Storys   Journalistische Arbeiten   Startseite 

Seite drucken

AUSFLIPPEN MIT BACH UND CO

Anläßlich der Internationalen Barocktage im Stift Melk gehen wir der Frage nach: Warum boomt die Alte Musik?


Wer heute als Veranstalter auf Alte Musik setzt, geht kein großes Risiko ein. Die Konzerte werden – auch von einem jungen Publikum – gestürmt. „Die flippen geradezu aus“, meint Helmut Pilss, Intendant der Internationalen Barocktage im Stift Melk, die heuer von 9. bis 12. Juni stattfinden.

Ursprünglich, spontan


Als Grund für den Boom der Alten Musik sieht Pilss einmal deren Spontanität und Ursprünglichkeit und die zugleich wissenschaftlich begründete wie unbefangene Darbietung durch die Künstler. Und er meint: „Wo sonst soll man diese Musik spielen, wenn nicht in den Räumen, für die sie komponiert worden ist.“ – Pilss hat im Barock-Stift Melk noch vor dem derzeit herrschenden Boom begonnen, Alte Musik aufs Programm zu setzen, insbesondere Werke österreichischer Komponisten. Das diesjährige Großereignis ist für den Intendanten die Aufführung der großen Johann Beer-Messe anläßlich des 300. Todestages dieses in Vergessenheit geratenen Dichters und Musikers.

Für die Melker Barocktage arbeitet Pilss eng mit Österreichs Alte Musik-Spezialisten Bernhard Trebuch zusammen. Der räumt im Gespräch gleich einmal mit dem Vorurteil auf, daß man in früheren Jahrhunderten immer nur die jeweils aktuelle Musik gespielt und daß die Beschäftigung mit Alter Musik erst im 20. Jahrhundert begonnen hätte. Trebuch weiß, daß zum Beispiel Musik von Händel immer aufgeführt worden ist, zwar immer unter einem anderen Blickwinkel und oft bearbeitet, aber doch aufgeführt.

nach oben

Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts wollte man Alte Musik so authentisch wie zu ihrer Entstehungszeit wieder hörbar machen. Und Anfang des 20. Jahrhunderts begann die intensive Erprobung des adäquaten historischen Instrumentariums in Ensembles wie der „Deutschen Vereinigung für Alte Musik“ und der „Société de concerts des instruments anciens“. Als „erste Generation“ werden dennoch jene Ensembles bezeichnet, welche um die Jahrhundertmitte entstanden – wie Nikolaus Harnoncourts „Concentus musicus Wien“.

Darmsaiten-Ritter


Dessen Konzertmeister Erich Höbarth kann über die Zeit berichten, als man Alte Musik-Geiger noch als „Darmsaiten-Ritter“ verspottete. Höbarth: „Am Anfang haben wir uns ja selbst darüber lustig gemacht, wenn es beim Spielen gequietscht und gegrammelt hat.“ Doch man müsse bedenken, daß sich die heute üblichen Stahlsaiten erst 1920 bis 1930 durchgesetzt hätten. Zuvor war deren Klang als unschön empfunden worden, doch dann habe sich das Sicherheitsdenken durchgesetzt (Darmsaiten sind Feuchtigkeits-empfindlicher). Vor allem wegen der großen Konzertsäle hätte man begonnen, die Instrumente zu verstärken, mit immer mehr Power (und mehr Vibrato) zu spielen, was schließlich auf Kosten der Nuancen der Musik gegangen sei. Denn sobald man die Saiten weniger stark spanne, würden sich die Tiefenschichten der Musik viel deutlicher offenlegen lassen, meint nicht nur Höbarth.

nach oben

An seinem Dirigenten Harnoncourt kann man den Wechsel des Zeitgeistes gut beobachten Er erzählt, dass man in seiner Studienzeit an der Musikakademie behauptet habe, Alte Musik sei einfach, und er habe wie alle anderen geglaubt, Barockmusik sei fad. Nun sei er aber durch seine Beschäftigung mit Kunst und Kunstgeschichte stutzig geworden: Wieso sollte gerade die Musik in einer Epoche wie dieser langweilig gewesen sein. Man könne doch nachlesen, daß sich das Publikum bei Konzerten oft auf den Boden geworfen und seine Kleidung zerrissen habe, wie man das heute nur mehr bei Pop- und Rockkonzerten erlebe. Daraufhin habe er sich mit der Alten Musik ernsthaft zu beschäftigen begonnen und 1952 den Concentus gegründet.

