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WIR ARBEITEN VIEL ZU VIEL

Arbeit, wie sie heute organisiert ist, gefährdet unsere Gesundheit und unser Familienleben. Das meinen Philipp Löpfe und Werner Vontobel und schlagen in ihrem Buch Arbeitswut unter anderem die 25-Stunden-Woche vor.


Ich bin kein Wirtschafts-Fachmann und traue mir nicht zu, die Thesen von Philipp Löpfe und Werner Vontobel zu bestätigen oder zu widerlegen, doch ich finde ihren Ansatz “Steigende Produktivität führt zu sinkender Beschäftigung” beachtenswert. Und das nicht, weil sie sinngemäß meinen, wir würden alle zu viel arbeiten:

„Geht es Ihnen auch so? Sie könnten gerade wieder in die Tischkante beißen, weil Sie mit der 40-Stunden-Woche im Büro schon längst nicht mehr auskommen. Also arbeiten Sie noch zu Hause, schreiben die Kinder an und kriegen Krach mit Ihrem Partner. –Oder sind Sie vielleicht ganz ohne Arbeit und doch stets auf der Suche danach, jedoch ohne Erfolg? Spüren Sie, wie die Wut in Ihnen steigt? – Willkommen im Land der Arbeitswut. In einem Land, in dem die einen mehr arbeiten als je zuvor, während die anderen ganz schlechte Aussichten haben, überhaupt wieder eine Arbeit zu bekommen.“

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Löpfe und Vontobel wollen mit ihrem Buch eine Lösung zum Problem der Arbeitswut geben, weil „Arbeit, wie sie heute organisiert ist, unsere Gesundheit und unser Familienleben gefährdet“. Sie meinen, dass die steigende Produktivität dazu geführt hat, dass immer weniger Arbeit gebraucht wird, um immer mehr herzustellen, und dass wir also (bei späterem Rentenantritt) mit 25 Arbeitsstunden pro Woche genug für die Wirtschaft und uns tun könnten. Kulturell und sozial jedoch würden wir in einer 40-Stunden-Gesellschaft leben, was wiederum unnötige Kosten im Sozial- und Gesundheitssystem verursacht sowie Kreativität und Innovation vernichtet.

Denn Arbeit, wie sie heute praktiziert wird, macht (nicht nur) laut Löpfe und Vontobel krank. So bekommen heute etwa in Großbritannien eine knappe Million Menschen Arbeitslosengeld und mehr als eine Million eine Invaliden- oder Arbeitsunfähigkeitsunterstützung. (Im übrigen belegen sie, dass die Missbrauchsquote bei der Sozialhilfe unter 2 Prozent liegt, und fragen, ob es sich wirklich lohnt, „deswegen einen Schnüffelstaat aufzubauen“.)

15 Wochenstunden jagen und sammeln


In einer „kurzen Geschichte der Arbeit“ zeigen die Autoren auf, dass die wöchentliche Arbeitszeit in Jäger- und Sammlergesellschaften rund 15 Stunden betragen hat und dass in Feudal- und Klassengesellschaften die gesellschaftliche Elite sich gerade dadurch ausgezeichnet hat, dass sie nicht gearbeitet hat. Erst Martin Luther hat den Ausdruck „Beruf“ in die deutsche Sprache eingeführt und erst die Calvinisten haben die Idee verbreitet, dass nur reich wird, wer viel arbeitet und wenig konsumiert. Nach und nach haben Arbeitszwang, effiziente Organisation und Triebverzicht den Erfolg des Bürgertums ermöglicht.

Erst in den 80er-Jahren (des letzten Jahrhunderts) haben sich Hedonismus und Konsumfreudigkeit durchgesetzt. Und während erfolgreiche Sportler einst Helden der Arbeitsklasse waren, sind sie heute – in einer Winner-Take-All-Society – Prototypen der neuen Leistungsgesellschaft, in der sich die Lohnschere immer weiter öffnet (sprich: einige wenige verdienen unverhältnismäßig viel, während es bei der Mehrheit seit 1998 keine realen Lohnsteigerungen mehr gegeben hat).

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Und so kommen Löpfe und Vontobel zu dem Schluss, dass die neuen Globalisierungsgegner verängstigte Menschen des Mittelstandes sind, bei denen das Einkommen nicht mehr zum Leben reicht oder die gar keine Arbeit mehr haben. Doch von den „Scheinlösungen“ zur Behebung der Arbeitslosigkeit halten sie nicht viel:

Die Überalterung der Gesellschaft stellt für sie kein Problem dar, solange das Pensionsantrittsalter erhöht wird; an “Workfare” (also eine angebliche Wohlfahrtsfalle) glauben sie nicht, auch nicht daran dass Arbeitslosigkeit eine Folge von Faulheit sein soll; wenig halten sie von Lohnsubventionen (schwächt die Nachfrage), von der „Dienstbotengesellschaft“ (d.i. unbezahlte Arbeit in Lohnarbeit verwandeln) und von Protektionismus (um die Abwanderung von Arbeitsplätzen zu verhindern); und sie glauben schließlich auch nicht, dass Bildung tatsächlich sichere Arbeitsplätze schafft.


Illusion der Vollbeschäftigung


Löpfe und Vontobel vertreten vielmehr die Ansicht, dass wir uns von der „Illusion der Vollbeschäftigung“ verabschieden sollten. Sie propagieren generelle Arbeitszeitverkürzung zum Abbau von Arbeitslosigkeit, einen höheren Mindestlohn (das würde die Voraussetzung dafür schaffen, dass die hergestellten Produkte auch gekauft werden) und einen gut ausgebauten Sozialstaat (die real existierende Marktwirtschaft würde diese „Krücke“ in ihrer Unvollkommenheit brauchen; Schweden, Dänemark, Finnland und Norwegen sind international sehr wettbewerbsfähig, gerade weil sie einen funktionierenden Sozialstaat haben).

Schließlich plädieren sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen: Mit dem Unternehmer Götz Werner (dm) halten sie dieses für finanzierbar, wenn das Steuersystem auf die Mehrwertsteuer umgestellt werden würde. D.h. es würden nicht mehr Kapital und Arbeit, sondern nur mehr der Konsum besteuert (womit man auch Sozialdumping als Standortvorteil abschaffen würde). Eine andere Finanzierungsmöglichkeit wäre die negative Einkommenssteuer (– wer besser verdient, zahlt sich sein Grundeinkommen über die Steuer gleichsam selbst).

Wie gesagt, ich kann diese Analyse weder bestätigen noch widerlegen. Ich erlebe allerdings bei mir und sehe bei vielen FreundInnen und Bekannten die negativen Auswirkungen von Arbeitswut (aus Angst im Laufrad oder verzweifelt ohne Job), bin pessimistisch, was meine und die allgemeine wirtschaftliche Zukunft anbelangt, und erachte es deshalb für gut und notwendig, dass über Alternativen zum vorherrschenden System nachgedacht wird. ###


© Augustin 2008

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