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EIGENBAU WIRD DIE WELT NICHT RETTEN, ABER …

Schon das Cover ist dem Thema entsprechend gestaltet: Jedes Buch ist ein mittels Schablone handgemachtes Unikat. Meines sieht ganz anders aus das rechts abgebildete.


Ich Bleiben wir noch beim Äußeren: „Marke Eigenbau“ hält, was der Klappentext verspricht: Die Marke Eigenbau verlässt den Hobbykeller und entert die Ladenlokale, Laufstege und das Internet. Wo die listenreiche und verstreute Revolution des Selbermachens zuschlägt, verändert sie die Spielregeln von Arbeit, Produktion und Konsum.

Grob gesagt, handelt es sich um ein ausgezeichnet geschriebenes und sorgfältig recherchiertes Sachbuch, dessen Autoren Holm Friebe und Thomas Ramge (An schlechten Tagen diffamierten wir uns gerne gegenseitig als Neoliberaler beziehungsweise Salonkommunist) die Welt nicht durch die Brille ihrer These betrachten oder in unbegründete Euphorie verfallen, sondern einfach gesammelt haben, was zum Thema passt.

Das ist sehr viel und vielseitig. Eine knappe Wiedergabe ist unmöglich, deshalb versuche ich eine erläuternde Inhaltsangabe:

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In der Einführung erfahren wir etwa, dass und wie etliche Menschen mit Selbstgemachtem Geld verdienen, dass die Marke Eigenbau die praktisch umgesetzte Fortsetzung der No Logo!-Kritik an der vermeintlichen Übermacht der Superbrands und des dahinter verborgenen Produktions- und Ausbeutungsverhältnissen ist. Und unter anderem durch digitale Herstellungsverfahren ist der Kapitalbedarf für die Gründung eines Unternehmens in vielen Bereichen auf die Anschaffungskosten eines Laptops gesunken.

Überfordert, unterfordert

Im Kapitel „Arbeit Marke Eigenbau“ schreiben Friebe und Ramge, dass nur 12 Prozent der ArbeitnehmerInnen mit ihrer Arbeit zufrieden sind (Stichwort Über- und Unterforderung), während 96 Prozent der Freiberufler den Weg in die Selbständigkeit wieder gehen würden. Sie zitieren den Professor für Wirtschaftspädagogik Günter Faltin: Via globaler Logistik-Unternehmen „hat auch ein Gründer Zugang zum gleichen Markt und zwar praktisch zu den gleichen Bedingungen wie die großen Unternehmen“. Außerdem zählen in der Weltwirtschaft zum Beispiel Kundennähe, die Fähigkeit, einen maßgeschneiderten Service zu bieten, oder attraktive Nischen zu erkennen – wobei sich kleine Unternehmen wesentlich leichter tun als große.

In „Märkte Marke Eigenbau“ geht es zuerst um die „Prosumenten“, welche beim Konsumieren nicht nur Geld beisteuern, sondern auch Markt- und Designinformationen, die also sagen, was sie wollen und wie sie es wollen. Wir erfahren, dass Anbieter wie Amazon heute bereits ein Drittel bis die Hälfte der Umsätze mit Produkten generieren, die im stationären Einzelhandel gar nicht verfügbar wären, weil die Lager- und Logistikkosten ihren Deckungsbeitrag übersteigern würden, weil selbst Menschen, die bei den Hits einsteigen, sich allmählich in eine Nische (also dem, was sie persönlich wollen) vortasten. Und dass man auch mit „Geschenken“ Geld verdienen kann, etwa mit „User Generated Content“ oder wie LEGO, welche Firma manche Modelle von Konsumenten designen lässt.

