ZUSAMMENGEFASSTE WETTERKUNDE FÜR REGATTASEGLER

Auszug aus Tornado-Newsletter Dezember 77  Autor: Volker Kreussler

ALLGEMEINES

Für unsere Wetterkunde in konzentrierter Form wollen wir uns von vornherein klar an die Zielsetzung halten und durch Weglassung alles dessen, was nicht direkt dazu hinführt, eine Beschränkung der zu behandelnden Themen bewußt in Kauf nehmen. Außerdem soll der Stoff möglichst Praxis bezogen behandelt werden - zumindest, wo das möglich ist- und keinesfalls wissenschaftliche Abhandlungen enthalten.
Es sollen also die zum Verständnis notwendigen allgemeinen meteorologischen Grundlagen vermittelt werden und dann soll speziell und ausführlich das den Segler vorrangig interessierende Wetter, nämlich die kleinräumigen bodennahen Windsysteme in unseren geographischen Breiten, in Küstennähe und im Binnenland, eingegangen werden.
Es soll erreicht werden, daß der Segler befähigt wird, die Windsituationen, denen er begegnet, richtig zu beurteilen. Auch wenn die komplizierte konzeptionelle Zuordnung seiner Beobachtungen manchmal nicht von ihm gedeutet werden kann, dann soll der Segler wenigstens verstehen, warum das zu schwierig für ihn - und vielleicht auch für ausgebildete Meteorologen - ist.
Man muß sich stets vor Augen halten, daß die Meteorologie eine beobachtende, weitgehend statistische Wissenschaft ist, deren Ergebnisse und Aussagen oft eher einen beschreibenden als einen erklärenden Charakter haben.
Wer seinen Wissensdurst durch die folgenden Ausführungen nicht gestillt findet - und es würde mich freuen, wenn es möglichst viele von Ihnen wären- der sei auch hier nochmals auf die in breiter Auswahl vorliegenden Fachbücher hingewiesen, deren Studium jedem Regattasegler ein Anliegen sein sollte. Gründliches Verständnis für die seine sportliche Umwelt beherrschenden Windverhältnisse reiht einen Segler nicht automatisch in die Wertspitzenklasse ein; aber es kann das Interesse an seinem Sport erheblich erhöhen, vor möglichen Gefahren bewahren, helfen, ungewöhnliche Chancen zu erkennen und auszunutzen, und es kann ihm das Gefühl geben, im Wind in jeder Situation zu Hause zu sein.
Wetterkunde in diesem Sinne verstanden und angewendet, gehört aber so dringend zum Optimierungsprogramm jedes Leistungsseglers und erst recht jedes Spitzenseglers, daß ich sicher bin, daß sich jeder einzelne von Ihnen schon längst ein grundsätzliches Fachwissen auf diesem Gebiet angeeignet hat, so daß die folgenden Ausführungen für die meisten nur der Wiederholung dienen mögen, während der eine oder andere darin noch einiges Neue zu finden vermag.

GRUNDLAGEN

Die die Erde umgebende Lufthülle wird -bezüglich ihrer Ausdehnung und Eigenschaften- meist mit den Ozeanen unseres Planeten verglichen. Und in der Tat leben wir auf dem Grunde eines gewaltigen Luftmeeres, das die gesamte Erde umgibt und etwa 400 km tief ist. Wir nennen dieses Luftmeer die Atmosphäre. Durch Beobachtungen und Messungen sind verschiedene Schichtungen mit entsprechenden spezifischen Merkmalen in der Atmosphäre festgestellt und
in einer Einteilung festgehalten worden:

Die Troposphäre ist die am Boden beginnende unterste Schicht, die eine mittlere Höhe von 10-11 km hat. In ihr spielt sich das gesamte Wettergeschehen ab. Sie enthält fast 75% der in der Gesamtatmosphäre vorhandenen Luftmasse, da die Luftdichte mit zunehmender Höhe sehr schnell abnimmt und in 5,5 km Höhe der Luftdruck nur mehr halb so groß ist wie am Boden. In der Troposphäre nimmt auch die Temperatur mit der Höhe ab. Außerdem findet sich hier Wasserdampf in gelöster Form in der Luft. Die obere Grenze der Tropsphäre nennt man Tropopause. In unseren Breiten liegt die Tropopause im Winter bei etwa 9 km und im Sommer bei etwa 11,5 km Höhe. Die Temperatur an der Tropopause schwankt entsprechend zwischen –40° C (im Winter) und –60° C (im Sommer). Zum Äquator hin nimmt die Höhe der Tropopause zu, zum Pol hin nimmt sie ab.

