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                              Wiens "zehnter Hieb"

 

Von den "enter'n Gründ" ins neue Jahrtausend: Favoriten feiert 125. Geburtstag/ Von Karl René Cerveny

 
Damals, als sich Wien bereits als große Stadt wähnte, klaffte auf dem Gebiet des heutigen Favoriten beinahe ein Niemandsland. Aber nur beinahe, denn die belegbare Geschichte reicht weiter zurück. Unterlaa etwa war bereits zur Römerzeit besiedelt, wovon heute noch Ausgrabungen um die Johanneskirche beredtes Zeugnis ablegen. Die heutige Triester Straße war schon sehr früh eine wichtige Fernhandelsverbindung. Während sie heute hauptsächlich dazu dient, Pendlern den Weg nach Wien zu weisen und den Wiener in südliche Wochenendhäuschen, die SCS oder Richtung Urlaubsort zu bringen, verband sie noch im 19. Jahrhundert Kärnten mit Venedig und Triest. Unklarheit herrscht noch über "Bernhardstal", das bereits 1171 urkundliche Erwähnung findet und im Gebiet des heutigen Favoritens gelegen war.

Bislang konnte man keine Siedlung ausfindig machen, die früher diesen Namen getragen hat, so dass Historiker zu der Ansicht neigen, Bernhardstal wäre keine Ortsbezeichnung, sondern ein Flurnamen. Bis ins 19. Jahrhundert war in Favoriten aber nicht allzu viel los, die "enter'n Gründ" mieden die meisten Menschen · vor allem nachts.
Eine der wenigen Sehenswürdigkeiten in diesem Gebiet war die Spinnerin am Kreuz, eines der Wahrzeichen des 10. Wiener Gemeindebezirks. Erstmals findet die Spinnerin am Kreuz im Jahr 1296 urkundliche Erwähnung, als im Wiener Stadtrecht über "ain stainern kreucz ob meurling" berichtet wird. Bis zu dieser alten Kultstätte reichte der Burgfriede der Stadt Wien. Gleichzeitig findet man den Hinweis darauf, dass sich an dieser Stelle seit frühester Zeit ein Grenzstein befand, an dem die Grenzen des Wiener Burgfriedens und die der Gemeinden Meidling sowie Inzersdorf zusammentraf. 1379 soll Herzog Leopold III. hier eine neue Steinsäule errichtet haben, die allerdings 76 Jahre später durch die Scharen des Janos Hunyadi arg verwüstet wurde. Schon 1451 beschloss der Bürgermeister und der Rat der Stadt Wien die Errichtung einer aus öffentlichen Geldern finanzierten neuen Denksäule, die Michael Chnab und Hans Puchsbaum erbauten. Die Gesamtkosten beliefen sich auf fast 200 Gulden, ein Betrag, um den man schon ein größeres Bürgerhaus erbauen konnte.
Hinrichtung am Wienerberg
Weitere "Berühmtheit" erreichte die Spinnerin am Kreuz, da sich hier die am längsten genutzte öffentliche Hinrichtungsstätte Wiens befand. Vermutlich wurden hier seit dem 15. Jahrhundert Urteilsvollstreckungen durch Köpfen, Hängen, Rädern sowie Pfählen vollzogen und die so zum Tode Gebrachten in der Nähe verscharrt. Ihren Weg traten die Verurteilten auf dem Malefizwagen an, der nahe der Matzleinsdorfer Linie Halt machte, wo die Todgeweihten in der Delinquentenkapelle ihre letzte Andacht halten konnten. Auf das "Vergnügen" einer Hinrichtung am Wienerberg, das sich anno dazumal nur die wenigsten Städter entgehen ließen, mussten die Wiener zwischen 1747 und 1803 verzichten.

