Erklärung von Heinz Blaha und Gerold Wallner zu ihrem Ausscheiden aus der Redaktion der „Streifzüge“

 

Die Redaktion der Zeitschrift „Streifzüge“ hat zwei Mitglieder verloren: Im Impressum der letzten Ausgabe scheinen wir, Heinz Blaha und Gerold Wallner, nicht mehr auf. Dies wäre in einem herkömmlichen Periodikum keiner Erwähnung wert und es erregt ja höchstens der Wechsel in der Chefetage bürgerlicher Blätter ein gewisses Aufsehen. So hat denn die Redaktion, die (zugleich) auch aus den Mitgliedern des Leitungsorgans des Medieninhabers besteht, kein Aufhebens um unser Ausscheiden gemacht, gerade so, als hätten wir es uns verbessern können oder schlicht die Lust verloren. Zwar ist beides der Fall, aber das ist eine längere Geschichte, wie so vieles in der Welt.

 

Tatsache ist, dass unser Ausscheiden einer mäßig bis gar nicht geführten inhaltlichen Diskussion geschuldet ist.

 

Es wird dem aufmerksamen Publikum nicht entgangen sein, dass seit April dieses Jahres die „Streifzüge“ in neuem Gewand erschienen sind. Unserer Ansicht nach stammt diese Garderobe aus derselben Schneiderei, die für des Kaisers neue Kleider zuständig war, und nackt sehen dann alle gleich aus. Wir haben diese Gefahr, dass die „Streifzüge“ zu einem verwechselbaren Produkt in den Markthallen werden, wohl im Voraus geahnt; was uns an den „Streifzügen“ gefallen hat, war eben ihre äußere Kargheit, die auf eine inhaltliche Dichte hinzuweisen angetan war. Die Umstellung auf Gefälligkeit in Form und Inhalt, vom angepassten Layout bis hin zu Glossen, Kommentarformaten und Kolumnen über Popkultur, war aber gleichzeitig mit einer angebahnten vertieften Kooperation mit dem Periodikum „krisis“ verbunden. Franz Schandl, der Redakteur beider Organe ist, argumentierte einerseits mit vermehrten Synergieeffekten, andrerseits mit dem Vollzug einer Arbeitsteilung, im Zuge dieser die „krisis“ für die Theorie, „Streifzüge“ dann für Glossen, kürzere Aufsätze und Ähnliches zuständig sei (s.: http://www.krisis.org/editorial_krisis28_2004.html). Wie weit dieses Vorhaben gediehen ist, kann nun gesehen werden, und ein jedes kann sich selbst ein Bild machen.

 

Im Diskussionsprozess um diese Umstellung wurde aber von unserer Seite zur Debatte gestellt, dass zu diesem Zeitpunkt das Projekt „krisis“ von persönlichen Zerwürfnissen geprägt war, die ihre Auswirkung auf die Theoriebildung hatten. Ebenso hatten sie ihren Grund in der Theoriebildung; Roswitha Scholz’ Arbeiten zur Abspaltung wurden in ihrer Dynamik und Konsequenz nie wirklich begriffen; eine Weiterführung ihrer Arbeiten dazu ist aber höchst aktuell. Als Robert Kurz in Konsequenz aus der Wertabspaltungstheorie zu einer Kritik des bürgerlichen Subjekts schritt – auch dies in seinen Auswirkungen im „krisis“-Zusammenhang noch nicht vollständig begriffen –, kam es zu Versuchen, das Erscheinen eines Artikels, der in diesem Zusammenhang das Gesamtparadigma Aufklärung höchst kritisch, ja ikonoklastisch beleuchtete, zu hintertreiben. So weit aber diese Zerwürfnisse, die zu einer inhaltlichen Stagnation zu führen drohten, nicht ausgeräumt waren, war für uns eine vertiefte Zusammenarbeit mit „krisis“ zwar nicht undenkbar, aber doch von inhaltlichen Klärungen abhängig. Mit einem zerstrittenen Haufen, der sich über die weitere Entwicklung des eigenen Projekts nicht klar war, würde doch ein Zusammengehen eher hemmend wirken.

