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FÜR BLÖD VERKAUFT


Manche Menschen haben ein Interesse daran, dass wir den Euro für einen Teuro halten.


„Wäre ich früher ins Gasthaus gegangen und der Wirt hätte für zwei Bier 100 Schilling verlangt, hätte ich ihn beschimpft und nie wieder besucht. Heute verlangt er 6,40, ich geb ihm 7 Euro und denke mir nicht weiter was dabei.“ Mit diesen Worten wollte ich einen Kommentar zum Thema „Teuro“ beginnen. Mittlerweile bin ich draufgekommen, dass die Rechnung so nicht stimmt.

Zum einen verlangt der Wirt umgerechnet ja „nur“ 88 Schilling, und dass ich ihm 96 gebe, ist wohl meine Sache. Zum anderen scheine ich mit meiner ungenauen Rechnung der „Teuro-Illusion“ erlegen zu sein, einer eingebildeten Preiserhöhung. Diese beträgt etwa zehn Prozent. Das heißt, ginge man von den realen jährlichen Preissteigerungen von unter zwei Prozent aus, käme man als Milchmädchen-Rechner auf zehn Prozent in fünf Jahren (seit der Euro-Einführung); wir eingebildeten Konsumenten schlagen allerdings nochmals zehn Prozent dazu und lamentieren darüber, dass alles so teuer geworden ist. Wegen des Euros.

Aber ich bin mit meiner Einschätzung nicht allein. Bei einer unrepräsentativen Umfrage in meinen Freundes- und Kollegenkreisen waren von 18 Menschen (aus unterschiedlichen „Schichten“) nur vier der Meinung, dass der Euro kein Teuro wäre, drei waren sich nicht sicher. Elf waren sich sicher.

Aus den Antworten:
– Zuerst wurde zum Nachteil der Verbraucherinnen aufgerundet. Dann wurde die Tatsache genutzt, dass das Gefühl, ob etwas billig oder teuer ist, für die neue Währung völlig gefehlt hat.
– Was früher 10 Schilling gekostet hat, kostet jetzt 1 Euro.
– Die kleinen Zahlen machen einem vor, es sei eh alles so billig.
– Ich gebe leichter mal 10-15 Euro für ein Essen aus, wo ich früher nie 140 bis 170 öS für eine simple Pasta bezahlt hätte.
– Hätte man früher für eine grünen Paprika öS 9,50 (69 Cent) oder für ein Grünzeug öS 10,90 (79 Cent) ausgegeben?
– Katzenfutter hat vor dem Euro öS 7,99 gekostet und nach der doppelten Preisauszeichnung ziemlich bald 0,89 (= 12,25 öS; das ist 53% teurer; Anm.).
– Dass auch mit dem Schilling die Gastronomiepreise innerhalb von fünf Jahren um knapp 40 % angezogen hätten, entzieht sich meiner Vorstellungskraft.
– Von der Zeitung über den Frisör, aber auch bei Energie, Wohnen, Versicherungen etc. sind die Preise seit Einführung der gemeinsamen Währung überproportional gestiegen.
– Wenn wir noch immer Schilling hätten, dann wär’ auch alles teurer geworden, nur würd’s keinem so extrem auffallen.
– Fast ist man geneigt anzunehmen, dass die allgemeine Teuerung der wahre Grund führ die Euro-Einführung ist.

Die Teuro-Illusion


Mein Umfrage-Ergebnis liegt sogar noch unter einer professionellen Erhebung: 66 Prozent der ÖsterreicherInnen halten den Euro für einen Teuro. Alles Illusion? Die TU-Dresden hat eine Studie veröffentlicht, der zufolge der Auslöser für eingebildete Preiserhöhungen eine "selektive Fehlerkorrektur" (vergleiche meine Bierpreis-Berechnung oben) oder „erwartungsgesteuerte Wahrnehmung“ ist (– wer höhere Preissteigerungen erwartet, der nimmt diese auch wahr, sogar bei eindeutig gegenteiligen Beweisen).

Außerdem rechnen auch heute noch viele Menschen bei Preisvergleichen in Schilling. Dabei ist der Schilling gedanklich auf dem Stand von 2001 festgefroren. Und beim Vergleich mit heutigen Euro-Preisen ergibt sich unweigerlich das Gefühl, dass alles unverhältnismäßig teurer geworden. Dass zwischen dem Schilling-Vergleichswert und heute über fünf Jahre liegen, in denen Dinge naturgemäß teurer werden, wird vergessen.

Das ist die eine Seite der Teuros. Die andere: Zwar weisen offizielle Statistiken über Inflationsraten und Preisindizes keine überdurchschnittlichen Preissteigerungen durch den Euro aus, aber: Ökonomen rechnen anders. – Die Inflation wird heuer voraussichtlich 1,8 Prozent betragen. Diesen Daten wird der Verbraucherpreisindex zu Grunde gelegt. Der ist jedoch, so Konsumentenschützer Harald Glatz von der Wiener Arbeiterkammer, ein "sehr grober Indikator, der die gesamte Preissituation einer Nation abbildet."

Denn der Unterschied zwischen der Inflationsrate und der "gefühlten Inflation" besteht darin, dass sich die allgemeine Teuerungsrate auf 750 Güter in einem repräsentativen Warenkorb bezieht. Der riesige Warenkorb der Statistiker bringt es jedoch mit sich, dass die Monat für Monat präzise verkündete Inflationsrate eine durchschnittliche ist. Sie erfasst die Verbrauchsgewohnheiten aller Österreicher. Die persönliche Teuerungsrate aber ist eine ganz andere. Wer zum Beispiel kein Auto besitzt und nie verreist, den kümmert der höhere Benzinpreis und die Preise für Pauschalreisen selbstverständlich nicht. Und wer mit Gas heizt, dem ist der gestiegene Ölpreis egal. Doch ein kranker Mensch spürt teurer gewordene Medikamente (oder Rezeptgebühren) gewissermaßen am eigenen Leib.

Deshalb sollte man sich eigentlich eine persönliche Inflationsrate berechnen können (wie es etwa das Statistische Bundesamt in Deutschland anbietet). Denn vor allem Personen, die wenig verdienen, nehmen den Euro nicht nur verstärkt als Teuro wahr – für sie machen die teurer gewordenen häufig gekauften Produkte auch einen höheren Anteil am Einkommen aus. Nicht nur ist es statistisch belegt, dass die Preise von häufig gekauften Gütern in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind, zusätzlich sind auch die Realeinkommen der schlechter Verdienenden in den letzten Jahren gleich geblieben.

Und so komme ich allmählich dahinter, dass die ewigen Gespräche über den Teuro nur Scheingefechte sind: Sie lenken zwar nicht davon ab, dass sich immer mehr Menschen immer weniger leisten können, aber sie verlagern die Suche nach den Ursachen dafür auf eine Währung anstatt auf die Verantwortlichen. Wäre ich ein Politiker, ich würde viel darum geben, dass meine WählerInnen den Euro beschuldigen und nicht mich.

Ich aber, als Pendler zwischen Armutsgefährdung und unterem Mittelstand werde in Zukunft versuchen, meinem Wirten die 7 Euro für zwei Bier ohne Groll zu geben. Und wenn ich mir das wieder mal nicht leisten kann, dann trinke ich eben daheim. Das erspart mir dann auch gleich die Teuro-Raunzerei, bei der man sich nicht einmal was in die eigene Tasche lügen kann. ###

© Augustin 2006

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