Damals, als sich Wien bereits als
große Stadt wähnte, klaffte auf dem Gebiet des heutigen Favoriten beinahe
ein Niemandsland. Aber nur beinahe, denn die belegbare Geschichte reicht
weiter zurück. Unterlaa etwa war bereits zur Römerzeit besiedelt, wovon
heute noch Ausgrabungen um die Johanneskirche beredtes Zeugnis ablegen. Die
heutige Triester Straße war schon sehr früh eine wichtige
Fernhandelsverbindung. Während sie heute hauptsächlich dazu dient, Pendlern
den Weg nach Wien zu weisen und den Wiener in südliche Wochenendhäuschen,
die SCS oder Richtung Urlaubsort zu bringen, verband sie noch im 19.
Jahrhundert Kärnten mit Venedig und Triest. Unklarheit herrscht noch über "Bernhardstal",
das bereits 1171 urkundliche Erwähnung findet und im Gebiet des heutigen
Favoritens gelegen war. Bislang konnte man keine Siedlung ausfindig machen, die früher diesen
Namen getragen hat, so dass Historiker zu der Ansicht neigen, Bernhardstal
wäre keine Ortsbezeichnung, sondern ein Flurnamen. Bis ins 19. Jahrhundert
war in Favoriten aber nicht allzu viel los, die "enter'n Gründ" mieden die
meisten Menschen · vor allem nachts.
Eine der wenigen Sehenswürdigkeiten in diesem Gebiet war die Spinnerin am
Kreuz, eines der Wahrzeichen des 10. Wiener Gemeindebezirks. Erstmals findet
die Spinnerin am Kreuz im Jahr 1296 urkundliche Erwähnung, als im Wiener
Stadtrecht über "ain stainern kreucz ob meurling" berichtet wird. Bis zu
dieser alten Kultstätte reichte der Burgfriede der Stadt Wien. Gleichzeitig
findet man den Hinweis darauf, dass sich an dieser Stelle seit frühester
Zeit ein Grenzstein befand, an dem die Grenzen des Wiener Burgfriedens und
die der Gemeinden Meidling sowie Inzersdorf zusammentraf. 1379 soll Herzog
Leopold III. hier eine neue Steinsäule errichtet haben, die allerdings 76
Jahre später durch die Scharen des Janos Hunyadi arg verwüstet wurde. Schon
1451 beschloss der Bürgermeister und der Rat der Stadt Wien die Errichtung
einer aus öffentlichen Geldern finanzierten neuen Denksäule, die Michael
Chnab und Hans Puchsbaum erbauten. Die Gesamtkosten beliefen sich auf fast
200 Gulden, ein Betrag, um den man schon ein größeres Bürgerhaus erbauen
konnte.
Hinrichtung am Wienerberg
Weitere "Berühmtheit" erreichte die Spinnerin am Kreuz, da sich hier die am
längsten genutzte öffentliche Hinrichtungsstätte Wiens befand. Vermutlich
wurden hier seit dem 15. Jahrhundert Urteilsvollstreckungen durch Köpfen,
Hängen, Rädern sowie Pfählen vollzogen und die so zum Tode Gebrachten in der
Nähe verscharrt. Ihren Weg traten die Verurteilten auf dem Malefizwagen an,
der nahe der Matzleinsdorfer Linie Halt machte, wo die Todgeweihten in der
Delinquentenkapelle ihre letzte Andacht halten konnten. Auf das "Vergnügen"
einer Hinrichtung am Wienerberg, das sich anno dazumal nur die wenigsten
Städter entgehen ließen, mussten die Wiener zwischen 1747 und 1803
verzichten.
Die letzte Hinrichtung bei der Spinnerin fand 1868 statt, aber skandalöse
Umstände bewogen die Verantwortlichen, in Zukunft ausschließlich die
Richtstätte im Hof des Gefangenenhauses des Wiener Landesgerichts zu
benutzen. Ein weiterer Beweggrund der Verlegung mag gewesen sein, dass
dieser Bereich immer mehr zur Arbeitsstätte vieler Menschen, zu einem
Ausflugsziel und bereits damals zu einem Einkaufsparadies wurde.
