Noch die aussichtsloseste Situation wird irgendwann zur Gewohnheit: Um 6 Uhr klingelt der Wecker. Im Radio läuft – wie gestern – I got you babe von Sonny und Cher. Phil Connors stutzt, während er schlecht gelaunt aus dem Bett steigt und dunkle Ahnung zur Gewissheit wird. Der mürrische Held aus Harold Ramis’ Groundhog Day ist in einer Zeitschleife gefangen und muss einen unwirtlichen Februartag wieder und wieder durchleben. Connors’ erste Strategie ist die völlige Selbstaufgabe: in alkoholrauer Passivität seinem Schicksal ergeben, verliert er die Bereitschaft, den Tag individuell zu gestalten. Erst Connors’ zweite Strategie, einunddenselben Zeitabschnitt durch Differenzierungen zu verfeinern und zu optimieren, führt schließlich zum ersehnten Ausbruch aus der Zeitschleife. Ramis’ Film, alles andere als innovatives Kino, ist ein Lehrstück über Verhängnis und Verheißung der Wiederholung – in der Kunst wie im Leben.
Die Musik mahlt bekanntlich weniger gründlich als das Leben. Und wenn der österreichische Komponist Bernhard Lang die Wiederholung zum Gegenstand eines gewichtigen Zyklus macht, manövriert er den Hörer noch lange nicht in eine auswegslose Situation. Aber er konfrontiert ihn doch mit einem entsprechenden Problem. Denn Lang erkundet mit seinem Zyklus Differenz/Wiederholung (abgekürzt DW), an dem er seit 1997 in wechselnden Besetzungen schreibt, die unauflösbare Dialektik der Repetition, die Trivialität des Gleichen einerseits, das Dazwischensein bloßer Ähnlichkeiten und Varianten andererseits.
Nun möchte man einwenden, dass dies Gegenstand jeder Musik sei, dass jedes Musikstück sich am Gleichen, am Ähnlichen und am Verschiedenen abarbeitet – vom Reperkussionston der Gregorianik bis zur Leitmotivtechnik Richard Wagners. »Gibt es eine wiederholungslose Musik? Eher nein«, stellt auch Lang lapidar fest; sie ist ohnehin allgegenwärtig – vom Form versiegelnden »da capo« bis zur Insistenz, indem der Komponist eine Phrase in die Köpfe seiner Hörer hämmert, um ihr Gewicht und Geltung zu verleihen. Noch Thelonius Monk bekannte, dass er, wenn ihm ein Fehler unterlaufe, diesen Fehler wiederhole, um einer missratenen Phrase den Schein der Legitimität zu verleihen. Die Rhetorik der Wiederkehr erzeugt die Syntax der Tautologie. Die Affirmation wird zum Gegenstück der Kritik. Warum aber dann überhaupt die Repetition und ihren epistemologischen Schatten, die Differenz, zum Gegenstand eines den Komponisten über Jahre in Anspruch nehmenden Zyklus erheben? »Die Wiederholung ist Pathos, die Philosophie der Wiederholung Pathologie«, schreibt Langs Gewährsmann Gilles Deleuze, dessen Schrift Differenz und Wiederholung (1968) den Komponisten zum Zyklus anregte. Was aber wäre dann die Kunst der Wiederholung? Eine Heilkunde?
Das alles wäre der Rede nicht wert, hätten sich im 20. Jahrhundert nicht zwei sich jäh widersprechende Standpunkte herausgebildet, die sich am Umgang mit der Wiederholung scheiden. Herbert Eimert erklärt zur Hauptregel der Zwölftontechnik, »dass alle ihre Bildungen aus den zwölf verschiedenen Tönen (ohne Wiederholung eines Tones) bestehen müssen«, und stellt das Ungeheuerliche, das Wiederholungsverbot, kleinlaut in Klammern. In der Reihentechnik waltet das Varietas-Prinzip. Die Differenz verdeckt die Wiederkehr. Als Kompositionsstudent hatte auch Lang dieses Verbot in den Siebzigerjahren zunächst verinnerlicht.
Das Wiederholungsverbot folgt, das haben ihre Apostel immer betont, einer gewissen musikgeschichtlichen Logik. Und in dem Maße, in dem die Reihentechnik als historische Unvermeidbarkeit ideologisiert wurde, wurde die Verdopplung tabuisiert. Diese Lehre existierte wohl noch heute, wäre die Musik nicht von zwei Entdeckungen, einer technischen und einer philosophischen, eingeholt worden, die das Wiederholungsverbot zunächst in Frage stellten und schließlich aufhoben.
In dem Moment, als Pierre Schaeffer in der Auslaufrille einer Schallplatte den Loop entdeckte, wurde die Umdrehung, das Kreisen, zu einer musikalischen Figur. Komponisten, die die technischen Neuerungen des Plattenspielers, des Tonbands und später des Samplers in Anspruch nahmen, konnten die ästhetischen Konsequenzen nicht einfach wegkomponieren. Die mechanische Wiederholung wurde folgerichtig zu einem Strukturprinzip.