Die Stratosphäre beginnt an der Tropopause und reicht bis etwa 50 km Höhe. Sie endet an der Stratopause, die eine Dicke von 10 km hat.

Die Mesosphäre liegt oberhalb der Stratopause und reicht bis etwa 80 km Höhe.

Die Iono - oder Thermosphäre reicht von 80 km bis 400 km Höhe.

Die Exosphäre beginnt ab etwa 400 km Höhe und stellt den eigentlichen Übergang in den Weltraum dar, wenn auch einerseits an ihrer unteren Begrenzung kaum mehr Luft in unserem Sinne vorhanden ist und andererseits der Weltraum nicht völlig leer ist. Die obere Grenze der Exosphäre ist fließend und läßt sich nicht genau angeben.

Soweit die Beschreibung der Lufthülle!

Für die uns interessierende Betrachtung der bodennahen Windsysteme (d. h. wenn wir uns fragen, was denn nun eigentlich den Luftozean in Bewegung setzt, warum er nicht einfach ruhig und leblos daliegt, sondern von der sanften Brise bis zum wütenden Sturm eine ganze Vielfalt von Luftbewegungen hervorbringt) können wir uns auf die Vorgänge in der Troposphäre beschränken.

Wind als horizontale Luftbewegung

wird angeregt und gespeist durch die thermische Energie unserer Sonne. Der Zusammenhang zwischen dieser Energie und dem Wind ist knapp und vereinfacht darstellbar:

Die Sonnenstrahlung erwärmt die Luft nicht direkt. Erst der seinerseits von der Sonne erwärmte Erdboden gibt langwelligere Strahlung wieder ab und erwärmt die Luft von unten her: Die Wärmestrahlen der Sonne rufen nun auf dem Erdball eine unterschiedliche Temperaturverteilung hervor. Die Tropen erhalten mehr Strahlungswärme als die Polargebiete. Ober dem Wüstensand steigt die Temperatur rasch an, während sehr viel Wärme, die auf fetten Ackerboden oder auf Waldgebiete fällt, durch Verdunstung verbraucht wird. Schneeflächen und die Oberseiten von dichten Wolkenschichten reflektieren wesentlich mehr einfallende Wärmestrahlung als sie aufnehmen.

Diese ungleiche Temperaturverteilung führt zu Luftdruckgefällen, da wärmere Luft weniger dicht ist und daher einen geringeren Luftdruck hat, die unmittelbar alle Luftbewegungen auf der Erdoberfläche hervorrufen.

Die Winde ihrerseits beeinflussen durch Wärmetransport oder Wolkenverschiebung mal hier- mal dort in die großräumige Temperaturverteilung. Außerdem ist der gesamte Mechanismus an die Erdrotation gekoppelt (Corioliskraft) und wird beeinflußt durch die Wasserverdunstung bzw. - Kondensation im Luftraum.

Wir sehen, daß schon die großmaßstäblichen Bewegungsabläufe in unserer Atmosphäre Folgeerscheinungen von komplexen ineinandergreifenden Geschehnisabläufen sind, die - selbst, wenn sie schematisch begreif- und darstellbar sind - doch von vielen Unwägbarkeiten abhängen.