Bereits im Vormärz kaufte Leander Prasch eine Ziegelei am alten Landgut, die
er umgehend in ein Kasino verwandelte. Da es dem tüchtigen Geschäftsmann
nicht an Selbstbewusstein fehlte, nannte er sein Werk schlicht "das größte
Kaffeehaus der Welt". An Besucherzustrom mangelte es nicht, was einerseits
an den zahlreichen Attraktionen lag, die Leander Prasch bot, andererseits
auch in dem herrlichen Ausblick begründet sein mochte, der sich vom
Wienerberg wie auch vom Laaer Berg geboten hatte, als noch keine Häuser den
Blick verstellten. Kegelbahnen, Tanz mit Kapellmeister Lanner, italienischer
Karneval, eine riesige Statue und Feuerwerke · der Kaffeesieder ließ sich
einiges einfallen, damit seine Gäste den Reiz des Neuen kosten konnten. Als
dieser verflogen war, verschwand das größte Kaffeehaus der Welt genauso
schnell wie es entstanden war.
Etwa zur gleichen Zeit siedelten sich immer mehr Gasthäuser und
Lebensmittelhändler in dieser Gegend an. Dafür förderlich gestaltete sich
die gesetzliche Lage, da hier · vor dem Linienwall · keine Verzehrungssteuer
anfiel. So pilgerten oft Menschenmassen vor die Grenzen Wiens, um einen
billigen Einkauf zu tätigen. Aber ganz so einfach, wie es sich heute
gestaltet, außerhalb der Stadt günstiger einzukaufen, war es damals nicht.
An der Stadtgrenze taten Zollbeamte ihre Pflicht und achteten darauf, ob die
erstandene Ware tatsächlich unversteuert eingeführt werden durfte. Vom Laib
Brot etwa musste ein Scherzerl fehlen, von der Flasche Wein zumindest ein
kräftiger Schluck, erst dann waren die strengen Einfuhrgesetze erfüllt. Da
diese Beamten nicht sehr beliebt waren, gab man ihnen den Namen "Spinatwachter"
· abgeleitet von ihrer Tätigkeit, da sie großteils nur Gemüse
kontrollierten. Eine Bezeichnung, die bis heute für die Kennzeichnung
mancher Gesetzeshüter ganz allgemein beibehalten wurde . . .
Am 3. März 1873 stellte Gemeinderat Johann Steudel den Antrag auf Schaffung
eines neuen Stadtteils. Am 18. Juli genehmigte der Gemeinderat den
Beschluss, einen zehnten Bezirk zu gründen. Die Verhandlungen über die
Grenzziehung dauerten bis zum 22. Mai 1874 und erst eine mehrmalige
Intervention beim Bürgermeister konnte den Abschluss der Besprechungen zu
einem erfolgreichen Ende bringen. Die Dauer der Diskussionen lässt sich vor
allem dadurch erklären, da Favoriten Teile von Wieden und Margareten
erhielt. Beide Bezirke strotzten nicht gerade vor Größe, und so sahen die
damaligen Bezirksvorsteher nicht ein, warum ein neuer Stadtteil geschaffen
werden müsse, zumal eine Vergrößerung der bestehenden Bezirke in ihren Augen
den gleichen Zweck erfüllt hätte. Johann Steudel, der offensichtlich die
zukünftigen Veränderungen für den Bereich südlich Wiens voraussah, setzte
sich jedoch durch. Durch die in Favoriten ansässigen Firmen, allen voran der
Ziegelfabrik Wienerberger, ließ sich vorhersehen, dass der
Bevölkerungsanteil rasant steigen würde.
Offizieller Geburtstag .
So zählte am 27. September 1874, dem offiziellen "Geburtstag" Favoritens,
der neue Bezirk immerhin bereits 386 Häuser mit 25.800 Einwohnern. Als
erster Bezirksvorsteher des "zehnten Hieb" · der Spitzname rührt daher, da
Favoriten zu einem Gutteil von bereits bestehenden Stadtteilen abgetrennt
worden war · fungierte Johann Steudel. Die Grenzen seines
"Herrschaftsbereichs" waren "von dem Punkte, wo der Südbahndamm die Grenze
des Wiener Jurisdictionsgebietes berührt, an der linken Seite dieses Dammes
fortlaufend, bis zu dem, dem ersten rechts von der Matzleinsdorferlinie
gelegenen vorspringenden Winkel des Linienwalles gegenüber liegenden Punkte
und von da in senkrechter Linie auf die äußerste Kante der
Gürtelstraßen-Trace gegen die St. Maxerlinie, soweit dieselbe festgesetzt
ist; von da weiter die Grenze des Bauverbot-Rayons für das k.k. Arsenal bis
zum Punkte, wo selbe die Einfriedungsmauer des St. Marxer Friedhofes verläßt;
von diesem Punkte die genannte Einfriedungsmauer bis zum Berührungspunkt der
Jurisdictionsgrenze, welche letztere bis zu dem zuerst erwähnten Punkte des
Südbahndammes die Abgrenzung des X. Gemeindebezirkes nach Außen bildet."