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Im Kapitel „Produktion Marke Eigenbau“ wird unter anderem „Fabbing“ erklärt: Mit digitalen Herstellungsverfahren lassen sich – nach lokalen Anforderungen – etwa im indischen Pabal Sensoren zur Bestimmung des Fettgehalts von Milch bauen, in Ghana werden damit spezielle Buschmesser, Autoteile und Ackergeräte hergestellt udn Nomaden in Norwegen fabrizieren damit Funkchips, um die Position ihrer Rentierherden zu ermitteln. Es geht auch um Rapid Prototyping (in etwa 3d-Drucker) und um Customization (also „maßgeschneiderte“ Produkte; z.B. durch 3D-Bodyscanner lässt sich wirklich passende Kleidung herstellen) und um die „Renaissance des Handwerks“: In Manufakturen werden in der Arbeit Kopf und Hand wieder zusammengebracht und Waren hergestellt, die ihren Preis durch Qualität und Langlebigkeit rechtfertigen, etwa Spielzeug, Porzellan, Krawatten, Fahrräder, Besteck, Möbel, Kleidung, Delikatessen, Schmuck oder gar Autos.

Eine Kultur des Teilens

In „Organisation Marke Eigenbau“ geht es um neue Regeln einer kooperativen, vernetzten Weltwirtschaft, also um eine Kooperation ohne Befehlsstruktur und um eine Kultur des Teilens (wie bei Musikdownloads). Es geht gemeinsam produzierende Massen wie bei Open-Source-Projekten (Wikipedia, Linux, Firefox, OpenOffice), mit denen sich teilweise klassich Gewinne erzielen lassen, und um Crowdsourcing, bei denen sich Unternehmen der Massenkollaboration bedienen (so haben Freiwillige für die NASA die Marsoberfläche vermessen). Und unter „Mikroökonomie“ wird unter anderem behandelt, dass Großorganisationen viel stärker zu Gemeinschaften werden müssen, die weniger über Angestellte verfügen, als auf Mitglieder bauen.

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In „Marketing Marke Eigenbau“ wird „mit Shopping die Welt verändert“ (KonsumentInnen erziehen Firmen). „Social Commerce“ wird erklärt mit: Ich kaufe direkt beim Hersteller, ich werde wahrgenommen, ich habe Einfluss auf weite Teile des Herstellungsprozesses (etwa Farben, Materialien etc.). Und man erfährt, dass Open Soure-Marketing mehr als Mundpropaganda ist.

Glokalpolitik

Unter „Welt Marke Eigenbau“ schließlich weisen Friebe und Ramge darauf hin, dass Eigenbau die Welt nicht retten wird, aber sie geben Beispiele, wie Ressourcen kolletiv genutzt werden (Car-Sharing, Leihfahrräder etc.), von einem Kapitalismus mit menschlichem Gesicht (Mikrokredite für Arme, Sozialunternehmen wie etwa ein Online-Ratgeber für Energieeffizienz), für „Entwicklungshilfe DIY“ und dafür, dass endlich Produkte für die armen 90 Prozent der Verbraucher entwickelt werden (eine billige Tse-Tse-Fliegen-Falle oder einen Wasserfilter-Trinkhalm um 3 Dollar). Und unter „Glokalpolitik“ geht es auch um die Rolle des Konsumbürgers im heutigen Kapitalismus: Als Nachfrager kauft man die billigsten Produkte im größten Supermarkt, deren massenhafter Import den eigenen Arbeitsplatz bedroht. Als Anleger forciert man genau jene kurzfristige Gewinnorientierung von Unternehmen, die man als Bürger missbilligt.

Wie gesagt, ich kann diese Analyse weder bestätigen noch widerlegen. Ich erlebe allerdings bei mir und sehe bei vielen FreundInnen und Bekannten die negativen Auswirkungen von Arbeitswut (aus Angst im Laufrad oder verzweifelt ohne Job), bin pessimistisch, was meine und die allgemeine wirtschaftliche Zukunft anbelangt, und erachte es deshalb für gut und notwendig, dass über Alternativen zum vorherrschenden System nachgedacht wird. ###

© Werner Schustert (2008 im „Augustin“ nicht erschienen)

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