Percht, Howangoass & Co: Sagen für Frauen und Mädchen!

KÖNIGINNEN & MÄCHTIGE FRAUEN

 

Eine alte Frau straft

Vor alten Zeiten war die Ortschaft Kaindorf bei Leibnitz ein großes, reiches Dorf, deren EinwohnerInnen sehr wohlhabend waren. Doch einige von ihnen waren ziemlich geizig und hartherzig.

Eines Abends, es war im Winter und überall lag viel Schnee, wanderte eine alte, gebrechliche Frau von Haus zu Haus und bat an den Türen der Reichen um ein Stückchen Brot und um Nachtherberge. Allein überall wurde sie beschimpft und wieder in die Kälte hinausgejagt.

Schließlich ging die Alte gegen den Berg hin, wo jetzt das Schloss Seggau steht, und bat in einer kleinen Keusche um ein Nachtlager. Es war nur die Frau zu Hause, und diese hatte Mitleid mit der gebrechlichen Alten und sie mochte sie wohl über Nacht hierbehalten. Aber sie traute sich nicht, weil sie einen brutalen Mann hatte und Angst hatte, er würde sie schlagen, wenn sie der armen Alten gestattete, in der Keusche zu übernachte. Das sagte sie der Bettlerin. Diese musste nun weiterziehen.

Obwohl es inzwischen schon finstere Nacht geworden, schleppte sich die Alte noch mit letzter Kraft den Berg hinauf, auf dem eine vereinzelte Keusche stand; diese gehörte einer armen Witwe und bei der fand die Alte freundliche Aufnahme und Verpflegung.

Da erzählte nun diese, wie es ihr unten im Dorf so schlecht ergangen, wie die reichen Leute sie hartherzig abgewiesen und immer wieder von der Schwelle ihrer Türen fortgejagt hätten, in eisige Kälte und den Schnee hinaus. Dafür aber würde diese Reichen und Gefühllosen in kurzer Zeit die gerechte Strafe erreichen; der ganze Ort werde überschwemmt werden und alle zugrunde gehen; und kein Haus werde verschont bleiben. Dies sagte die Alte in einem so gewissen, drohenden Ton, dass es der gutmütigen Wirtin zu grauen anfing.

Sie erzählte der Alten, dass sie eine Tochter unten im Dorf habe, die sich aber sehr unglücklich fühle, da ihr Mann sehr böse sei. Die Alte erzählte nun, dass sie auch bei dieser gewesen und dass sie von ihr nur aus Furcht vor dem bösen Mann abgewiesen wurde. Da bat denn nun die Witwe, es möchte die Alte doch beten, daß ihrer Tochter nichts geschähe. Die Alte versprach es und sagte mit großer Bestimmtheit, es werde der Tochter nichts geschehen.

Am darauffolgenden Morgen bedankte sich die fremde Alte auf das freundlichste bei der Witwe für die ihr so liebevoll gewährte Unterkunft. Dann sagte sie zum Abschied noch, weil die Leute am Berge so gut seien, so werde sie ein Andenken und Zeichen hinterlassen, das ewig währen sollte. Darauf verließ sie das Haus.

Die Witwe aber war durch diese sonderbare Rede aufmerksam geworden und sie sah mit noch einigen Bewohnern des Häuschens der Bettlerin nach, bis diese plötzlich vor ihren Augen verschwand. Verwundert darüber, ging man ihren Fußspuren nach, die im frischgefallenen Schnee deutlich eingedrückt waren und die an einem bestimmten Platze plötzlich aufhörten.

Nun wusste man, wer die seltsame Bettlerin gewesen, nämlich niemand anderer als die heilige Maria selbst. Die Prophezeiung ging richtig in Erfüllung. Heftige und lange anhaltende Regengüsse machten die großen Schneemassen auf den Bergen schnell schmelzen, die Laßnitz und die Sulm, zwischen denen die Ortschaft lag, schwollen riesig an, traten aus und setzten das ganze Dorf unter Wasser, so dass alle Häuser einstürzten und die einst so blühende Ortschaft ganz vernichtet wurde.

Nur das Häuschen der Witwe und die Keusche ihrer Tochter blieben verschont.

Später wurde auf jenem Berge und an derselben Stelle, wo die Fußspuren im Schnee aufgehört hatten, eine Kirche zu Ehren unserer lieben Frau erbaut und Frauenberg genannt.

Die allmählich wieder entstandene Ortschaft zwischen den beiden Flüssen aber erhielt den Namen Kaindorf, weil durch die Überschwemmung sämtliche Häuser zerstört wurden und "kein Dorf" mehr da war.

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