Als Wappen erhielt Favoriten ein Werk des Heraldikers Hugo Ströbl: Es zeigt
den Evangelisten Johannes, Patron der ersten bezirkseigenen Kirche, der
Johanneskirche auf dem Keplerplatz. Sein Symbol, der Adler, war zu seiner
Rechten platziert. Den Hintergrund bildete das Wiener Wappen. Seit seiner
"Geburt" nahm der Bezirk einen starken Aufschwung. Vor allem die
Wienerberger Ziegelwerke lösten einen Zuwanderungs-Boom von Arbeitern aus,
die hauptsächlich aus Böhmen kamen und in Favoriten ihre neue Heimat fanden.
Hutter & Schrantz (siedelte sich um 1884 an), Heller (1890), Ankerbrot
(1891), Brown-Boveri (1891) und andere trugen zum raschen
Bevölkerungswachstum des 10. Wiener Gemeindebezirks das Ihre bei, denn die
Arbeiter erhielten eine Wohnmöglichkeit im Bezirk vom Arbeitgeber
bereitgestellt, auch wenn sich die Lebensbedingungen der hier Ansässigen zum
Teil katastrophal gestalteten.
Gleichzeitig entwickelte sich auch eine "Vergnügungsindustrie" als
Nebenprodukt. Als sichtbarster Beweis dafür mag der Böhmische Prater dienen.
Franz Bauer, ein Kantinenwirt des Ziegelwerks Laaer Wald, führte eine kleine
Gastwirtschaft. Immer mehr entwickelte sich diese zu einem beliebten
Zielpunkt für Sonntagsausflüge der hier lebenden "Ziegelböhmen", weshalb
Franz Bauer 1882 ansuchte, "erlaubte Spiele" zu veranstalten. Im gleichen
Jahr eröffnete Anton Swoboda, ein Wirt aus dem Wiener Prater, ein
Ausflugsgasthaus am Laaer Berg. Im Winter darauf explodierten die Ansuchen
für Kegelbahnen, Wirtshäuser, Kettenkarrusselle und ähnliches geradezu. Auch
wenn die Behörde in diesen Fällen länger zur Bewilligung brauchten, ließen
sich die einzelnen Wirte und Schausteller nicht davon abhalten, ihren
Geschäften am Laaer Berg auch ohne gültige Papiere nachzugehen.
Im ausgehenden 19. Jahrhundert erlebte diese Vergnügungsstätte einen
ungeahnten Aufstieg, den nicht einmal der Erste Weltkrieg so richtig
beeinträchtigen konnte. Erst der Zweite Weltkrieg brachte dem Böhmischen
Prater große Probleme. So stellte es bereits ein solches dar, Ersatzteile
wie etwa eine normale Kette zu erhalten · alles wurde für die Armee
gebraucht. Auch die Menschen hatten ganz andere Sorgen und zu wenig Geld,
als dass sie die Vergnügungsstätte Böhmischer Prater aufgesucht hätten. Nach
1945 begann auch hier der Wiederaufbau, da auch der Laaer Berg durch
Brandbomben in Schutt und Asche gelegt worden war. Trotz aller Anstrengung
und Bemühung reichte es nur zu einem kurzen Zwischenhoch in den fünfziger
Jahren, so dass der Böhmische Prater in den Sechzigern und Siebzigern in
einen wahren Dornröschenschlaf versank. Erst in den ausgehenden Siebzigern
begann der neue Höhenflug des Böhmischen Praters, der bis heute andauert.
Der Bezirk selbst bewegte sich in ein wenig anderen Bahnen. Der zehnte Hieb
hatte Arbeit und Wohnungen, aber die Bedingungen, unter denen der Großteil
der Favoritner leben musste, waren verheerend. Bald war Favoriten verrufen,
wurde immer noch als "enter'n Gründ" bezeichnet, als Gebiet, in dem es
dunkel ist und der einem das Fürchten lehrt. So nimmt es nicht Wunder, dass
die Sozialdemokratie hier ihren größten Zuspruch fand und sich von Anfang an
stark etablieren konnte. Vor allem Victor Adler tat sich mit seinem Kampf
für die Besserstellung der "Ziegelböhmen" hervor, aus dem letztendlich nicht
nur die Gründung der heutigen Sozialdemokraten hervorging, sondern auch eine
Reformierung der Situation der Arbeiter.