Originalklang-Apostel


Er selbst wurde anfangs als „ungeliebter Außerseiter“ bezeichnet, der Werke gegen den Strich dirigiere und der „Gegenmusik für ein Gegenpublikum“ mache. In den neunziger Jahren war er dann schon ein „Trendsetter“ oder der „Karajan der Alten Musik“. Und heutzutage, da er Beethoven und Bruckner dirigiert, wirft man ihm vor, sich untreu geworden zu sein. Dabei hat er sich nie als „Originalklang-Apostel“ gesehen und er hatte auch nie Probleme damit, ein Naturhorn in einem „normalen“ Orchester einzusetzen – wenn es der Sache dienlich war. Es gehe doch darum, Musik besser zu verstehen, und nicht, ob irgendetwas richtig ist oder falsch, meint er.

nach oben

Das meint auch Bernhard Trebuch: Bei allem Respekt für die Forschung ist für ihn das wichtigste, daß einen eine Aufführung packt – Authentizität hin oder her. Anders gesagt: Auch Alte Musik muß für heute gespielt werden.

Gut vermarktet


Trebuch sieht im gegenwärtigen Boom ebenfalls den kommerziellen Aspekt. Und Wilhelm Sinkovicz von der „Presse“ ist der Ansicht, daß der Originalklang jedenfalls gut vermarktet und auf eine geradezu modische Ebene gehievt würde. Doch Trebuch denkt auch daran, daß sich etwa Telefunken und die Deutsche Grammophon schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg an Alte Musik gewagt haben – und daß man mit Harnoncourt Plattenverträge eingegangen ist, als er noch ein Außerseiter war. Jedenfalls habe die CD-Industrie mit dazu beigetragen, daß Alte Musik „in“ geworden sei. Und für das Publikum wäre auch ihr improvisatorischer Charakter interessant, der sich sonst nur im Jazz oder in (archaischer) Volksmusik wiederfände.

Für Lubisa Tosic vom „Standard“ ist ein Grund für den Boom der Alten Musik, daß sich das Publikum für die neue nicht interessiert. Und das sei darauf zurückzuführen, daß heute Innovation und Zugänglichkeit anscheinend nicht mehr zu vereinbaren wären. Tošsi´c denkt an Pausengespräche, wenn die Wiener Philharmoniker gerade Anton Weberns Orchesterstücke gespielt haben: Als ob es sich um eine Uraufführung handeln würde und nicht um ein 90 Jahre altes Werk … – Er fragt sich, ob das anders wäre, wenn ein Puccini oder ein Wagner heute leben und komponieren würden. Und für ihn hat das große Interesse an Renaissance und Barock auch ein esoterisches Element: Ein Fesitval wie die „Resonanzen“ im Wiener Konzerthaus würde kontemplativ und meditativ konsumiert.

Zum Anhalten


Auch Trebuch ortet im Publikum ein Bedürfnis nach Ruhe und Harmonie. Ebenso Wilhelm Sinkovicz, der von einer „tiefen Sehnsucht nach etwas in sich Geschlossenem, Sicheren und Souveränen“ spricht. Interessant für ihn ist, daß damit gewissermaßen ein Schritt in die Zeit vor der Aufklärung gemacht wird. Und er findet es bemerkenswert, daß junge Leute plötzlich kein Problem mehr damit hätten, in eine Aufführung der Matthäus-Passion zu gehen. Man solle sich nur vorstellen, ob dieselben Leute auch eine Veranstaltung besuchen würden, für die mit einer intensiven Beschäftigung mit den Leiden Christi geworben würde. Aber Alte Musik sei nun einmal etwas zum Anhalten, etwas, das in sich ruht, das sagt: Ich bin richtig. Und das auch noch schön ist. ###

© morgen 2000

Seite drucken

Storys   Journalistische Arbeiten   Startseite