Um 1960 fand eine philosophische Beobachtung Eingang in die Musik, dass nämlich
das westliche Prinzip der linearen Zeit der fernöstlichen Idee der kreisenden
Zeit gegenübersteht. Die Minimalisten verloren sich in endlosen Repetitionen
und gaben sich dem hypnotischen Selbstverlust hin. Die Wiederholung wurde zum
Rausch, der Rausch zur Sucht. Dass repetitive Strukturen in jenen Jahren auch
in den Künsten, in denen sie traditionell keine Rolle spielten, zum Prinzip
avancierten – in der Literatur so gut wie in der Malerei –, sei
nur nebenbei bemerkt.
Nun lässt es sich trefflich über die ästhetischen und philosophischen
Implikationen einer Wiederholung streiten, darüber, dass man dabei in einen
Zustand präanalytischer Trance fällt, dass die Repetition aber auch
wie ein Vergrößerungsglas wirken kann, wenn eine komplexe Gestalt
beim fünften, sechsten, siebten Hören plötzlich in ihre Bestandteile
zerfällt. Aber es ist damit weder etwas über die Qualität des
Wiederholten selbst gesagt, noch etwas über die entsprechenden Techniken,
durch die eine bloße Urbild/Abbild-Relation zur Form wird.
Bernhard Lang hat, neben Komposition, auch Philosophie und Jazztheorie studiert und als Pianist eignete er sich das Idiom des Freejazz wie auch Improvisationstechniken der außereuropäischen Musik an. Der bislang opulenteste Beitrag zu seinem Zyklus, DW 2, ist ein einstündiges, auskomponiertes Freejazz-Monument, das von den verschleiften Linien eines kurdischen Sängers durchzogen wird. Das Stück bleibt oft an unerwarteten Stellen in Wiederholungen und Scheinwiederholungen hängen. Doch bevor diese definitiv erkennbar werden, rast das Stück bereits weiter – von delirischen Trancezuständen keine Spur. Allenfalls die Texte von William S. Bourroughs, die Lang hier u.a. vertont, zeigen, dass Repetition etwas mit Rausch, Lust und Rauschverlust zu tun haben kann.
In den ersten Stücken des Zyklus müssen die Musiker die ermüdende Last des Wiederholens noch selbst bewältigen. Erst in DW 4 verwendet Lang einen Generator, der die live gespielte Musik postwendend in einen Loop verwandelt. Anders als bei der durch einen »Faulenzer« notierten Verdoppelung, friert der Loop-Generator einen musikalischen Moment ein. Die mechanische Repetition ist also exakter, als Musiker sie spielen könnten. Das Speichermedium verändert aber auch die Klangqualität, und Lang bevorzugt bei seinen Samples einen unglamourösen Lowfidelity-Sound. Mit DW 7 stellt er der Behauptung, das Kunstwerk gebe im Zuge seiner technischen Reproduktion seine Aura preis, eine andere, zweite Aura entgegen. Die Orchesterpartie – mit gezackten Motivketten und rhythmischen Anleihen beim Jazz – wird beständig von Lautsprechereinblendungen unterbrochen, die das eben Gespielte in grob geschnittenen Loops nachahmt. Aber der Loop-Generator verstümmelt den Orchesterklang mit seiner topfigen Lo-Fi-Qualität nicht, sondern macht ihn sich zu eigen. Aus dem brutalen Rattern der Repetition schallt dem Hörer eine akustische Metapher des Scheiterns und der Hoffnungslosigkeit entgegen.
Aber auch der Loop-Generator ist nur ein vorläufiger Schritt beim Versuch, zum Wesen der Wiederholung vorzudringen. In DW 9 hat Lang die Erfahrungen mit dem Live-Sampler auf die Instrumentalmusik übertragen und die Qualität der automatisierten Wiederholung transkribiert. Dazu gehört auch die Verteilung des Klangs auf Lautsprecher, die Lang zuvor maschinell gesteuert hatte. In DW 9 benutzt die Sängerin abwechselnd drei Mikrophone, die verschiedenen Kanälen zugeordnet sind. Lang inszeniert Wiederholung als Geste.
DW 9 entstand im Andenken an Christian Loidl, einem Schrifsteller und Freund Bernhard Langs, dessen Texte er mehrfach vertont hat. Das Stück unterscheidet sich als zurückhaltende Trauerarbeit auch der Statur nach von den beiden oben angeführten, opulent besetzen Vorläufern. Mit dem Thema des Todes nährt die Musik die dunkle Ahnung, dass das, was Phil Connors in Groundhog Day gelungen ist, nämlich den tristen Lauf der Zeit zu durchbrechen, vielleicht sonst außer im Tod nur in der Kunst gelingen kann. Die Gewissheit, dass das Leben nichts als ein Kreisel der Monotonie ist, befiel schon Büchners Danton. In einer Szene aus Dantons Tod, die Lang in DW 2 aufgegriffen hat, erkennt dieser: »Das ist sehr langweilig; immer das Hemd zuerst und dann die Hosen drüber zu ziehen und des Abends ins Bett und morgens wieder heraus zu kriechen und einen Fuß immer so vor den anderen zu setzen; da ist gar kein Absehen, wie das anders werden soll.«