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KURZSCHLÜSSE
Aus unruhigem Schlaf erwacht Markus mit dem Gedanken: ,Heute ist mein Stichtag‘,
und steht auch schon auf, leise, um Verena nicht zu wecken. Schnurstracks begibt
er sich ins Arbeitszimmer, um den Computer einzuschalten, damit er nachher gleich
loslegen kann, kehrt ins Vorzimmer zurück, betritt die Küche, schaltet
die Kaffeemaschine ein – und löst einen Kurzschluß aus.
Schon wieder. Energisch besteigt Markus den unterm Sicherungskasten bereitstehenden
Sessel und kippt einen Schalter um. Das Licht geht wieder an, und die Kaffeemaschine
beginnt ihr Werk.
Sogar der Computer startet problemlos. Ergriffen betrachtet Markus das Erscheinen
einer leeren Seite. Wenn ich heute nichts zustandebringe, hat er sich geschworen,
höre ich auf mit dem Schreiben. Und jetzt holt er sich nur noch rasch seinen
Kaffee.
Währenddessen taucht Verena allmählich aus ihren Träumen auf.
/ An einem anderen Ort in derselben Stadt berührt Sylvia im Schlaf ihren
Mann Heinz, der zuckt zusammen und rückt ohne aufzuwachen zur Seite.
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Markus sitzt vor seinem Bildschirm und hebt beide Hände in einer beschwörenden
Geste. Dann sinken seine Arme wieder, während Verena verwirrt Ausschau
hält nach ihren Freund, und jetzt sucht Markus nach einem Buch in seiner
Unordnung, wird fündig, blättert hektisch nach einer bestimmten Stelle
und beginnt diese abzutippen: Künstler sein heißt: nicht rechnen
und zählen. Rilke! Aus dem „Brief an einen jungen Dichter“,
das nimmt Markus als Motto her für die Kurzgeschichte, die er sich heute
zu verfassen vorgenommen hat, und er ist knapp davor, einen Titel zu erfinden
– Inhalt weiß er noch keinen –, als die Tür geöffnet
wird und Verena, als könnte sie sich’s nicht zusammenreimen, fragt:
„Was machst du da?“
Und da fällt es Markus wieder ein: Heute ist nicht nur der entscheidende
Tag in seinem Leben, den heutigen Tag hat er auch versprochen, mit seiner Freundin
zu verbringen.
Lauthals das Wort „Internet“ intonierend, erhebt sich jetzt Sylvia,
worauf Heinz verschlafen auf seine Uhr sieht und ein ungläubiges „Acht“
hervorstößt. Sylvia streckt ihm die Zunge heraus.
Verena kehrt ihrem Freund den Rücken zu und tritt gramgebeugt aus seinem
Blickfeld. „Scheiße“, murmelt Markus – und folgt ihr.
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„Von welchem Geld, hm?“, wiederholt Heinz gerade seine Frage von
gestern Abend und meint, daß Sylvia sich einen Computer angeschafft hat;
und: „Wofür brauchst du ein Internet?“
Was bleibt ihr anderes übrig, als „Zum Spaß“ zu sagen?
Heinz flüstert, ohne sie anzusehen: „Du bist so was von einem Trampel.“
„Einen Tag, Markus, einen Tag. Ich hab’ dich um nicht mehr gebeten,
als daß du einen Tag mit mir verbringst. Seit Monaten nehm’ ich
Rücksicht auf dich, ohne daß du mir bisher eine Zeile gezeigt hast.
– Aber jetzt reden wir schon wieder über dich. Dabei wollte ich …
– Ich hab’ dir sogar etwas schenken wollen, ich blöde Kuh.“
Nach einer Weile: „Was is’ es denn?“
Sie überreicht ihm ein Buch aus ihrer Handtasche, Markus sieht sie gerührt
an, liest dann den Titel – und bemüht sich, seine Fassung zu bewahren:
„,Handwerk und Technik des Erzählens‘?“
„Ich hoffe, du hast es noch nicht.“
„Verena, bitte. Ich mache Kunst da drüben, ich schreibe keinen …
keinen Stephen King!“
„Genau das steht da am Anfang drinnen: Daß man –“
„Halt den Mund.“
„Wie bitte?“
„Halt den Mund. Ich laß mir doch nicht von einer Zahnarzt-Helferin
das Schreiben erklären.“
Sagt’s und verläßt den Raum. Eine Tür knallt, und Verena
schießen die Tränen ein.
