Bernhard Lang
Der Reigen
Musiktheater nach Arthur Schnitzler
Libretto von Michael Sturminger
"Der Reigen" stellt eine weitere Episode im Theaterprojekt "Das Theater der Wiederholungen" dar, und im mittelbaren Sinn eine des "Theaters der Grausamkeit":
die diagrammatische Textstruktur einer zyklischen Kombinationssequenz einerseits (ABBCCDDEEFFGGHHIIJJA), die szenenimmanente Wiederholungsstruktur von Verführung, Sex und Postludium macht das Stück höchst affin für die auf differenten Loops basierenden Kompositionstextur, welche ich in allen bisherigen Musiktheaterstücken verwendet habe und welche diese zu einem Meta-Zyklus zusammenschliesst.
Die Loops werden in der Mikrostruktur der Partitur als Analyseinstrument mechanisierter und zwanghafter menschlicher Verhaltensweisen benutzt, inspiriert von der Bernhardschen Verwendung der Textwiederholung, oszillierend zwischen verzweifelter Komik, erotischer Besessenheit und depressivem Zwangsverhalten. Schnitzlers Stück stellt sicherlich einen wesentliche Beitrag zur Entwicklung der Psychoanalyse dar, und eben dieses analytischen Moment steht hier im Vordergrund.
Die Klanglichkeit und Instrumentation des Stückes bewegt sich vom Zitat als Versatzstück (Lou Reed Songs, Japanische Otaku-Tänze, Duke Ellington-Melodien) bis zum thematischen Zitat (Wozzeck, Lulu, Debussy's Jeux), wobei erstere meist als musikalische Figur der Halbwelt, der Welt der Heimlichkeit und des Verborgenen, der Welt des Trash stehen, letzteres als zeitbezogene musikgeschichtliche Referenzen auf den Originaltext.
Diese Schizophrenie im Material wird weiters durch die Verwendung eines klassischen Orchesterapparates instrumentiert, dem ein Jazztrio mit Synthesizer gegenübersteht.
Harmonisch liegt dem gesamten Stück eine spermatozoische Spektralstruktur zugrunde, bestehend aus 10 zwanzigstimmigen Klängen, die das Stück einerseits umrahmen, und sich als Orgasmusfigur jeweils in der Szenemitte wiederholen.
Die etwa gleiche Länge aller zehn Szenen sowie die granulierte, monadologische Schnittstruktur entsprechen der Herleitung der musikalischen Struktur aus den Experimentalfilmen des Raffael Montanez Ortiz und legt eine kinematografische Wahrnehmung und Interpretation des Stücks nahe.
Bernhard Lang, ZKM 18.07.2013