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kinderkrebsversand

Gedichte aus der depressiven Zone

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kinderkrebsversand
wir sind als junge menschen hat man uns nicht erniedrigt klein waren wir ja ohnedies schon und hilflos unbeholfen so half man uns auch nicht so zwang man uns in die höhe auf die knie und den topf daß wir uns nicht immer noch beschmutzten vor aller augen die sich erinnern mußten dadurch an ihren eigenen schmutz den sie vor sich versteckt hielten und halten und trieb man uns unter ständiger beobachtung nicht weiter in die höhe brach man den willen uns und hielt uns später an keinen buckel zu machen und verursachte alle lust unserer naiven seele gewissensbisse schuldgefühle in denen die sich ihre lust zu einem witz gemacht hatten und seitdem beständig lächelten wenn sie nicht gerade ernst oder besorgt um uns waren so vererbten sie uns mehr als biologisches nämlich neurotisches wie angst vor dem lebendigen das aus uns heraus wollte weil lustiges leben sich ausbreiten will und wir uns aber fürchteten schließlich vor der breite weite unendlichkeit und wurden kleiner an geist und seele wiewohl der körper uns noch wuchs und eine begierde unstillbar seitdem man uns den natürlichen umgang damit gründlich verdorben hatte also wurden wir sauber nett und kultiviert also verklemmt unglücklich und unbefriedigt und lust ist ja da zum stillen der sehnsucht nach befriedigung aber lust erschien uns nicht lustig sondern unbekannt und vor fremdem hatten wir nun einmal angst wie wir ja auch vor uns selbst angst hatten weil wir uns nicht kennenlernen konnten weil wir vor uns angst hatten und angst stand immer da als ehernes tor vor dem lustparadiese vor dem wir schließlich stockten und erstarrten und wurden erwachsen und so voller sehnsucht nach befriedigung aber keiner tat mehr als zu denken vor gefühlen hatte man ja angst und jetzt sind wir so groß und krumm und leben einher wie lauwarme maschinen während maschinen ja noch den ungeheuren vorteil haben nicht krebs bekommen zu können sie würden uns überleben aber daran denken wir nicht weiter weil wir vom tode wirklich nichts wissen können außer daß er uns angst macht aber nicht die vor einem ungelebten leben

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von helden
wollten wir allen irrtum nicht besiegen
und verspürten
sosehr wir uns auch wehrten
dagegen
daß er siegt oder siegen würde
daß unsere lebenslust
vor diesem krebs
klein und lächerlich erscheinen mag so groß sie auch wäre
wir glauben nicht mehr an uns
das sterben-wollen hat uns geschafft
die liebe verkümmert
und schrumpft
dabei hätten wir es so gut gemeint
mit der welt
und da wir bemerken
daß wir einfach uns übergangen haben
vor lauter zielen
sehen wir auch schon
daß dieses wir gar keine bedeutung mehr hat
oder eine ganz kleine noch
es hält uns am leben
aber wie
denn wir wollten uns der lust vermachen
und es hat und die angst
zu schatten und masken unserer vergangenheit gemacht
so stehen wir da
betrachten
und bedenken all unsere teile

leisetreter
leisetreter
unentwegt gehetzt
minimal-äußerungen und verhalten
beschäftigung
ausweichend
unbestimmt
scheinbar beständig
geleitet und glücklich
verbergend, verborgen
versteckt
starr, einsam, mutlos
und die angst
angst, a!

schön, dunkel
schöner beginnen tag
und leidlich anstrengen, ihn so zu halten
aber wie siegte das üble nicht
die kotze
die lügerei
die verbittertheit und die wehmut
geworden ein schwarzes loch
leidloch
und stopft man ohne weiteres weiter hinein
alle die mühsal sich aufrecht zu erhalten
trotzdem noch positiv zu scheinen für andere
ein anderer zu sein
als man
aber was ist man schon
was bin ich
ein krater, ein sumpf
eine düne, eine wüste
ein lebendiger, wenn auch grundlos
ein einsamer
schwarz enden tag
dunkle tränen und seufzer der verzweiflung
daß man wieder nicht geliebt hat
lieben hat dürfen

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familienalben
was soll daraus werden
mütter, väter fürchten sich vor ihren kindern
erziehen sie zur angst hin
zum tod hin
geben sie niemals frei
und sollten ihre töchter, söhne mütter, väter sein
vermöchten sie das, sich nicht, niemals zu ändern
und fürchten, erziehen
geben angst weiter
vor diesem gefährlichen leben

eure fiesen gesichter
eure fiesen gesichter!
wie ihr freude ausstrahlen müßt
wenn ihr wieder einmal beruhigt feststellen könnt:
er hat es auch nicht geschafft
er wollte lieben und ist unglücklich und verzweifelt
er wolle es uns zeigen, aber wir haben gewonnen
mit unserem erlogenen leben
seine wahrheit! seine wirklichkeit!
wie stolz und gerade er uns entgegenkam
wie klein und schwammig er schon ist
wie nichtig er einmal sein wir
wie wir
nichtig wie wir

