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MEDIENKRITIK ALS HOBBY

Für Weblogs, die inhaltlich nur auf einen Themenbereich eingehen, haben sich eigene Bezeichnungen etabliert: „Watchblog“ steht für medienkritische Betrachtung von Online- und Printmedien. In Österreich wird seit Jänner orf.at aufs Korn genommen. (Das Blog wurde noch im selben Jahr eingestellt; Anm.)


In Deutschland und in der Schweiz gibt es seit Jahren Blogger, die bestimmte Online-Medien aufs Korn nehmen. Seit Jänner 2006 existiert so ein Watchblog auch für orf.at.

Einer der Betreiber, Christain Dablander, erklärt warum: „Als jahrelange ORF.at-Leser störte uns, wie sorglos mit dem Vertrauensbonus umgegangen wird, den ORF.at als öffentlich-rechtliches Medium genießt. Die Qualität des Gebotenen wird dem nämlich bei weitem nicht gerecht. So enstand ORFblog.org, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die "kleineren und größeren Ungereihmtheiten" aufzudecken. Schlecht recherchierte Daten, schnell aufgestellte Vorurteile und Vermutungen von oft wenig fachkundigen Redakteuren sind weitere Punkte einer langen Mängelliste.“

Bereits am dritten Tag konnte ORFblog.org 200.000 Webhits verzeichnen. Anfang März wurde er täglich von ca. 12.500 Personen gelesen (inklusive der abonnierten Newsfeeds). Der ORF selbst hat bisher offiziell noch nicht auf den Watchblog reagiert, allerdings zeigen Analysen der Logfiles, dass etliche ORF-Mitarbeiter auf ORFblog.org surfen und offensichtliche Fehler meist umgehend korrigieren.

Der Blog (d.h. der Serverbetrieb) wird von den drei Hauptautoren privat finanziert, die ebenso ehrenamtlich arbeiten wie die derzeit fünf weiteren Mitarbeiter. Unterstützt wird ORFblog.org weiters von Lesern, die ständig „soNICHT!-Meldungen“ einsenden.

Diese werden in die Kategorien „Abgetippt!“ (Tippfehler), „Fehlrecherche“ (hier stimmt etwas nicht), „sosolala“ (kleine Ungereimtheiten) oder „Urgent!“ (Dinge, die die Welt bewegen) aufgenommen. ORFblog.org bietet jedoch auch an, Kommentare abzugeben, wo es auf orf.at nicht möglich ist, oder versucht, generell medienkritisch zu sein.

Und widerspricht damit tätlich dem heimischen PR-Dienstleister Markus Pirchner, der kürzlich behauptet hat, dass Watchblogs im deutschsprachigen Raum "bloß den alltäglichen Irrtümern und Fehlleistungen des ,klassischen‘ Journalismus (mangelhafte Recherche, fehlinterpretierte Fakten, verkürzte Darstellungen, sprachliche Entgleisungen, schlampige Endredaktion) auf den Pelz rücken", also Oberflächenkosmetik und keine Medienkritik betreiben.

Unjournalismus


Oberflächenkosmetik will man auf www.bildblog.de nicht bieten. Der Kern der Arbeit der Medienjournalisten Christoph Schultheis und Stefan Niggemeier ist der "Unjournalismus" von "Bild". Schultheis: „Unser Ansicht nach hapert es bei "Bild" oft nicht nur handwerklich, sondern es mangelt Europas größter Tageszeitung auch an Verantwortung - den Lesern gegenüber, aber auch gegenüber den Personen und Sachverhalten, über die "Bild" berichtet. Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, nicht mit der Moralkeule auf die "böse 'Bild'" einzuprügeln, sondern immer wieder am Einzelfall aufzuzeigen, wie "Bild" funktioniert und was dort nicht funktioniert.“

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Der erste der mittlerweile über 1.200 Einträge stammt vom 6. Juni 2004. Ursprünglich wollte Niggemeier das, was falsch, irreführend oder sinnenstellend in "Bild" steht, bloß im Internet sammeln. Bald stellte man, so Schultheis, fest, „dass unsere Arbeit, die damals eigentlich nur ein Hobby war, offenbar auch andere interessiert.“ Mittlerweile wird BILDblog an Werktagen durchschnittlich von über 40.000 Lesern (unique visitors) besucht. Diese spenden auch für den Blog, doch um sich die Arbeit wirklich leisten und „endlich auch mal unsere Autoren angemessen entlohnen“ zu können, hat man sich kürzlich durchgerungen, aus dem vormals nicht-kommerziellen BILDblog eine Website zu machen, die sich auch über Werbung und Merchandise finanziert.