 

Unberührt von diesen Einwürfen wurde das Projekt „Streifzüge – neu“ durchgezogen. Etwa zeitgleich kam es in der „krisis“ zur Klärung der Differenzen, indem die persönlichen Zerwürfnisse, die einer verschiedenen Orientierung über inhaltliches Weitertreiben der Theoriebildung und über gesellschaftliche Praxis geschuldet waren, zum Anlass genommen wurden; was in einer schon verweigerten Diskussion an gegenseitigen Vorwürfen gemacht worden war, wurde nun einseitig einem Einzigen in die Schuhe geschoben. Er wurde von jenen, die heute als „krisis“ firmieren wollen, als „nicht gremienfähig“ bezeichnet (wobei dies – bei Licht betrachtet – für linke Leute ebenso wenig ein Vorwurf sein sollte wie etwa „vaterlandsloser Geselle“) und ein administratives Szenario wurde, gut vorbereitet, aber mit zweifelhaften Mitteln, abgerollt. Robert Kurz sollte gezwungen werden, sich aus der Redaktion zurückzuziehen, zwar weiter seine Artikel in der „krisis“ publizieren, aber sich jeder inhaltlichen und organisatorischen Mitsprache enthalten. Als Ergebnis dieser Zumutung kam es zum crash, der ausführlich dokumentiert wurde (s. zum Beispiel: http://www.giga.or.at/others/krisis/erklaerung_krisisspaltung.html, aber auch: http://www.exit-online.org/html/aktuelles.php, Aktuelles – Zur Spaltung der Krisis).

 

Dies hatte seine Rückwirkungen auf die Situation in Wien. Durch die Verschränkung von „krisis“ und „Streifzüge“, einerseits durch die Person Franz Schandls, der in beiden Organen tätig und an der so genannten Klärung federführend beteiligt war, andrerseits durch das auf die Schiene gesetzte Projekt einer Engführung von „krisis“ und „Streifzüge“, war die Redaktion zu einer Stellungnahme gezwungen. Diese fiel so aus, dass unhinterfragt das Vorgehen Schandls, wenn nicht ohnehin gebilligt, so doch jeden Falls akzeptiert und abgesegnet und nicht zur Debatte gestellt wurde. Wir reagierten darauf mit einem zunächst informellen schleichenden Rückzug, während dessen wir unsere Position überprüften. Es war uns schnell klar, dass wir den Schritt der nunmehrigen „krisis“-Gruppe nicht akzeptieren und mittragen würden. Wir erklärten unseren Austritt aus der „Streifzüge“-Redaktion und schlossen uns dem Projekt „Exit!“ an, das von der Mehrheit der ehemaligen „krisis“-Redaktion initiiert wurde.

 

So weit so schlecht.

 

Es war nicht unser Anliegen, diesen Schritt öffentlich zu machen; wir hatten uns aus der Redaktion verzogen wie ein Furz im Wald.  Wir wollten keine Schmutzwäsche waschen. Das Erscheinen von „Streifzüge“ 32 hat aber dazu beigetragen uns auf die Sprünge zu helfen. War unsere Absicht gewesen, nicht öffentlich unsere Wunden zu lecken oder neue zu schlagen, so zeigte uns die letzte Nummer der „Streifzüge“, wie sehr dies vergebene Liebesmüh’ war. In seinem Beitrag „Denunziation!“ geht Franz Schandl auf die Vorfälle, an denen er beteiligt war und die er mitgestaltet hat, ein, freilich ohne sie beim Namen zu nennen. Er bezichtigt der Denunziation, nein, er warnt vor Denunziation, nein, nicht einmal das, er beschreibt Denunziation in dem ihm recht eigentlichen Stil: „Denunziation meint Substantivierung“ (was immer das in diesem Zusammenhang meinen mag) „hin zu einem Unterschied ums Ganze. Diese Differenz wird zum elementaren Ereignis aufgeblasen, meint Sein oder Nichtsein. Die Verwandtschaft zum Inklusions- und Exklusionsprinzip der Konkurrenz ist unverkennbar. Denunziation inszeniert Entwürdigung, die ja nichts anderes darstellt als eine ideelle Entwertung. Es geht um soziale Kontrolle eines gesellschaftlichen Feldes, auch wenn es sich nur um ein Szenesegment handelt: Hier bestimmen wir!“

 

Das schreibt er also und unsere erste Vermutung war die, dass es sich um eine etwas ausführlicher geratene Vorstellung des Autors selbst handeln dürfte, mit einer verklausulierten, abrisshaften Angabe seiner Motivlage im „krisis“-Konflikt, seiner Haltung gegenüber Robert Kurz und GenossInnen. Erst später wird klar, dass hier der Rufer in der Wüste zu uns spricht: „Die verkappte bürgerliche Form des Stalinismus steckt der Linken immer noch in den Knochen. Auch wenn er politisch tot ist, lebt er in den Psychen fort. Er tradiert sich, will nicht vergehen. Wer da meint, ganz frei davon zu sein, lügt. Aber doch ist es ein Unterschied, ob man sich dieser Disposition stellt oder sich ihr unterstellt, also hingibt, und den Kampf nach der Zahl der ausgeteilten Schläge und geführten Schlachten, nicht aber nach den ausgelösten Denk- und Handlungsprozessen beurteilt.“

 