fordern, verlangen
tage
die sich hinziehen
mich hineinziehen in ein mühsamer erretten meiner bedürfnisse
meine tägliche freunde am lieben
und mein scheues hassen
mein versuchen, die gleichgültigkeit zu umgehen
mein bestehenwollen, überstehenmüssen
meine sehnsüchte, phantasien
und alles andere scheint dem zuwider
sollte vielleicht prüfsteine markieren
und ich strauchle, erstarre
gegen die schwere der unlust
gegen das zufriedensein, das erleimte
stolpere, aber bewege
mich
doch warum dagegen
warum genügt es nicht, leiden zu wollen
warum muß ich mich gegen die beschäftigung, das zeitvertreiben anderer bewähren
warum läßt man mich nicht in ruhe lärmend empfinden
warum müssen falsche hindernisse sein
wie ihr
todessehnsüchtige
ängstliche
mutlose betrachter
ich fordere euch nicht mehr heraus
was also verlangt ihr noch von mir
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mein großer wille
wie oft noch darf ich der erde
die liebe abverlangen
wie lange mag sie mir geben
wonach ich dürste
ich vertat alles bisher
brachte jede blume zum dorren
trotz oder wegen des großen willens
ich weiß immer mehr
aber nützt das
gegen besseres ahnen hab ich immer wieder vergessen
was so banal-irdisch ist
jenes fruchtbare geben und nehmen
das schon beim atmen beginnt
und niemals mit einem verweilt
sondern fortträgt
in fremderes leben
das ich ängstlich töte
und wollte doch
und wollte dich
und wollte

sonett
meine verträumten gedanken
sind heftpflaster über der schlecht
verheilenden wunde, sanken
die liebesschmerzen auch gerecht
verteilt unter das dünne netz
ausflüchtender verzweiflung, du,
deiner augen nähe, reißt jetzt
alle lüge auf; enttäuscht zu
sein bedeutet wohl hassen, meint
gleichgültig scheinen noch sehnsucht
nach verbotenen wünschen, eint
nichts als der schmerz vergangenheit
die man getrennt zu ordnen sucht
nach erstarrter gemeinsamkeit

dialektik und glück
wie leichtfüßig
ist an eine dialektik
von lust und leiden
zu denken davon zu sprechen
solange man lustig ist
aber bin ich dann leidig
lebe ich an ihr vorbei
denke
schmerzverzerrte träume
und spreche zu mir
vom glück

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mikado
menschen tiere pflanzen gedanken und gefühle liegen auseinandergefallen in der landschaft eine starke hand vermöchte dies zusammenzuhalten eine schwache zöge wie halme aus dem wirrwarr wobei einiges verrückt würde im großen und ganzen aber alles beim alten blieben wer das mikado der welt erfahren hat findet zu ihr nicht mehr zurück geht entweder an einen platz oder verliert sich an die form der ebene oder an die unendlichkeit des horizonts

sonett, ungereimt
es scheint tatsächlich nicht möglich
die sterne, die wir uns träumen
entfernt zu halten, ihr feuer
ins hoffende herz zu setzen
sobald du sie heruntergreifst
betrachtest du verkommene
erkaltete hoffnung, wissen
um freundlich verklärte lüge
die wahrheit entzweit gemeinsam
verbrochenes glück und schneidet
bemühtes gebinde zu dreck
den sammeln wir, erinnerung
und trosts wegen, recht behalten
zu können vor unschuldigen

mitteilen
das sagt ja nicht viel aus
nicht allzu besonders viel
daß man sich nichts mehr zu sagen hat
daß menschen nebeneinander sitzen
und sich nichts miteilen
daß ihnen so vieles schon bekannt vorkommt
daß sie vor einer aussage diese bereits zu wissen glauben
das sagt ja nicht viel aus
nicht allzu besonders viel
das kann auch vieles darstellen
daß man sich die liebe nicht mehr zu sagen hat
daß menschen nebeneinander lieben
und es sich nicht mitteilen
daß ihnen die liebe schon bekannt vorkommt
daß sie vor ihrer bekundung die liebe bereits zu wissen glauben
das kann auch vieles darstellen
das kann schon die verzweiflung sein
die angst auch und das sterben-wollen
daß man sich nichts mehr zu sagen hat
daß menschen nebeneinander sitzen
und sich nichts mitteilen
daß ihnen so vieles schon bekannt vorkommt
daß sie vor eines aussage diese bereits zu wissen glauben
das kann schon die verzweiflung sein
die angst auch und das sterben-wollen

