Gerald Resch

Bernhard Lang - DW5
Differenz/Wiederholung 5

»Die Wiederholung ändert nichts an dem sich wiederholenden
Objekt, sie ändert aber etwas im Geist, der sie betrachtet.«
David Hume (1711-1776)

Seit 1998 komponiert Bernhard Lang an einer umfangreichen Werkreihe mit der Bezeichnung Differenz/Wiederholung. Dieser Titel nimmt Bezug auf die Schrift "Différence et Répétition" (1968) des französischen Philosophen Gilles Deleuze, die zur theoretischen Grundlage für die Ästhetik der Differenz/Wiederholung-Reihe wurde. Wollte man den grundlegenden Antrieb für die Philosophie von Deleuze benennen, er hieße vielleicht: Ausschau-Halten nach allem, was Bewegung verheißt – sei es in der Sprache, im Körper oder in der Gesellschaft.

Auch Differenz/Wiederholung 5 ist eine Musik der Bewegung. Das Stück beginnt mit einem flimmernd-unruhigen Klangfeld vom Tonband, das trotz seiner Verzerrungen merkwürdig vertraut klingt: es handelt sich um eine Passage aus der Intrada zu Claudio Monteverdis Orfeo aus dem Jahr 1607, dem Geburtsjahr der abendländischen Oper. Dieses musikalische Fundstück wird durch das technische Verfahren der Granularsynthese denaturiert, aber auch aktualisiert: aus einem kurzen Ausschnitt der Intrada löst Lang wenige Millisekunden lange akustische Schleifen heraus, die durch ihre rasanten Wiederholungen und durch geringfügiges Verschieben von Anfangs- und Endpunkt zu vibrieren beginnen. Schon in diesem etwa einminütigem Prolog von Differenz/Wiederholung 5 ist der Kern der musikalischen Prozedur enthalten: ein kurzes Klangobjekt wird wie unter einer akustischen Lupe betrachtet und erfährt durch seine minimal voneinander abweichenden Wiederholungen eine Zersplitterung in die Zeit.

So wie Deleuzes Schrift eine mögliche Ästhetik formuliert, sucht auch Bernhard Lang in seiner Differenz/Wiederholung-Werkreihe nach einer Erweiterung, vielleicht sogar Neubegründung der eigenen Poetik: Strategien des Filmschnitts finden darin ebenso Eingang wie Elemente der DJ-Kultur und der elektronischen Musik, vermittelt über das gemeinsame Prinzip der Wiederholung. »Differenz/Wiederholung 5 ist Teil einer Serie von Stücken, die mit einer Art der Phänomenologie der Wiederholung, insbesondere der differenten Wiederholungen spielen. Es geht hier um das Abtasten einer möglichen Ästhetik der Schleifen (»Loop Aesthetics«), die sich aus einer freien Bewegung zwischen mechanischen Repetitionen und differenzierten, unterbrochenen und verschobenen Scratch-Loops ergeben könnte.«

Die freie Bewegung spielt in den letzten Jahren eine immer größer werdende Bedeutung in Bernhard Langs Musik. Hatte er zu Beginn der 1990er Jahre Werke komponiert, die aufs Strengste durchkalkuliert waren (in Brüche etwa spielt jedes der sechs Instrumente exakt 666 Töne), führten vor allem die gemeinsamen Arbeiten mit Improvisationsmusikern und dem Autor Christian Loidl zu einer radikalen Öffnung hin zur Spontaneität des Musik-Findens. Im Zyklus Schrift (19xx-xxxx) setzt sich der Wille zur écriture automatique ohne kompositionstechnische Netze und doppelte Böden durch. Vergleichbar mit der Handschrift, in der sich charakteristische Merkmale der Persönlichkeit des Schreibers unwillkürlich enthüllen und dem Leser mitteilen (ein selbstbewusstes Schriftbild, ein verängstigtes, ein unbeherrschtes usw.), sucht Lang nach einer Spontaneität des Musikschreibens, die letztlich psychologisch bestimmt ist. Immer wieder findet er dabei einander ähnliche musikalische Figuren, die durch seine eigene Konditionierung als Komponist determiniert sind: alle Musik, die er bislang geschrieben hat, bildet als Erfahrungshintergrund das Reservoire, aus dem sich sein spontanes Musik-Finden speist. In manchen kanon-ähnlichen Strukturen von Differenz/Wiederholung 5 etwa kann man einen gebrochenen Nachhall seiner früheren Beschäftigung mit Kompositionstechniken der Renaissance wiederfinden.

Indem Lang seine energiegeladenen musikalischen Äußerungen zerhackt und mehrfach wiederholt, entsteht eine bemerkenswerte Kongruenz von Vorwärtsdrängen und Stillstand. Die Wiederholung versteht er als eine Möglichkeit, mittels einer einfachen konstruktivistischen Methode den eruptiven Automatismus eines nur aus dem Bauch heraus-Komponierens zu durchbrechen.

Parallel zur Arbeit an Differenz/Wiederholung 5 arbeitete Bernhard Lang an einem umfangreichen Opernprojekt mit dem Titel Das Theater der Wiederholungen (Uraufführung am 4. Oktober 2003 in Graz). Diese Oper handelt von der ungerechtfertigten Machtausübung über andere, die sich quer durch die Jahrhunderte in unterschiedlicher Form immer wiederholt. Die Kreisbewegung des Musiktheater-Stoffes fand zunächst unbewussten, dann immer stärker beabsichtigten formalen und thematischen Eingang in die Gestaltung von Differenz/Wiederholung 5. Wenn also zum Ende dieser Komposition (die als Ouvertüre zum Theater der Wiederholungen fungiert) das einleitende Zitat aus Monteverdis Orfeo vom Tonband wiederkehrt, schwingt darin vielleicht auch ein Teil Vergeblichkeit mit: die Vergeblichkeit, mit der Orpheus versuchte, aus dem ihm vorgesehenen Schicksal auszubrechen und die ihm bemessene Zeit zu verlängern.

 

Gerald Resch wurde 1975 in Linz geboren. Er studierte Komposition (bei Michael Jarrell, York Höller und Beat Furrer) und Musikwissenschaft in Wien, Köln und Graz. Neben seiner kompositorischen Tätigkeit verfasst er Artikel und Werkeinführungen (u. a. für die MGG und das Wiener Konzerthaus). Weiters gestaltet er Konzerteinführungen und -moderationen für die Jeunesse und den Kunstverein Alte Schmiede Wien.
gresch@hotmail.com