Reaktionen gibt es überwiegend positive, gekrönt von Preisen wie dem Grimme Online-Award oder dem "Leuchtturm" des Netzwerk Recherche. Nur der Springer-Konzern beantwortet offizielle Anfragen dahingehend, dass „Bild“ BILDblog nicht lese. Schultheis: „Das stimmt natürlich nicht, wie wir aus der "Bild"-Redaktion wissen, an den zahlreichen Zugriffen vom Springer-Server sehen und nicht zuletzt daran ablesen können, dass Bild.de beispielsweise die meisten Fehler korrigiert, nachdem wir darauf aufmerksam gemacht haben.“

Alles geklaut


Vom BILDblog haben wir alle Ideen geklaut, gibt man beim Schweizer Pendlerblog zu. Seit Jänner 2005 behaupten dessen Macher: „Wir lesen ,20 Minuten’ freiwillig“. Das Gratisblatt ist mit knapp einer Million Leser pro Tag die meistgelesene Tageszeitung der Schweiz und besteht laut „Pendlerblog“ „vor allem aus bunten Bildern und Aussagen anderer“.

„Wir bedienen uns mit grosser Freude kostenlos an den 20-Minuten-Boxen und würden nichts dafür zahlen würden, wenn’s etwas kosten würde.“ Andererseits „warten wir darauf, dass uns die 20-Minuten-Redaktion ein Gönnerabo des „Blick“ bezahlt, damit wir unseren Fokus verlagern können.“

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Und was sagt 20 Minuten zum Pendlerblog? - „Lange ließ 20 Minuten nichts Offizielles über uns verlauten. Allerdings schrieben uns mutmassliche 20-Minuten-Mitarbeiter anonyme Kommentare zu unseren Beiträgen. Sie bezeichneten uns beispielsweise als: Taliban, homosexuell, lahme Enten, frustrierte und kleinliche Kollegen von der Konkurrenz, bescheuert, Spanner, Uncool, unmündige Kritiker, Wixer und warfen uns vor, dass wir uns zu ernst nehmen und sie abturnen. Doch dann, am 1. Februar 2006, hat sich mit Online-Chefredaktor Peter Wälty das erste Mal ein Mitarbeiter von 20 Minuten öffentlich über das Pendlerblog geäussert: ‚Ich hab schon davon gehört. Allerdings haben wir gegenwärtig wichtigere Dinge zu tun als uns über ein paar Blogger zu ärgern. Ansonsten sind wir offen für Kritik.’“

Fachblog


Auch Martin Hitz von www.medienspiegel.ch weiß: „Dass Mitarbeiter der wichtigsten Schweizer Medienunternehmen den Blog anschauen, kann ich aber der User-Statistik entnehmen. Und ab und an wird in einigen Zeitungen auch Bezug auf den Medienspiegel genommen.“

Diesen betrachtet Hitz eigentlich als Fachblog zum Thema „Medien und das Verhältnis von traditionellen zu neuen Medien“. Begonnen hat er Anfang 2003, um seinen Artikel zum Stellenabbau in den Schweizer Medien fortzuführen. Und da es in den Schweizer Zeitungen kaum Medienbeilagen gibt, wollte er die Berichterstattung der Medien zu den Medien in einem Weblog zusammenführen.
Nach anfangs 20- bis 30 Zugriffen pro Tag sind es mittlerweile +/- 300. Also werden die acht Wochenstunden, die er durchschnittlich am Medienspiegel arbeitet, auch honoriert.

Spielwiese


Peter Giesecke und Sven Wagenhöfer verwenden seit Juni 2005 zusammen ein bis zwei Stunden täglich für www.netzausfall.de: Dieser Blog ist für die beiden eine Spielwiese. Sie bereiten gerade den Start eines Onlinemagazins vor und verlegen Gedankengänge und Diskussionen darüber, wie Medien funktionieren, in den Blog. Man berichtet aber auch über allgemeine „Netzausfälle“, im besonderen über „Spiegel Online“.