Die letzte Hinrichtung bei der Spinnerin fand 1868 statt, aber skandalöse Umstände bewogen die Verantwortlichen, in Zukunft ausschließlich die Richtstätte im Hof des Gefangenenhauses des Wiener Landesgerichts zu benutzen. Ein weiterer Beweggrund der Verlegung mag gewesen sein, dass dieser Bereich immer mehr zur Arbeitsstätte vieler Menschen, zu einem Ausflugsziel und bereits damals zu einem Einkaufsparadies wurde.
Bereits im Vormärz kaufte Leander Prasch eine Ziegelei am alten Landgut, die er umgehend in ein Kasino verwandelte. Da es dem tüchtigen Geschäftsmann nicht an Selbstbewusstein fehlte, nannte er sein Werk schlicht "das größte Kaffeehaus der Welt". An Besucherzustrom mangelte es nicht, was einerseits an den zahlreichen Attraktionen lag, die Leander Prasch bot, andererseits auch in dem herrlichen Ausblick begründet sein mochte, der sich vom Wienerberg wie auch vom Laaer Berg geboten hatte, als noch keine Häuser den Blick verstellten. Kegelbahnen, Tanz mit Kapellmeister Lanner, italienischer Karneval, eine riesige Statue und Feuerwerke · der Kaffeesieder ließ sich einiges einfallen, damit seine Gäste den Reiz des Neuen kosten konnten. Als dieser verflogen war, verschwand das größte Kaffeehaus der Welt genauso schnell wie es entstanden war.
Etwa zur gleichen Zeit siedelten sich immer mehr Gasthäuser und Lebensmittelhändler in dieser Gegend an. Dafür förderlich gestaltete sich die gesetzliche Lage, da hier · vor dem Linienwall · keine Verzehrungssteuer anfiel. So pilgerten oft Menschenmassen vor die Grenzen Wiens, um einen billigen Einkauf zu tätigen. Aber ganz so einfach, wie es sich heute gestaltet, außerhalb der Stadt günstiger einzukaufen, war es damals nicht. An der Stadtgrenze taten Zollbeamte ihre Pflicht und achteten darauf, ob die erstandene Ware tatsächlich unversteuert eingeführt werden durfte. Vom Laib Brot etwa musste ein Scherzerl fehlen, von der Flasche Wein zumindest ein kräftiger Schluck, erst dann waren die strengen Einfuhrgesetze erfüllt. Da diese Beamten nicht sehr beliebt waren, gab man ihnen den Namen "Spinatwachter" · abgeleitet von ihrer Tätigkeit, da sie großteils nur Gemüse kontrollierten. Eine Bezeichnung, die bis heute für die Kennzeichnung mancher Gesetzeshüter ganz allgemein beibehalten wurde . . .
Am 3. März 1873 stellte Gemeinderat Johann Steudel den Antrag auf Schaffung eines neuen Stadtteils. Am 18. Juli genehmigte der Gemeinderat den Beschluss, einen zehnten Bezirk zu gründen. Die Verhandlungen über die Grenzziehung dauerten bis zum 22. Mai 1874 und erst eine mehrmalige Intervention beim Bürgermeister konnte den Abschluss der Besprechungen zu einem erfolgreichen Ende bringen. Die Dauer der Diskussionen lässt sich vor allem dadurch erklären, da Favoriten Teile von Wieden und Margareten erhielt. Beide Bezirke strotzten nicht gerade vor Größe, und so sahen die damaligen Bezirksvorsteher nicht ein, warum ein neuer Stadtteil geschaffen werden müsse, zumal eine Vergrößerung der bestehenden Bezirke in ihren Augen den gleichen Zweck erfüllt hätte. Johann Steudel, der offensichtlich die zukünftigen Veränderungen für den Bereich südlich Wiens voraussah, setzte sich jedoch durch. Durch die in Favoriten ansässigen Firmen, allen voran der Ziegelfabrik Wienerberger, ließ sich vorhersehen, dass der Bevölkerungsanteil rasant steigen würde.

Offizieller Geburtstag .
 

