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BIS 34 WAR I SOZIALIST, WOR AA KA BERUF

Nicht nur Regisseure fragen sich bei älteren Stücken in der Regel, was diese mit uns heute zu tun haben könnten, auch das Publikum geht ja nicht unbedingt ins Theater, um ein Museum zu besuchen.


Was also sollen wir mit einem Drama anfangen, von dem ein Regisseur wie Frank-Patrick Steckel dereinst (2007) meinte: „Man würde den Text am liebsten zu den Akten legen, doch die Zeiten sind so, dass das nicht nur nicht geht, sondern man es immer wieder hervorholen muss, gleichzeitig hat man das Gefühl, das Theater muss auf diese Dinge reagieren, und wie soll es das tun als mit Stücken, die über diese Dinge sprechen.“

Die Rede war/ist von Bertold Brechts „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“. Und grundsätzlich sollte doch klar sein, was dieses Stück zu einem heutigen macht: Von seinen New Yorker Börsenfreunden beraten, verkauft Chicagos Fleischkönig Pierpont Mauler das Geschäft an seinen Kompagnon unter der Bedingung, den Bankrott des gefährlichsten Konkurrenten herbeizuführen.

Nun hat Brecht diesem Mauler als Gegner ausgerechnet eine Heilsarmistin gegenübergestellt. Die versucht ihn zu überreden, die Fleischfabriken wieder zu eröffnen, und gerät dabei immer tiefer in den Strudel wirtschaftlicher Machenschaften der Fleischbosse. Schließlich begibt sie sich aus Protest zu den auf den stillgelegten Fleischhöfen im Schnee ausharrenden Arbeitern und wird Zeugin ihrer Versuche, sich gegen die Bosse durch einen Generalstreik zur Wehr zu setzen. Als diese ihr eine wichtige Nachricht anvertrauen, unterschlägt sie diese aus Angst, damit gewalttätige Auseinandersetzungen zu verursachen. Dadurch scheitert der Streik. Am Ende erkennt die sterbende Johanna, dass ihre Hoffnung auf Gott und Verhandlungen mit den Kapitalisten gescheitert sind und dass sie den Arbeitern, denen sie helfen wollte, nur geschadet hat.

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Und was wollte uns Brecht damit sagen? Dass soziale Kompromisse in der Krise zum Scheitern verurteilt sind und vor allem die negative Wirkung religiöser Organisationen, die, ohne es zu wollen, nur den Reichen und Mächtigen dienen?

Weil mich etwas anficht

Mag sein. Michael Thalheimer inszeniert das im Burgtheater und sagt: „Ich mache Regie, weil mich etwas anficht. Jeder kennt Sehnsüchte, Ängste, Gier und Gewalt, die Vertracktheit der Gefühle, die schmerzliche Glückssuche – darum geht es in meinen Stücken. Alles universelle Themen, die ich mit dem zusammenbringe, was uns heute zu schaffen macht.“

Vor drei Jahren haben ihn Gerhart Hauptmanns „Die Ratten“ angefochten, und die werden ab Oktober im Volkstheater gezeigt. Was um alles in der Welt sollen wir aber mit armen, ungebildeten Leuten anfangen, die einer noch ärmeren Frau ein Kind wegnehmen?

Nunja, haben wir gegenwärtig nicht genug Beispiele für Stars, die Kinder aus Entwicklungsländern adoptieren? Und wirkt sich die derzeitige Wirtschaftskrise nicht dahingehend aus, dass sich viele immer weniger leisten können? Und redet man uns nicht oftmals ein, ohne (Weiter-)Bildung würden unsere beruflichen Chancen sinken?

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O.k., dies mögen kleinliche Randbemerkungen zu einer Großstadtdichtung sein, die immerhin fünf Mal verfilmt worden ist. Es spricht aber einiges dafür, dass ein Schriftsteller wie Dimitré Dinev, der in seinen Romanen gerne soziale Missstände thematisiert, das 1911 uraufgeführte Stück fürs Volkstheater in diese Richtung neu bearbeitet.

Nur auch einmal ein Nazi gewesen

Missstände haben Helmut Qualtinger und Carl Merz in ihrem „Der Herr Karl“ 1961 auch thematisiert, und wenn nun jemand meint, er habe schon wahrlich genug über und gegen die Nazis gehört, gelesen und gesehen, so sei hier nicht auf die gegenwärtige parteipolitische Landschaft in Österreich hingewiesen, sondern darauf, dass es in diesem Ein-Personen-Stück ohnedies um mehr als das geht.

Der Herr Karl ist nämlich nur auch einmal Nazi gewesen, sondern vor allem ein opportunistischer Mitläufer, der sich im wechselhaften Gang der österreichischen Geschichte vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Ende der Besatzung durchs Leben manövriert hat.

Angesichts dessen brauchen sich Regisseur Herbert Föttinger und „Herr Karl“ Martin Zauner keine Gedanken darüber machen, was das mit uns heute zu tun haben könnte.
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© 2010 inwien

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