Mit der Reihe der Differenz/ Wiederholung Stücke, die Bernhard Lang 1996 begonnen hat, untersucht er in erster Linie eine Phänomenologie der Wiederholung, „einer der am wenigsten in letzter Zeit thematisierten Begriffe, teilweise tabuisiert“ . Dabei sind nicht die aus der Minimal Music stammenden Wiederholungsmuster gemeint, die, um die Differenz vom Objekt (dem Musikstück) auf das Subjekt (den Hörer bzw. dessen Wahrnehmung) zu verschieben, das zu Wiederholende möglichst schlicht zu gestalten. Im Gegenteil kann bei Lang sowohl das Objekt selbst höchst komplex gestaltet werden als auch die Form der Wiederholung selbst. Diese muss nicht zwangläufig linear verlaufen, „sie kann erratisch, nervös, extrovertiert, im mathematischen Sinn chaotisch verlaufen.“ Angeregt wurde der Komponist nach eigenen Angaben zum einen durch das Buch Differenz/ Wiederholung von Gilles Deleuze, zum anderen durch Filme wie den Arbeiten von Volker Arnold. Die Filme Arnolds bestehen aus gefundenem Material, z.B. Filmen aus den 50er Jahren, die er in kleine Einheiten von oft weniger als einer Sekunde teilt und diese wiederholt. Vor dieser Serie von Stücken, deren jüngstes – DW 7 - am 20. Oktober 2002 in Donaueschingen uraufgeführt wurde, schrieb Lang eine Reihe von drei Stücken, die er Schrift 1 – 3 nannte. Die Stücke entstanden „unter Ausschluss kompositorischer Vorüberlegungen, Planungen und architektonischer Konzeptionen quasi in einem Vorgang eines automatic writings“ . Diese Stücke waren ein Versuch, den narrativen Strukturen von Musik zu entkommen, wie er sie vor allem in der Improvisationsmusik kennen gelernt hatte, denn hier stellte sich nach einiger Zeit immer „ein gewisses [lineares] Erzählprinzip“ ein. Heute steht Lang der Technik des automatic writing eher skeptisch gegenüber. In der Literatur gab es bereits verschiedene Versuche, diese linearen Prinzipien aufzubrechen. Dazu zählt zum einen die Cut Up / Fold In Technik von William S. Burroughs, zum anderen James Joyce’ „stream of consciousness“-Technik, „wherein the endlessly changing flow of textuality somehow escapes the linear time axis.“ Lang beschreibt den Einsatz der Wiederholung in seinen Stücken folgendermaßen: „My personal metaphor was the one of a kind of third dimension emerging out of the two-dimensionality of a rotating disk.”
Lang arbeitete nach seinen Schrift-Stücken in zwei Stadien. Auch weiterhin
schrieb er zunächst quasi improvisatorisch, dann zerschnitt er das geschriebene
und baute Wiederholungen ein. Die Bedingung für die Wiederholung eines
Klangs ist seine Existenz, er muss bereits geklungen haben. Genaugenommen und
entsprechend der oben genannten Definition kann er erst nach einer Aufnahme
– Sampling – wiederholt werden. Beim Auslesen des Samples kann innerhalb
desselben ein Abschnitt definiert werden, der wiederholt werden soll. Zwar gibt
es in den DW-Stücken jede Menge Loops, die instrumental realisiert worden
sind. Ebenso wie die Minimal Music von Steve Reich durch seine frühen Arbeiten
mit Tonbändern beeinflusst ist, ist auch die Wiederholung in Langs Arbeiten
von mechanischen Schleifenbildungen beeinflusst. Seit dem Stück DW 4 verwendet
Lang auch Live Sampling. Für das Stück DW 6b für E-Gitarre (oder
alternativ DW6a für E-Viola) programmierte er zusammen mit Winfried Ritsch
und Thomas Musil am IEM in Graz ein Patch in Pd, den sogenannten „Looping
Tom“. Die komplette Dokumentation zu diesem Programm findet sich unter
http://www.iem.kug.ac.at/~musil/DW6b_Projekt_Beschreibung/. Das Patch besteht
aus vier identischen Loop-Prozessoren, die jeweils einen eigenen Speicher haben,
auf den sie zugreifen können. Der Gitarrist kann per MIDI-Fußpedal
bestimmen, auf welchen der vier Speicher eine gespielte Sequenz aufgenommen
wird. Dabei kann das Signal auf beliebig viele Speicher eingespielt werden.