„Jetzt komm.“ Sylvia hat sich vorsichtig neben ihrem Mann niedergelassen
und rempelt ihn nun leicht an. „Ich hab’ mir gedacht, das ist auch
was für dich. – Daß dich deine Kunden auch übers Internet
erreichen.“
Heinz mustert sie verächtlich: „Sicher. Wenn einer keinen Strom mehr
hat, schaltet er seinen Computer ein und schickt mir eine E-Mail.“
„Aber es haben ja nicht alle einen totalen Stromausfall, oder?“
„Nein, nur du. Außerdem willst du ja nur Typen kennenlernen. Im
Internet.“
„Ja, und dann schreiben wir uns schweinische Sachen und machen’s
uns selber dabei. Verstehst’, ich sitz’ dauernd allein da herum;
und ich bin nicht eifersüchtig, obwohl ich nicht ’mal weiß,
wo du dich herumtreibst.“
„Ich kann dir schon sagen, wo ich mich herumtreib’. Ich bin 20.000
Schilling verdienen für deinen Scheiß-Computer!!“
Kokett schlägt Sylvia die Augen nieder. „Du wirst mir jetzt wohl
nicht helfen, das Ding in Gang zu bringen?“
Abrupt steht Heinz auf und verläßt kommentarlos das Zimmer.
Das Telefon läutet, als Verena schniefend das zusammengeräumte Wohnzimmer
aufräumt: „Ja?“
„Schwesterherz! Du, ich hab’ mir da einen Computer –“
„– Sylvie, im Moment –“
„– Jetzt hör’ doch einmal zu. Mit Internet! – Auf
jeden Fall brauch’ ich deinen Lover, so zum Erklären.“
„Der Markus … ist gar nicht da.“
„Also lügen hast du noch nie können. – Du, ich ruf’
später wieder an.“
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Über seinem Ärger hat Heinz nicht wieder einschlafen können.
Dabei hätte er’s so notwenig. Die ganze Woche für die Firma
unterwegs; dazu die Notdienste. Und nie leistet er sich was, spart alles für
das Haus, das er einmal bauen wird. Und was macht die Sylvia? Schmeißt
das Geld hinaus für so ein Spielzeug.
Mit wem telefoniert sie jetzt? Heinz eilt zur Tür, lauscht. Ah, nur die
Verena. Die wird sie doch nicht hierher einladen, an seinem freien Sonntag!
Sylvia beendet das Gespräch, als er aus dem Schlafzimmer stürmt. „Die
kommen mir nicht her“, stellt er fest.
„Tun sie eh nicht.“
„Ah. Haben deine tollen Freunde mal wieder keine Zeit für dich.“
„Is’ es ein Wunder? Du willst ja nie jemand’ hier haben. Da
müssen wir ja immer trautes Heim spielen, wenn du einmal ausnahmsweise
nicht arbeitest. Das heißt, du pennst oder schaust Sport und ich sitz’
wieder allein da herum.“
„Dann räum’ halt zusammen, wenn dir fad is’; oder geh
halt arbeiten.“
„Was denn? Du läßt mich ja nicht. Da sitzen ja überall
Männer herum und wollen mich vernaschen. – Außerdem hab’
ich wo gelesen, daß man seine Homepage vermieten kann.“
„Was für eine Homepage denn? Du kommst ja nicht einmal ins Internet
hinein.“
„Wirst schon sehen. Ich setz’ mich da jetzt hin und bin schon drinnen.“
„Na, da bin ich aber gespannt.“
Er setzt sich genüßlich auf die Couch und beobachtet seine Frau,
wie sie sich verärgert und nervös vor ihrem Computer niederläßt.
Markus sitzt da und liest seine alten Gedichte. Das macht er immer, wenn ihm
nichts einfällt, und er liest sie oft. Was ihm das Mühe gekostet hat,
die alle abzutippen! Das hat er immer dann getan, wenn er mit der Arbeit an
seinem Roman nicht weiterkam. Oder er hat einen neuen begonnen. Seit über
einem halben Jahr geht das jetzt so, anfangen, verwerfen, anfangen, verwerfen.
