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DIE
STAATSOPER BIN ICH
Eberhard Waechters Führungsstil hat sich gewaschen
Eberhard Waechter ist ein Mann fürs Volk. In den vier Monaten seiner Amtszeit
als Staats- und Volksoperndirektor hat er sein Publikum bereits zweimal zu Gesprächen
in den Gobelinsaal eingeladen. Dabei hat er durchaus nichts gegen Kritik: “Streit
ist mein Lebenselexier.” Nachgeben würde er aber nur, “wenn
mir etwas opportun erscheint.”
Opportun erschien ihm zum Beispiel die Klage einer älteren Dame, die sich
für eine “Arabella”-Vorstellung Logenkarten in der zweiten
Reihe gekauft hatte, mit dem Taxi zur Staatsoper gefahren und “natürlich
schön angezogen” gewesen sei. Plötzlich wären Studenten
in ihre Loge eingedrungen: “Fünf Minuten vor Beginn kamen die 50-Schilling-Leute,
die sich vor mich hinplatzten und die nicht einmal richtig gewaschen waren!”
Waschen lassen
Waechter dazu: “Ich weiß nicht, ich glaube, wenn wir in einer Diktatur
leben würden, würd’ ich die Leute zwangshalber waschen lassen.”
Gelächter im Saal. Bundestheater-Generalsekretär Springer schränkt
ein: In den Logen sei es für Vollzahler besonders schmerzlich, von Restkarten-Beziehern
in der Sicht behindert zu werden. Im Parkett würden die Studenten weniger
auffallen (auch die ungewaschenen?). Waechter verspricht, sich für eine
“gerechte und angenehme“ Lösung dieses Problems einzusetzen.
– Seit 21. November gibt es für Studenten keine verbilligten Restkarten
in den Logen mehr.
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Eberhard Waechter hat sich seit September nicht nur um die Logen gekümmert.
Weil er es für falsch hält, daß “wildfremde Menschen durchs
Haus geistern”, ist das Betreten der Staatsoper durch das Bühnentürl
nur mehr mit computerisierten Berechtigungskarten gestattet. Daß sich
Betriebsangehörige dadurch überwacht vorkommen, stört ihn nicht:
“Schimpft’s nur, wenn man Ordnung machen will”.
Deutschsprachiges Land
Für Ordnung sorgt Waechter in der Tat: Das “Betriebsbüro”
wurde mit 11. November in “Regiekanzlei” umbenannt. Aus der Dienstanweisung:
“Ich bin stolz, Österreicher zu sein, und bitte daher, alle von früheren
Zeiten erhaltenen Germanismen nicht mehr zu verwenden.”
Weil “wir in einem deutschsprachigen Land leben”, werden die Opern
nur mehr deutschsprachig angekündigt. Statt “Il barbiere di Siviglia”
heißt es also jetzt “Der Barbier von Sevilla”, statt “Le
nozze di Figaro” “Die Hochzeit des Figaro”, statt “La
Bohème” “Die Bohème”.
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Am liebsten würde Waechter - “weil ich altmodisch bin” - alles
nur noch auf deutsch singen lassen. Bei Stars wird er allerdings nachgiebig:
Wenn Seiji Ozawa darauf besteht, Tschaikowskys “Pique Dame” nur
in der Originalfassung zu dirigieren, geschieht das auch (ab 16. Mai 1992).
Für Sänger vom Format eines Placido Domingo oder eines Alfredo Kraus
werden Opern extra in italienischer oder französischer Sprache einstudiert.
In Ordnung gebracht
Extra werden auch neue Programmhefte zu alten Inszenierungen angefertigt, um
die “am wenigsten guten” zu ersetzen. Die ein wenig besseren auszuwechseln,
ist denn doch zu kostspielig.
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In Ordnung gebracht werden auch die alten Inszenierungen selbst: “Die
müssen normaler werden.” Normaler in dreierlei Hinsicht. Zum einen
sollen die Bühnenbilder “praktikabel” sein, damit sie den Betrieb
nicht lahmlegen (als ob sie das früher getan hätten). Zum anderen
soll das Publikum keine “Gebrauchsanweisung” mehr benötigen,
um eine Inszenierungen zu verstehen. Und - vielleicht das Wichtigste -: Sie
muß dem Direktor gefallen.