Unbestritten bleibt allerdings, dass in den ersten Jahren in Favoriten die
Bautätigkeit rege zunahm. So wurde unter anderem 1887 bis 1892 das
Franz-Josef-Spital errichtet. Etwa im gleichen Zeitraum eröffnete ein
Theater, das Magistratische Bezirksamt wurde neu gebaut, ein Waisenhaus
öffnete seine Pforten, eine jüdische Synagoge entstand und zahlreiche
Schulbauten standen den Favoritnern Anfang des 20. Jahrhunderts zur
Verfügung. Im Jahr 1898 fand die Eröffnung des zweiten Favoritner
Wahrzeichens statt: der Wasserturm, mit einem Fassungsvolumen von 1000 m³.
Bis zur Inbetriebnahme der zweiten Hochquellleitung im Jahr 1910 versorgte
der 67 m hohe Turm Favoriten und Gebiete des heutigen 23. Bezirkes mit
Trinkwasser.
Ebenfalls geschichtsträchtig präsentiert sich die ehemalige Hellerwiese
(heute: Belgradplatz). Seit 300 Jahren diente diese den Lovara Roma als
Hauptrastplatz auf ihrem Weg in den Süden der österreichisch-ungarischen
Monarchie. Bis in die vierziger Jahre fand man diesen Platz dicht besiedelt.
Damals kam zuerst eine Fotografin, die sehr gut Romanes sprach und alle
anwesenden Roma fotografierte · fürs Archiv der Gestapo, wie sich
herausstellen sollte. Als diese Beweisaufnahme im Namen der
nationalsozialistischen Wissenschaft abgeschlossen war, wurden alle Roma
deportiert. Bis auf Mongo Stojka kehrte kaum einer zurück. Noch heuer soll
eine rote Kastanie zur Erinnerung am Belgradplatz gepflanzt werden, der
Lieblingsbaum der ehemals großen Familie der Lovara Roma.
Aufforstung des Laaer Bergs
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm Favoriten einen weiteren bedeutenden
Aufschwung. So entstanden städtische Wohnhausanlagen und öffentliche Gebäude
fast in dem Ausmaß wie in den dreißiger Jahren, als im zehnten Hieb
Gemeindewohnungen wie Pilze aus dem Boden schossen und unter anderem das
Amalienbad · damals der modernste Bäderbau · entstand. Mit der Zeit verlor
der 10. Bezirk auch den Ruf des Industriegebiets. Mit der Aufforstung des
Laaer Bergs, die in den fünfziger Jahren vollendet wurde, der Etablierung
des Wienerbergs als Erholungsgebiet sowie der Kultivierung der WIG 1974, dem
heutigen Kurpark Oberlaa, gelang es, Naherholungsgebiete in den Bezirk zu
integrieren. Die am 21. Juli 1954 erfolgte Einverleibung von Oberlaa,
Rothneusiedl und Unterlaa ließ Favoriten nicht nur weiter wachsen, sondern
fügte zum städtischen Bereich auch die Vorzüge des Ländlichen hinzu. Diese
Vergrößerung hinterließ auch im Bezirkswappen seine Spuren, das nun
notwendigerweise eine Erweiterung erhielt: der heilige Johannes, Evangelist
im Kreuzschild, steht nun für Innerfavoriten, der Heilbrunnen symbolisiert
Oberlaa, die Spinnerin am Kreuz im geteilten Schild steht für den Bezirk,
der Ringofen mit Bachlauf verweist auf Rothneusiedl, das Malteserkreuz auf
Unterlaa und die Weintraube mit drei Ähren erinnert an Inzersdorf Stadt.
Noch heute wird der zehnte Hieb oft unter seinem Wert gehandelt; kaum jemand
weiß, dass dieser Bezirk vielfach eine Vorreiterrolle spielte. Die erste
Fußgängerzone Wiens verlief · und verläuft immer noch · entlang der
Favoritenstraße. Mit dem Siemenshaus, jedenfalls aber mit dem Wienerberger
Tower besaß der 10. Wiener Gemeindebezirk Hochhäuser, als noch niemand an
einen Andromeda- oder Millenniums-Tower dachte. Auch der erste Spatenstich
für den U-Bahn-Bau · die U 1 · stand unter dem Vorhaben, Favoriten mit den
Innenbezirken zu verbinden. Einige Projekte, die derzeit kurz vor der
Realisierung stehen · Twin-Tower, Wienerberger-City, Porr-Gründe, womöglich
eine weitere Überplattung der Süd-Ost-Tangente · lassen hoffen, dass
Favoriten den Sprung ins neue Jahrtausend nicht verschläft. Die "enter'n
Gründ" hat Wiens ältester Bezirk außerhalb des Gürtels jedenfalls schon
lange hinter sich gelassen. |