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NICARAGUA MI AMOR

Dietmar Schönherr
hatte ein Leben vor und ein Leben nach „Wünsch Dir was“. Und am meisten Befriedigung zieht er aus seinen Entwicklungshilfe-Projekten.

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Das Leben ist ungerecht. Die Rolling Stones müssen immer noch „Satisfaction“ spielen, als hätten sie sonst keine Songs geschrieben, und Dietmar Schönherr ist der Moderator von „Wünsch Dir was“, sonst nichts. Für einige ist Dietmar Schönherr auch noch der Commander McLane aus der Science-fiction-Serie „Raumpatrouille“ – und der Moderator von „Wünsch Dir was“, sonst nichts.

Dietmar Schönherr aber hatte ein Leben vor und ein Leben nach „Wünsch Dir was“. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier einmal seine sonstigen beruflichen Tätigkeiten angeführt: Theater-, Film- und TV-Schauspieler, Rundfunk-Sprecher, Synchronsprecher, Reporter, Autor, Hörfunkdramaturg, Filmregisseur, Theaterregisseur, Moderator von Talkshows und TV-Magazinen, Conferencier, Quizmaster und Mitinitiator der Volksschauspiele in Telfs. Als seine größte Leistung allerdings bezeichnet Schönherr sein Entwicklungshilfe-Projekt in Nicaragua.

Sicheren Schrittes


Dietmar Schönherr ist 73 Jahre alt, und das merkt man ihm nicht an. Sicheren Schrittes stapft er in den Innenhof der St. Pöltner „Bühne im Hof“, begrüßt die auf ihn Wartenden mit festem, freundlichem Handschlag und begibt sich ins Theater, um sich die Bühne anzusehen, auf der er in ein paar Stunden bei einer Benefiz-Veranstaltung auftreten wird. Er plaudert mit dem Techniker, kommt alsbald auf die Nationalratswahl zu sprechen, fragt: „Ich trete morgen in Graz vor Jugendlichen auf: Was für eine Hoffnung soll ich denen jetzt geben?“

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Außer mit „Wünsch Dir was“ ist Dietmar Schönherr hierzulande vielleicht auch noch als unbequemer Mensch in Erinnerung, als einer, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Wegen des von ihm geschriebenen und inszenierten österreichischen Films „Kain“ wurde er 1970 als Nestbeschmutzer bezeichnet. Nach „Wünsch Dir was“ wollte er etwas Gesellschaftskritischeres machen. Anfang der 80er-Jahre sorgte er – in Deutschland – für Schlagzeilen durch sein politisches Engagement in der Friedensbewegung. Seine öffentliche Kritik am amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan führte 1981 zu Schönherrs Absetzung als Moderator der Sendung „Rendez-vous“ im Schweizer Fernsehen (und veranlaßte ihn, das Buch „Präsidentenbeschimpfung“ zu schreiben).

Sein Gewissen


Im Februar dieses Jahres hat der Sohn eines Generals, der am Ende des Krieges von den Gebirgsjägern desertierte, wieder für Aufsehen gesorgt, als er sich bei der Überreichung der „Goldenen Kamera“ nicht bloß wie alle übrigen kurz und herzlich bedankte, sondern zu einer Rede Martin Walsers folgendermaßen Stellung bezog: „Vor einigen Wochen, anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels hat ein Mann meiner Generation mit einer verschwommenen, wolkigen Rede Unfrieden gestiftet. Die Elite der deutschen Politik hat stehend applaudiert. Der unpolitische Großdichter sprach von der ,Auschwitzkeule‘, von der er sich bedroht fühlt und von einer Methode des ,Wegschauens‘ und ,Wegdenkens‘.

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Er sprach davon, daß das Gewissen eine ganz persönliche Angelegenheit sei. Mag er damit recht haben; ich möchte mir, und ich glaube, ich spreche im Namen von sehr vielen in diesem Saal, ich möchte mir weder von Herrn Walser noch von irgendjemandem vorschreiben lassen, wie ich mit meinem Gewissen umzugehen habe. Ich möchte mich immer erinnern dürfen, im Schmerz und im Bewußtsein des wegschauenden Versagens, an die vielen Kollegen, die von einem menschenverachtenden Mörderregime um ihr Leben gebracht worden sind. (…)

