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DIE WEIHNACHTSMANNMÄRKTE
Wahrlich, ich sage euch, bald wird die Zeit kommen, da wird nicht nur an jeder Ecke geadventmarktet: ganz Wien wird zum Weihnachtsdorf, ganz Centrope wird Weihnachtsland werden!
Ach, früher. Früher kam noch das Christkind und die Weihnachtsmärkte waren noch keine Open-Air-Konsumtempel. Noch viel früher, in der Zeit vor der guten alten Zeit also, hießen die noch gar nicht Weihnachts-, sondern Dezembermärkte und waren etwas sehr Prosaisches: Man deckte sich bloß für den winterlichen Bedarf ein. Vielleicht stand eine Krippe dabei. Dem Jesukind war auch kalt.
Denn zu jener Zeit gab es ja auch noch richtige Weihnachten mit Eis und Schnee. 1294 bestimmt. Damals wurde in Wien das Privileg zum Abhalten eines solchen Dezembermarktes von Herzog Albrecht I. erteilt. Aber erst über 300 Jahre später (1626) wurde erstmals eine Art Christkindlmarkt vor dem Stephansdom abgehalten. "Peckn, Lebzelter und Zuggerpacher" boten ihre Waren an.
Dieser Markt wurde 1761 zwar wieder aufgelassen, doch kurz darauf, 1764 nämlich, entstand auf der Freyung ein Nikolo- und Weihnachtsmarkt, der sich - allerdings an verschiednen Plätzen - hielt. 1872 wurden zwar die alten Wiener Jahrmärkte durch einen Beschluss des Gemeinderats aufgelassen, da sie ihren ursprünglichen Sinn „in der modernen Großstadt” verloren hatten. Die Ausnahme bildete allerdings der - Christkindlmarkt. 1903 wurden sogar die Standbauten erneuert und erhielten erstmals elektrische Beleuchtung.
Wirtschaftswunder
In den Folgejahren wanderte der Christkindlmarkt zwischen dem Platz Am Hof, der Freyung, dem Stephansplatz und dem Neubaugürtel (!) hin und her. 1938 war man wieder mal am Platz Am Hof angelangt, und bald hätte man - wie zur Zeit der Weltwirtschaftskrise auch - schon wieder Dezembermärkte abhalten können.
Aber bereits zu Weihnachten 1946, als man allgemein noch Hunger litt, wurde (in der USA-Zone, natürlich) ein Neubeginn versucht. Im bald sich ereignenden Wirtschaftswunder mussten die Menschen ausgerechnet wieder auf den Neubaugürtel strömen, 1963 wollte man den Christkindlmarkt als Pendant zum Fastenmarkt sogar im 17. Bezirk etablieren. Das klappte nicht, also lockte man die spendierfreudigen Verwandten von glücklichen Kindern wieder vor den Messepalast. Weil man dort 1975 eine Tiefgarage baute, wurde der Markt vorübergehend am Rathausplatz eingerichtet.
Dort blieb er dann aber bis heute, und seit einer Weile nennt man die Sache auch Wiener Adventzauber. Alles wird von Jahr zu Jahr immer schöner, größer, bunter, lauter. Und ein so genannter Glühmarkt ist auch gleich dabei.
Dieser Christkindl- resp. Adventmarkt hat aber in den letzten Jahrzehnten ziemlich viel Konkurrenz bekommen. Seit 1987 wird etwa der Altwiener Christkindlmarkt veranstaltet. Der ist mittlerweile so bekannt, dass man auf der Homepage fürs Erste gar nicht darauf hinweist, wo er stattfindet (es ist die Freyung).
Dann gibt es den Christkindlmarkt am Cobenzl (mit Bio-Forellen aus Hinternasswald und entspannender Livemusik), den Weihnachtsmarkt Wilhelminenberg (mit Eislaufbahn!) sowie jede Menge Kunsthandwerksmärkte: am Hof, am Spittelberg und am Karlsplatz, nicht zu vergessen den vorm Schloß Schönbrunn mit Führungen (!) und Konzerten vor dem illuminierten Weihnachtsbaum.
The Lord of Coolness
Darüber hinaus herrscht im ehemaligen Messepalast, wo man mittlerweile zwei riesige Steinkuben hineingebaut und das ganze Museumsquartier genannt hat, "The Lord of Coolness" und präsentiert Winter-Sounds. Das ist zwar streng genommen kein Weihnachtsmarkt, man darf allerdings schon Geld ausgeben. Dafür ebenfalls geeignet sind die drei Weihnachtsdörfer im Alten AKH, am Maria-Theresien-Platz und vor dem Schloß Belvedere. Die sind von einem Radiosender gesponsert, der dann auch „Süßer die Glocken nie klingen” und „Jingle Bells” zur besten Musik aller Zeiten zählt.
Wem das alles zuviel wird, kann ja auf die Baumgartner Höhe fahren. Nein, nicht, zum Auskurieren! - Der dortige Adventmarkt am Lemoniberg wirbt mit dem Slogan „Weihnachten wie's früher war”, und wir tun jetzt nicht oberg'scheit und wollen wissen, welches „früher” damit gemeint ist.
Das sagt man uns ja in (Vorsicht: Bundesland-Wechsel) Großweikersdorf auch nicht, wo der Christkindlmarkt unter dem Motto „Anno dazumal” stattfindet.
In Niederösterreich werden aber auch noch der Kremser Adventmarkt, die Badener Adventmeile, die Weitraer Adventtage in der Altstadt, der Neulengbacher Advent mit mehr als 40 Einzelveranstaltungen, der „Märchenhafte Advent” in Bad Vöslau, der wanderbare Höfleiner Weihnachtsmarkt, der karitative Hainfelder Christkindlmarkt, der Adventzauber im Schloß Fischau, ein Kellergassen-Adventzauber in Bullendorf und der kunsthandwerkliche Adventmarkt Hollabrunn geboten.