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Nach einem Dreivierteljahr hat Netzausfall täglich 150 Leser per RSS-Feeds und 200 Visits. Reaktionen gibt es wenige, aber „in zwei Fällen haben wir uns aber mal nicht auf die Fehler gestürzt, sondern eine Lobhudelei abgelassen: über Golem und über onlinejournalismus.de. In beiden Fällen haben sich die Verantwortlichen dort über unsere Beiträge gefreut und sich per Kommentar auf Netzausfall dafür bedankt.“

Und zum Vorwurf der Oberflächenkosmetik meint Giesecke: „Muss jeder Blogeintrag gleich medienkritisch sein?“ Schließlich gebe es im klassischen Journalismus auch nicht Qualität auf gleichbleibend hohem Niveau. Folglich sollte man solche Ansprüche auch nicht an Blogs stellen.

Außerdem begründet sich die Medienkritik in Blogs für Giesecke auch weniger durch einzelne Beiträge als durch eine durchgängig angenomme Haltung. Diese kann sich in einem „ceterum censeo“ ausdrücken oder in einem isolierten Gedanken, der nicht nach stundenlangen Recherchen in einen Gesamtzusammenhang gestellt wurde. Hierin unterscheiden sich, so Giesecke, Blogs vom klassischen Journalismus.

Unerwartet


Auf www.watchblog.de bietet Robert John die Möglichkeit, als Gastautor (auch unter Pseudonym) über Missstände zu berichten, die einem direkt im Unternehmen, sozusagen an der Quelle auffallen. Denn „mit dem Blick von außen ist es natürlich schwer, konkrete und stichhaltige Bewertungen verschiedener Publikationen vorzunehmen.“

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Watchblog ist erst ein paar Wochen alt und John hauptsächlich als Chefredakteur des Online-Magazins Pickings.de tätig. Dort werden vorrangig Artikel von „Dichtern & Denkern“ empfohlen und besprochen, „die das Lesevergnügen wecken und einen großen Informationsgehalt haben“.

Das Watchblog soll dazu eine Art Pendant darstellen, da man, so John, „auf der täglichen Reise durch die Medienlandschaft leider nicht nur Texte von hoher Qualität findet. Im Gegenteil erscheinen auch in der sogenannten Qualitätspresse oft sehr schlecht recherchierte und formulierte Texte. Und im Gegensatz zum BILDblog sollen im Watchblog vor allem die Medien in den Blick geraten, von denen man eigentlich Seriosität und Qualität erwartet.“

Nebeneffekt


Für Kai Pahl hat in Watchblogs „alles seine Berechtigung“: Sowohl die grundsätzliche, allumfassende Medienkritik, als auch die "Korinthenkackerei", mit der auf falsche Berichterstattung hingewiesen wird. Er meint, „wer in Blogs etwas in der Fallhöhe von ‚relevanter Medienkritik’ schreiben will, kann es auch, wird aber kaum dazu kommen, sechsmal am Tag einen solchen Blogeintrag abzulegen.“

Pahl berichtet auf www.allesaussersport.de vor allem über – erraten - Sport: „Dass dabei einiges in Sachen Berichterstattung oder Medien abfällt, ist eher ein Nebeneffekt und nicht raison d'être wie beispielsweise beim Bildblog.“ Begonnen hat er 2003 – als „Entschlackungsmaßnahme meines persönlichen Blogs“. Mittlerweile hat er das Problem, „wie man bei steigenden Zugriffszahlen auch in den Kommentaren die Qualität hochhalten kann“.

Dennoch betrachtet Pahl seinen Blog als Privatvergnügen: „Ich lehne es ab, damit Geld zu verdienen. Damit wäre für mich eine Schwelle überschritten, in der ich andere Sorgfalt und Recherche betreiben müsste, also eigentlich de-facto ein Journalist wäre, was aber nicht mit meinem Fulltime-Job als vereinbar ist. Daher halte ich mit Freude den Ball flach.“

Der Web-/Multimedia-Designer kann nur die Zeit erübrigen, in der er nicht arbeiten muss. Und so gibt es Wochen mit Kundendeadlines, in den er allesaussersport auf Sparflamme halten muss. „Und wenn draußen die größten Dopingskandale toben ...“

© ED 2006

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