Nachdem Luftdruckunterschiede Voraussetzungen für jeden auftretenden Wind sind, empfiehlt es sich, zu versuchen, zunächst hinter das Wesen des Luftdrucks zukommen

Luftdruck ist das Gesamtgewicht einer Luftsäule, die von der Erdoberfläche bis zur Obergrenze der Atmosphäre reicht. Diese Luftsäule übt auf einen Quadratzentimeter einen Druck von etwa einem Kilopond aus (1 kp/cm3 - atmosphärischer- oder barometrischer Druck).

Zu den Hauptaufgaben einer Wetterwarte gehört es, in kurzen Abständen an möglichst vielen Orten ihres Gebietes den Luftdruck aufzuzeigen (Quecksilber-Barometer). Je nach Wetterlage schwankt der Luftdruck (Bodenluftdruck in Meereshöhe) in unseren Breiten zwischen 700 bis 800 mm Quecksilbersäule.

Eine andere übliche Art, den Luftdruck auszudrücken, ist die Verwendung von Millibar (mb) als Maßeinheit ( 1 mb = 1000 dyn/cm2 ). Wir brauchen uns nur zu merken, daß der Bereich 700 - 800 mm Quecksilbersäule etwa dem Bereich 930 bis 1060 mb entspricht. Als festgelegter Norma1druck gilt international 1013,2 mb (760 Hg = Hydrargyrum = Quecksilbersäule). Im europäischen Bereich sind gemessene Luftdrücke von 1057,4 mb bzw. 925,5 mb Extremwerte eines Jahrhunderts.

Sobald Luftdruckmessungen von verschiedenen Orten vorliegen, kann man Druckunterschiede feststellen und örtlich einordnen. Damit ist der zu erwartende Wind bestimmbar. Dazu zeichnen die Wetterwarten Luftdruckkarten, auf denen die Orte gleichen Luftdrucks durch Linien gleichen Luftdruckes = Isobaren miteinander verbunden werden und so ein Bild der Luftdruckverteilung ergeben. Die Isobaren werden immer im gleichen Druckabstand von einander gezeichnet (z. B. 5 mb - Schritte). Daraus ergibt sich:

naher Isobaren-Abstand = starker Druckunterschied
weiter Isobarenabstand = schwacher Druckunterschied

In der Praxis entstehen bei der Aufzeichnung von Luftdruckkarten immer Druckberge = Hochs (auch Antizyklonen genannt) und Drucktäler = Tiefs (Depressionen), vergleichbar dem Muster einer Geländekarte mit Höhenlinien in einer bergigen Gegend. Es fehlen auch Seitentäler (TIEFAUSLÄUFER) und Höhenrücken (HOCHDRUCKRÜCKEN) ebensowenig wie "steile" und "flache" Hänge (Abb. 1).


Bild: Abb. 1 Schema einer Luftdruckkarte

Abb. 2 Schema der Druckverteilung

Die Abmessungen sind allerdings von einer anderen Größenordnung. Wenn auch genaue Ausmaße nur schwer angegeben werden können, so kann man doch sagen, daß Durchmesser von 800 - 1500 km für ein einzelnes Hoch oder Tief den Normalfall darstellen, während Antizyklonen oder Depressionen von unter 500 km Durchmesser als ausgesprochen klein gelten.

Noch einige allgemeine Bemerkungen zu dem Verhalten von Hochs und Tiefs

In den meisten Wetterämtern werden bei Tag und bei Nacht in regelmäßigen Zeitabständen Luftdruckkarten gezeichnet, und zwar meist um 00, 06, 12 und 18 Uhr Greenwich Mean Time (GMT}. Bei der Betrachtung einer Folge solcher Karten erkennt man, daß Tiefs sich mit der Zeit nicht nur auffül1en und Hochs sieht nicht nur abbauen , sondern daß diese Gebilde auch ihren eigenen Standort verändern; sie ziehen mit wechselnden Geschwindigkeiten und Richtungen über Land und Meer.

Zuggeschwindigkeiten von 35 - 55 km/h für Tiefdruckgebiete sind in unseren Breiten normal. Kleine, sich entwickelnde Tiefs erreichen Geschwindigkeiten von 110 - 150 km/h, während alte, sich auffüllende Tiefs nur noch langsam ziehen. Die Zugrichtung der Tiefs ist unterschiedlich, geht jedoch fast überall auf der Erde überwiegend von West nach Ost.