Und weil gern in Versalien oder klein draufgeschrieben wird, wenn wo Kunst drinnen ist, lockt das art/brut center gugging mit einem kulturhügel-advent. Kulturprogramm gibt es auch in Grafenegg, wo sogar ein „Guiness Irish Christmas Festival” veranstaltet wird. Irische Weihnachten? Das klingt vielversprechend feucht-fröhlich.
Vergleichsweise bescheiden
Damit nicht genug, wird unter anderem (!) auch in Aggsbach, Bruck an der Leitha, Gaming, Grünau, Guntramsdorf, Herzogenburg, Höflein, Hollabrunn, Klosterneuburg, Laxenburg, Lilienfeld, Orth, Perchtoldsdorf, Purkersdorf, Rabenstein, Reichenau, Zwettl und selbstverständlich auch in St. Pölten geadventmarktet. Während also in Niederösterreich neben jeder sprichwörtlichen Milchkanne ein Weihnachtsmarkt abgehalten wird, nimmt sich das Angebot im Burgenland vergleichsweise bescheiden aus.
Aber keine Sorge, es gibt dort sicher mehr als den Christkindlmarkt Eisenstadt „mit seinem einzigartigen Flair”, den Adventmarkt im Schloß Kittsee, den Weihnachtsmarkt auf Schloß Halbturn, den Mittelalter-Adventmarkt in Stadtschlaining, die Adventmeile in Rust sowie die einschlägigen Märkte in Andau, Bad Sauerbrunn, Bad Tatzmannsdorf, Frauenkirchen, Großpetersdorf, Kobersdorf, Neudörfl, Oberwart, Pinkafeld, Purbach und Rechnitz.
Und auch der Centrope-Raum wird Weihnachtsmarkt-Aficionados unendlich mehr zu bieten haben als den Markt in Cesky Krumlov (inklusive Kulturprogramm auf dem Stadtplatz Svornosti mit Konzerten, Theateraufführungen und Krippenspielen) und das Györer Winterfestival mit einem großen Weihnachtsmarkt in der Baross-Straße, auf dem Megyehaz-Platz und dem Janos-Pal-Platz in der Innenstadt.
Den Weihnachtsmarkt in Bratislava kann man wohl nicht besser als Kollege Alfred Stalzer beschreiben: „Auf dem Hlavne und Frantiskanske namestie und im Innenhof des Alten Rathauses gibt es sehr viel hübsches Kunsthandwerk aus Keramik, Holz, Glas, Maisstroh und Textilien, das als Mitbringsel sehr beliebt ist. Kulinarisch orientiert man sich stark an den traditionellen Gerichten der slowakischen Küche: Krautsuppe und direkt vor den Besuchern auf dem Grill zubereitete Speisen aus Fleisch und Fisch. Ein besonderer Tipp sind die typischen herzhaften Pogatschen oder Loksche mit Gänsefett, Leber- oder Krautfüllung, die wie Palatschinken aussehen und aus Kartoffelteig hergestellt werden. Die Loksche gibt es auch in süßen Varianten, zu denen heißer Grog, Punsch oder weihnachtlicher Met bestens passen.”
Weihnachten war Mitte Mai
Und der Brünner Weihnachtsmarkt kann - wie es wiederum Stalzer einmal so schön gesagt hat - „trotz des umfangreichen weihnachtlichen Angebots an Kunsthandwerk und der zahlreichen Kinderaktivitäten seine kommerziellen Wurzeln nicht verleugnen”.
Und nur, falls Sie im Trubel darauf vergessen sollten: Weihnachten ist das Fest der Geburt Jesu Christi. Das Dumme an der ganzen Sache ist allerdings, dass dessen Geburtsdatum im Neuen Testament nicht genannt wird, ja, eigentlich kennt man es gar nicht. In der altpalästinensischen Kirche gab es tatsächlich eine Zeit, in der dieser Geburtstag Mitte Mai gefeiert wurde! Um 221 (nach Christus) wurde aber endlich der 25. Dezember vorgeschlagen, gut hundert Jahre später einigte man sich dann darauf. Nicht bei allen christlichen Konfessionen, aber fast.
Das hinderte die Menschen im Mittelalter aber nicht daran, ihre Kinder, wenn überhaupt, am Nikolaustag zu beschenken. Erst die Protestanten verlegten im 16. Jahrhundert die Bescherung auf den 25. Dezember und ersetzten den heiligen Nikolaus durch den „heiligen Christ”. Aus dem wurde bald wie von selbst das „Christkind” mit seiner engelsgleichen Erscheinung.
Irgendwann wurde dieses Christkind - paradoxerweise wieder bei den Protestanten - teilweise vom Weihnachtsmann abgelöst, bis dieser ab der Mitte des 20. Jahrhunderts immer wichtiger wurde. Ob Coca Cola dies zu verantworten hat, ist umstritten (- diese Firma wirbt seit 1931 in der einstmals stillsten Zeit im Jahr mit dem Nachfolger des Nikolaus). Gesichert scheint, dass sich der Weihnachtsmann besser vermarkten lässt als das Christkind.
Werden wir also in nicht allzu ferner Zukunft Weihnachtsmannmärkte besuchen? Wird sich, angesichts der immer stärkeren Dichte an Märkten, irgendwann einmal eine ganze Stadt zum Weihnachtsdorf erklären? Darf Centrope Weihnachtsland werden?
Das mag - je nach Standpunkt - gar schreckliche, wunderbare oder Volle-Geldsäcke-Bilder evozieren, wäre aber in jedem Fall besser als eine Rückkehr der Dezembermärkte.
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