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DER HEILIGE KRIEG DER BARBAREN

Das westliche Klischee von den Kreuzzügen ist wie ein Hollywoodfilm: Die guten Ritter kämpfen gegen die bösen Muslime. – Kann es vielmehr stimmen, dass sich gute Muslime gegen böse Ritter verteidigt haben?


Es gibt das dümmliche Journalisten-Bonmot, dass aufwändige Recherche die beste Geschichte ruiniert. In diesem Fall stimmt dies – beinahe. Denn ursprünglich hätte dies ein Aufsatz über die Kreuzzüge aus Sicht der Araber sein sollen, wie es Amin Maalouf in seinem Buch „Der Heilige Krieg der Barbaren“ beschreibt. Mit Barbaren sind die Westeuropäer gemeint, die im 11. Jahrhundert in eine hochzivilisierte Welt eingedrungen sind. Doch diese These lässt sich sich halten. Weder die Christen noch die Muslime waren grundsätzlich grausam und ungebildet.

Allerdings fällt der Versuch, ein differenziertes Bild von den Kreuzzügen zu zeichnen, nicht leicht. Die Schwierigkeiten beginnen schon beim Begriff „Kreuzzug“. Abgesehen davon, dass dieses Wort umgangssprachlich mit "Kampagne" gleichgesetzt wird – auf politischer Ebene wird Kreuzzug im Sinn von „gerechter Krieg“ verstanden: US-Präsident George W. Bush etwa hat den dritten Irakkrieg anfänglich als Kreuzzug gegen Terroristen bezeichnet.

Tatsächlich wurde „ein Kreuzzug vom Papst als dem Oberhaupt aller Christen legitimiert und nicht von einem weltlichen Herrscher“, so der Cambridge-Professor Jonathan Riley-Smith, der Kreuzzüge generell als zur Buße unternommene kriegerische Unternehmungen definiert, die als Pilgerfahrten eingestuft wurden.

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Mit Kreuzzügen sollten nicht nur Jerusalem zurückerobert oder die Muslime zumindest aus Europa vertrieben werden – Kreuzfahrer zogen auch gegen heidnische Wenden, Balten und Litauer in den Kampf sowie gegen schamanische Mongolen, orthodoxe Russen und Griechen, gegen Häretiker wie die Katharer und Hussiten und gegen Katholiken, die als politische Widersacher des Papsttums auftraten.

Hier aber soll es um die Kreuzzüge der Westeuropäer gegen die Musilme gehen. Darf man als bekannt voraussetzen, wer da gegen wen kämpfte? In gebotener Kürze: In mittelalterlichen Westeuropa, in dem der zivilisatorische Entwicklungsstand der griechisch-römischen Antike verloren gegangen war, ist am Vorabend der Kreuzzüge die römische Kirche die einzige ordnende Kraft. Hier war das Reich der Franken innerhalb von drei Jahrhunderten zum größten und mächtigsten Land geworden. Die Muslime nannten die Kreuzfahrer auch samt und sonders „Franken“, obwohl das fränkische Reich schon längst in Frankreich und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation geteilt worden war.

Das Oströmische (oder Byzantinische) Reich, das sich im östlichen Mittelmeerraum bis zur arabischen Halbinsel und nach Nordafrika erstreckt hatte, war im 11. Jahrhundert auf den Balkan und Kleinasien beschränkt. Im Laufe der arabischen Eroberungen ab dem 7. Jahrhundert hatte es auch seinen römisch-spätantiken Charakter verloren.

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Um 950 herrschten arabische Muslime über (die heute so bezeichneten Länder und Gebiete) Spanien, Nordafrika, Ägypten sowie große Teile des Nahen und Mittleren Ostens. Schon 638 hatten sie Jerusalem eingenommen, was den Westen bis zum Ende des 11. Jahrhunderts nicht sonderlich zu interessieren schien. Auf einmal aber ziehen „Franken“ los, um Jerusalem zurückzuerobern. Warum?

Die Kreuzfahrer kommen!


1095 ersuchte der byzantinische Kaiser Alexios I. den Papst Urban II. um Hilfe gegen eine neue Welle von muslimischen Eroberern. Leicht fiel das Alexios nicht, kurz nach dem morgenländischen Schisma, der Trennung von West- und Ostkirche 1054. Was er sich erhoffte, waren jedenfalls einige hundert Soldaten – und keine plündernden Kreuzritterheere (vor denen er 1096 auch die Tore von Konstantinopel verschlossen hat), die aus wenig Rittern und aus vielen – auch weiblichen – Handwerkern, Kaufleuten, Bürgern und sogar Verbrechern bestanden.

Die Muslime, vor denen Alexios Schutz brauchte, waren zum Islam übergetretene Seldschuken turkmenscher Abstammung, welche den arabischen Raum sukzessive eroberten. Kurz vor dem ersten Kreuzzug brachen Thronkämpfe aus. Der Zerfall der Seldschukenmacht in Syrien begünstigte die Eroberung Jerusalems durch die „Franken“ 1099.

Ein Europa, dessen Reichsgrenzen sich – durch Kriege oder durch Heirat – permanent verschoben, war also in ein sich bekriegendes Muslimen-Reich eingedrungen. Letztere verbündeten sich zeitweise gegen den Feind von außen, um bald danach wieder gegeneinander vorzugehen. Aber auch die „Franken“ bekriegten einander, mischten sogar bei den Fehden der muslimischen Kleinkönige mit und zogen in deren Heeren gegeneinander in die Schlacht.