Er versteht das nicht. Früher ist er förmlich übergelaufen vor
Gedichten und Tagebuch-Eintragungen. Früher hat er auch mit der Hand geschrieben.
Rilke hat auch mit der Hand geschrieben …
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Verena hat eine Notiz für Markus verfaßt. Ob er Sylvia helfen kann.
Und weil sie schon dabei war, hat sie gleich weitergeschrieben. Einen Brief.
Lieber Markus! steht schon da, und Ich muß mit Dir reden. Schon lange.
Vielleicht hätte ich heute sagen sollen, daß ich mit Dir reden muß,
und nicht, daß wir einen gemeinsamen Tag verbringen sollten. Mir geht’s
nicht gut. Ich kann will nicht mehr
Sie unterbricht, weil sie vergessen hat, Markus die Notiz unter der Tür
durchzuschieben. Und bei der Gelegenheit kann sie auch gleich den Geschirrspüler
einschalten.
Auf einmal ist der Computer tot. Draußen flucht Verena, dann hört
man sie beim Sicherungskasten hantieren. Im ersten Reflex ist Markus schon aufgesprungen,
um sich über diese Störung zu beschweren, doch dann betrachtet er
den dunklen Bildschirm, rechts davon liegt seine Füllfeder, und auf einmal
kommt ihm die Idee. Er greift sich den erstbesten Zettel, räumt das Keyboard
aus dem Weg, nimmt die Feder, setzt sie an, schreibt abermals, Künstler
sein heißt: nicht rechnen und zählen, überlegt, schreibt Ich
bin ein Künstler, ich rechne nicht, ich zähle nicht. Lange Schreibpause.
Dann Ich bin kein Künstler.
Ich kann will nicht mehr diesen Job machen. Ich will endlich Medizin fertigstudieren.
Und dazu müßtest Du wieder als Programmierer arbeiten. Aber Du bist
so vertieft in Deinen Roman. Und ich bringe es nicht übers Herz, dich aus
Deinem Traum zu reißen. Und dann das. Das heute. Daß du mir den
Mund verbietest, mit solchen Worten. Ich wollte Dir doch nur helfen, Dir zeigen,
daß ich Dich ernst nehme. Eigentlich wollte ich Dich nur fragen, wie lange
es noch dauert. Hast Du nicht gesagt: ein halbes Jahr? Das halbe Jahr ist längst
um, Markus. Und ich nehme mich jetzt ausnahmsweise selber ernst: Ich will, daß
Du Dir einen Job suchst, damit ich wieder studieren kann. Verena
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„Das muß doch zu finden sein.“ Planlos klickt Sylvia auf ihrem
Computer-Schreibtisch herum.
Sie entdeckt den Ordner „Internet“, findet „Internet-Programme“
und öffnet einen Browser. Dann tut sich was, und Sylvia freut sich schon,
vor allem erscheint ein Hinweis mit der Frage, ob sie sich mit dem Internet
verbinden will.
„Na klar“, jubelt sie, blickt triumphierend zu ihrem Mann und drückt
auf o.k. Doch dann erhält sie die Nachricht, daß ihre Konfiguration
nicht richtig eingestellt ist.
„Ich brauch’ keine Dings, ich will surfen“, murmelt sie, und
Heinz meint, „Na dann surf’ mal“. Da wird sie gefragt, ob
sie sich vom Assistenten helfen lassen will.
„Aber selbstverständlich“, antwortet sie, doch dann fragt sie
dieser Assistent nach ihrem Modem-Typ und nach TCP/IP und Remote Access, und
woher soll sie das alles wissen?
„Na, was is’ jetzt mit deinem Assistenten?“, will Heinz wissen.
Sylvia klickt nervös herum, bis sie ihren Computer zum Absturz bringt.
Kochend vor Wut drückt sie die Ausschalt-Taste, und als das nichts hilft,
zieht sie einfach den Netzstecker.
„Gehst jetzt was kochen?“, fragt Heinz.
Plötzlich steht Markus vor ihr, und im ersten Schreck versteckt Verena
den Brief hinter ihrem Rücken. Aber Markus interessiert sich eh nicht für
ihren Brief, oder sie. Er stammelt, „Kann nicht mehr“, läßt
sich auf sie plumpsen, umklammert sie und atmet ihr auf den Busen.
