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DIE POLITIK DER LIEBE

für Sylvia

(Zurück zu Literatur)

Opium dem Volk
Ich denke mir Liebe als Gift
Das uns beherrscht
Solang wir es namenlos halten
Und als Droge mißbrauchen
Die anfangs verzaubert
Deren Wirkung aber
Mit der Gewöhnung verblaßt
Und anstatt jenes vage Glücksgefühl zu genießen
Versuchen wir es zu stabilisieren
Versprechen uns Dauer von Abhängigkeit
Und steigern die Dosis der Mittel
Die schließlich das einstige Ziel
Nämlich Glück und Einigkeit
Aus unserem Blickfeld verdrängt
Und sich zu unerklärbarer Gottheit verwandelt
Deren Tempel wir säubern
In welchem wir beten
Und bitten
Sie möge uns das Leben erhalten

Was für ein Leben
Tagtäglich das gleiche
Gewohnte Zeiten
Gewohnte Arbeit
Gewohnte Kollegen
Abends frei, aber müde
Aber betrunken
Oder gelangweilt vom selben, verschiedenen Fernsehprogramm
Und wochenends frei
Von Arbeit, aber gebunden ans Freizeitprogramm
Und Urlaubs frei
Vom Gelderwerb
Aber gebunden ans Geld
Zuhause die immer gleichen, öden Gesichter
Verbraucht von der Arbeit
Enttäuscht von Realitäten
Gemessen an Träumen, Hoffnungen
Kinder vielleicht
Denen vererbt wird
Was einem mißfällt
Die man erzieht
Daß sie gefallen
Scheinbar endlose Kreise trostlosen Bestands
Offensichtliche Lügen
Damit man besteht
Was sich ergab
Weil man es anders nicht konnte
Wollte

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Arbeit nehmen
Was mich hält
Sind Verträge
Nicht Liebe
Kein Gefühl der Verantwortlichkeit
Kaum Zuneigung
Und die Angst
Die ihr nährt
Durch Verschweigen

Liebe nehmen
Wir lieben auf jene unverbindliche Art
Mit der wir Arbeit nehmen und geben
Wir wollen dafür bezahlt sein
Daß wir uns verkaufen
Und wir wollen uns verkaufen
Um bezahlen zu können
Wir trennen Liebe von Arbeit
Uns darüber hinwegzutäuschen
Daß wir nur so zu lieben vermögen
Wie wir Geld zu verdienen verstehen
Wir bezahlen für die Aufrechterhaltung der Illusion
In der zu bezahlenden Wohnung und Freizeit
Liebe nicht verwerten zu müssen
Und wir verheimlichen vor den Geliebten
Den jeweiligen Wert des anderen
Um veraltete Würde nicht zu verlieren
Uns glauben zu machen
Wir hätten uns überlieferte Vorstellungen von Glück
Gegen die Realität bewahrt

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Mich festklammernd
Mich festklammernd an mir
Der behauptet hat
Er lasse sich
Vom Gelderwerb
Die Illusionen nicht rauben
Fällt es mir schwer
Mich den Tatsachen zu stellen
Die da bezeugen
Ich müßte erst einmal selbst
Zum Trinkgeld geworden sein
Zum Lohnstreifen
Oder zur Einkommensüberweisung
Um diese Phase der Kleinheit
Überwinden zu können

Abrechnung
Seitdem dein Körper sich mir
In eine Telefonstimme verwandelt hat
Machst du mir Distanzierung möglich
Ich darf mich also bewußt mit meiner Erinnerung täuschen
Und du störst meinen beständigen Selbstbetrug nicht weiter
Also stelle ich beruhigt fest
Daß wir den Kampf um Glück abgebrochen haben
Und keiner von uns
Als Sieger hat hervorgehen müssen
Die vertretene Sehnsucht bleibt zwar enttäuscht
Aber aufrecht
Und einzig der Traum von Rückerstattung aufgebrachter Mittel
Ist sowohl unzumutbar
Als auch unerfüllbar
Als auch lächerlich
Ich verliere mich an die Ahnung
Die Aufrechterhaltung von Besitzansprüchen
Sei mit Fakten wie Liebe allein unmöglich zu bewerkstelligen

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Formen von Liebe
Du hast dich freuen müssen
Und deshalb mich erfreut
Dann wollte ich dir darauf antworten
Weil ich mich erfreuen hab lassen
Du hast dich quälen müssen
Und deshalb mich gequält
Nun will ich dir darauf antworten
Weil ich mich quälen hab lassen