So zählte am 27. September 1874, dem offiziellen "Geburtstag" Favoritens, der neue Bezirk immerhin bereits 386 Häuser mit 25.800 Einwohnern. Als erster Bezirksvorsteher des "zehnten Hieb" · der Spitzname rührt daher, da Favoriten zu einem Gutteil von bereits bestehenden Stadtteilen abgetrennt worden war · fungierte Johann Steudel. Die Grenzen seines "Herrschaftsbereichs" waren "von dem Punkte, wo der Südbahndamm die Grenze des Wiener Jurisdictionsgebietes berührt, an der linken Seite dieses Dammes fortlaufend, bis zu dem, dem ersten rechts von der Matzleinsdorferlinie gelegenen vorspringenden Winkel des Linienwalles gegenüber liegenden Punkte und von da in senkrechter Linie auf die äußerste Kante der Gürtelstraßen-Trace gegen die St. Maxerlinie, soweit dieselbe festgesetzt ist; von da weiter die Grenze des Bauverbot-Rayons für das k.k. Arsenal bis zum Punkte, wo selbe die Einfriedungsmauer des St. Marxer Friedhofes verläßt; von diesem Punkte die genannte Einfriedungsmauer bis zum Berührungspunkt der Jurisdictionsgrenze, welche letztere bis zu dem zuerst erwähnten Punkte des Südbahndammes die Abgrenzung des X. Gemeindebezirkes nach Außen bildet."
Als Wappen erhielt Favoriten ein Werk des Heraldikers Hugo Ströbl: Es zeigt den Evangelisten Johannes, Patron der ersten bezirkseigenen Kirche, der Johanneskirche auf dem Keplerplatz. Sein Symbol, der Adler, war zu seiner Rechten platziert. Den Hintergrund bildete das Wiener Wappen. Seit seiner "Geburt" nahm der Bezirk einen starken Aufschwung. Vor allem die Wienerberger Ziegelwerke lösten einen Zuwanderungs-Boom von Arbeitern aus, die hauptsächlich aus Böhmen kamen und in Favoriten ihre neue Heimat fanden. Hutter & Schrantz (siedelte sich um 1884 an), Heller (1890), Ankerbrot (1891), Brown-Boveri (1891) und andere trugen zum raschen Bevölkerungswachstum des 10. Wiener Gemeindebezirks das Ihre bei, denn die Arbeiter erhielten eine Wohnmöglichkeit im Bezirk vom Arbeitgeber bereitgestellt, auch wenn sich die Lebensbedingungen der hier Ansässigen zum Teil katastrophal gestalteten.
Gleichzeitig entwickelte sich auch eine "Vergnügungsindustrie" als Nebenprodukt. Als sichtbarster Beweis dafür mag der Böhmische Prater dienen. Franz Bauer, ein Kantinenwirt des Ziegelwerks Laaer Wald, führte eine kleine Gastwirtschaft. Immer mehr entwickelte sich diese zu einem beliebten Zielpunkt für Sonntagsausflüge der hier lebenden "Ziegelböhmen", weshalb Franz Bauer 1882 ansuchte, "erlaubte Spiele" zu veranstalten. Im gleichen Jahr eröffnete Anton Swoboda, ein Wirt aus dem Wiener Prater, ein Ausflugsgasthaus am Laaer Berg. Im Winter darauf explodierten die Ansuchen für Kegelbahnen, Wirtshäuser, Kettenkarrusselle und ähnliches geradezu. Auch wenn die Behörde in diesen Fällen länger zur Bewilligung brauchten, ließen sich die einzelnen Wirte und Schausteller nicht davon abhalten, ihren Geschäften am Laaer Berg auch ohne gültige Papiere nachzugehen.
Im ausgehenden 19. Jahrhundert erlebte diese Vergnügungsstätte einen ungeahnten Aufstieg, den nicht einmal der Erste Weltkrieg so richtig beeinträchtigen konnte. Erst der Zweite Weltkrieg brachte dem Böhmischen Prater große Probleme. So stellte es bereits ein solches dar, Ersatzteile wie etwa eine normale Kette zu erhalten · alles wurde für die Armee gebraucht. Auch die Menschen hatten ganz andere Sorgen und zu wenig Geld, als dass sie die Vergnügungsstätte Böhmischer Prater aufgesucht hätten. Nach 1945 begann auch hier der Wiederaufbau, da auch der Laaer Berg durch Brandbomben in Schutt und Asche gelegt worden war. Trotz aller Anstrengung und Bemühung reichte es nur zu einem kurzen Zwischenhoch in den fünfziger Jahren, so dass der Böhmische Prater in den Sechzigern und Siebzigern in einen wahren Dornröschenschlaf versank. Erst in den ausgehenden Siebzigern begann der neue Höhenflug des Böhmischen Praters, der bis heute andauert.
 