Angewidert klaubt sie seine Arme von sich herunter, springt auf und marschiert
quer durchs Zimmer, wo sie sich umdreht und mit gespieltem Mitleid sagt: „Was
hat denn mein Burli? Geht’s ihm nicht gutti-gutti? Hattu Problemili? –
Leck mich doch am Arsch!!“
Schreit’s, geht zum Telefon, wählt, sagt, „Na wa is’
jetzt? – Oh, hallo Heinz. Sag der Sylvie, wir kommen – Was heißt,
ihr habt’s schon was vor? Weißt du was: Lügen ist deine Stärke
nicht. – Wart einmal –“
Sie wendet sich Markus zu, bemerkt, daß der ihren Brief liest, fragt ihn,
ob er den Computer auch hier fürs Internet einrichten kann. Markus nickt,
geistesabwesend.
Verena, wieder ins Telefon: „Heinz? Sag der Sylvie, sie kann auch herkommen.
Allein; wenn du nicht mitwillst.“
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„Hallo!“ Eine stolze Verena steht vor einer schwitzenden Sylvia
und ihrem grinsenden Mann. Verena hilft ihrer Schwester, den Computer abzustellen,
sie küssen sich, dann bekommt Heinz die Hand gereicht.
„So kommt doch weiter. Der Kaffee steht schon am Tisch.“ Im Wohnzimmer
begrüßt auch Markus die Gäste, man nimmt Platz, Verena schenkt
aus, man bedient sich aus einem großzügigen Sortiment aus Torten-
und Kuchenstücken, Heinz ißt für drei, Sylvia läßt
sich nötigen, Markus nicht und Verena nimmt erst einmal ein halbes Stück.
„Wie geht’s denn so?“ – Eh gut. Sylvia erzählt
kudernd, daß Heinz Tag und Nacht arbeitet, und daß sie sich trotzdem
noch kein eigenes Haus leisten können, hi-hi. Verena berichtet von ihrem
Zahnarzt, daß sie ihm noch einmal mit dem Amalgam-Tablett den Mund verpicken
wird, wenn er weiterhin nach jedem Handgriff „So“ sagt. Das geht
den ganzen Tag so: „So“ „So“ „So“ „So“
.
Markus sagt, „So. Wo ist denn jetzt der Computer?“, worauf Sylvia
meint, es eile ja nicht, doch Verena sagt, im Vorzimmer.
Verena fragt, wozu Sylvia denn überhaupt einen Computer brauche, doch bevor
die antworten kann, hört man Markus aus dem Vorzimmer rufen, „Einen
Apple? Hast du nicht gesagt, du hast dir einen Computer gekauft?“, und
Heinz prustet eingespeichelten Kuchen in seine Hand. Verena reicht ihm angewidert
eine Serviette, Sylvia meint, der Apple habe ihr halt gefallen, Markus will
wissen, was denn nicht funktioniere, und Heinz wirft ein, seine Frau würde
sich mit Computern überhaupt nicht auskennen.
Markus: „Verstehe.“ Er räumt Tassen und Teller beiseite, packt
den Apple aus, hievt ihn auf den Eßtisch, holt ein Verlängerungskabel,
verbindet den Computer mit Strom und Telefon, schaltet ein – und löst
einen Kurzschluß aus.
Verena steht auf: „Das haben wir dauernd die letzte Zeit.“
Heinz, seufzend: „Laß mich einmal.“
Verena: „Na, wenn du so lieb bist.“
Sie geht vor, die anderen folgen. Heinz steigt auf den Sessel, klickt oben –
Licht an, Licht aus, Licht an – ein paar Mal herum, steigt wieder herunter
und sagt: „Der FI-Schalter ist so gut wie hinüber.“
Verena: „Der wer?“
Heinz: „Der FI-Schalter, Fehlerstrom-Schutzschalter. – Kann ich
jetzt nicht austauschen, hab’ keinen im Auto.“
Sylvia: „Scheiße.“
Heinz: „Eine Brücke könnt’ ich euch bauen.“
Markus: „Ich dachte, du bist Elektriker, nicht Zahnarzt.“
Heinz, ihn ignorierend: „Das ist nichts für die Dauer. Wenn’s
blöd hergeht, fetzt’s euch ein paar Geräte durch. Aber normalerweise
passiert nichts.“
Markus „Das haben sie bei Tschernobyl auch gesagt.“
Heinz, beleidigt: „Na dann halt nicht.“
Verena, zu Markus: „Du bist wirklich ein Depp.“
Sylvia: „Und mein Computer?“
Heinz, breit grinsend: „Vielleicht hält der FI ja noch so lange.“
Verena: „Geh, Heinzi.“
Markus, zu Sylvia: „Probieren wir’s.“ Er geht zurück,
die anderen kommen nach.