Schreibt er und ist außerdem noch persönlich betroffen: „Ob das nun die ungustiösen Vorgänge in der KPÖ sind, das antideutsche Syndrom in der deutschsprachigen Linken, die blindwütige Ignoranz des Antiimperialismus oder der Crash in der Krisis-Gruppe, sie haben eines gemeinsam: Kommunikation findet in einer Form statt, die die Individuen nicht fördert, sondern geradezu durchstreicht. Man lese diverse Tiraden, insofern man den Nerv dafür hat.“

 

Schreibt er und wie der Schelm denkt, so ist er: „‚Wie du mir, so ich dir‘, schreit das bürgerliche Konkurrenzsubjekt, denn Gleiches muss mit Gleichem vergolten werden. Und es ist manchmal sehr schwierig, dieser Versuchung zu widerstehen. Demut wäre indes des Öfteren angebracht, wo vorschnell zur Demütigung gegriffen wird.“

 

Schreibt er und lässt sich sekundieren. „Warum nichts mehr geht ...“ heißt der hilfreiche Beitrag, in dem wir unter dem Zwischentitel „Die Pathologie der Gesellschaft betrifft auch ihre KritikerInnen“ lesen: „Diese“ (die bürgerliche) „Lebensweise ist hochgradig pathogen. Psychische Gesundheit lässt sich nur noch als das durchschnittliche, einigermaßen stabile und daher unauffällige Maß an Krankheit definieren. ... Die krankhafte Verfassung der Individuen wird jedoch meist ignoriert, ja als Tabu behandelt. Jemandes ‚ausrastendes‘ Verhalten zu ‚pathologisieren‘ (aus seinem Leiden, seiner Krankheit zu erklären, an der so gut wie jede/r teilhat) gilt nicht als nahe liegend, sondern ist verpönt. ... Dies gilt freilich keineswegs nur für unreflektiert dahinlebende ZeitgenossInnen, sondern auch für GesellschaftskritikerInnen. Dass auch das eigene alltägliche Verhalten, die eigene kranke Seele zum Gegenstand der Erkenntnis und Kritik zu machen wäre, wird meist als Psychologisiererei verachtet oder liegt von vornherein im blinden Fleck der eigenen Wahrnehmung. ... Die Folgen sind so banal wie destruktiv: Geltungsdrang und Eifersucht, Hackordnung nach Hoch- und Minderleistern, Autoritätshörigkeit, Verletzung und Ranküne, Gezänk und Mobbing usw. Die verheerenden Verarbeitungsformen der wertgesellschaftlichen Realität und ihres wachsenden Drucks, werden auch bei und von Menschen, die ansonsten um ein sehr hohes Reflexionsniveau bemüht sind, als ‚Privatproblem‘ und ‚spezieller Fall‘ betrachtet und entsprechend der Leistungshierarchie gegen Hochleistungen aufgerechnet (wenn nicht gar als neuester Geniestreich angenommen) oder aber als Bestätigung der Minderleistung betrachtet. Dass dieser flächendeckende Zustand kaum thematisiert, geschweige denn behandelt wird, erschwert die Formierung von geistigem und praktischem Widerstand gegen die Zumutungen, ja oft schon dessen adäquate Formulierung ungemein, wenn es sie nicht schon im Ansatz vereitelt.“

 

Also die Sache ist klar, wenn wir uns diese Diagnose in geläufiges Deutsch übersetzen. Pathologisieren bedeutet nun nicht, jemanden krank zu reden, krank zu machen, als krank zu bezeichnen, es bedeutet, die unhintergehbaren gesellschaftlichen Verhältnisse an einer Person als Krankheit zu entdecken und sie darauf anzusprechen. Blöd ist halt nur, wenn diese Person partout nicht darauf hören will, vielleicht sogar mit dem Hinweis darauf, dass es eben allgemeine Verhältnisse wären, die für jene, die die Krankengeschichte vorlegen, genauso gelten, von ihnen aber instrumentalisiert würden dergestalt, dass aus dem Allgemeinen der Einzelfall eines Uneinsichtigen konstruiert wird, was das Krankheitsbild nur bestätigt. Kennen wir dies nicht aus den Kommunikationsseminaren, die uns unser Berufsleben noch verschärfen? Was als Ergebnis Anpassung und Mitläufertum hervorbringen soll, wird mit oder ohne Beipackzettel als therapeutische Chance verkauft.