Die Antizyklonen verändern im Gegensatz zu den Tiefdrucksystemen ihre Standorte nur zögernd. Wenn es auch schon einmal vorkommt, daß ein Hoch ziemlich schnell zieht, sind Hochs doch grundsätzlich träge und gelegentlich ziellos in ihren Bewegungen. In einigen Gegenden der Erde halten sie sich so beharrlich, daß man sie nach der geographischen Lage benennt (Azoren).

Wir haben von einem Wandern der Hochs und Tiefs gesprochen, obwohl man sich diese Bewegung nicht so vorstellen soll, als bewege sich ein bestimmter Gegenstand von Ort zu Ort. Die Bewegung von Drucksystemen ähnelt vielmehr der Wellenbewegung auf einer Wasseroberfläche (der berühmte Korken tanzt auf und ab). Wenn also ein Tief ostwärts wandert, heißt das nicht, daß die darin befindliche Luft ostwärts strömt und als Wind empfunden werden kann.

Um die wahre Luftbewegung zu bestimmen, müssen wir auf das Luftdruckgefälle achten.

Winde entsteht dadurch, daß Luftteilchen dem Luftdruckgefälle folgend quer zu den Isobaren die gedachten Hänge unseres Druckreliefs vom Hoch zum Tief hinab strömen, wie in einer gleichartigen realen Berglandschaft Wasser vom Berg ins Tal fließen würde; je steiler der Hang, desto schneller die Strömung. Ebenso verhält es sich bei unserer Luftströmung: je größer der
Druck - Gradient , d.h. die Luftdruckänderung quer zu den Isobaren auf 100 km, desto größer die Windgeschwindigkeit.

Für die Praxis brauchen wir den Druckgradienten nicht in Zahlen anzugeben; es genügt, wenn wir ihn als schwach bezeichnen, wenn der Abstand zwischen den Isobaren groß ist, oder als stark, wenn die Isobaren eng bei einander liegen (Abb. 1) '

Leider ist damit noch nicht alles über die Entstehung des Windes gesagt und die Sache verkompliziert sich im folgenden noch erheblich; und zwar zunächst noch durch das Auftreten der geostrophischen Kraft. Die Erde dreht sich und infolge dieser Rotation ist jede Luftbewegung auf der Erdoberfläche einer Kraft unterworfen, die auf eine Kursabweichung hin wirkt. Wir wollen hier auf einen mathematischen Beweis verzichten und einen einfachen Vergleich heranziehen, der uns wenigstens eine Vorstellung von der Wirkung der Erddrehung vermitteln kann, wenngleich auch die zu klärenden Phänomene nicht ohne weiteres aus diesem oder aus anderen Vergleichen abgeleitet werden können.

Nehmen wir einfach an, ein Mann wolle einen Stein von Kassel nach Flensburg werfen, also direkt nach Norden. Er nimmt Anlauf und wirft genau in Richtung Nord. Aber er berücksichtigt nicht, daß die Erddrehung ihm - und allen Dingen ringsum- in 51°N (geographische Breite von Kassel) eine Geschwindigkeit von etwa 1050 km/h in östlicher Richtung verleiht. Sogar der Stein hat diese Geschwindigkeit, wenn er nach Norden los fliegt. Flensburg, auf 55oN, hat jedoch nur eine östliche Geschwindigkeit von etwa 955 km/h (die Bahngeschwindigkeit von Orten höherer Breite ist wegen des geringeren Abstandes von der Erdachse geringer als diejenigen von Orten geringerer Breite).
Wegen der ihm vom Abflugsort her innewohnenden höheren West-Ost-Komponente eilt der Stein auf seiner Flugbahn nach Norden der West-Ost-Bewegung von Flensburg voraus und fällt weit ostwärts der Stadt in die Ostsee.

