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7.000 JAHRE TRADITION

Im Anfang war der Lehm: Vielleicht nicht zufällig läßt die Bibel Gott den ersten Menschen daraus formen. Und Funde auf der ganzen Welt belegen es: In Häusern aus Lehm wohnen die Menschen seit mindestens 7.000 Jahren. Nachdem dieser Baustoff in unseren Breiten um 1900 in Verruf geraten war, wurde er vor 20 Jahren wiederentdeckt – und erfreut sich immer größerer Beliebtheit.


Für Harald Gmeiner vom Energieinstitut Vorarlberg ist Lehm "ein spannendes Material, das die formale Gestaltungsmöglichkeit erweitert, und sich aufgrund seiner Erdigkeit und Weichheit ausgezeichnet zur Kombination mit technischen Materialien wie Stahl, Beton oder Glas eignet. Zum anderen sind mit diesem Material unbedingt die Punkte Ökologie und Gesundheit verbunden." Lehm ist feuchtigkeitsregulierend und gut wärmespeichernd, er ist wasserlöslich, kann also bei Verschmutzung oder Beschädigung ganz leicht ausgebessert werden und ist daher auch sehr gut demontierbar und wiederverwertbar.
Ein weiterer Vorteil von Lehm ist der geringe Energie-Einsatz für die Produktion und Herstellung. – Und genau das hat zum Biespiel Roland Meingast von "natur & lehm" interessiert. Denn für ihn macht es keinen Sinn, so genannte biologische Produkte auf den Markt zu bringen, für deren – vielleicht sogar umweltbelastende – Fabrikation sehr viel Energie benötigt wird.

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Seine Firma widmet sich außer der Produktion auch der Forschung und Entwicklung. Anfang September hat "natur & lehm" im Auftrag eines Wiener Ehepaars in Schönbühel an der Donau eine Kapelle aus Lehm errichtet. Diese Kapelle wurde in zwei Teilen vorgefertigt und auch getrocknet, zum jetzigen Standort transportiert, dort auf ein Fundament gestellt und zusammengesetzt. Nicht nur auf diese Vorgangsweise ist Meingast stolz, sondern auch darauf, daß die Kapelle Passivhaus-Qualität besitzt. (Passivhäuser decken ihren Energiebedarf vor allem aus der passiven Nutzung der Sonnenenergie und haben kein herkömmliches Heizungssystem.)

Zwei Generationen Maurer gefehlt


Als Meingast vor bald 15 Jahren mit seiner Firma anfing, haben "zwei Generationen Maurer gefehlt", also ist er ins Wald- und ins Weinviertel gefahren und hat dort buchstäblich den Lehm von den Wänden gekratzt, um herauszufinden, wie diese errichtet worden sind. Und er hat eine Bäuerin gefunden, die bis in die 30er-Jahre "Ziegel geschlagen" hat, also luftgetrocknete Lehmziegel hergestellt. Nicht mehr in so großem Umfang wie ihr Vater: Der hatte die Ziegel zum Trocknen im Hof gestapelt, und wenn ein Regen aufkam, hat er mit einer Pfeife seine Kinder herbeigeholt, damit man die Ziegel gemeinsam rasch in die Scheune schaffte.

Mit seiner mittlerweile angesammelten Erfahrung konnte Meingast kürzlich einer Studentin helfen, die Lehmbauten in ihren Ursprungsländern studieren wollte und auch gerne nach Afrika oder nach Tibet gereist wäre. Meingast meinte, sie brauche nur ins Weinviertel zu fahren. Denn ein Ziegel von einem tibetanischen Kloster sieht genauso aus wie einer von einem der tausenden Bauernhäuser, Preßhäuser, Scheunen und Speicher aus Lehm in Niederösterreich.

Tatsächlich sind die Menschen überall auf der Welt in puncto Ziegel auf die gleichen Ergebnisse gekommen. Die steinzeitlichen Ackerbauern errichteten aus Pfählen, Weiden, Gras und Stroh Holzflechtwerk-Häuser, in deren Wände sie den Lehm einarbeiteten. Daran änderte sich bis ins Mittelalter nichts, als man anfing, Blockbauten zu errichten. Was die Fachwelt Lehmbrotbau nennt, hieß bei den Leuten Wuzelmauer: Man formte brotähnliche Lehmwecken und fügte sie ohne Mörtel aufeinander. Daß man eine Blockwand im Kremstal auf das 12. Jahrhundert datiert hat, ist kein Kuriosum: Im Wald- und Weinviertel findet man oft mitten in den Häusern solche Wände, die nicht viel jünger sind.