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bestens reinigen
bestens reinigen
wir behandeln außen und innen
von innennachaußen und von außennachinnen
wir verwirren perfekt
außerhalb des innenundaußen
machen die mit der wahrheit weiter
wir aber wissen zu gut schon:
wer die wahrheit liebt, lügt
das ist leidig

leben
ich will mich ausprobieren
versuchen: was immer noch möglich sei
erleben: was wird
tun: äußerstes/innerstes
tiefer und höher
nicht flach/eben
leben

zersplittert
zersplittert
und dennoch ein zentrum im auge
ein einendes:gott, oder so/was
nicht ich trage
ich bin getragen
entscheidungen heute lieben das kleine geringfügige ohnmächtige
wie wenn viele einst in einem punkt versammelt
voneinander gegangen sind
zersplittert
und jeder meint
sein punkt sei der punkt der anderen auch
oder er meint es nicht und glaubt an nichts
nichts aber eint die einsamen
kein gott/keine weltanschauung
alle ver/suchen für sich
ein jeder ein splitter im auge der welt

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auf besuch
wir bleiben wohl gäste
hier
und besuchen das leben
wie jene alten bekannten
die ruhig sind und hoffnungslos

wie es die jungen verändern
wir die jungen jetzt
sollten dankbar erwachsen sein
aus dem unterbrochenen kriege
doch wir tragen den krieg
den vererbbaren
weiter in uns
schuldig an unserer großväter großmütter
tod und einsamkeit
schuldig an unserer eltern wohlstand
ihrem geleimten glück
wir erkennen wohl wie es steht
denn eltern bessern großeltern in uns
und wir unsere eltern in unseren kindern
den jungen dann
die es verändern

lustig
die angst ist überall
in einem lächeln ebenso
wie in den tränen
und mut ist nicht ihr gegenteil
mut ist ihre andere form
lust ist die antwort
die lustige
auf seltsam selten gestellte fragen
und angebote
aus der einsamkeit

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gebet
amnestie für meine vertrocknete
seele sie hat einen liebessaft
nötig einen von draußen her
kommenden selbst schwitzt
sie ja nur ein bißchen lau
hinaus in die böse welt
und mein herrischer geist
befiehlt ihr so gut sich zu
verhalten und sie will
mehr als das nämlich
offen einkehren in den fluß
der phantasiebeflü
gelten realität doch hat
sie immer noch angst
vor dem gebieter der es
sich auch nicht erklären
kann wie dürr und
schal und unergiebig
das erduldete gestattete
leben doch ist

zu spät
anfangs scheint sie tödlich, diese langeweile
wenig später merkt man deutlich, was vergeht:
stundenweise traum und täuschung
wer nirgendwo hingeht
kommt auch nirgends zu spät
doch da gibt es ziele, die verlocken
die man stur betrachtet und verfolgt
bis sie aufgelöst die weite leere zeigen
zärtlich schmiegt sich diese
an die eigne haut
schließlich lebt man noch sein innenleben
schattenbilder und vertanes glück
liegt voll sehnsucht in dem selbstgegrabnen grab
erwünscht sich zukunft
kein jetzt und kein zurück

versungen und vertan
gedrücktes kind
soll schon jemandem entsprechen
anstatt einer zu werden
zo zenzipel, zo ängstlich
wird schließlich jung und mannbar
aber ganz vertan
o ängstipl
witzig, weil es nicht traurig sein kann
intellektuellellell übel dem schmerz
geht in die todkranke welt ’naus
und stirbt aus wehmut
liebe macht herztot, heutzutage
männliches kind
mann über dem kindel
zensibel
will’s singen, die lieb
aber d’angst zwingt ihn
ach, vertut’s gänzli
o so sonsensibel mit angs
pumm!

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bedürfnis, urban
bedürfnis
              sehnsucht
   dürsten
       stein
          einsamkeit
            introvertiert
                       tierisch
                          frisch
                             schalk
                                  alkohol
                                  alkoven
                                         engel
                                         eng
                                            grausam
                                               au
                                                 urban

vor und zurück
menschen mit sich
was machen
menschen mit sich
ihre gesichter
zu fürchten sind
ihre gesichter
augen
sind tropfsteinhöhlen
augen
diese hände
fest halten
diese hände
kreuz
krumm
kreuz
sie sich
wie töten
sie sich
bemitleidenswert
sind sie wirklich
bemitleidenswert

zuhören
ich hätte noch was zu sagen
aber ich höre mir nicht zu
ich und hätte und noch und was
aber nicht
nicht ich
aber ich höre
zu

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das vermeiden
ich bin mir entlaufen
und ich wußte nicht mehr genau
ob es vor oder nach der suche geschah
tatsächlich aber lief ich mir nach
bin müde geworden
stehengeblieben
ich stand vor mir, schwitzend, betrachtend
ein schritt = ein schritt
ich begann zu gehen
und ich ging
ich sprang und
ich sprang
ich rief und weinte
lachte mich aus
ich lachte mich hinaus
und ich weiß nicht mehr genau
ob es vor oder nach der suche geschah

eisengrau entsteht
eisengrau entsteht
einstmals verzaubert
böses entladen
mit der politischen zeit
eingefangen vom vielerlei
jetzt
außen so gut

mengenlehre
ich bin ein teil er menge
und die menge teilt

© Werner Schuster

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