Historische Verantwortung


Die Normalität, meine Damen und Herren, die wir uns alle offenbar so sehr wünschen, kann für die deutsche Nation und auch für uns Österreicher nur dann eintreten, wenn wir lernen, den aufrechten Gang zu gehen, wenn wir alle, fähig zu trauern, unsere historische Verantwortung in unserem Bewußtsein festschreiben, wenn wir und die nachkommenden Generationen erlernen, mit unserer Vergangenheit zu leben.“

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Im Gespräch ist es allerdings schwer, Dietmar Schönherr aus der Gegenwart in die Vergangenheit zu lotsen. In zweieinhalb Stunden wird er eine Lesung mit Musik gestalten, gemeinsam mit der Grupo Sal, die sich seit 1987 für Schönherrs Nicaragua-Projekte engagiert. „Jeder Tag ein Fest – Geschichten aus Lateinamerika“ ist das vierte gemeinsame Programm. Er möchte auf diesem Weg auf die Situation von Straßenkindern in Nicaragua aufmerksam machen und um finanzielle Unterstützung für seine Entwicklungshilfe-Projekte werben, vor allem für die „Casa de los Tres Mundos“. Dieses „Haus der drei Welten“ wurde 1986 von Schönherr und seinem Freund, dem revolutionären Priester-Revolutionär Ernesto Cardenal, gegründet.

Nicht schwafeln – machen


1983, mit 57 Jahren, hatte sich Schönherr an der „Prominenten-Blockade“ beim US-Stützpunkt Muthlangen beteiligt – und an der Sinnhaftigkeit solcher Unternehmungen gezweifelt. Er wollte etwas Konkretes tun, nicht nur protestieren. „Nicht schwafeln – machen“, wie er es im Prominenten-Fragebogen der FAZ als sein Motto ausgegeben hat.

Auf Anregung von Ernesto Cardenal, damals Kulturminister, besuchte er Nicaragua, wohin er bis dahin noch nicht gereist war. Wie viele Künstler war er von der Sandinista beeindruckt, wollte sehen, wie diese „Revolution der Barfüßigen“ einen Diktator gestürzt hatte und was daraus geworden war. Schönherr blieb sechs Wochen, schrieb anschließend das Buch „Nicaragua mi amor“, rief die Stiftung „Hilfe zur Selbsthilfe“ ins Leben – und beteiligte sich selbst, mitten im Krieg, am Wiederaufbau des Dorfes La Posolera. An der Schule dort hat er mitgebaut. Er hat eine Fabrik für landwirtschaftliche Maschinen initiiert. Einmal mußte er vor einem bewaffneten Überfall flüchten. Und es schmerzt ihn, daß die Bewohner von Posolera alles verkauft haben, verlockt von schnellem Geld, anstatt sich ihre Existenzgrundlagen zu erhalten: Die Produktionsstätten etwa sind zur Gänze verschwunden.

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Entwicklungshilfe sei schwierig, seufzt Schönherr – und gibt nicht auf. Er plant schon ein neues Projekt und will aus Posolera die Lehre ziehen: Es genügt nicht, den Menschen Häuser hinzustellen, sie müssen sich dort auch zu Hause fühlen. Das neue Projekt heißt Malacatoya und soll einigen jener Nicaraguaner helfen, die durch den Hurrikan Mitch letztes Jahr obdachlos geworden sind. Man hilft bei der Errichtung eines wassersicheren Dorfes, gibt den Ansiedlern Anleitungen zum Bauen – auch der Gemeinschaftshäuser: Schule und Krankenhaus sowie Pavillons für Frauen und für Kinder. In drei Jahren können die Ansässigen den Grund, den sie bewohnen, für einen symbolischen Betrag erwerben.

Keinen Dank


Dank darf man sich für Entwicklungshilfe nicht erwarten, meint Schönherr, am ehesten noch von den Kindern. Später, während der Lesung, wird er davon berichten, wie ergreifend es ist, wenn man ein Straßenkind in einer Wellblechhütte Cello spielen hört. Gemeinsam mit Ernesto Cardenal hat er mit der „Casa de los Tres Mundos“ ein geistig-kulturelles Zentrum geschaffen. Man kaufte einen verfallenen Kolonialbau im Herzen der Stadt Granada und restaurierte ihn unter Verwendung originaler Bauweise. Die Kosten beliefen sich auf 1,5 Millionen Dollar, wovon rund ein Viertel aus Spesen aufgebracht wurde.