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Man findet auch "gesatzte" Häuser (wozu die Architekten Wellerbau sagen): Die Wände der Häuser wurden in einzelnen Reihen hochgezogen. Dazu brauchte man Zeit, denn man ließ jede Reihe (= Satz) trocknen, bevor man die nächsten hinzufügte.
Und an dieser Stelle muß man hinzufügen, daß Worte wie "Satz", "Wand", "Fach" und sogar "machen" eigentlich (und etymologisch) mit Lehm zu tun haben. "Machen" geht auf die indogermanische Wurzel "mag" zurück und wurde ursprünglich im Sinne von "den Lehmbrei zum Hausbau kneten" und "die Flechtwand mit Lehm verstreichen" verwendet, woraus sich im germanischen Sprachbereich die Bedeutung "bauen, errichten" entwickelte. "Wand" meint eigentlich "das Gewundene, das Geflochtene", da Wände ursprünglich geflochten wurden. Das althochdeutsche "fah" bedeutet Mauer, im Mittelhochdeutschen bezeichnete "Fach" auch das mit Flechtwerk ausgefüllte Zwischenfeld in einer aus Ständern und Querbalken errichteten Wand, die danach Fachwerk hieß. Mit dem mittelhochdeutschen "saz" schließlich wurde der Ort bezeichnet, wo etwas hingesetzt wurde. Ein Lehmziegel zum Beispiel.

Die Untertanen durften keine Ziegel brennen

Im 18. Jahrhundert wurden das Bauen mit Lehmziegeln sogar von der Obrigkeit angeordnet. Selber brennen durften die Untertanen ihre Ziegel aber nicht; das war – bis 1848 – ein Privileg der Herrschenden, die damit gar nicht wenig Geld verdienten. Als es 1848 jedem freigestellt wurde, ein Gewerbe auszuüben, war bald eine große Anzahl von Ziegelöfen in Betrieb. Allein im Raum Hollabrunn gab es um 1900 ungefähr 100 solche Öfen.

Heute gibt es nur mehr einen. Denn als um die letzte Jahrhundertwende mit der industrialisierten Produktion von Baustoffen begonnen wurde, setzte der Niedergang der Lehmbauten ein. Lehm wurde zum Arme-Leute-Produkt, und nach dem Zweiten Weltkrieg riß man Lehmhäuser nach und nach ab. Erst im Zuge der Ökologie-Bewegung in den 80er-Jahren wurde Lehm als Baustoff wiederentdeckt. Damals errichteten belächelte Öko-Freaks wie ihre Vorfahren Häuser mit Schaufel und Mistgabel. Wiederentdeckt wurden so auch die Vorzüge dieses Baustoffs: die lange Haltbarkeit, die Wartungsfreundlichkeit, seine 100-prozentige Recyclingfähigkeit, und daß Lehm pflanzliche Stoffe wie zum Beispiel Holz konserviert. Außerdem bindet Lehm Schadstoffe aus der Raumluft und reguliert die Luftfeuchtigkeit.

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Während also bei uns wieder mit Lehm gebaut wird, zieht anderswo der so genannte Fortschritt ein: In Afrika etwa, erzählt Meingast, verdingen sich die Menschen ein paar Jahre in Saudi-Arabien, um mit dem verdienten Geld statt ihrer Lehmhäuser eine Betonbaracke zu errichten. – Nur um alsbald draufzukommen, daß es darin unerträglich heiß ist. Man bräuchte Klimaanlagen, die man sich allerdings nicht leisten kann.
Zur selben Zeit bemüht sich eine Firma wie "natur & lehm", mit ihren Bauten Passivhaus-Qualität zu erreichen – und kann auf errichtete Lehmhäuser verweisen, die rein gar nichts mit einem Arme-Leute-Image zu tun haben. Die Bewohner sind jedenfalls in großer Gesellschaft: Zwischen einem Drittel und der Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Häusern aus Lehm. ###

© wps 2000

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