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DKT 2001

Heute habe ich bei unserem Sohn Herbert ein seltsames Computerspiel entdeckt. Er sagte mir nicht, von wem er es bekommen hat. Schließlich behauptete er, in der Schule kursiere eine CD-ROM, die man sich für eine Nacht ausborgen – und kopieren – kann. Auf meinen Einwand, daß Raubkopieren die Wirtschaft schädige, hat er nur höhnisch lächelnd geantwortet, ich sollte doch einmal selbst damit spielen, dann würde ich mir nicht mehr um die Wirtschaft, sondern um mich selbst Sorgen machen.

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Nun, ich habe es mir zum Prinzip gemacht, mich daheim so gut wie nie vor einen Computer zu setzen (das tue ich ohnedies den ganzen Tag). Statt dessen schlug ich vor, wir könnten doch wieder einmal DKT miteinander spielen – da gewinnt er meistens (obwohl ich Buchhalter bin!). Doch er zeigte auf seinen Bildschirm und verkündete, er habe das Spiel wegen mir in „DKT 2001“ umbenannt – und ob ich ihn darin schlagen könnte? Er klickte zum Spielbeginn, und ich war überrascht: Das sah völlig anders aus als seine üblichen Computerspiele. Und, wie soll ich sagen, nach kurzer Zeit hatten wir Plätze getauscht. Schließlich war Herbert verschwunden und ich hatte selbstvergessen zwei Stunden mit „DKT 2001“ verbracht.

Bald wunderte ich mich, was Herbert an „DKT 2001“ findet. Im Gegensatz zu seinen anderen Spielen ist es geradezu abstrakt – ein strategisches Planspiel. Zu Beginn wird man von einem gewissen „Central Scrutinizer“ begrüßt. Dieser Central Scrutinizer erklärt einem in Kürze, daß man mit „DKT 2001“ sein Talent zum Global Lean Management erproben kann. Und zwar, indem man einen von circa 30 Konzernen auswählt und versucht, dessen Umsätze zu steigern. Der Central Scrutinizer bewertet die Ergebnisse und gibt auf Anfrage auch Ratschläge, was man besser machen könnte.

Weil ich bei der AUA angestellt bin, entschied ich mich für eine Fluggesellschaft. Ich verbesserte die Logistik und das Service und eröffnete neue Destinationen. Der Central Scrutinizer gab mir ein Nicht Genügend. Ich investierte in Advertising und strukturierte die Management-Etage um. Nicht Genügend. Was um alles in der Welt konnte ich noch tun? Der Central Scrutinizer gab mir den Tip, Personalkosten einzusparen. Schweren Herzens entließ ich einige Systemerhalter. Genügend. Ich gab auf. Und der Central Scrutinizer fragte, wieso ich zum Beispiel nicht die Buchhaltung in ein Billiglohn-Land ausgegliedert hätte. (Ich werde mich doch nicht selbst entlassen!) – Und wieso hätte ich mich nicht mit anderen großen Fluggesellschaften zusammengetan, um die kleinen mittels Preisdumpings konkurrenzunfähig zu machen? Zu guter Letzt hätten wir großen uns den ganzen Kuchen teilen können – und die ehemaligen Mitarbeiter der kleinen Gesellschaften zu niedrigeren Löhnen einstellen können als unsere.

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Nun gut, ist ja nur ein Computerspiel, dachte ich. – Weil meine Frau in einer Bank arbeitet (sie betreut dort vor allem das Telebanking), entschied ich mich als nächstes für diese Branche. Weil ich das System von „DKT 2001“ schon etwas durchschaut hatte, versuchte ich auch hier, die Personalkosten zu reduzieren. Doch was mir der Central Scrutinizer schließlich riet, darauf wäre ich wohl nie gekommen: Ich hätte ruhig die Hälfte der Mitarbeiter einsparen können! Dabei würden die Geldautomaten und die Kontoauszugsdrucker ein wenig helfen. Allerdings sei es wirtschaftlicher Irrsinn, ein dichtes Netz von Filialen zu erhalten, nur weil die Konkurrenz es ebenso täte. Ich sollte statt dessen in kostensparendes Telebanking investieren.

Ein klein wenig war ich von diesem Spiel jetzt schon beunruhigt. Aber die Hälfte der Mitarbeiter entlassen, das klingt denn doch nach überbordender Phantasie, oder? – Also wollte ich zum Schluß noch wissen, was mir der Central Scrutinizer für die Hard- und Softwarebranche raten würde, weil Herbert einmal Programmierer werden will, ein, wie ich immer dachte, Beruf mit Zukunft. Doch der Central Scrutinizer ist dagegen, teure inländische Arbeitskräfte zu beschäftigen, wenn man ums selbe Geld dreimal so viele indische Programmierer haben kann. Außerdem sollte ich in die Entwicklung von fertigen Software-Modulen investieren, mit denen sich die Herde von Programmierern auf einige wenige Spitzenkräfte dezimieren ließe.

Ich rief nach Herbert und fragte ihn, ob er das von den Programmierern schon gesehen hätte. Aber ja, meinte er, noch billiger als die indischen wären die osteuropäischen. Ob er diesen Beruf dann noch ergreifen wolle, fragte ich ihn. Er verneinte. Laut „DKT 2001“ sollte man versuchen, in der kommenden Multimedia-Industrie unterzukommen. Aber das ist ja nur ein Spiel, rief ich. Er gestand lächelnd, er habe mich beschummelt: Das sei ein Trainingsprogramm für Nachwuchs-Manager. Ich schrie ihn an: Sag daß das nicht wahr ist! Und er antwortete, ohne mich anzusehen und ganz ruhig: Es ist nicht wahr. ###

© Werner Schuster – Erstveröffentlichung 2006
(1998 für Industriemagazin geschrieben; die Blattmacher glaubten, ihre Leserschaft würde so etwas nicht lesen wollen)

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