Er drückt die Einschalt-Taste – und der Computer startet. Er überprüft,
ob er sich zurechtfindet bei diesem Un-Computer, dann öffnet er die Internet-Konfiguration.
„Da ist ja noch nichts eingegeben. Ich brauch’ deine Daten.“
Auf Sylvias ratlosen Blick – „Oder hast du gar keinen Provider?“
Sylvia: „Kein Ahnung. Alles, was die mir gegeben haben, ist in dem Karton.“
Markus nickt, findet, was er braucht, installiert und konfiguriert, drückt
auf „Verbinden“, lauscht dem Verbindungston, sagt: „Schon
passiert.“
Sylvia: „Echt? Toll!“
Heinz: „Jetzt wissen wir wenigstens, wozu wir dich studieren haben lassen.“
Sylvia geht – mit einem Blick auf Heinz – zu Markus, drückt
ihn wieder auf seinen Sessel und setzt sich – ihn beiseite drängend
– dazu.
Markus läßt es sich verwirrt gefallen. Heinz beißt die Zähne
zusammen. Verena fragt ihn: „Mußt du heute noch arbeiten?“
Heinz: „Tschuldige?“
Sylvia krault Markus den Kopf.
Verena: „Ob du heute noch –“
Heinz springt auf, hastet zu seiner Frau, reißt sie von Markus weg und
gibt ihr – Verena kreischt: „Heinz!! Nicht!!“ – eine
Ohrfeige. Sylvia hält sich lachend die Backe. Markus steht langsam auf,
sieht Heinz in aller Ruhe an, holt dann plötzlich auf und trifft ihn mit
der Faust am Jochbein. Zu spät kommt Verenas „Markus!!“. Heinz
taumelt. Markus reibt sich die Hand. Heinz deutet einen Kinnhaken an und landet
seine Faust auf Markus’ Bauch. Sylvia springt auf. Markus krümmt
sich. Verena steht wie angewurzelt. Heinz holt abermals aus. Sylvia und Verena
stürzen sich auf ihn, Sylvia will Heinz den Arm wegschlagen, der weicht
aus, und Sylvias Fingernägel hinterlassen Kratzer in Verenas Gesicht. Bevor
noch Blut kommt, stößt Heinz’ Hand ein Wasserglas um, das Wasser
dringt in eine offene Steckdose im Verlängerungskabel. Es knallt.
Niemand rührt sich. Keiner sieht einen anderen an.
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Die vier sitzen nun wieder bei Tisch. Blessiert. Markus hat für alle Schnaps
geholt, und sie reichen die Flasche reihum. Lange Zeit schweigen sie. Dann sagt
Verena, „Scheiß-Computer.“ Daraufhin fängt Markus zu
lachen an, und dann fallen die anderen der Reihe nach ein, lachen lauthals,
brüllen vor Lachen, dann ebbt es kurz ab, aber Heinz sagt, „Und ich
hätt’ fast eine Brücke gebaut.“ Daraufhin prustet Sylvia
wieder los, und die anderen müssen einfallen, bis sie sich die Bäuche
halten vor Schmerzen, Lach-Schmerzen, und dann kehrt allmählich wieder
Ruhe ein.
Sie trinken, und Heinz sagt: „Wißt ihr, ich bin ein eifersüchtiger
Trottel. Und was tu ich? Ich bin nie zu Hause. Und warum bin ich nie zu Hause?
Weil ich Geld verdienen will. Viel Geld. Und was will ich von dem Geld haben?
Daß die Sylvie und ich glücklich sind. Aber erstens reicht das Geld
nie im Leben für das Glück, das ich mir vorstelle, und zweitens bin
ich zu müde für all das, was ohne Geld auch glücklich macht.
Damit ihr’s alle wißt – Prost.“
Sie trinken, und Sylvia sagt: „Wißt ihr, ich liebe diesen Kerl,
der mich grad’ verprügelt hat. Aber das eine, was ich tue, ist, ihn
eifersüchtig zu machen. So zeige ich ihm meine Liebe. Und das andere, was
ich tue, ist, sein Geld zu verpulvern. So zeige ich ihm meine Unzufriedenheit.
