Literarische Arbeiten   Startseite 

Seite drucken

NARR
Entwicklungsgedichte


INHALT
Narr
Geschnür
Genügsamkeit
Gefahr
Toll
Heinrich von Kleists Sterben
Rat
Bauer
Sauber
Herrlich
Legende
Ermuntern
Gefälligst
Der König der Narren
Hyperboreïs
Hölderlin
Lästern
Bachofen
Heimat
Meditation mit Messern
Es könnt’ dem Siegen-Müssen ’n Widerspruch passier’n !!
Hoffnung
Sterben
Siegen
Märtyrer
Die Bühne lockt
Obernarr

Zurück zu Literatur

Narr
Bin bloß der Narr
Ob ich’s weiß
Oder auch nicht
Bloß der
Ob gerne
Ob spaßhaft
Ob’s mich aufreibt, zertrauert
Bloß der
Ihr habt mich/In eurer Gewalt
Ihr braucht mich/Zu eurem Vergnügen
Ihr bestimmt mich
Ihr bezahlt mich
Lachen zu können
Über euer Verbrechen
Ich stolpere zu eurer Verfügung

Geschnür
Wer seid ihr, Fädenzieher
Denen ich so oft schon
Mein Gesicht
Hinter diversen Masken entdeckt
Ihr, die ihr im Dunkeln sitzt
Und Geräusche von euch gebt
Gefallen, Mißfallen
Oh, einmal mich verstecken
Und euch beleuchten!
Euch ertappen
Wie ihr euch verratet
Eben noch gewogen
In Sicherheit
Eure Angst ausstellen
Eure Hilflosigkeit bewundern
Was! Ihr selbst
Selbst ihr - an Fäden?
Und die euch führen
… ebenfalls.
Und so weiter
Ach, eine Schere, ein Schwert
Für dieses Geschnür!!
Millionen von Garderobieren
Für eure Kostüme!
Lernbegierige Lehrer
Eure Talente zu fördern.

nach oben

Genügsamkeit
Immer noch erschrecke ich
Über Genügsamkeit
Wie ihr euch mit Mittelmaß
Begnügt
Ihr kommt zu uns
Begierig
Bestätigung in eurer Lebensweise
Zu erlachen, erzittern
Nicht um Qualität willen
Setzt ihr euch zurecht
Um keusche Kritik
An eurer Lauheit
Um endgültigen Tod
Und vergebliches Streben
Schlecht gemimt
Und unbestimmt

Gefahr
Gefährlich ist’s
Als Narr
Nach deiner Lust zu handeln
Schlecht-erzogene Menschen hassen dich dafür
Da du dich
Im Reiche deiner Möglichkeiten
Ihrer Beschränkung arglos näherst
Dein Witz reicht doch nicht aus
Ihre Waffen aus Trauer, Neid und Langeweile
Zu zerlachen
Sie sind gerüstet mit Selbstherrlichkeit
Während du, Verletzbarer
Ihrer mittels Gefallsucht und Verzicht aufgestauten Wut
Gerade zurecht gekommen bist
Purzelbaume dich aus ihrem Wirkungskreis

nach oben

Toll (nach Kate Bush)
Ganz allein auf leerer Bühne
Heute nacht
Man lehrte uns nicht ängstlich zu sein
Vor euch
Können unseren Text auswendig
Wiederholten ihn so oft
Jederzeit, jede Zeile
Wieder und wieder
Oh/Verblüffend/Unglaublich/Fantastisch/Eben echt
TOLL, zweifellos
Selbst wenn der Spieler einen Tod markiert
Es ist nicht echt
Ihr wißt: Wir halten bloß den Atem an
Ununterbrochen sterben
Zu früh, zu schnell
Unentwegt maskiert, nie festgelegt
Unerreichbare Stars
Zu beschäftigt mit Mitleid
Mit uns selbst
Oh/Verblüffend/Echt cool/Applaus!/Immer witzig
TOLL, zweifellos
Ganz allein auf leerer Bühne
Unsere wahre Liebe
Wahre Liebe