Der Bezirk selbst bewegte sich in ein wenig anderen Bahnen. Der zehnte Hieb hatte Arbeit und Wohnungen, aber die Bedingungen, unter denen der Großteil der Favoritner leben musste, waren verheerend. Bald war Favoriten verrufen, wurde immer noch als "enter'n Gründ" bezeichnet, als Gebiet, in dem es dunkel ist und der einem das Fürchten lehrt. So nimmt es nicht Wunder, dass die Sozialdemokratie hier ihren größten Zuspruch fand und sich von Anfang an stark etablieren konnte. Vor allem Victor Adler tat sich mit seinem Kampf für die Besserstellung der "Ziegelböhmen" hervor, aus dem letztendlich nicht nur die Gründung der heutigen Sozialdemokraten hervorging, sondern auch eine Reformierung der Situation der Arbeiter.
Unbestritten bleibt allerdings, dass in den ersten Jahren in Favoriten die Bautätigkeit rege zunahm. So wurde unter anderem 1887 bis 1892 das Franz-Josef-Spital errichtet. Etwa im gleichen Zeitraum eröffnete ein Theater, das Magistratische Bezirksamt wurde neu gebaut, ein Waisenhaus öffnete seine Pforten, eine jüdische Synagoge entstand und zahlreiche Schulbauten standen den Favoritnern Anfang des 20. Jahrhunderts zur Verfügung. Im Jahr 1898 fand die Eröffnung des zweiten Favoritner Wahrzeichens statt: der Wasserturm, mit einem Fassungsvolumen von 1000 m³. Bis zur Inbetriebnahme der zweiten Hochquellleitung im Jahr 1910 versorgte der 67 m hohe Turm Favoriten und Gebiete des heutigen 23. Bezirkes mit Trinkwasser.
Ebenfalls geschichtsträchtig präsentiert sich die ehemalige Hellerwiese (heute: Belgradplatz). Seit 300 Jahren diente diese den Lovara Roma als Hauptrastplatz auf ihrem Weg in den Süden der österreichisch-ungarischen Monarchie. Bis in die vierziger Jahre fand man diesen Platz dicht besiedelt. Damals kam zuerst eine Fotografin, die sehr gut Romanes sprach und alle anwesenden Roma fotografierte · fürs Archiv der Gestapo, wie sich herausstellen sollte. Als diese Beweisaufnahme im Namen der nationalsozialistischen Wissenschaft abgeschlossen war, wurden alle Roma deportiert. Bis auf Mongo Stojka kehrte kaum einer zurück. Noch heuer soll eine rote Kastanie zur Erinnerung am Belgradplatz gepflanzt werden, der Lieblingsbaum der ehemals großen Familie der Lovara Roma.
Aufforstung des Laaer Bergs
 

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm Favoriten einen weiteren bedeutenden Aufschwung. So entstanden städtische Wohnhausanlagen und öffentliche Gebäude fast in dem Ausmaß wie in den dreißiger Jahren, als im zehnten Hieb Gemeindewohnungen wie Pilze aus dem Boden schossen und unter anderem das Amalienbad · damals der modernste Bäderbau · entstand. Mit der Zeit verlor der 10. Bezirk auch den Ruf des Industriegebiets. Mit der Aufforstung des Laaer Bergs, die in den fünfziger Jahren vollendet wurde, der Etablierung des Wienerbergs als Erholungsgebiet sowie der Kultivierung der WIG 1974, dem heutigen Kurpark Oberlaa, gelang es, Naherholungsgebiete in den Bezirk zu integrieren. Die am 21. Juli 1954 erfolgte Einverleibung von Oberlaa, Rothneusiedl und Unterlaa ließ Favoriten nicht nur weiter wachsen, sondern fügte zum städtischen Bereich auch die Vorzüge des Ländlichen hinzu. Diese Vergrößerung hinterließ auch im Bezirkswappen seine Spuren, das nun notwendigerweise eine Erweiterung erhielt: der heilige Johannes, Evangelist im Kreuzschild, steht nun für Innerfavoriten, der Heilbrunnen symbolisiert Oberlaa, die Spinnerin am Kreuz im geteilten Schild steht für den Bezirk, der Ringofen mit Bachlauf verweist auf Rothneusiedl, das Malteserkreuz auf Unterlaa und die Weintraube mit drei Ähren erinnert an Inzersdorf Stadt.
 

Noch heute wird der zehnte Hieb oft unter seinem Wert gehandelt; kaum jemand weiß, dass dieser Bezirk vielfach eine Vorreiterrolle spielte. Die erste Fußgängerzone Wiens verlief · und verläuft immer noch · entlang der Favoritenstraße. Mit dem Siemenshaus, jedenfalls aber mit dem Wienerberger Tower besaß der 10. Wiener Gemeindebezirk Hochhäuser, als noch niemand an einen Andromeda- oder Millenniums-Tower dachte. Auch der erste Spatenstich für den U-Bahn-Bau · die U 1 · stand unter dem Vorhaben, Favoriten mit den Innenbezirken zu verbinden. Einige Projekte, die derzeit kurz vor der Realisierung stehen · Twin-Tower, Wienerberger-City, Porr-Gründe, womöglich eine weitere Überplattung der Süd-Ost-Tangente · lassen hoffen, dass Favoriten den Sprung ins neue Jahrtausend nicht verschläft. Die "enter'n Gründ" hat Wiens ältester Bezirk außerhalb des Gürtels jedenfalls schon lange hinter sich gelassen.

aus Wienerzeitung

 
 

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