Das Theater der Wiederholungen
Musiktheater von Bernhard Lang

 

„Die Wiederholung ändert nichts an dem sich wiederholenden Objekt,
sie ändert aber etwas im Geist, der sie betrachtet.“
(David Hume)

Das „Theater der Wiederholungen“, Bernhard Langs Opus Magnum, in dessen auf Gilles Deleuze verweisenden Titel nicht nur schon das spezifische Kompositionsprinzip anklingt, sondern auch die inhaltliche Programmatik („Eine mögliche Geschichte der Grausamkeit“), ist in drei große Abschnitte, drei Erzählungen gegliedert, die jeweils im 18., 19. und 20. Jahrhundert angesiedelt sind.

Der erste Akt („Lob der zynischen Vernunft“) basiert auf Texten von De Sade und Huysmans und wirft einen Blick auf den europäischen Absolutismus, thematisiert die Verherrlichung des Naturrechts, das Lob des Stärkeren, die ideologische Absage an jede Form des sozialen und solidarischen Denkens.

Der zweite Akt verlässt diesen grauen, zynischen, europäischen Kontext, widmet sich dem Aufbruch in eine andere, eine freiere, humanere Welt und erinnert daran, dass (Nord-)Amerika als europäischer Traum entstanden ist, wo sich Europa – im Sinne der konsequenten Entwicklung von Demokratie und liberalem Kapitalismus – selbst erneuern konnte. Die aus Texten von William S. Burroughs („The Place of Dead Roads“) entwickelte Erzählung beginnt mit einer utopischen Metapher für den alten europäisch-amerikanischen Traum („Go West“) – der Auswanderung in den Weltraum, die bei Burroughs natürlich auch die 60er Jahre symbolisiert, die Bewusstseinserweiterung durch Drogen, Rock´n´Roll und die gesellschaftlichen Umwälzungen, die damit verbunden waren. Aber in Burroughs Heroinvisionen kündigt sich auch schon ein neuerliches Durchbrechen der Gewalt an, die den amerikanischen Traum nicht zuletzt durch die Tabuisierung der eigenen manifesten und latenten Gewalttätigkeit (von der Ausrottung der indigenen Bevölkerung bis zur ungebrochenen amerikanischen Waffenerotik) wieder in Frage stellen. Burroughs „The Place of Death Roads“ erweist sich gerade aus heutiger Sicht als unglaublich schockierender Roman, denn er schildert letztlich die Ausbildung eines Terroristen – und das in einem uramerikanischen Kontext: in einer Western-Situation.

Die dritte Erzählung schließlich – basierend auf Protokollen der Nürnberger Prozesse und Berichten aus verschiedenen Konzentrationslagern - ist eine Rückkehr zum Ausgangspunkt, nach Europa, in die Zeiten, als der alte Kontinent wieder in seinen Alpträumen versunken ist, aus denen er neuerlich von seinem real gewordenen Traum (von Amerika) errettet werden musste. Bernhard Langs kompositorisches Prinzip der differenten Wiederholung transzendiert dabei aber auch schon diese historischen Ereignisse und gewinnt angesichts der aktuellsten politischen Entwicklungen, des Zurückfallens in alte nationalistische Muster, die ja derzeit in ganz Europa wieder sichtbar werden, noch weitere künstlerische Brisanz.

Die Verschiebung der Differenz in den Geist bzw. die Wahrnehmung des Betrachters, ist an sich eine Strategie des Minimalismus. Die Konsequenz, welche der Minimalismus daraus zog, war die einer Reduktion der Differenz im wiederholten Objekt, um den subjektiven Differenzierungen Raum zu geben. Für Gilles Deleuze, dessen Überlegungen zur begrifflichen Verschränkung von Differenz und Wiederholung für Bernhard Langs kompositorisches Schaffen seit 1995 bestimmend geworden sind, bedeutet Wiederholung jedoch nicht unbedingt ein Einfaches, ganz im Gegenteil: Wiederholung kann Träger einer hochkomplexen inneren Differentiation im Objekt sein.

Gleichwohl wurde die Wiederholung im musikalischen Diskurs der letzten Jahre zwar oft tabuisiert, jedoch kaum konsequent reflektiert. Daniel Charles etwa hat in „Musik und Vergessen“ den Wiederholungsbegriff als für das Vergessen konstituiernd beschrieben. Er verurteilt Musik, welche Wiederholung im Vordergrund der musikalischen Strukturen verwendet, als politisch fragwürdig; er stellt solche repetitive Strukturen den auf Varietas basierenden gegenüber und versucht zwei ästhetische und damit politische Grundpositionen daraus abzuleiten, was dann an den Rand von Denunziationen führt.

Die Dialektik des Wiederholungsbegriffs ist jedoch keine einfache. Einerseits kann Wiederholung musikalisch sehr wohl Selbstvergessen bewirken, in Trancezustände führen. Andererseits ist es eben die Wiederholung, die uns als primäres mnemotechnisches Instrument dient.

Die Differenz wiederum macht es uns erst möglich, von der Identität des Gleichen zur Wahrnehmung und Erinnerung einer bestimmten Gestalt fortzuschreiten. Differenzierte Musik verlangt analytisches Bewusstsein, ein sich fortwährendes intellektuelles Loslösen von der Unmittelbarkeit der primären Klangerfahrung.

Wolfgang Reiter, 2002