Unser Steinwerfer beschuldigt daraufhin eine mysteriöse "Kraft", sie habe den Stein von der beabsichtigten Wurfbahn abgelenkt. Die Drehbewegung der Erde wirkt sich tatsächlich wie eine echte Kraft aus, so daß man von ihr als der geostrophischen Kraft spricht, die -ob man es nun glaubt oder nicht - drei deutliche Eigenschaften besitzt:
- sie wirkt nördlich des Äquators immer rechtwinklig nach rechts auf bewegte Luft (südlich des Äquators nach links), (Abb. 3a).
- ihre Stärke ist proportional zu der Strömungsgeschwindigkeit der Luft (Abb. 3 b)
- ihre Stärke ist proportional zur geographischen Breite ( O°N / G = 0 ; 90°N / G = max )

Abb. 3a Abb. 3b

Entsprechend bestimmt die geostrophische Kraft (Coriolis-Kraft) zusammen mit den aus den atmosphärischen Druckgradienten entstehenden Kräften (Druckkraft) die Luftmassenbewegung in den gemäßigten und polaren Breiten - also auch bei uns.

Der geostrophische Wind ist das Resultat des Zusammenwirkens beider Kräfte. Eine ursprünglich ruhende kleine Luftmenge zwischen zwei Isobaren soll uns die Mechanik vor Augen führen:

Die Druckkraft P beginnt, das Luftteilchen zwischen den Isobaren vom hohen zum tiefen Druck zu verschieben. Sofort wird die geostrophische Kraft G rechtwinklig dazu nach rechts wirksam und führt eine Ablenkung herbei. Das Luftteilchen wird sich in einer Richtung bewegen, die irgendwo zwischen den Richtungen der beiden Kräfte liegt. (Abb. 4)


Abb. 4

Die Geschwindigkeit der Luftmenge hat zugenommen, woraufhin auch die geostrophische Kraft zunimmt, die nun rechtwinklig zur Strecke ABCDE.... wirkt und das Luftteilchen noch weiter nach rechts ablenkt. Dies geht so lange weiter, bis die Luftbewegung parallel zu den Isobaren verläuft, was erreicht wird, wenn durch entsprechend hohe Windgeschwindigkeit ein Gleichgewicht zwischen der Druckkraft P und entgegengesetzter geostrophischer Kraft G eintritt. (Abb. 4 G)

Ändert sich danach die Windrichtung oder -geschwindigkeit, wird sich die geostrophische Kraft automatisch anpassen, um die Gleichgewichtsströmung, d.h. den geostrophischen Wind wiederherzustellen.

Die geostrophische Windstärke, die zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts nötig ist, wird bestimmt durch die Steilheit des Druckgefälles (Stärke des Druckgradienten). Ist der Druckgradient doppelt so groß, d.h. hat sich die Druckkraft verzweifacht, muß zum Ausgleich auch die Gorioliskraft verdoppelt werden. Das wird erreicht, sobald die Windgeschwindigkeit sich ebenfalls verdoppelt hat. (Abb. 5)


Abb. 5

Wir folgern: Der Druckgradient und die geostrophische Kraft (Corioliskraft) rufen.Winde hervor, ie parallel zu den Isobaren mit Geschwindigkeiten wehen, die den Druckgradienten entsprechen. Das ist das Gesetz des geostrophischen Windes.

Auch mit diesen Betrachtungen haben wir die Einflußgrößen, die die Entstehung des Windes beeinflussen, noch nicht vollständig erfaßt. Es werden - zum Teil erhebliche- Abweichungen vom geostrophischen Wind hervorgerufen.

