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KIRCHGÄNGER IM SUPERMARKT
Die Österreicher wollen am Sonntag nicht arbeiten, einkaufen gehen sie aber
schon
Die Obdachlosen sind noch zu müde, um an diesem Sonntag-Morgen die vielen
Leute anzuschnorren, die da ab sieben Uhr im Franz-Josephs-Bahnhof einkaufen gehen.
Drinnen im Supermarkt herrscht emsige Betriebsamkeit: Zwischen den Kunden schlichten
Mitarbeiter beständig Waren in die Regale. Nicht in alle, denn am Sonntag
darf man nur Reiseproviant verkaufen, also etwa keine Fertigprodukte, keine Teigwaren
– und Klopapier nicht in Packungen mit zehn, sondern nur in solchen mit
vier Rollen.
Und das ist auch das einzige, was die Kunden stört: Dass zwei Gänge
abgesperrt sind, dass man Ware sieht, die man nicht kaufen kann. Ansonsten scheinen
Menschen, die am Sonntag einkaufen gehen, kein Problembewußtein zu haben.
Von knapp 50 Befragten machen sich nur drei Sorgen um die Leute, die wegen ihnen
arbeiten müssen. Zwar gesteht eine Kassiererin, daß ihr Familienleben
unter der Sonntagsarbeit schon leide, ist aber froh, dass sie überhaupt Arbeit
hat. Doch vor allem für StudentInnen bietet der Supermarkt einen lukrativen
Nebenjob an – man bekommt doppelt so viel wie unter der Woche dafür
bezahlt.
Für den Filialleiter Hans Peter Breitenhuber ist der Sonntag der umsatzstärkste
Tag. Er muß niemanden zum Arbeiten zwingen, hat viel mehr Interessenten
als Jobs. Und er weist darauf hin, dass auch Hersteller und Lieferanten daran
verdienen, dass er am Sonntag geöffnet hat.
Heiliger Sonntag
Seine Kunden kommen fast alle aus der näheren Umgebung – und zwei von
allen Befragten besorgen sich wirklich Reiseproviant. Sonst sind da etwa die Kaffeehaus-Betreiber,
die für ihr Lokal kistenweise Getränke einkaufen, oder die Freiberufler,
die vor lauter Arbeit erst am Sonntag zum Einkaufen kommen, oder der Obdachlose,
der sich endlich genug zusammengerschnorrt hat, oder das Paar, das sich fürs
Frühstück eindeckt, oder die Kirchgängerin, die gestern ein paar
Sachen einzukaufen vergessen hat – und alle übrigen, die sich mit meist
übervollen Einkaufswägen voller „Reiseproviant“ bei den
Kassen anstellen.
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Für Sozialministerin Lore Hostasch steht allerdings fest: „Der Sonntag
ist uns heilig.“ Das sieht Weihbischof Helmut Krätzl auch so, der um
die Feiertagskultur der Menschen fürchtet. Wirtschaftsminister Hannes Farnleitner
wiederum verweist auf die Vielzahl von Berufsgruppen im Dienstleistungsbereich,
die jetzt schon regelmäßig am Sonntag arbeiten. ÖGB-Präsident
Fritz Verzetnitsch ist andererseits der Ansicht, dass der offene Sonntag nur dem
Konsumrausch diene. Und für den Liberalen Wirtschaftssprecher Helmut Peter
ist das Recht, nicht am Sonntag arbeiten zu müssen, dem Recht auf Arbeit
und auf Einkaufen am Sonntag gegenüberzustellen.
Sonn- und Feiertagsarbeit bleibt in Österreich dennoch grundsätzlich
verboten und muß ausdrücklich zugelassen werden. Denn der Nationalrat
betrachtet den arbeitsfreien Sonntag als zur Kultur des gesellschaftlichen und
familiären Zusammenlebens gehörig. Die nach dem Arbeitsruhegesetz vorgesehenen
Ausnahmemöglichkeiten werden daher restriktiv gehandhabt. Und es gibt Ausnahmen
nur für einzelne Tätigkeiten, Produktionsschritte oder Verfahren, nicht
für einen Betrieb oder gar eine ganze Branche.
Gegen Sonntagsarbeit
Dennoch arbeiten derzeit über 500.000 Österreicher regelmäßig
am Sonntag, das sind etwa 15% der Bevölkerung (1995 waren es noch 13,8 %).
Nach einer Studie des Kummer-Instituts sind vor allem „Personen, die stärker
in den Einfluß der säkularisierten Gesellschaft geraten, an einer stabilen
Sonntagsordnung weniger interessiert.“ In einer Studie der Arbeiterkammer
aus dem Jahre 1996 geht weiters hevor, dass die „Regelarbeitszeit“
bei Frauen und Männern seit 1987 deutlich abgenommen hat: Jeder siebente
Österreicher arbeitet am Wochenende, jeder zehnte häufig oder regelmäßig
an Sonn- und Feiertagen. Doch auch vor drei Jahren waren rund 75% der Österreicher
entschieden gegen Sonntagsarbeit.
Einkaufen wollen sie allem Anschein nach trotzdem: Am 26. Dezember 1998 mußte
man sich – von Polizisten in Schach gehalten – stundenlang anstellen,
um in den Supermarkt am Franz-Josephs-Bahnhof überhaupt hineinzukommen. So
wild geht es unterm Jahr nicht zu. Doch von den Kassen sind selten weniger als
vier geöffnet, und oft bilden sich lange Warteschlagen. Bis 19.30 Uhr sind
die Kunden ungeduldig wie unter der Woche auch – als ob sich anzustellen
eine Zumutung ist – und wenige geben von ihrem Wohlstand etwas ab an die
Obdachlosen, die auch für liberale Öffnungszeiten sind: Es muß
ja nicht gleich der Supermarkt sein, sie wären schon froh, wenn der Franz-Josephs-Bahnhof
nicht zugesperrt werden würde in der Nacht.
© protokolle 1999
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