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CRISIS? WHAT CRISIS?

Geht es nach den Wissenschaftlern, so haben wir spätestens seit den 1950er Jahren eine Krise des Dramas. Sie haben nichts davon bemerkt? Mit einem Begriff wie „postdramatisch“ fangen sie gar nichts an? In den Aufführungen, die Sie besuchen, gibt es richtige Handlungen, Figuren und Figurenrede? Dann sind Sie hier resp. in folgenden Theatern richtig.


Leichte Kost dürfen Sie sich allerdings nicht erwarten. Einmal zieht eine radioaktive Wolke auf Wien zu (Salon5), dann geht vor lauter Reizüberflutung und Geschwindigkeit das Wesentliche verloren (KosmosTheater) und schließlich müssen wir miterleben, was die Medien aus einem Opfer machen (Akademietheater).

Das doppelte Opfer heißt Natascha Kampusch. Nicht schon wieder? – Nun, diese kommt in Kathrin Rögglas „Die Beteiligten nur indirekt vor, das Stück nimmt vielmehr die Medien aufs Korn. Ohje, das erinnert Sie an Hubsi Kramars verunglückte Mediensatire? – Keine Sorge, in unserem Fall bekommen Sie keine nicht fertig gewordene Collage zu sehen, sondern ein richtiges Stück.

Kampusch kommt darin zwar anscheinend selber zu Wort, doch das „Ich”, das hier in andauernder indirekter Rede spricht, ist nur eine Projektion, in der sich die Kommentare der anderen spiegeln, der Bescheidwisser, Sensationsgeier, kurz: der „Beteiligten”. Die Psychologin, der Journalist, die neugierige Nachbarin: Es sind solche selbst ernannten Experten, die hier sprechen und sich in ihrer konjunktivistischen Rede des Opfer-Ichs bemächtigen: „sie wolle ja nur sagen... , „ich liefe gefahr, eine prinzessinnendiktatur zu errichten... ”.

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Im Stimmenkonzert dieser nicht direkt, sondern über die Medien an der Sache Beteiligten, erklingt nicht nur die Resonanz, die der Fall Kampusch in der Öffentlichkeit hervorgerufen hat – es blitzt in dem indirekten Redefluss auch die entlarvende Perspektive des „Opfers“ auf seine es vereinnahmende Umwelt auf, wie hier überhaupt öffentliche und mediale Wahrnehmung sehr raffiniert hinterfragt wird. Die Katastrophenspezialistin Röggla hat da kluge Spracharbeit geleistet, und ihr bereits im April 2009 in Düsseldorf (!) uraufgeführtes Stück wurde zu den Mühlheimer Theatertagen eingeladen.

Ins Weite schrumpfen

A propos Katastrophen: Auch mitten im Überfluss verkümmern die Seelen. Das will uns Katja Hensel mit ihrem Stück „Ins Weite schrumpfen“ demonstrieren. Darin entdeckt zum Beispiel Anka das Entrümpeln und die Nächstenliebe, die sie mit dem Gaststudenten Igor auslebt. Hans-Maria fürchtet die Frauen und muss dafür büßen. Vivis Leben reduziert sich auf die Theke eines Fitnesspalastes, in dem Robert seinen Bauch schrumpfen lassen will. Und das Ehepaar Montag wiederum tauscht eine leer stehende Hochhaussiedlung mit der Einsamkeit einer Shopping Mall.

Kommt Ihnen irgendwie bekannt vor? So was müssen Sie nicht auch noch in Ihrer Freizeit mit ansehen müssen? Sie wollen nicht bedenken, dass uns – von wegen Dramenkrise! – schon das antike Theater mit Jammern und Schaudern zur Katharsis verhelfen wollte?

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Und auch wenn es nicht mehr so sicher sein soll, dass in ebendiesem antiken Theater eine Komödie nach den Tragödien dargeboten wurde, wie Sie es vielleicht noch in der Schule gelernt haben, in Wien können Sie im Oktober dieser angeblichen Tradition jedoch unbeirrt nachgehen. Hubert Canaval, ein österreichischer Dokumentarfilmer mit Regie-Dozentur an Wiens Filmakademie, hat mit dem „NEïD-Projekt“ nämlich einen herzerfrischend zynischen Schwank über die fatale Delegationskultur der EU-Regierenden geschrieben.

Eine Kultur des Teilens

Bernhard, Referent des österreichischen Umweltministers, ist verzweifelt: Bis zum nächsten Morgen muss er die G8-Rede für seinen Chef fertig haben – in der er das neue NEïD-Projekt als revolutionären Durchbruch zur Rettung der Umwelt und der Wirtschaft verkaufen soll. Magdalena, Sekretärin und halb so alt wie Bernhard, eilt zu Hilfe. Zusammen reden sie sich in Rage, spotten der Doppelmoral in Politik und Wirtschaft, verfluchen das System der organisierten Lügen. Als Magdalena dann – spät in der Nacht – doch gehen will, hält ausgerechnet eine Umweltkatastrophe die beiden zusammen: Eine radioaktive Wolke zieht auf Wien zu … ###

© 2010 inwien

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