Und wenn ich ihm das alles so gezeigt habe, bin ich überglücklich.
Und wenn er mich wieder nicht verstanden hat, bin ich unterunglücklich.
Damit ihr’s alle wißt – Prost.“
Sie trinken, und Verena sagt: „Wißt ihr, ich muß alle glücklich
machen. Vor allem den Markus. Ich will ihn glücklich sehen mit seinem Schreiben.
Damit er mich wieder wahrnimmt. Aber vielleicht kann er mich auch wahrnehmen,
wenn er schreibt oder nicht schreibt oder unglücklich ist damit oder glücklich.
Aber vielleicht brauche ich euer Unglück, damit ich mein eigenes nicht
anschauen muß. Aber vielleicht kann mich euer Glück gar nicht glücklich
machen. Damit ihr’s alle wißt – Prost.“
Sie trinken, und Markus sagt: „Wißt ihr, daß ich heute beschlossen
habe, mir wieder einen ordentlichen Job zu suchen? Weil ich als Schriftsteller
versagt habe? Wißt ihr, daß ich heute beschlossen habe, hier auszuziehen?
Weil ich als Freund versagt habe? Und jetzt teile ich euch mit, daß ich
den Entschluß, auszuziehen, zurücknehme. Denn ich habe geschrieben,
um geliebt zu werden. Und ich will ab sofort geliebt werden, auch ohne ein Schriftsteller
zu sein. Denn es ist schlimmer, als Freund zu versagen denn als Schriftsteller.
Damit ihr’s alle wißt – Prost.“
Sie trinken, und dann reden sie alle durcheinander, und keiner versteht ein
Wort, aber alle wissen, was gemeint ist: Sie bedauern die Prügelei, aber
es tut ihnen nicht leid. Und dann lassen sich Heinz und Sylvia ein Taxi kommen.
Jetzt trägt Heinz den Computer und verspricht, daß er morgen vorbeischaut
mit einem FI-Schalter. Und zum Abschied küssen sie sich alle.
Geschwiegen wird im Taxi – und in der Wohnung.
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Heinz schaut auf seinen Bildschirm und Sylvia auf den ihren. Sie lümmeln
aneinandergeschmiegt da, und weder Fernseher noch Computer sind eingeschaltet.
Heinz „Tut mir leid, daß ich dich gehaut habe.“
Sylvia: „Mir tut’s nicht leid, daß dir der Markus eine gegeben
hat.“
„Und? Was willst du jetzt machen mit dem Ding da?“
„Weiß noch nicht. Das heißt, weißt du, was ich mir denke?
Ich könnte doch so was wie Heimarbeit machen. Tippen oder so. Vielleicht
kann ich’s abarbeiten, die 20.000.“
Das Telefon klingelt. Heinz sagt: „Geh du.“ – Sylvia tut’s,
hebt ab, hört zu, verzieht das Gesicht, sagt, „Ich frag’ ihn
’mal“, hält den Hörer in Richtung Heinz, „Ein Kollege
ist krank, ob du jetzt g’schwind zu einem Notfall …“
Entschieden schüttelt Heinz den Kopf, ungläubig sagt Sylvia „Er
kann heute nicht“ ins Telefon und legt auf.
„Was hat er gesagt?“
Sie setzt sich zu ihm. „Er fragt jemand anderen.“
„So einfach ist das?“
„Scheint so. – Warum gehst du nicht arbeiten?“
„So halt.“
„Und was willst du statt dessen machen?“
„Weiß noch nicht. Und du?“
„Ich? Na surfen!“
Heinz sackt in sich zusammen. Sylvia beugt sich über ihn.
„Auf dir.“
„Oder unter mir?“
„Vielleicht beides?“
Erschöpft liegt Markus neben Verena im Bett.