 

Ein schönes Stück Betriebspsychologie wird hier ausgebreitet: Da wird der aufmüpfige und unangepasste, besserwisserische Prokurist auf Erholungsurlaub geschickt und wenn er zurückkommt, ist sein Posten neu besetzt. Für ihn wird sich schon was finden, wo er sich nicht so echauffieren muss und sein Leidensdruck gemildert wird. Ob er mit seiner Kritik an der Unternehmensleitung vielleicht sogar recht gehabt hat, steht nicht zur Debatte. Hauptsache, er war krank und ist jetzt wieder hergestellt. Unn wat dem een sin uul, is dem annern sin nachtigal. Der eine verwahrt sich gegen Denunziation und der andere beschreibt vorher, welche Argumente und ihre Anwendungen vom geneigten Publikum als Denunziation zu verstehen seien. Der eine schreibt von Moral und korrektem Verhalten, der andere von Objektivität. Der Moralische will, dass alle gut zueinander sind, der Objektive weiß, dass wir alle krank sind. Der Moralische will, dass wir alle wieder gesund werden, der Objektive weiß, dass wir dazu das „ausrastende Verhalten“ aneinander „pathologisieren“ müssen – und beide meinen, streeeng solidarisch natürlich.

 

Wir hatten und haben vor, uns auf unsere inhaltlichen Diskussionen (als Mitglieder von „Exit!“) zu beschränken und nur diese publik zu machen in der kleinen Öffentlichkeit einer (wertabspaltungs-)kritischen Szene in Wien. Was „Streifzüge“ tun und lassen, berührt uns nur am Rande. Unsäglich ist aber die Art, in der sie mit einem Konflikt umgehen, den sie selbst vom Zaun gebrochen haben, als selbstproklamierter Partner und Verbündeter derer, die nun „krisis“ ausschlachten und deren Nachlass erbberechtigt verwalten wollen. Da unser Ausscheiden mit diesem Konflikt ursächlich zusammenhängt, dieser Konflikt nun als objektive Notwendigkeit gegen ein krankhaftes, krankes und krank machendes Verhalten von Kurz et al. an das geneigte Publikum heran getragen wird, brechen wir unser Schweigen: Unser Ausscheiden hat nicht die Gründe, dass ein übermächtiger, alles beherrschender, sich in Schimpftiraden voll unziemlicher ausrastender Unhöflichkeit ergehender Größenwahnsinniger die Arbeit durch Gremienunfähigkeit lähmt. Das ist in Wien nie vorgekommen. Der Grund unseres Ausscheidens liegt in der Verkleisterung der inhaltlichen Differenzen, die im „krisis“-Zusammenhang aufgebrochen waren, einer Verkleisterung, die durch das Projekt „Streifzüge – neu“ zementiert wurde und einer Beteiligung am administrativen Vorgehen gegen die Redaktionsmehrheit von „krisis“ Vorschub leistete.

 

Und nun wird dieser Konflikt dargestellt, als wüssten die Beteiligten nicht, wie ihnen geschah. In der zitierten Erklärung (http://www.giga.or.at/others/krisis/erklaerung_krisisspaltung.html) stellt die „krisis“-Redaktion, darunter auch Franz Schandl, fest: „Am 3.4.2004 stiegen Robert Kurz, Roswitha Scholz und einige ihrer AnhängerInnen aus dem Projekt Krisis aus.“ In den neu erschienenen „Streifzügen“ wird über das Ereignis aber so geschrieben, als wäre es in weiter Ferne vonstatten gegangen und hätte in Wien keine Spuren hinterlassen. Wenn schon das Aussteigen nicht als Hinausdrängen kenntlich gemacht wurde, wenn schon nicht die Empörung, sondern schiere Gefolgschaft dafür verantwortlich dargestellt wird, dass Kurz und Scholz nicht allein die „krisis“ verlassen mussten, die anderen aber auch einer namentlichen Erwähnung nicht für wert befunden wurden, wohl weil dann klar würde, welchen Qualitätsverlust sich der übrig gebliebene Haufe einhandelte, so wird, um gänzlich den Mantel der traurigen Schicksalhaftigkeit über dieser Angelegenheit mit Vernunft und Objektivität zu lüften, in Wien dies alles so dargestellt, als hätte da eins den Stein der Weisen gefunden und wüsste nun, wie Leute miteinander umzugehen hätten. Und halten die sich dann nicht an die luziden Ausführungen, aus denen wir zitiert haben, beweist und belegt dies doch nur das an ihnen konstatierte Krankheitsbild.

                              

Wir hätten diese Erklärung nicht abgegeben, wenn „Streifzüge“ sich auf seine ihm zukommende Journalistik beschränkt hätte – Arbeitskritik und Feuilleton. Wenn aber in Moralpredigten der Betroffenheit über die Fährnisse in dieser Welt und über die Uneinsichtigkeit der AkteurInnen in ihr Ausdruck verliehen wird, entgegnen wir in Ruhe und würdevoller Gelassenheit und berufen uns dabei auf Johann Nepomuk Nestroy: „S is ollas net woa!“