ABWEICHUNGEN VOM GEOSTROPHISCHEN WIND

entstehen zum Beispiel durch den Thermischen Wind, den wir kurz betrachten wollen. Wärmere Luft hat eine größere Ausdehnung als kalte Luft. Wenn wir uns nun zwei benachbarte Luftmassen gleichen Gewichts, aber unterschiedlicher Temperatur vorstellen, dann sehen wir, daß sie am Erdboden den gleichen Druck hervor rufen, aber 4vegen ihrer unterschiedlichen Temperatur nicht die gleiche Höhe haben. Die Luftmasse mit kalter, dichter Luft ist niedriger als die wärmere Luftmasse. Daraus ergibt sich, daß mit zunehmender Höhe ein zunehmender Druckunterschied zwischen den Luftmassen in den verschiedenen Höhenstufen feststellbar wird. (Abb. 6)


Abb. 6

Ein Druckgefälle erzeugt Wind. Demzufolge muß in unserer Abbildung 6 (Druckgefälle von rechts nach links) ein Wind wehen, der senkrecht in die Bildebene hinein gerichtet ist (Nordhalbkugel). Der solchermaßen thermisch bedingte, d.h. allein durch die horizontale Temperaturanordnung sich ergebende Wind wird Thermischer Wind genannt.

In der bodennahen Luftschicht kann es keinen thermischen Wind geben, weil der temperaturbedingte Dichteunterschied der Luftmassen erst mit zunehmender Höhe wirksam wird. Die Höhenwinde an Luftmassengrenzen (Fronten) sind jedoch häufig bestimmt durch die Überlagerung des geostrophischen Windes durch den thermischen Wind. Da uns die Höhenwindsysteme aber nur der Vollständigkeit halber interessieren, dürfen wir das Thema hiermit verlassen.

Druckänderungen gehen gewöhnlich langsam vor sich (P <= 0,5 mb / Std.) und bei den meisten metereologischen Vorgängen wird ein Druckabfall von 3 mb/Std bereits als stark angesehen. Obwohl diese Druckänderungen gering sind, würden sie nicht erfolgen, wenn die Luftströmungen genau geostrophisch wären.

Wäre in einer Druckverteilung – wie in Abb. 5- der Wind genau geostrophisch, würde die Luft über die Linie AB mit der halben Geschwindigkeit einfließen, wie sie über CD ausfließt (Isobarenabstand halbiert). Da sich aber die Öffnungen von Zufluß und Abfluß umgekehrt wie die Geschwindigkeiten verhalten, bleibt die im Raum ABCD enthaltene Luftmenge konstant.
Ist dieses Gleichgewicht in allen Höhen gegeben, bleibt der Bodenluftdruck ebenfalls konstant.
Weil die ablenkende Kraft der Erdrotation sich mit der geographischen Breite und mit der Temperatur ändert, können in einer geostrophischen Strömung, die nordwärts oder südwärts gerichtet ist, oder die sich erwärmt oder abkühlt, Druckänderungen hervorgerufen werden.
Zur Erklärung der allgemein beobachteten Druckänderungen muß angenommen werden, daß großräumige 4dindsysteme oftmals nicht genau geostrophisch sind. (Schon geringe Abweichungen genügen zur Hervorbringung beachtlicher Druckänderungen. Im Falle der Abb. 5 braucht die Windgeschwindigkeit bei CD nur von angenommenen 40 Kts auf 41 Kts in allen Höhen anzusteigen, um den Bodendruck im gesamten Gebiet ABCD um mehr als 3 mb/Std fallen zu lassen.
Eine kleine, aber trotzdem deutliche Kraft ist die Zyklostrophische Kraft.
Man stellt sie sich am besten vor als Zentrifugalkraft, die wirksam wird, wenn Luft zwischen gekrümmt verlaufenden Isobaren dahin strömt. Eine Gleichgewichtsströmung zwischen den Isobaren ist z.B. in Abbildung 7 (zyklonale Krümmung) nur bei einer Windgeschvrindigkeit möglich, deren Druckkraft P von der Summe aus geostrophischer Kraft G und zyklostrophischer Kraft C ausgeglichen wird. Die erforderliche geostrophische Kraft ist demnach geringer als bei geraden Isobaren gleichen Abstandes, und die Windgeschwindigkeit ist bei zyklonaler Krümmung etwas geringer als die geostrophische Windgeschwindigkeit.
Auf ähnliche Weise (Abb. 7a) kann man zeigen, daß die Windgeschwindigkeit bei Strömung zwischen antizyklonal gekrümmten Isobaren die geostrophische Windgeschwindigkeit etwas überschreitet, obwohl diese Wirkung in der Nähe von Hochdruckzentren (schwacher Gradient) normalerweise kaum zu bemerken ist.

