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FÜRCHTET EUCH NICHT
Das Komponisten-Duo Obermaier/Spour
Sie fallen sich nicht ins Wort, sie reden gleichzeitig. Sie sind von einer für
Künstler erfrischenden Normalität und arbeiten für Komponisten
ziemlich abnormal: der Gitarrist Klaus Obermaier und der Pianist Robert Spour
komponieren miteinander.
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Während jedoch so mancher Kollege seinen Elfenbeinturm mit sich trägt
wie ein Schneckenhaus, aus dem er – ständig in Furcht, sich nicht
zeitgerecht zurückzuziehen zu können – weltfremd hervorlugt,
ist für die beiden Oberösterreicher Berührungsangst ein Fremdwort.
Gern hätten sie zum Beispiel mehr Kontakt zu Kritikern. Warum kommen die
nicht zu ihnen, wenn sie unter Umständen noch Hintergrund-Informationen
brauchen? Warum fragen die nicht, worauf sie mit einem bestimmten Werk hinaus
wollten oder unter welchen Bedingungen eine ihrer Produktionen entstanden ist?
Warum nehmen alle an, wenn ein berühmtes Ensemble schlecht spielt, daß
dies nur am Werk liegen könne?
metabolic stabilizers
Obermaier und Spour haben da so ihre Erfahrungen. Auch mit Geldgebern, Organisatoren,
Lobbys und dergleichen. Sie haben 1992 für die Ars Electronica, die Wiener
„Hörgänge“ und die Salzburger „Diagonale“
das interaktive Musik/Laser-Werk „Immateriaux“ geschrieben, 1993
für die Ars Electronica das multimediale Werk „Der geklonte Klang“
(eine Auftragskomposition für das Kronos Quartet) sowie für das Musikfest
Bremen „swim“ für das Art Ensemble of Chicago und die Deutsche
Kammerphilharmonie.
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Über Bad Gleichenberg, wo sie heuer im Juli ihr (nicht schrecken:) interaktives,
inter/multi-mediales Projekt „metabolic stabilizers“ mit Video,
Tanz, Licht und natürlich Musik erarbeiten werden, wollen sie kein schlechtes
Wort verlieren. Lieber sprechen sie über ihr Projekt, in dem sie sich mit
alltäglichen, subtilen, unbewußten Ängsten auseinandersetzen
wollen – und sie sprechen darüber voller Vorfreude. Und während
einer zum Reden ansetzt, hat der andere längst zu sprechen begonnen, wovon
sich ersterer kaum – oder nur mit großer Mühe – abhalten
läßt, seinerseits seine Gedanken darzulegen. Man darf annehmen, daß
sie auch so arbeiten.
Ziel: Auflösung
„Metabolic stabilizers“ stellt für sie das Resultat ihrer bisherigen
Arbeiten dar und bezieht erstmals vier Medien ein. Die New Yorker Videokünstlerin
Mary Bosakowska, der holländische Tänzer und Choreograph Martin Müller,
die holländische Tänzerin Nancy Euverink, beide vom Nederlands Dans
Theater, der Linzer Lightdesigner Rainer Jessl und der österreichische
Videotechniker Gottfried Gusenbauer sind zum Teil per Fax mit dem Konzept vertraut
gemacht worden und werden zwei Wochen an den „sich verändernden Stabilisatoren“
arbeiten. Dabei sollen aber nicht Videos und Choreographien zu fertigen Kompositionen
entstehen, sondern ein von sieben Künstlern gemeinsam erarbeitetes Werk
geschaffen werden. Ziel ist die Auflösung der Begriffe „Performance,
Installation, Musiktheater, Tanztheater, Konzert …“
In ihrer Pressemappe formulieren Obermaier und Spour das so: „Das Spiel
mit einer ,Augenblicksästhetik‘, einer performativen Alchemie des
Augenblicks mit seiner hochenergetischen, dynamischen Qualität und einem
installationsorientierten statischen und reproduzierbaren Charakteristikum erscheint
uns als das spannende Drehmoment in der Rotation um die thematische Auseinandersetzung.“
Sie haben selber Probleme mit Sätzen wie diesem. Es fällt ihnen schwer,
ihre Kunst auf Papier zu beschreiben. Im Gespräch klingt das alles nicht
so schlimm.
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Obermaier hat neben Gitarre Malerei studiert und tritt mit dem Ensemble Modern
auf, Spour nach seinem Klavierstudium mit der Deutschen Kammerphilharmonie.
Er arbeitet seit 1980 mit Computer und elektronischen Klangerzeugern. Beide
haben mit Jazzbands gespielt und Musik für Theater und Performances geschrieben.
Zu zweit geht‘s schneller
Warum sie neben Duo-Konzerten mit Neuer Musik schließlich gemeinsam zu
komponieren begonnen haben, erklären sie ganz simpel: Zu zweit geht‘s
schneller. Der andere hilft, sogenannte „Hänger“ zu überwinden.
In Ablehnung herkömmlicher Konzertsituationen sind sie auf etwas gestoßen,
was sie Körperlichkeit nennen, die sich am stärksten in ihrem Stück
„Balletto“ manifestiert. Darin bestimmt ein mehr oder weniger festgelegter
Bewegungsablauf die Musik, eine ausladende Armbewegung des Pianisten setzt sich
etwa im Spiel des Gitarristen fort, der wiederum mit außermusikalischen
Mitteln einen Impuls für das gibt, was der Pianist spielt. Das hat nichts
mit sogenannter „inszenierter Musik“ zu tun, die für beide
im Normalfall bloß peinlich gestelt wirkt, sondern soll vor allem die
Intensität des Dargebotenen steigern.
swim
Von Körperlichkeit zu Dramatik ist es nicht weit. Die frühen Arbeiten
für Theater und das Interesse an innovativen technischen Mitteln führten
zum interaktiven Musik/Laser-Werk „Immateriaux“, dann zum multimedialen
„geklonten Klang“, zuletzt zur Freejazz-Konzertorchester-Begegnung
„swim“.