Markus: „Tut mir leid.“
Verena: „Was?“
„Das mit dem Buch, das mit dem heutigen Tag.“
„Mit tut’s nicht leid. – Das mit dem heutigen Tag.“
Er streichelt ihr die zerkratzte Wange. „Ich hab’ gar nicht gemerkt,
daß dir dein Job so auf die Nerven geht.“
„Was hast du überhaupt gemerkt?“
„Daß du mich nicht ernst nimmst.“
„Blödsinn.“
„Und daß ich nicht schreiben kann.“
„Blödsinn. – Ich glaub dir’s eh nicht.“
„Was?“
„Daß du nicht mehr schreibst.“
„Ich glaub dir auch nicht, daß du niemandem mehr helfen willst.“
„Vielleicht … anders.“
„Vielleicht gibt’s ein Buch: ,Die Technik des Helfens‘.“
Verena grinst. „Vielleicht gibt’s ein Buch: ,Die Technik des Schreibens‘.“
Markus grinst. Und küßt sie zärtlich.
Da läutet das Telefon.
Verena erhebt sich murrend. Nach einer Weile ruft sie von draußen: „Sylvia
will wissen, wie sie im Internet einen Urlaub buchen kann.“
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Und da hocken sie beide vor dem Computer, trinken Bier und können sich
nicht und nicht entscheiden. Sie wissen nur, daß sie fortfahren möchten,
ans Meer selbstverständlich, einsam soll es sein, aber mit Komfort, und
los soll auch was sein, aber ohne Lärm bis ins Zimmer hinauf. Den Lärm
wollen Sylvia und Heinz selber machen.
Und die anderen hocken beim Wohnzimmer-Tisch und trinken Wein, Markus studiert
den Stellenmarkt, und Verena hilft ihm dabei.
Markus. „Was dagegen, wenn ich jetzt noch ein paar Bewerbungen schreibe;
an unserem gemeinsamen Tag?“
„Schaffst du das noch? Ich bin hundemüde.“
„Nur anfangen. Ich muß das jetzt anfangen.“
Sie küßt ihn, wünscht ihm eine gute Nacht, verschwindet ins
Bad.
Er packt seine Annoncen und verfügt sich ins Arbeitszimmer. Dort schaltet
er den Computer ein, wartet auf den obligaten Kurzschluß – nichts.
Wehmütig betrachtet er die vor ihm auftauchende leere Seite, taucht ins
Gedanken ab, reißt sich zusammen und nimmt eine Annonce her. Dann beginnt
er mit seiner Bewerbung als Programmierer, schreibt gerade Ich bin seit
vier Jahren in der Branche tätig und suche eine neue Herausforderung. An
Ihrem Angebot sehr interessiert, verbleibe ich … Und dann setzt er
fort Ich drücke auf den Knopf und der Computer beginnt zu schnurren,
während ich überprüfe, ob sich noch genügend Tinte im Füllfeder-Tank
befindet, während der sogenannte Schreibtisch erscheint und ich auf das
Schreibprogramm doppelklicke, während ich die Füllfeder ablege, eine
Papierserviette hole, dann das Tintenfäßchen nehme, aufschraube,
die Feder eintauche, den Tank entleere, ihn mit Tinte vollfülle, während
ich den Griff der Füllfeder mit der Serviette abtupfe, damit ich mir die
Hände nicht bekleckere, steht schon längst die leere Seite vor mir
und die Tastatur scheint auf mein Tippen zu warten, und ich schreibe
sagt, „Und ich schreibe.“ Dann kommt er zu sich, starrt auf den
Bildschirm, gibt den Kurzbefehl „Schließen“ ein, wird gefragt,
ob er das Dokument sichern will oder nicht, hat den Cursor über „Nicht
sichern“ geschoben, will dieses Feld schon aktivieren, hält inne,
verschiebt die Maus, klickt auf „Sichern“, und wird gefragt, welchen
Namen er diesem Dokument geben möchte. Er schreibt Kurzschluß, lacht
verstohlen auf und drückt den Zeilenschalter.
Er schaltet den Computer aus, geht ins Bad, dann ins Wohnzimmer. Bevor er das
Licht löscht, sieht er sich noch einmal um, erblickt das Buch „Handwerk
und Technik des Erzählens“, hebt es auf, schlägt die erstbeste
Seite auf und liest erschauernd „Künstler sein heißt: nicht
rechnen und zählen“.
Dann legt er das Buch – als Hinweis für seine Freundin – auf
den Tisch, dreht das Licht ab und schleicht sich ins Schlafzimmer, leise, um
Verena nicht zu wecken, steigt ins Bett und liegt da mit pochendem Herzen.
© Werner Schuster
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