Abb. 7a   Abb. 7b
Fließt Luft auf einem Weg mit veränderlicher Krümmung, so verlangsamt sie sich unter dem Einfluß der zyklostrophischen Kraft, wenn sie in ein Gebiet mit zyklonaler Krümmung kommt (Abb. 7) und vergrößert ihre Geschwindigkeit in Gebieten mit antizyklonaler Krümmung (Abb. 7a). Der unter Berücksichtigung der zyklostrophischen Kraft, der Druckkraft und der geostrophischen Kraft berechnete Wind heißt Gradientwind. Er kommt der wahren Windgeschwindigkeit näher als der geostrophische Wind.

Eine andere kleine, aber bemerkenswerte Kraft, die zur Abweichung des bodennahen Windes vom geostrophischen Wind führt, rührt von der Turbulenz in Bodennähe her. Diese Turbulenz (bei schwachen Winden leichte Luftunruhe bis etwa 100 m Höhe, bei starken Winden kräftige Wirbelbildung bis 1000 oder 1500 m Höhe) ist nichts weiter als eine Reibungskraft, die die Luftströmung zurückhält oder bremst und die bodennahen Winde hindert, ihre volle geostrophische Geschwindigkeit anzunehmen.

Da auch die geostrophische Kraft nur entsprechend geringer sein kann, reicht sie nicht aus, um die Luftströmung ganz parallel zu den Isobaren auszurichten. Der Bodenwind weht daher immer in einem deutlichen Winkel zum Verlauf der Isobaren. Er weht mehr quer zu den Isobaren zum tiefen Druck hin. Mit zunehmender Höhe geht der Wind immer mehr in den geostrophischen Wind über, den er an der oberen Grenze der Turbulenzschicht ganz erreicht.

Der Bodenwind wird in freiem Gelände in 10 m Nöhe (Tornadomast) gemessen. Seine Richtung ist häufig bis zu 30° gegen die Richtung des geostrophischen Windes zurückgedreht, seine Stärke beträgt etwa 2/3 der geostrophischen Windstärke. Unterhalb von 10 m Höhe ist der Wind häufig durch kleine Hindernisse oder Besonderheiten des Bodens derart gestört, daß er nicht als repräsentativ für die allgemeine Luftströmung der Gegend angesehen werden kann.

Windgeschwindigkeitsänderungen: Sobald der Druckgradient sich ändert, wird der geostrophische Wind sich ebenfalls ändern. Er wird jedoch etwas nachhängen, bis er seinen neuen Gleichgewichtswert erreicht hat. Das vorübergehend fehlende Kräftegleichgewicht gestattet der Luft, sich etwas über die Isobaren hinweg zu bewegen zum hohen Druck - wenn Druckgradient abgeschwächt- oder zum tiefen Druck - wenn Druckgradient verstärkt.
Diese Gleichgewichtsschwankungen können unter entsprechenden Bedingungen sehr lange (mehrere Stunden) anhalten.
Bei den meisten Wetterlagen ist es sehr schwierig, die kombinierte Wirkung der eben besprochenen Nebenkräfte zu berechnen oder zu messen. Die Gesamtwirkung besteht gewöhnlich in einem Luftmassengewinn einiger Gebiete und in einem Luftmassenverlust anderer Räume. Solcher Klassengewinn wird meist mit Konvergenz und der Massenverlust mit Divergenz bezeichnet. Konvergenz oder Divergenz in der Atmosphäre muß nicht unbedingt mit kon - oder divergierenden Isobaren verbunden sein. Um Mißverständnissen vorzubeugen, nennt man die entsprechenden Isobarenanordnungen (Strömungsanordnungen) konfluent bzw. difluent. (Abb. 8)


Abb. 8