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HALLO,
KURT!
Wie ich vielleicht zum High Potential geworden wäre.
Unternehmen müssen zu Talent-Magneten werden; eine positive Anziehungskraft
auf Menschen mit Talent und Leistungswillen ausüben, für kreative Querköpfe
und hochintelligente Freaks aller Art.
Ich liebe solche Ansagen. Und ich stelle mir gleich vor, wie der Supermarkt
ums Eck die freundlichen und die grantigen Kassiererinnen entlässt, um sich
die Querköpfe und Freaks vom kleinen, trendigen Modeladen nebenan zu angeln.
Oder wie ich bei meinem Boss vorspreche ...
... nein – um meiner neuen Rolle gerecht zu werden, muss ich wohl unangemeldet
in sein Büro eindringen, am besten casual gekleidet, vielleicht eine
angezündete Zigarillo im Mundwinkel. Auf jeden Fall begrüße ich ihn mit einem
Schulterklapps, während ich ihn beim Vornamen nenne und dann breite ich die
Arme aus und rufe: ICH BIN DER, AUF DEN DU GEWARTET HAST!! Oder ist das nicht
querköpfig genug? Vielleicht stelle ich (breitkrempiger Sommerhut? übergroßes,
schwarz-weiß kariertes Hemd? dezente 3/4-Bermuda über Gummi-Strandschuhen?)
nur trocken fest: "Was hast du mir anzubieten?" Und Kurt, in Anzug und Krawatte
von der Stange, wird erleichtert ausatmen und mit rauher Stimme sagen: "Wo fangen
wir an?"
Kann sein, es wird auch anders ablaufen, denn laut den Business
Querdenkern (ohne Bindestrich, so was tut man heute nicht mehr) muss mir
Kurt proaktiv sein Unternehmen attraktiv machen. Grundsolide is nich. Denn früher
haben sich die Unternehmen ihre Mitarbeiter ausgesucht, heute suchen sich die
besten Mitarbeiter ihr Unternehmen aus. Ja, genau so läuft es ab auf dem
Arbeitsmarkt. Keine Spur mehr davon, dass sich auf jedes Inserat mindestens
300 Anwärter bewerben – die Geschäftsführer laufen uns nach.
Doch hoppla, jetzt sehe ich es erst: Die "Business Querdenker" schreiben (im
medianet vom 22. Juni)
ihr Zwei-Seiten-Feature gar nicht über oder gar für dich und mich, sie wenden
sich an die High Potentials, die es nicht nötig haben, für die
Stadtwerke Hinterwaldheim zu arbeiten. Eine Doppelseite für die Elite.
Die zum Beispiel unbedingt zu Google will, aber nicht wegen der relaxten
Arbeitsatmosphäre, der kostenfreien Kantine und der überdurchschnittlichen Gehälter.
Die Besten der Besten wollen zur Suchmaschinen-Firma, weil sie dort fantastische
Dinge verwirklichen können. AdWords zum Beispiel, mit welchem Werbeprogramm
Google jenseitige Einnahmen erzielt. Und die Querdenker überlegen dann, wie
man dieses Werbeprogramm auch auf Printmedien, TV und Radio ausdehnen könnte,
während die Freaks sich Gratis-Mail und Gratis-Stadtpläne ausdenken für die
Hinterwaldheimer.
Irgendwo wird es in diesem New-Economoy-Paradies auch ein paar unauffällige
Leute geben, die all diese fantastischen Dinge in die Tat umsetzen dürfen, damit
noch mehr Bewohner von Hinterwaldheim Google verwenden, welche auf ihren selbst
gebastelten Homepages mittels AdSense-Inseraten Werbung für Google machen –
und zwar in der irrigen Annahme, sie würden damit so viel Geld einnehmen, dass
sie ihre anspruchslosen Routinejobs nicht mehr machen müssen.
So wie ich. Aber wie komme ich jetzt aus meiner peinlichen Lage vor dem fassungslosen
Kurt?
Ich hab's! Ich werden ihm von AdSense-Inseraten auf der Firmenhomepage abraten,
weil das aber wirklich schon jeder hat. Und wenn er dann meint, diese unter
Umständen brauchbare Idee hätte mehr Chancen auf Verwirklichung gehabt, wenn
ich mich wie ein normaler Mensch gebärdet hätte, so hab ich meine "Business
Querdenker" gelesen und werde süffisant anmerken: Langweilige Mitarbeiter
bedeuten langweilige Firmen bedeuten langweilige Marken.
Und dann kann ich mir entweder einen anderen anspruchslosen Routinejob suchen
oder ich habe den ersten Schritt zum High Potential getan. Und wenn ich groß
bin, werd' ich Unternehmensberater. ###
© Werner Schuster 2007
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