Heinrich von Kleists Sterben
Der Narr geht zum See
Erschießt sie
Gleich darauf sich
Er schreibt, er sei zufrieden und heiter
Habe alles Bürgerliche geregelt
Mag sich versöhnen
Dahingehen zu können
Er hinter läßt uns formvollendete Sprache
Zu Novellen und Dramen gewebt
Und sein Geheimnis
Unseres
Er hinterläßt uns die Wahrheit
Über die Puppe an Fäden
Er nimmt
Überempfindlichst
Von uns
Sich

nach oben

Rat
Gefahrlos sei dir gestattet
Dich in ihren Verordnungen ihrer Welt
Ungebunden zu gestalten
Wehe, du hintergehst dies ungeschriebne Gebot!
Wehe, du steigerst dich zum freien Narren!
Da sie ihr Wachsen in Sackgassen gezwungen
Und du durch ihre Mauern gehst
Hätten und haben sie Lust
Dich mit einem der wankenden Steine zu schlagen
Der könnte Angst heißen
Oder Verzweiflung
Entweder du nimmst dich aus ihren Lynchs-Labyrinthen
Oder sie verkümmern dich ratlos

Bauer
Oh wär ich doch ein Narr!
Mein Ehrgeiz ginge über eure Jacken hinaus.
Ich lebte der Göttin des Wachstums zur Freude
(Demeter nenne ich sie)
Fühlt mich geborgen neben, auf und in den Körpern der Liebe
Ernährte mich redlich-gemütlich
Wie ein Bauer
Und schmückte mein Heim hinan zu menschenwürdger Gestalt

nach oben

Sauber
Du Sau!!
Was bleibst du nicht
Wie du warst
Kindel am Bandel unserer öden Verstimmung
Hätt’st nicht tot geboren sein können
- ewig’s Objekt unserer Lieb’
Oder a Pupp’
A Marionett’
Ne, du Ferkel
Schmutz mußte schippen
In unser Sauber
Blut kanisterweis’ leeren
Auf die Teppich, die g’saugten
Auf Narr macht die Sau

Herrlich
Als Marionetten kommt ihr euch vor
Und die Fädenzieher seien euch bekannt
(Es sei nicht so schlimm/Sei nun einmal so/Immer schon so gewesen)
Doch - wißt ihr was
Dessen Hände euch führen
Muß euch kennen
Läßt er euch tanzen
Tanzt er euch vor
Doch - wißt ihr was weiter
Dem ihr folgt
Folgen müßt
Bestimmt ihr
Ihr macht eure Führer zu denen
Die euch bekannt sind
Gute Puppenspieler sind eins mit ihren Puppen
Wenn sie sie spielen
Je untertäniger ihr werdet
Desto herrlicher können sie’s

nach oben

Legende
Es war einmal ein Narr
Der hat euch sagen wollen
Amen, befähigt euch zu leben
Doch als er euch kennengelernt hatte
Hat er gewußt
Sein Reich ist nicht von dieser Welt
Und nachdem ihr ihn ob seiner vernünftigen Lüsternheit getötet hattet
Habt ihr angenommen, er wäre für euch gestorben
Und jenes Reich käme nach eurem Tode
Er ist an euch krepiert
Und aus Angst vor seinem Weg, seiner Wahrheit und seinem Leben
Opfert ihr euch den Folterwerkzeugen
Mit welchen ihr ihm den Gnadenstoß versetzt habt

Ermuntern
Narren träumen nicht von einer besseren Menschheit
Ihnen geht’s nicht um Vergleichbares
Zu siegen haben sie aufgegeben
Vielleicht ermuntern sie noch

nach oben

Gefälligst
Eine für beide Seiten erträgliche Masche
Ist das Narrentum ignorieren
Es Bestand haben lassen, doch entöffentlichen
Möchtegerns erkaufen sich unsere Leidenswege
Erfreuen ihre Melancholie daran
Protzen mit fremder Erfahrung
Halten sich für unsereins
Wissen um ihre Lügen nicht
Todessehnsüchtige haben Anlaß zu Zorn
Buffoneske Körper samt Fistelstimme verdammen uns
Verdampfen ihre gesammelten Triebe
Wir schlagen gefälligst Rad um Purzelbaum
Und der Salto mortale bleibt uns erspart

Der König der Narren
Der König der Narren
Hat niemals gelebt
Wir brauchen keine Führer
Unsere Lehrer haben
Ihren Schülern
Nur die Erfahrung voraus
Und in Gefahr weiß derjenige Rat
Welchem ihre Besonderheit bekannt ist

nach oben

Hyperboreïs
Geträumt von Land, namenlos
Fruchtbar; dankbare Menschen
Arbeitend, erfreut
Bedächtig genießen sie ihr Gestalten
Kein Tempel weit und breit
Ein Hain mit Quelle
Umsäumt von Gräsern, Blumen
Angrenzend Wüste
Ich saß mit ihnen
Wir aßen und tranken, ruhten
Gingen eine Weile gemeinsam
Sprachlos