Liebe und Recht
In Entfernung zu dir
Verbrachte ich ertragreiche Tage
Dich zu durchschauen
Mir dich zu erklären
Und es fiel mir denkbar leicht
Ebenfalls dir
Mich zu verdammen
Aber beim doch ersehnten Wiedersehen
Erfuhren wir
Daß Liebe mit Recht
Gar wenig gemein hat
Denn beide hatten wir richtig gehandelt
Gedacht und gefühlt
Beide hatten wir uns selbst und den andren
Belogen, betrogen
Doch wohl auch beide
Versprochene Wärme, erhoffte Geborgenheit
Verloren
Ein Leichtes wäre gewesen
Sich damit zu trennen
Um auf ewig
Gewonnen, verloren zu haben
Doch vermochten wir ’s nicht
Sondern ergaben uns schutzloser Bekenntnis
Dem Verzeihen
Das der Verzweiflung entspringt
Hielten uns Haltlose fest
Und befanden uns jenseits der Kämpfe um Glück
Vertrauen und Liebe

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Strategien
Ich hatte
Nach einem mörderisch-listigen
Eroberungsfeldzug
Kapituliert
Mich dir reuig ausgeliefert
Und du
Zusammengekrümmt vor Schmerzen
Von Wunden
Die du dir von mir hast zufügen lassen
Hast dich gerächt
Mein dummes Angebot
Zur Friedfertigkeit
Scheinbar freudig-willig angenommen
Dich aber
In Anbetracht und Erinnerung
Meiner Brutalität
Vorsorglich entschieden
Mich lächelnd zu vernichten
Deine Hiebe trafen meinen Körper
Ich
Mir einer alten Schuld bewußt
Erduldete dies schweigsam
Fast dankbar für gerechte Bestrafung
Und starb dir
Die ich liebe
Die mich liebt
Hinweg

Krieg und Abortus
Wie könnten Mörder
Jemals
Zu lieben fähig sein
Solange sie fürchten
Gestehen zu müssen
Gelingt ja nicht einmal solchen
Miteinander zu leben
Die sich der Zukunft
In Form eines Neugeborenen
Entledigt haben
Ohne sich und dem anderen vorzulügen
Daß alles
Nicht aber sie selbst
Schuldig wären
Wie sollten dann jene
Die auf Befehl
Verantwortungsfrei töten
Freiheit und Gleichheit verwirklichen
Da sie sich auf einer dünnen Kruste
Getrockneten Blutes
Bewegen
Und so tun
Als ob sie auf festem Gestein stünden

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Heimkehrer
Ich bin heimgekommen
Und habe nichts so vorgefunden
Wie ich es verlassen hatte
Ich stellte mich mitten ins Chaos
Und überlegte
Wie ich es gestalten sollte
Um nicht wieder fortgehen zu müssen
Dann erinnerte ich mich an einen alten Zustand
Stellte ihn wieder her
Ich setzte mich
Stand auf
Ging umher
Und fragte mich
Wie ich nun noch verhindern könnte
Daß ich wieder fortgehen werde müssen

Wiederaufbau
Fruchtbar
Könnte die Zeit der Verwirrung sein
Da ich mich nirgendwo wiedererkenne
Und überall teilhabe
Da ich sehnsüchtig liebe
Und vor Einsamkeit wahnsinnig bin
Da ich mich hasse
Weil mich niemand liebt
Da mir Gut und Böse gleichgültig sind
Doch ich verlasse das Leiden
Und wende mich abermals
Altbekannten Kategorien zu
In der kindlichen Hoffnung
Zurückkehren zu können
In die feuchte Wärme des Mutterleibs
Ich sammle Erfahrungen
Und stelle sie
Der Einfachheit halber
Hinter Vitrinen aus Panzerglas