Die Loop-Prozessoren haben die Möglichkeit, ein Sample auf vier unterschiedliche
Arten zu bearbeiten und wiederzugeben:
1. Das Sample wird in Millisekunden lange Teile zerlegt, die dann, in einer
bestimmten (vorprogrammierten) oder unbestimmten (zufälligen) Reihenfolge
überlappend oder lückenhaft wiedergegeben werden (Granular).
2. Das gesamte Sample wird geloopt, wobei am Ende entweder ein Stück abgeschnitten
oder Stille angehängt wird (Image).
3. Ein relativ kleiner Ausschnitt wird geloopt und der Output prozesshaft mit
einem Filter und einem Oktavizer nachbearbeitet. Dies geschieht entweder lokal,
d.h. der Prozess wiederholt sich mit jedem Loop oder global, der Prozess wird
über einen größeren Abschnitt gelegt (Puls).
4. Das Sample wird schon während der Aufnahme wiedergegeben. Hierbei wird
ein Teil des Klanges wieder mit in den Eingang zurückgeführt (Feedback).
Im vierten Fall handelt es sich technisch wahrscheinlich um ein Delay mit Feedback.
Die angegebenen Verfahren können mit verschiedenen Verteilungen auf vier
Lautsprecher kombiniert werden. Möglich ist eine statische Verteilung auf
eine der vier Boxen, pro Wiederholung wechselnd oder einer von der Widerholung
unabhängigen Verteilung. Diese wird entweder von einem LFO oder einem anderen
Sample per Hüllkurvenfolger gesteuert. “Since the process of reading
out the loop from the sample implies a kind of movement, it was interesting
for me to project this movement into space: this results in the spatialisation
of loops, both global and local.”
Jeder Loop-Typ (wie Image, Grain usw.) eines Loop-Prozessors ist bestimmt durch
insgesamt 60 Parameter, die hier nicht alle aufgezählt werden sollen. Die
Typen können als Presets (bis zu 100) in dem Patch gespeichert werden.
Das Stück DW 6b entstand 2001 und wurde am 30. November desselben Jahres
in Bremen uraufgeführt. Ähnlich wie Stockhausens MIKROPHONIE I ist
auch dieses Stück durch Improvisation entstanden. So gab es zuerst eine
provisorische Partitur und erst nach einiger Zeit entstand in Zusammenarbeit
mit dem Gitarristen Robert Lepenik, dem das Stück gewidmet ist und der
es auch uraufgeführt hat, die entgültige Partitur. Das Stück
ist eine Art Vor- Studie für die Orchesterstücke DW 7 und DW 8, bei
denen der „Looping Tom“ ebenfalls eingesetzt werden soll.
Der Gitarrenpart ist in drei Systemen notiert. Im ersten sind die Tonhöhen
notiert, daneben einige verbale Angaben zur Artikulation oder zum Sound, sowie
Artikulationszeichen. Im zweiten System ist angegeben, auf welcher Saite gespielt
werden soll und im dritten, wo angeschlagen werden soll. Über dem Gitarrensystem
sind vier, den Ausgangskanälen des Computers zugeordnete Systeme. Wird
ein Sample auf einem der Kanäle abgespielt, steht in dessen System der
Name der Wiederholungsart (Grain, Image, Puls oder Feedback), gegebenenfalls
das Panning über mehrere Kanäle, sowie weitere Parameter entsprechend
der Looptypen, wie Fades, Feedbackanteil, Filtereinstellungen u.a.
Abbildung 6, Auschnitt aus DW 6b, S. 8.
Der Aufbau des Stücks sieht vor, dass der Gitarrist und vier für ihn bestimmte Lautsprecher sich in der Mitte des Raumes befinden. Das Publikum kann sich um den Gitarristen herum frei bewegen. Der aufgenommene Klang wird entsprechend des jeweiligen Presets auf vier weitere Lautsprecher verteilt, die in den Ecken des Raumes aufgebaut werden. Der Prozess des Live-Sampling ist in diesem Stück sehr gut nachvollziehbar. Der Gitarrist spielt zu Beginn einmalig eine Phrase. Diese wird gleichzeitig aufgenommen und im Anschluss geloopt auf Kanal 1 wiedergegeben. Der Gitarrist spielt eine zweite Phrase, nun einige Male wiederholt, die wiederum gleichzeitig aufgenommen und danach wiedergegeben wird. Einen Abschnitt mit einer Phrase des Gitarristen und dem bearbeiteten Wiederholung des Samples nennt Lang eine „Szene“ (vgl. Beispiel 6). Insgesamt besteht das Stück aus 44 Szenen, die allerdings nicht alle so geradlinig ablaufen wie die ersten zwei. Für das Wechselspiel Interpret/ Looping-Tom hat Bernhard Lang fünf verschiedene Arten definiert:
1. Ein Klang wird gespielt und danach geloopt.
2. Ein Klang wird gespielt, danach geloopt und dabei vom Interpreten gedoppelt.
3. Ein Klang wird gespielt, danach geloopt, dazu spielt der Interpret einen
Kontrapunkt.
4. Ein Klang wird gespielt und geloopt, der Spieler ergänzt mit einem Komplement
oder
5. Solo.
Bei den insgesamt fünf Soloszenen des Gitarristen werden die Klänge
nicht aufgezeichnet (Szene 7, 12 31 33 und 44). Bei drei Szenen handelt es sich
um Generalpausen (10, 23 und 32).
Die Länge der einzelnen Phrasen divergiert zwischen 0,9 (Szene 2) und 15
(Szene 42) Sekunden, wobei die Phrasen im Verlauf des Stücks tendenziell
länger werden. Die Szenen sind in sich abgeschlossen, eine Aufnahme wird
nur innerhalb derselben Szene abgespielt, in der sie gemacht wurde. Für
jede neue Szene wird als Material der neu eingespielte Klang ganz oder teilweise
verwendet. Es gibt einige Stellen, an denen eine Szene die folgende überlappt,
ansonsten hat das gesamte Stück einen blockhaften Aufbau. Das Material
der aufeinanderfolgenden Szenen ist sehr heterogen und der Beginn der meisten
Szenen ist klar erkennbar. Durch den immer gleichen Ablauf Gitarrist - Elektronik
sind die einzelnen Szenen klar voneinander zu trennen. Hierin unterschiedet
sich Langs Komposition von Stücken aus dem Bereich der Minimalmusik, die
darauf zielen, das Kontinuum nicht zu unterbrechen und Veränderungen immer
nur Stück für Stück zuzulassen. Die Blockhaftigkeit des Stückes
wird durch die drei Generalpausen, die das Stück zerschneiden, noch unterstützt.
Auch die einzelnen Loops irritieren durch Störungen des Kontinuierlichen
der Wiederholung. Für den Startpunkt eines Loops sowie dessen Endpunkt
gibt es an einigen Stellen einen „jitter: an epsilon-area is being defined,
wherein the modulated loop-point moves erratically back- and forward, often
controlled by random generators.” Auch der meditative Gestus einer minimalistischen
Wiederholung wird durch diese Irritationen durchbrochen.
Der Prozess des Live Sampling wird in DW 6b - fast didaktisch - eingesetzt. Das Material wird immer vorgestellt, bevor es gesampled wird. Das Sampling bewirkt keine Verstärkung der Dichte oder Komplexität des Stückes im Sinne eines elektronischen Gedächtnisses, die Komplexität findet innerhalb der einzelnen Szenen und durch ihre Reihenfolge statt. Hier wird der erwähnte Aspekt der Wiederholung des Unwiederholbaren von Aufnahmen hervorgehoben. Dabei kommt eine Gegenüberstellung der Wiederholung einer Maschine, eines Samples (einer „echten“ oder „toten“ Wiederholung) und der Wiederholung eines Interpreten (einer „differenzierten“ Wiederholung) zur Geltung. Ein anderer Aspekt des Sampling, die Möglichkeit die Aufzeichnung des Klanges genau auszuloten, wird jedoch lediglich auf das Insrument angewendet. Der Konzertraum als „Umwelt“ der E-Gitarre wird nicht in die Aufzeichnung des Klangs mit einbezogen. Da die Gitarre direkt über einen Pick-up aufgenommen wird, kommen die Geräusche des Raumes, des Publikums etc nicht vor. Das Publikum hat keinen Einfluss auf eine klangliche Mitgestaltung. Trotz der Aufhebung der strikten Trennung von Bühne und Zuschauerraum (das Publikum kann sich um den Interpreten herum frei bewegen) bleibt das Stück distributiv. Die potenzielle Möglichkeit des Live-Sampling, den gesamten Klang des Raums mit aufzuzeichnen, wird in diesem Stück nicht eingesetzt. Lang schreibt in seinen Vorüberlegungen: “Das Stück ist in der Endversion auch als Klanginstallation ohne den Spieler denkbar (etwa durch Aufzeichnung der gespielten Teile).” In diesem Fall wäre das Stück vollkommen hermetisch. Es wäre z.B. möglich gewesen, etwa die Generalpausen mit Mikrofonen aufzunehmen und ebenfalls zu loopen. Hierdurch würde der Prozess des Sampling als Aufzeichnen einer Umwelt (der lokalen Umwelt des Konzertraumes) deutlich gemacht.
