wobei hier aber selten ein kompletter Reim zustande kommt. So kann etwa mit dem bekannten Spoomerism "dear queen - queer dean" ja auch gar kein lupenreiner Doppelreim geschmiedet werden.
Hier folgen zwei Versuche, englische Ortsnamen in ebensolche Reime zu schütteln.
Lorenzo hört es gern in Londonderry,
wenn man ihn freundlich lobt: "Well done, Don Larry!"
Larry ist die englische Kurzform von Laurentius, der in Italien und Spanien Lorenzo heißt. Die Bandbreite der englischen bzw. nordirischen Aussprache des offenen 'o' ist sicher tolerant genug, um subtile Unterschiede auszubügeln.
Die grandiose Einsamkeit der kanadischen Natur beherbergt eine ganz besondere Fauna:
The reindeer roaming round the Hudson Bay
love Santa Claus and feed on buds on hay.
Viele sehen das im folgenden Reim genannte Ziel als das letzte nach allen anderen Zielen an. Daher schließe ich hier mit:
"Kommt ihr mit ins Nirwana?"
"Aber doch nicht wir, na, na!"
Die negative Antwort enttäuscht vielleicht, aber "wir" wollen doch noch ein paar Runden der Wortspielerei hiernieden hinter uns bringen!