Bei der Errichtung der Kreuzfahrerstaaten ging es nicht immer christlich zu: Balduin von Boulogne etwa war in Edessa an die Macht gelangt, indem er sich zuerst eingeheiratet und danach seine Schwiegereltern töten lassen hatte. Auf der anderen Seite ließ der Turkomane Imad ad-Din Zengi ein Massaker unter der Bevölkerung anrichten, als er Edessa 1144 zurückeroberte.

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Dies löste den zweiten Kreuzzug unter Ludwig VII. aus, der allerdings Edessa nicht wieder einnehmen konnte. Er scheiterte an Zengis Sohn Nur ad-Din, den Ägypten um Hilfe rief, nachdem Kreuzfahrer 1168 eine Kleinstadt nahe Kairo überfallen und unter den Einwohnern ein grauenhaftes Blutbad angerichtet hatten. Nur ad-Din entsandte einen seiner fähigsten Männer: den aus einer kurdischen Familie stammenden Saladin (eigentlich Salah ad-Din Yusuf bin Ayyub).

Saladin fügte den Kreuzrittern bei Hattin eine entscheidende Niederlage zu und eroberte im Anschluss Jerusalem zurück. Dies liest sich aus westlicher Sicht so: „Im Oktober 1187 stehen islamische Truppen vor den Toren Jerusalems und bereiten sich auf die Belagerung vor. Die Verteidiger bitten um Gnade. Doch Saladin denkt nicht daran. Er will sie so hinschlachten, wie die Kreuzfahrer 1099 die Moslems ermordet hatten. Hinter den Mauern der Heiligen Stadt drohen die Christen, im Falle eines Angriffs die Al-Aksa-Moschee zu zerstören, eines der bedeutendsten islamischen Heiligtümer. Saladin entscheidet sich für ein vorsichtiges Handeln. Gegen Lösegeld will er die Christen verschonen. Darauf einigt man sich.“ (© ZDF Expedition)

Aus muslimischer Sicht ging die Rückeroberung folgendermaßen vor sich: Nachdem die meisten befestigten Orte in Palästina erobert hatte, schlug Saladin den Bewohnern von Jerusalem folgendes vor: Man soll ihm die Stadt kampflos übergeben; wer von den Bewohnern will, kann sie mit aller Habe verlassen, die christlichen Kulturstätten werden respektiert, und die Christen, die künftig als Pilger kommen, werden nicht behelligt. – Doch die Franken gingen nicht darauf ein. Ihr Widerstand war „mannhaft, ohne Illusion und kurz“ (Maalouf). Und obwohl der „unverbesserlich großzügige“ Saladin nach der Ausschlagung seiner Angebots geschworen hatte, die Stadt mit dem Schwert zu nehmen, ließ er die Christen – gegen eine finanzielle Kompensation – unbehelligt ziehen.

Welche Version ist „wahr“, welche ist wahrscheinlicher? – Und war Richard Löwenherz, der den dritten Kreuzzug zur Rückeroberung Jerusalems anführte, „Inbegriff des weisen, guten Königs größter Ritterlichkeit“ (© Wikipedia) oder, so Maalouf, unglaublich brutal und skrupellos? Jedenfalls einigte er sich mit Saladin, bevor er sich auf den Heimweg machte, auf einen fünfjährigen Frieden.

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Friedrich II. allerdings wird von beiden Seiten als jemand beschrieben, der im fünften Kreuzzug Kämpfe gegen die Muslime gar nicht anstrebte, sondern lieber mit Sultan Al-Kamil von Kairo diplomatisch verhandelte. Ergebnis: Jerusalem wurde 1229 mit Ausnahme des alten Tempelbezirks per Vertrag den Christen übergeben, die außerdem einen Korridor zur Küste erhielten. Darüber hinaus wurde ein zehnjähriger Waffenstillstand vereinbart.

Die Mongolen kommen!


Die Muslime hatten zu dieser Zeit allerdings nicht nur die Franken zum Feind, sie mussten sich auch gegen die anstürmenden Mongolenheere zur Wehr setzen. Vor diesen flüchtende Türken eroberten 1244 Jerusalem „endgültig“ für die muslimische Welt zurück.
Erst die Mamelucken, ehemalige türkische Sklaven, die ab 1249 in Ägypten herrschen, konnten sich gegen die – zu diesem Zeitpunkt zerstrittenen – Mongolen erfolgreich zur Wehr setzen. Der Mamelucken-Herrscher Kalaun schloss einen Friedensvertrag mit den Franken, damit sich diese nicht mit den Mongolen verbündeten. Erst nachdem dieser Vertrag von den Kreuzrittern gebrochen wurde, vertrieb sie Kalauns Nachfolger 1291 gänzlich aus dem, was von den Kreufahrerstatten noch übrig war: einige Festungen entlang der Küste.

In der Folge profitierten die Westeuropäer im gewissen Sinn davon, dass sie 1204 – im Auftrag Venedigs – im vierten Kreuzzug Konstantinopel erobert und geplündert hatten: Aus ihrer Sicht hatte das Byzantinische Reich das Wissen der Antike bewahrt und die flüchtenden Gelehrten brachten es wieder in die westliche Welt zurück, wo es schließlich die Renaissance auslösen sollte.

Für Maalouf und andere jedoch ist das griechische Kulturerbe über die Araber nach dem westlichen Europa zurückgekommen. Dies wird auch durch die zahlreichen Übersetzungen antiker Bücher aus dem Arabischen bestätigt.

Was stimmt wohl? Wahrscheinlich beide Versionen und Westeuropa verdankt die Renaissance auch den Arabern, deren gebildete Elite die Kreuzritter für Barbaren gehalten hat. ###

© Wiener Zeitung 2007

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