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DIE ÄRMSTEN WERDEN BEVORZUGT

Die Arme sind nicht kreditwürdig, haben die Banken gesagt. Kredite sind eine Riesen-Chance für Arme, hat Muhammad Yunus geantwortet. Und er hat Recht behalten.


Wenn es nach Bill Clinton ginge, würde Muhammad Yunus den Nobelpreis bekommen. Der Ex-Präsident hat sich auch vor Ort, nämlich in Bangladesh, über die von Yunus gegründete Grameen Bank informiert – und in Arkansas eine Kopie ins Leben gerufen.

Doch als Yunus 1976 mit seiner Idee startete, den Armen Geld zu borgen, hat man ihn auch in seiner Heimat für einen Spinner gehalten. Der 1940 Geborene war nach seinem Wirtschaftsstudium in Nashville, Tennessee, nach Bangladesh zurückgekommen und hatte an der Chittagong Universität zu unterrichten begonnen. Aber: „Ich lehrte elegante Wirtschaftstheorien, während die Menschen im Land vor Hunger starben. Ich fragte mich, warum Menschen, die sieben Tage in der Woche 12 Stunden täglich arbeiten, nicht genug zu essen hatten. Und ich beschloss, mich von den Armen unterrichten zu lassen.“

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Er unternahm Feldstudien und begegnete zum Beispiel einer Frau, die Bamabusstühle herstellte. Doch weil sie über kein Kapital verfügte, musste sie sich das Material leihen – und ihre Stühle an den Verleiher verkaufen. Und der bezahlte nahezu nichts dafür (umgerechnet 0,01 Euro). Wenn sie den Bambus selbst hätte kaufen können, hätte sie wesentlich mehr verdient. Doch normale Geldverleiher verlangen Raten in der Höhe von 10% - monatlich. Yunus erkannte: „Ihre Armut war nicht durch Faulheit oder Dummheit verursacht, sondern durch mangelndes Kapital.“

Anfangskapital 25 €


Zunächst einmal gab er dieser und anderen 41 Frauen in derselben Lage insgesamt 25 € – unter der Bedingung, dass sie ihm das Geld zurückzahlen sollten. Und sie zahlten zurück. Also ging Yunus zu den Banken, um zu fragen, ob nicht diese den Armen Geld leihen könnten. Doch diese meinten einhellig, Arme wären nicht kreditwürdig. Yunus glaubte das nicht – und nahm einen Kredit auf, um das Geld zu verborgen.

Nach drei Jahren konnte er mit Banken kooperieren und 1983 gründete er seine eigene, die Grameen (d.i. ländliche) Bank, und hatte ein eigenes System entwickelt: Zunächst einmal kommt die Bank zu ihren Kunden. Mitarbeiter suchen Dörfer auf und berichten von den Mikrokredtien. Je weniger jemand besitzt, desto höhere Priorität genießt er. Interessierte bilden eine Gruppe von fünf Menschen, die nicht verwandt sein dürfen. Sie müssen die – für unsereinen wohl etwas merkwürdig anmutenden - „16 Verpflichtungen“ auswendig lernen (siehe Kasten), in denen sie nicht nur versprechen, ihre Familien klein zu halten, sondern auch, reines Wasser zu trinken – oder sich gegenseitig zu helfen.

Zwei von ihnen bekommen Geld geliehen – zum Kauf von Vieh oder eines kleinen Stückchens Land, von Materialien zum Töpfern, für Rickshas, Kleidung etc. Sobald sie anfangen, die Kredite zurückzuzahlen, bekommen auch die übrigen drei Personen Geld geliehen. Wenn einer nicht zahlt, bekommen die anderen nichts. Dies sorgt natürlich für Druck in der Gruppe, aber auch für Solidarität.

Die Rückzahlung des Mikrokredits (in einer Höhe ab einem bis ca. 100 Euro) mit einer Jahresrate von 20 Prozent findet öffentlich statt, beginnt eine Woche nach Erhalt des Geldes und sollte nach einem Jahr abgeschlossen sein. Dann kann man sich wieder Geld leihen. Es gibt keine Verträge, sondern nur mündliche Vereinbarungen – und auch keine Rechtsanwälte. Dennoch zahlen 97% der Schuldner ihre Kredite ab, ein Prozentsatz, von dem jede andere Bank nur träumen kann. Die Armen wissen allerdings, dass ihr Kredit die einzige Chance ist, penury zu entkommen.

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Konkret kann man sich um 70 € in Bangladesh eine Kuh kaufen, deren Milch etwa 2,3 € einbringt. Minus 0,5 € Rückzahlung bleiben der Familie 1,85 €.

Mikrokredite um 18,5 Millionen Euro monatlich


Dieses System funktioniert: 1997 beliefen sich diese Mikrokredite auf insgesamt 18,5 Millionen € - im Monat! - und wurden in 35.000 Dörfern in Anspruch genommen. 94 Prozent der Schuldner sind Frauen. Dies war und ist gegen die Männer sowie die Mullahs nicht leicht durchzusetzen. Doch es hat sich herausgestellt, dass diese mit dem Geld besser umgehen, ihre Kinder besser versorgen und ihre Wohnstätten besser in Schuss halten.

Dieses System funktioniert nicht nur in Bangladesh: Es gibt (eigenständige und an die jeweiligen Umstände angepasste) Ableger der Grameen Bank in Asien, Afrika, aber auch in Europa (Albanien, Bosnien, Polen, Niederlande, Norwegen, England). Und in den USA existieren 500 solche Banken. Dort werden vor allem verarmte Selbständige betreut, aber auch Ghetto- und Reservationsbewohner.
Yunus leitet mittlerweile ein Weltbank-Komitee und kann so seine Vision weltweit propagieren. Doch er hat sich auf seinen Lorbeeren nicht ausgeruht, sondern Stiftungen für Bildung, Fischerei und Bewässerung ins Leben gerufen, eine Strickerei gegründet sowie eine Non-profit-Energiegesellschaft, ein Internet-Service und eine Telekom-Gesellschaft, die Telefonzellen in Dörfern aufstellt. Der Grameen Trust schließlich widmet sich der Volksgesundheit.

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Muhammad Yunus ist mit seiner Bank nicht reich geworden und er sieht sich auch nicht als mildtätiger Mensch. Im Gegenteil meint er, dass sich nichts ändern kann, wenn man Armut mit Hilfsbereitschaft begegnet. Außerdem würde die Organisation der Wohltätigkeit selbst viel zu viel Geld verschlingen. Er sagt, dass auch ein Bettler ein potentieller Unternehmer ist. Und er glaubt, dass Menschen allein dadurch, die in Armut überleben, beweisen, dass sie auch Geld verdienen können. Er ist der Überzeugung, dass sich mit Mikrokrediten der Teufelskreis von „kleines Einkommen, kleine Ersparnisse, kleine Investitionen“ durchbrechen lässt. Denn er weiß: Je mehr man hat, desto mehr bekommt man.

Auf seinen zahlreichen Vorträgen in aller Welt verkündet er, dass Armut mit der Würde des Menschen nicht vereinbar ist. Er möchte das Seine tun, um sie gänzlich abzuschaffen, und er würde gerne Kreditwürdigkeit als ein fundamentales Menschenrecht etablieren. ###

© Augustin 2003

P.S.: Muhammad Yunus wurde 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

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