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In „metabolic stabilizers“ setzen sie sich wie gesagt mit Alltagsängsten
auseinander, und wie sich diese gesellschaftlich und politisch auswirken. Aus
der Vielfalt dieser Ängste erscheint (nicht nur) Obermaier und Spour die
Angst vor dem Unbekannten, dem Fremden am aktuellsten und gefährlichsten.
Da, wie sie meinen, Angst vor dem Unbekannten immer auf einem Informationsdefizit
beruht, spielt für sie die Frage der „Wahrnehmung“ eine erhebliche
Rolle. Künstlerischer Ansatzpunkt ist die „Beziehung von falschen,
unvollständigen, manipulierten oder standartisierten Wahrnehmungen zu gesellschafts-,
erziehungs- und medienpolitischen Wahrnehmungs- oder Wahrgebungsstrategien“
(auch ein Pressetext).
CNN und MTV
Denn: Unsere Wahrnehmung werde immer stärker von neuen Medien beeinflußt.
Meist würden diese Medien manipulierte (CNN) oder sinnentleerte (MTV) Information
präsentieren. Information ohne Reflexion führe zu einem Vakuum, das
sich leicht durch „einfache“ Antworten füllen lasse. Das verunsicherte
Individuum reagiere wiederum auf eine immer komplexer werdende Welt mit Rückzug
und Abwehr. Das bewirke insgesamt eine unvollständige, verzerrte Wahrnehmung
der Realität.
Obermaier und Spour sehen die Aufgabe und Bedeutung der Kunst in der Sensibilisierung,
Schärfung, Erweiterung und Veränderung von Wahrnehmung, im Aufbrechen
von Normen, Grenzen, im Hinterfragen der eigenen, scheinbar abgesicherten Positionen,
aber auch im Vordringen in das Unbekannte, Unbewußte. Sie sind sich im
Klaren, daß dies naturgemäß mit Angst vor Veränderung
einhergeht. Und nennen‘s „Spiel mit der Angst“.
Widerspruch in sich
Ihnen ist selbstverständlich bewußt, daß der Titel „sich
verwandelnde Stabilisatoren“ einen Widerspruch in sich darstellt. Aber
eben im Spannungsfeld zwischen Statik und Dynamik sehen sie eine Möglichkeit,
kreativ zu sein.
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Wie die „metabolic stabilizers“ aussehen werden? Spour: „Letztlich
ist das alles irrsinig schwer zu beschreiben“. Einwurf Obermaier: „Vielleicht
hat das Projekt dann schlußendlich mit Angst gar nichts mehr zu tun“.
Die Beschäftigung mit diesem schwierig zu begrenzenden Phänomen, sagt
wieder Spour, war der Ausgangspunkt für ihre Arbeit, der – verwandelt
und bereichert – in diese einfließen, aber bestimmt nicht vordergründig
verwendet wird. Und schließlich kommen ja noch die anderen Künstler
mit ihren Standpunkten, Geschichten, ihrer Ästhetik dazu. Auf jeden Fall
werden Video-Screens auch als Bühnenelemente und Fläche für Dia-,
Licht- und Schattenprojektionen dienen, Video soll auch als Lichtquelle eingesetzt
werden, Tanzszenen und Musik können voraufgezeichnet und zeitversetzt wiedergegeben
werden, was der Tänzerin ein Spiel mit realen und irrealen Situationen
ermöglicht. Die Choreographie kann so auf mehrere „imaginäre“
Tänzer ausgedehnt werden. Durch farbliche Abstimmung sollen die Grenzen
zwischen den Videoimages, der Tänzerin und den Musikern aufgeweicht oder
überhaupt zum Verschwinden gebracht werden.
Work in progress
Fest steht weiters, daß nach der gemeinsamen Arbeitsphase kein endgültig
fertiges Produkt präsentiert werden kann. Wie bei ihren anderen Projekten
wird auch „metabolic stabilizers“ ein „work in progress“
sein und bleiben. „Was nicht heißt, daß wir auf der Bühne
aus- und herumprobieren“, schränkt Obermaier ein. Spour führt
aus: Man einigt sich auf den momentanen Stand, fügt Material ein, um festzustellen,
ob es funktioniert, läßt einiges weg, nimmt anderes hinzu. Währenddessen
Obermaier: Ein interaktives Werk wie „Immateriaux“ wird sowieso
nie gleich klingen können. Zu viele Elemente spielen da mit, die ein gewisses
Zufallselement in sich bergen.
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Obermaier und Spour stellen sie sich der vorherrschenden Reizüberflutung
auf ihre Weise (und stellen im Gespräch eine Reizüberflutung für
sich dar). Sie treffen eine Auswahl, bestimmen Abläufe, sperren diese und
sich aber nicht in starre Systeme ein. Dadurch wird nicht alles möglich,
aber vieles, und zwar viel Konkretes.
Lustvoll
Und ungeachtet aller auch geistigen Beschäftigung mit der Gegenwart entsprechen
beide bei Gott nicht dem Klischee von intellektuellen Künstlern. Es mangelt
ihnen dazu am langweiligen Bierernst. Sie haben zu viel Spaß und Freude
an ihrer gemeinsamen Sache. Und sie hüten sich davor, scheinbar Endgültiges
zu ihrem Schaffen zu äußern oder ein ach so betroffenes Urteil über
politische Zustände und Entwicklungen abzugeben.
Sie arbeiten lustvoll, auch über Angst – das ist doch Aussage genug.
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© Festwochen 1999
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