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Generationskonflikt
Wer verdächte er Dir, Großmutter, daß Du, die an Ihrem Gatten beobachten hat können, zu welcher Intensität eben noch verdrängte Triebe fähig sind und wie sie alle Kanäle sprengen, keinem Mann mehr Zuschlupf gewährt hast, die Du die Folgen von Schußwaffen kennst? Wer verdächte es Euch, Eltern, daß Ihr, die Ihr die Bodenlosigkeit der Gefahr erlebt habt, Euch jeglicher Sicherheit ergabt? Wer verdenkt es mir, der Kälte und Sicherheit geerbt hat aus vergangenen Zeiten und dem niemand ihre Ursachen darlegt, mich nach Hitze und Gefahr zu sehnen, die meine Ahnen in unkontrollierter Form erlebt haben und lieber leugnen, als sich den Fragen zu stellen, die der Umgang damit gefordert hat?
Hast Du, Großmutter, nicht erkannt, daß schon die Manneskraft Deines Sohnes nicht mehr nur zerstörerisch war? Habt Ihr, Eltern, nicht bemerkt, wie langweilig mir ohne Risiko zu leben war? Habe ich nicht erfahren, daß mir mehr möglich ist, als Euer Erbe zu verwalten, daß es sogar unabdingbar ist, es zu hinterfragen, um meinen Kindern ihre Lebensbedingungen zumindest erklären zu können?

Den bösen Eltern
Euch gebe ich gerne jede Schuld
An meinen Feigheiten
Und ich finde kiloweise Bestätigung dafür
Auch Freunde sprechen mir Recht zu
Eure Form von Liebe zu verachten
Aber die Bücher, die Freunde verleben sich
Während Ihr immer noch verzichtet
Frei von Verantwortung zu sein
Euch kann ich noch brauchen
Wenn jene verstaubt, vergilbt
Und anderwärtig beschäftigt sind
Ihr verlangt bloß
So zu sein
Wie Ihr mich haben wollt
Sie aber lieben mich nur
Als einen von ihnen

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Bei Glatteis
Ich kam euch besuchen
Und glitt schon auf dem Fußabstreifer aus
Dann vom Klingelknopf ab
Meine Jacke rutschte vom Haken
Meine Hand aus der euren
Euer Lächeln zwang meine Worte zu Boden
Und jetzt, da ich euch sehr versehrt verlassen habe
Habt ihr sie sicher aufgekehrt
Und in den Mistkübel rieseln lassen

Fischeln
Bedauerst du schon
Bloß einer von den kleinen Fischen zu sein
Womöglich Süßwasser
Gar Teich
Mit deinem beschränkten Ausschwimm
Und bewunderst du heimlich jene großen
Die stehlen, morden nach Lust
Selbst ertappt noch launig und ungeschuppt
Davonplanschen
Sitzt in deinem Fischherz ein kleines Gewissen
Das sich empört
Wolltest du
Wundersam gewachsen
Redlich fischen im Trüben
Ach, wir sind ’s nicht, was ändert
Bloß froh
Lange, gesund und halbwegs fischig
Zu frischeln

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Vom Denken
Während ich
In diversen Studierstuben
Theaterbauten und Kaffeehäusern
Abwechselnd die Welt
Meine Freunde
Oder bloß mich zu verändern beabsichtige
Manchmal nicht aufs Genießen vergesse
Türmen sich vor meinen Öffnungen zur Welt
Die vielen Neuigkeiten
Lasse ich sie herein
Bin ich zu revidieren gezwungen
Sperre ich sie hinaus
Revidieren sie mich
Ich gehe unter Menschen
Und erfahre
Daß sie
Vom starren Betrachten ihrer kleinen Glücke
Kurzsichtig
Oder an dogmatische Zukünfte gefesselt
Träumerisch
Geworden sind
In manchen Nächten stehe ich beim geöffneten Fenster
Und kehre ihm den Rücken zu

Nicht Faulheit, Angst
Nicht Faulheit kann es sein
Die uns vergessen läßt
Es ist die Angst vor der Wahrheit
Welche uns uns verändern machte

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Einer Freundin
Du wirst der Welt nicht gestorben sein
Sie müßte das beurkunden
Und auch mir lebst du
Verfälschbar
Weiter
Seitdem du dich in die Heimlichkeit
Erduldeten Leidens
Zurückgezogen hast
Vielleicht sollte ich dich noch aufmerksam machen
Daß
Wer sich dem Formulieren verweigert
Seinen Anspruch auf Kontur und Faßbarkeit hingibt
Für die einsame Gewißheit
Stärker gewesen zu sein

Weiß ich
Weiß ich
Ich wünsche mir
Einen Menschen
Dem ich anvertrauen kann
Ich liebe dich
Und bin dennoch allein

© Werner Schuster

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