Mit der Eröffnung 1992 wurde die Casa den Bürgern der Stadt geschenkt. Es gibt dort Konzerte, Ausstellungen, Lesungen, eine Bibliothek, Workshops, Kongresse, berufsbildende Kurse – und vor allem Kurse für Kinder. Seit 1994 hat eine Musikschule ihre Arbeit aufgenommen, die sich auch an Kinder aus armen Teilen der Bevölkerung und Randgruppen der Stadt wendet. Gleichzeitig werden Arbeitsplätze für nicaraguanische Musiker geschaffen, für die es auch Weiterbildungskurse gibt. Schönherr ist der Überzeugung, daß Kultur ebenso wichtig ist wie Essen und Trinken. Er will mit der Casa die kreativen Kräfte der heimischen Bevölkerung wecken, verschüttetes kulturelles Erbe wiederentdecken helfen und der jungen Nation bei der Identitätssuche Unterstützung bieten.

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Zur Zeit spielt er den König Lear in Innsbruck, und in einer kurzen Spielpause wird er nach Nicaragua zu einer zentralamerikanischen Buchmesse reisen, mit der etwas zur Annäherung der zentralamerikanischen Staaten beigetragen werden soll. Bei einem parallel veranstalteten Filmfestival sollen die Straßenkinder einen Film über ihr Leben drehen. Und Schönherrs Film „Mirakel“ wird auch zu sehen sein.

Andererseits


Bisher hat er es vermieden, in Nicaragua als Künstler in Erscheinung zu treten. Er wird oft gefragt, warum er sich nicht etwa für Randgruppen in Europa engagiere, und antwortet dann, daß er hier den Kopf nicht frei hätte, weil er zu sehr durch Autogramm-Geben abgelenkt werden würde. Auf der anderen Seite „könnte ich diese Arbeit nicht machen, wenn ich in den Medien nicht mehr präsent wäre.“

Und Schönherr ist nicht nur wegen „Wünsch Dir was“ präsent: In Deutschland und der Schweiz kennt man ihn auch von seinen Arbeiten am Theater und für Film und Fernsehen: 1997 spielte er „die deutsche Antwort auf Alexis Sorbas“ (Berliner Zeitung) in Doris Dörries Film „Bin ich schön?“ (mit Senta Berger, Iris Berben, Franka Potente, Gottfried John und Uwe Ochsenknecht), 1999 hat er die Spielfilme „Der Schrei des Schmetterlings“ und „Auf eigene Gefahr“ gedreht – und in der Serie „Der Kopp“ als querschnittsgelähmter Ermittler im High-Tech-Rollstuhl Fälle gelöst.

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Absichtlich hat er sich nicht aus Österreich zurückgezogen, sondern betrachtet es als „Zufall, Schicksal, Fügung“, daß es ihn gewissermaßen ins Ausland verschlagen hat. Außerdem hätte er für eine Karriere in Österreich nach Wien ziehen müssen, und das wollte er nicht. Er hat, sozusagen, immer in der Provinz gelebt und wollte das auch.

James Dean


Schönberg wurde 1926 in Innsbruck geboren (ein Vorfahre ist der Dramatiker Karl Schönherr, von dem er 1983 in Telfs „Der Weibsteufel“ inszeniert hat), machte die Matura in Potsdam, spielte im Ufa-Film „Junge Adler“ mit – und begann dann in Innsbruck ein Architekturstudium, das er wegen eines neuen Filmangebots (47; „Wintermelodie“) abbrach. Bis 1952 war er Sprecher, Schauspieler, Regisseur, Reporter und Autor beim Österreichischen Rundfunk, um danach zum Westdeutschen Rundfunk nach Köln zu wechseln. Dort arbeitete er auch als Synchronsprecher und lieh unter anderem James Dean seine Stimme.

Mit der „Nacht am Montblanc“ begann 1955 seine Filmkarriere. Aber das genügte Schönherr gewissermaßen nicht: Er war französisch- oder englischsprechender Gastgeber bei Musiksendungen, Conférencier, wirkte in Fernsehspielen mit – und spielte zwischendurch immer wieder Theater. Dann kam die Science-fiction-Serie „Raumpatrouille“, sozusagen ein Meilenstein im Leben der heute 40jährigen, wofür er heuer den „Goldene Kamera-Jahrhundertpreis“ verliehen bekommen hat, und der auch im Internet mehrere Sites gewidmet sind.
Darauf folgte, von 1970 bis 72, „Wünsch Dir was“. Mit nur 24 Folgen (sowie einer Sondersendung 1982) hat sich Schönherr ins Gedächtnis mehrerer Generationen eingegraben. Davor hatte er mit seiner Frau Vivi Bach durch die Fernsehshows „Du und ich“, „Luftsprünge“, „Sie und er“ geführt. Danach, 72 bis 74, moderierte er die erste Talkshow im deutschsprachigen Raum: „Je später der Abend“, weiters die Quizsendung „4+4=Wir“ (77), die Serie „Welt der Tiere“ (80) und das Kulturmagazin „Arena“ (80). Am Rande sei erwähnt, daß Schönherr auch der erste Moderator des österreichischen Magazins „Apropos Film“ war.

