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OPEN SESAM

Guten Tag, darf ich mich vorstellen, mein Name ist Charly Meier. Ich bin Wanteds Translator. – Sie wissen nicht, was das ist? Ganz einfach, ich übersetze Stellenangebote. – Was es da groß zu übersetzen gibt? Nun, wissen Sie, womit zum Beispiel ein Key Account Manager sein Geld verdient? – Na bitte.

Stellen Sie sich vor, ein Key Account Managerer geht nach der Arbeit in die kleine Snackbar vis-à-vis und wird in ein Gespräch verwickelt:
„Was machen Sie so?“
„Ich bin Key Account Manager.“
„–––“

Sein Gesprächspartner hat jetzt drei Möglichkeiten.
1.) Er weiß, was ein Key Account Manager ist. (Ziemlich selten.)
2.) Er weiß nicht, was ein Key Account Manager ist, läßt sich das aber nicht anmerken. (Das Gespräch wird wahrscheinlich im Sand verlaufen, weil die Basis fehlt, auf der wir unseren Small talk aufbauen.)
3.) Er weiß nicht, was ein Key Account Manager ist, und traut sich zu fragen. (Das Gespräch wird vielleicht im Sand verlaufen, weil sich der Frager in den Augen des Managers disqualifiziert hat.)

Wir lernen daraus: Key Account Manager sind einsame Menschen. It’s lonely at the top. Geld allein macht nicht glücklich. Und so weiter.

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Nehmen wir jetzt aber einmal an, der Gesprächspartner wäre arbeitslos (Nein! Das sagt man nicht mehr! Man sagt: Ich bin auf aktiver Arbeitssuche). Also, er wäre auf aktiver Abeitssuche und im Prinzip sogar qualifiziert, ebenfalls ein Key Account Manager zu sein. Doch niemand erklärt ihm, was das ist. – Dafür bin ich da, mit meinen Wanteds Translator Assistants. Und wenn meine Beratungsfirma weiterhin so erfolgreich ist, werde ich mich bald Senior Wanteds Translator nennen. Einfach so. Klingt doch gut.

Wie ich zu diesem Beruf gekommen bin? – Nun, ich war selbst lange Zeit auf aktiver Arbeitssuche. Aus purem Sicherheitsdenken heraus habe ich Betriebwirtschaft und Jus studiert. Und dann habe ich ungefähr 499 Bewerbungen geschrieben und verschickt. Ich habe, glaube ich, ungefähr 49 Absagen erhalten – oder gar keine Antwort. Ich habe als Taxifahrer gearbeitet. Ich habe irgendwann die Stellenangebote nicht mehr verstanden.

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Was ist ein Key Account Manager?
Früher hatte ich nie die Gelegenheit, einen kennenzulernen. (Wahrscheinlich verkehrte ich in den falschen Snack Bars). Deshalb habe ich bei einer Firma angerufen und mich zu einem verbinden lassen. Der war aber 48 Stunden am Tag in einer Besprechung.

Also habe ich mein Wörterbuch Englisch-Deutsch hervorgekramt. Key kann Schlüsselstellung und maßgebender Posten heißen. Account bedeutet Rechnung, Bericht oder Konto. – Rechnungs-Schlüsselmanager? Schlüsselberichts-Geschäftsführer? Maßgebender Konto-Manager?

Daraus wurde ich nicht schlau. Doch zufällig stieg zu dieser Zeit eine ehemalige Studienkollegin in mein Taxi. Sie jobbte als Kellnerin in einer Snack Bar, wo man sich trifft. Und wußte, was ein Key Account Manager ist.

Darauf muß man erst einmal kommen: Ein Key Account Manager betreut die Key Accounts und das sind die Großkunden.

Also gut. Meine ehemalige Studienkollegin wußte jedoch auch nicht, was Risk Management Debitoren sind. Oder was um alles in der Welt Telematiker tun, um ihre Familien zu ernähren. Oder Large Account Manager, Senior Consultants, Budget Officers, Cash Management Officers und so weiter und so weiter.

Ich ging in einer Fachbuchhandlung zur Abteilung Management. Erst einmal staunte ich, wie viele Bücher Manager über ihren Beruf lesen können. (Vielleicht tun sie es, weil sie so einsam sind.) – Und dann fand ich zwar nichts über Risk Management Debitoren, aber irgendwo zwischen „Management by Powerforce“ und „Management by Laissez faire“ den Ratgeber „Management by Hausverstand“.

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Und da hatte ich so etwas wie eine Eingebung. Wenn, so lautete diese Eingebung, man anscheinend Geld auch mit Schmäh und nicht nur mit Taxifahren verdienen kann, dann könnte ich das doch auch versuchen. Zu verlieren hatte ich ja nichts.

Erst bot ich meine Dienste in den Arbeitsämtern an (schon damals wie heute nur gegen Erfolgsprämie, d.h. fünf Prozent vom ersten Gehalt), bald danach eröffnete ich ein Büro, nannte meine Firma „Open Sesam“ (das heißt „Sesam, öffne dich“), kurz darauf engagierte ich meine ehemalige Studienkollegin als Assistentin. Schließlich mußte ich mir das Fachbuch „Delegieren für Manager“ kaufen.

Manchmal stehe ich in der Snack Bar neben einem Key Account Manager und frage mich, was wohl aus mir geworden wäre, wenn die Firmen immer noch Putzfrauen, Laufburschen, Sekretärinnen und dergleichen suchen würden. Vielleicht hätte es doch irgendwann einmal mit der aktiven Arbeitssuche geklappt. Und ich wäre jetzt Stellvertretender Assistent der Geschäftsführung.

So aber stehe ich vor meinem Brandy sour, und wenn mich mein Nachbar fragt, was ich denn so tue, so antworte ich: Ich bin Wanteds Translator.
Und wenn er mir sympathisch ist, erkläre ich ihm auch, was das ist. ###

© Industriemagazin 1998

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