Ohne Einverständnis
Das Schluß-Ballett in Johannes Schaafs “Idomeneo”-Inszenierung
aus dem Jahre 1987 hat ihm zum Beispiel nicht gefallen. Am 3. Juni 1991 hat
das noch so ausgesehen: Priester und Würdenträger behängen das
junge Paar, dessen Blut sie eben noch gefordert haben, mit immer schwererem
Ornat.
Mit 28. November wurde diese Szene ersatzlos gestrichen. “Idomeneo”
läuft seither “nach einer Inszenierung von Johannes Schaaf”.
Waechter behauptet, dies sei im Einverständnis mit dem Regisseur geschehen.
Johannes Schaaf, der zur Zeit in Londons Covent Garden Opera Mozarts “Figaro”,
“Così” und “Don Giovanni” probt, wundert sich
sehr: “Daß ich von den Eingriffen gewußt haben soll, ist eine
Lüge. Ich hab nicht einmal gewußt, daß mein “Idomeneo”
wiederaufgeführt wird.”
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Außerdem ist er entschieden gegen die Streichung des Balletts: “Nicht
nur, weil ich das Paar so geführt habe, daß es dieses Endes bedarf
- wenn man das wegläßt, verändert man etwas formal Wesentliches.
Die Oper endet dann wie ein kläglicher Furz. Daß man das Mozart antut!
Noch dazu im Gedenkjahr. Wenn das die versprochene Repertoire-Pflege sein soll,
bin ich etwas … verblüfft.”
Schaaf wird die Direktion der Staatsoper auffordern, seinen Namen aus dem Programmheft
zu streichen. “Alles andere hat keinen Sinn. Sie wissen doch, wie das
geht: Wenn ich mit einer einstweiligen Verfügung drohe, verlangt man wahrscheinlich
die Ausfallshaftung für zehn Vorstellungen von mir.”
“Relativ kleine Eingriffe”
Schaafs Inszenierung ist nicht die einzige, die Waechter nicht gefällt.
Auch bei Harry Kupfers “Elektra” und bei Giancarlo del Monacos “La
forza del destino” (jetzt natürlich unter dem Namen “Die Macht
des Schicksals”) hat er, wie er das nennt, “relativ kleine Eingriffe”
vorgenommen.
Doch nicht nur Regisseure werden über diese Normalisierungs-Maßnahmen
nicht informiert - manchmal wissen auch die Dirigenten nichts davon. Bei einer
Probe zur “Macht des Schicksals” muß Pinchas Steinberg feststellen,
daß er eine andere Strich-Fassung der Partitur vor sich liegen hat als
Sänger und Orchester. Sein Streit mit dem stellvertretenden Direktor Joan
Holender dringt sogar durch die Tore, die man sonst nur mit Berechtigungsschein
passieren darf.
Um sich ein Bild vom Führungsstil der neuen Direktion zu machen, muß
man sich gar nicht durchs Bühnentürl einschleichen. Man braucht nur
einer öffentlichen Diskussion im Gobelinsaal beiwohnen (alle hier zitierten
Äußerungen fielen bei Publikumsgesprächen am 21. September und
am 14. Dezember).
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Da wird abschätzig über die eigenen Sänger gesprochen (“Bojidar
Nikolov will nur italienisches Fach singen - das kann er noch weniger als das
deutsche”). Da wird eine Vergrößerung des Stehplatzes im Theater
an der Wien versprochen, obwohl man das Haus noch gar nicht leitet, wahrscheinlich
nie leiten wird.
Blut und Tränen
Da würde Waechter “am liebsten alles wegschmeißen, was mir
nicht gefällt.” Denn “das ist ja der Vorteil, wenn man Direktor
ist - daß man bestimmen kann.” Infolgedessen müssen beim Staatsoper-Ballett
“sehr viel Blut und Tränen fließen”, wenn diese Truppe
einen internationalen Standard erreichen soll..
Da werden auch Scherze wie dieser getrieben: Eine Besucherin kritisiert, daß
ein Sänger seinen Juden in Richard Strauss’ “Salome”
“wie ein Rumpelstilzchen” anlege. Darauf Waechter: “Sind Sie
sicher, daß das Rumpelstilzchen kein Jude war?”
© Werner Schuster – Erstveröffentlichung 2006
(1992 für profil geschrieben; konnte aus rechtlichen Gründen nicht erscheinen: Ich war damals Kulturredakteur der "Presse" und hatte unter dem Pseudonym "Rudolf Berger" (sic!) recherchiert.)
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