Doch auch wenn Langs Fokus nicht auf dem Live-Sampling, sondern auf dem der Wiederholung sitzt, ist dieses Stück ein gutes Beispiel für den Umgang mit Live Sampling, da es die strukturellen Eigenschaften dessen als konstruktive Elemente des Stückes nutzt. Lang setzt die Wiederholung nicht in Form einer Reprise, einer Erinnerung an Gewesenes ein. Sie dient als Mittel, die Differenz von dem Musikstück auf die Wahrnehmung zu verlagern. Die Wiederholung eines Klanges führt zu keiner neuen Information, stattdessen verändert sich die Hören auf den - physikalisch messbar immer gleichen – Klang.
Auch die Blockhaftigkeit des Stücks entspricht der Struktur des Sampling. Ein Sample ist von seiner Struktur her ebenfalls blockhaft, es ist nicht erweiterbar. Eine durch Noten fixierte Phrase z.B. ist vom Prinzip her dagegen offen, sie lässt sich durchaus erweitern. Ein Sample ist aus einem Kontinuum herausgerissen und nicht mehr zurückführbar. Es gibt für diesen Klang keine Abstraktionsebenen, über die er sich erweitern ließe, wie es etwa die Diminution, die Vervollständigung einer Reihe, tonale Bezugspunkte oder die Rückführung auf ein Modell für den Notentext sind. Klangaufzeichnung hat den Klang selbst zum komponierbaren Objekt gemacht. Komponiert wird nicht mehr auf einer abstrakten Ebene, wie es beim Arbeiten mit Notenschrift der Fall ist. Mit Notenschrift, vor allem diejenige, die vor der Erfindung der Klangaufzeichnung geschrieben wurde, wird immer nur ein Aspekt des Klanges definiert und entsprechend komponiert, beispielsweise die Tonhöhe, das Instrument, eine Spielweise etc, aber nicht der Klang selbst. Dieser entsteht während der Realisation eines Stücks und fällt immer unterschiedlich aus. Der Klang ist somit nicht Teil der Komposition, sondern der Interpretation. Klangaufzeichnung brachte eine grundsätzliche Veränderung mit sich, nicht nur bei Stücken, die mit Samples oder Live Sampling arbeiten. Für einen großen Teil der Popmusik ist die Produktion und Reproduktion eines bestimmten Sounds essentiell. Folgerichtig entwickelte sich in diesem Musikbereich daher das Remixen. Entgegengesetzt zur klassischen Interpretation wird hier die Struktur eines Stücks verändert, der Sound wird beibehalten. Ein gutes Beispiel bietet die Platte Pierre Henry: Variation , auf der Remixversionen alter Pierre Henry-Stücke von Fatboy Slim, William Orbit, Dj Kotze oder Arena 21 gesammelt sind. Die Stücke wurden dabei alle, unabhängig ihrer ehemaligen Struktur oder Form zu Technotracks verarbeitet. Trotzdem ist der Sound von Pierre Henrys Stücken nach wie vor unverkennbar.Das Mikrofon hat den Klang vom Ort seiner Erzeugung sowie von seinem Schalldruck unabhängig gemacht. Die Klangaufzeichnung löst den Klang darüber hinaus vom Zeitpunkt der Entstehung. Der Klang selbst ist zum komponierbaren Objekt geworden, jeder Klang ist prinzipiell für Musik nutzbar gemacht. Der Materialisierung von Klang folgt das Postulat, alles könne Musik sein oder, wie es Guy E. Garnett definiert: „music can be roughly considered to be sounds made with aesthetic intent, or even sounds listened to with aesthetic interest“
Hannes Galette Seidl
hannes.seidl@web.de