Hölderlin
Oder du treibst dich der Unnahbarkeit zu
Was tut’s, wenn sie dich Spinner zerlächeln
Lebst du doch erkämpfter Bestimmung zuliebe
Erbrichst unbekannteste Siegel
Erstrahlst; verbrennst
Was an Asche dies Feuer beläßt
Gibst irden du wieder
Wahnsinn
Wird später es heißen
Entmenschte dich vollends

nach oben

Lästern
Wäre die ganze Welt Bühne,
Wen zu vergnügen spielten wir lebenslang?
Dann - und nur dann - gäbe es diesen Gott:
Der uns zuletzt bewertet
Als gut oder schlecht.
Narren allerdings lästern ihn. -
Sie glauben an Selbstbestimmung
Sie halten an der Verantwortbarkeit fest

Bachofen
Na klar!
Dir das Narrentum aufzustempeln
Dich zu Tode zu kränken für ungewohnte Erkenntnis
(Den Hals noch enger verschnürend/
Einer anderwärtigen Wahrheit Atem zu nehmen)
Gleich, ob du recht hast, du stimmst!
Deine Luftsprünge fügen mir Klafter zusammen
Die mich stürzen machten
Schwimmen in unbegreiflicher Masse
Mich stellt dein Entdecken verschwiegner Geschichte
Auf den Boden des Heutzutage
Eröffnet mir trostlose Bilder von Zukunft
Macht mich betroffen wieder

nach oben

Heimat
Narren sind Diener, nicht Herrscher
Sie begeistern nicht, sondern befähigen
Sie tun nicht für dich
Und geben sich denjenigen Tatsachen hin
Die sie - bei Sinnen - begreifen
Heimatlos treibt sie das Erfinden von Heimat

Meditation mit Messern
Das All ist unendlich
Wird immer unendlicher
Es weitet sich, es weitet sich
Überheblich
Besiegen wir selbst die Planeten
Auf dem Monde, seht, weht eine unserer Fahnen
Wir dividieren auch
Unterteilen, ordnen
Doch eine jede Ordnung
Zerfällt uns unter den Fingern
Nur das ewig-elliptische Wachsen verstehen wir nicht
Nein
Das All kümmert sich nicht
Um unsern Verstand
Und dummes Zerstören
Ist ihm ein Gleiches

nach oben

Es könnt’ dem Siegen-Müssen ’n Widerspruch passier’n!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Ängstlich verstopfen wir Poren
Sinnesorgane verkümmern darob
Denn überzeugter Geist entjungfert unterm Entdenken
Der einsame Lichtgott will alles erleuchten
Mittels Sonnebrille Atombombenpilze filtern

Hoffnung
Lieben, vor allem lieben
Am liebsten das Fleisch von der Seele
Selten und wie zur Belohnung
Ergeben sich Narren einer Bestimmung
Davon schlürfen sie Kraft
Dem Wahrhaftigen nicht zu wehren
Daraus heben sie Hoffnung
Auf Unstillbarkeit

nach oben

Sterben
Holst du mich ein, Sterben-Wollen
Ich wollte dich doch nicht mehr besiegen
Bloß überstehen, wie’s mir zusteht
Als Mensch
Du aber sagst:
Ich sei lächerlich in meinem Bemühen
Ich solle in deinen trauten Schoß zurück
Geborgen gehalten verkümmern
Dankbar jene beneiden
Die benutzen, was an Verbrechen geschieht

Märtyrer
Einmal ist der Wendepunkt erreicht
Dein Empfinden über jedes Maß gesteigert
Du willst der Welt abhanden kommen
Meist fügst du dich in deine Rolle ein
Ihrer Steigerung: Märtyrer
Wovor du dich bis dahin noch geschützt
Provozierst du ab jetzt
Und dankst deinen Vernichtern für deine Erlösung

nach oben

Die Bühne lockt
Ein Leichtes
Aus Talent und Widerstand
Ein Witziger zu sein
Zerstörend, andrer Lachen
Aus eignem Leid zu nähren
Der Endschlag: Ein Narr bemüht sich um Ernsthaftigkeit

Obernarr
Spät, doch sicher nicht zu spät
Lern ich den Obernarren kennen
Von dem ich - da er mir unbekannt war - Abstand hielt
Auf einmal steht er neben mir, ein Bruder fast
Ein großer Bruder
Und spricht mir ins Gewissen
Deutbar für jeden Zweck
Wohl auch den meinen
Steht er übermenschlich da
Und singt
Und singt mir in die Lieder

© Werner Schuster

Seite drucken

Literarische Arbeiten   Startseite