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Doch dann fragte ihn der ehemalige Burgtheaterdirektor Gerhard Klingenberg auf einer ihrer gemeinsamen „expeditionistischen Reisen“, ob er mit ans Zürcher Schauspielhaus gehen wolle. Schönherr blieb 15 Jahre Ensemblemitglied. Dadurch war es vorerst einmal vorbei mit Fernseh-Aufträgen. Und ein wenig auch mit Filmen, obwohl Schönherr in über 70 mitgewirkt hat, darunter „Frauensee“ (58), „Schachnovelle“ (60), „Der längste Tag“ (62), „Madame Bovary“ (68), „Der Mann, der den Eiffelturm verkaufte“ (70), „Die Story“ (84), „Torquemada“ (89), „Go Trabi Go“ (92) und „Rosen aus Jericho“ (94).
Und wenn man wissen will, wie er Theater, Fernsehen, Film, Schreiben und Entwicklungshilfe unter einen Hut bringt, dann zuckt er bloß die Schultern, kann mit dieser Frage so rein gar nichts anfangen, antwortet schließlich nach langem Überlegen: „Ich bin halt nicht eingleisig“.

Königreich zerstören


Aber im Moment ein bißchen müde. „König Lear“ in Innsbruck, die Tournee mit der Grupo Sal … Doch, ermahnt er sich, die Konzertlesungen mit der Grupo Sal dienen seiner Nicaragua-Hilfe. Vom Erlös werden alle Lehrer in der Casa de los Tres Mundos bezahlt.
Womit wir wieder beim Thema und am Ende des Interviews angelangt wären. Schönherr wird nachdenklich: In Nicaragua hätten sich die Sandinisten auch schon ein wenig vom Volk distanziert – wie hierzulande die SPÖ, meint der ehemalige Wahlhelfer für Bruno Kreisky, schränkt aber ein: „Wie ich höre“. Es sei seltsam, am Samstag war Premiere von „König Lear“, der ja mutwillig sein Königreich zerstöre, und am nächsten Tag wäre mit der Nationalratswahl etwas Ähnliches geschehen. Er glaubt, daß der Denkzettel, den die Leute der Regierung geben wollten, schlußendlich die Leute selber treffen werde.

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Dann möchte er sich doch noch ein wenig ausruhen vor der Lesung, aber da stehen schon die nächsten Journalisten in der Tür, und für Nicaragua gibt Schönherr gerne ein weiteres Interview. Vor der Lesung sieht er sich interessiert den Diavortrag des Veranstalters „Südwind“ über Entwicklungspolitik an, steht dann zwei Stunden hinter seinem Pult, spricht über Jörg Haider, über Nicaragua, über die Casa de los Tres Mundos, liest Texte von südamerikanischen Autoren wie Galeano, Belli, Cardenal und Márquez, berichtet, daß er in Nicaragua Bismarck genannt wird, weil man dort seinen Namen nicht aussprechen könne, liest Auszüge aus seinem letzten Buch mit Momentaufnahmen aus Südamerika, lauscht zwischendurch der Musik der Grupo Sal.

Keine Ahnung


In der Pause erzählt die Kellnerin im Buffet, daß sie sich noch gut erinnern könne, wie sie als Kind aufbleiben durfte, um sich „Wünsch Dir was“ anzusehen. Drei Stunden zuvor, auf die Frage, warum gerade „Wünsch Dir was“ solch ein anhaltender Erfolg wäre, hatte Dietmar Schönherr bloß, verschmitzt lächelnd, geantwortet: „Keine Ahnung“. – Um „die wichtigste seiner Leistungen” weiterzutreiben, betrat der 73jährige kurz darauf sicheren Schrittes die Bühne. ###

© spectrum 1999

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