Was kostet die Welt? Zuviel, wenn du fragen musst.

Das Klangforum Wien ist ein Ensemble von SolistInnen, das sich der Förderung, Pflege und der Wieder- und Weitergabe zeitgenössischer Musik verschrieben hat. Der verdiente Sven Hartberger, Intendant des Ensembles bis 2019, hat dabei jenseits der üblichen Programmierung für den Konzertbetrieb, der ein sitzendes Publikum etwa zwei Stunden lang mit den Aufführungen auf der Bühne konfrontiert, immer wieder zu Aufführungsformaten gefunden, die Installations- und Eventcharakter hatten, daneben aber auch auf eine diskursive Ebene hinüberleiteten, die das rein musikalische Terrain verließ.

Erinnert sei hier an „Ein Tag und eine Stunde in Urbo Kune“ oder an „Oskar Serti geht ins Konzert. Warum?“.
Während Oskar Serti das gebürgergebildete Publikum mit sich selbst konfrontierte und gleichzeitig seine musikalischen Zugänge in Frage und zur Disposition anderer Kunstrichtungen stellte, führte Urbo Kune in die Hauptstadt einer utopischen, imaginären, ersehnten Gesellschaft, die als die Vereinigten Staaten von Europa vorgestellt wurde.
Und nun hat Hartberger, quasi als Abschiedsgeschenk seiner Intendanz, wieder zugeschlagen, diesmal mit „Happiness Machine. 24 Stunden Glück mit dem Klangforum Wien“. Dabei stand das Musik, Film, Vortrag und freie Rede umfassende Geschehen unter dem Zeichen der Gemeinwohlökonomie. Begonnen wurden die 24 Stunden der Glückseligkeitsmaschine 1 mit einer Kombination von Trickfilmen und diese unterlegender Musik, die die Gemeinwohlökonomie zum Inhalt hatten und filmisch und musikalisch assoziativ untermalten.

Zu diesem ersten Event der 24 Stunden hat Sven Hartberger ein Buch geschrieben, dieses „Minotaurus“ genannt, beim Verlagshaus Sonderzahl herausgebracht und ich habe es gekauft und gelesen. Hartberger hat zu einigen der Filme Gedanken in literarisch-poetische Form gebracht, zu kurz für Essays, eher Kapitel, wie er die Beiträge zu den Filmen nennt; aber im Grunde handelt es sich um zu Papier und Druck gebrachte freie Rede. Die Texte eignen sich vorzüglich zum gesprochenen Vortrag, zum Vorlesen. Sie tragen Titel wie „Freiheit“, „Leistung“, Markt“ und so fort und sind voll der geschliffensten Polemik, die einem Thema zuträglich sein kann, ohne es unter der Brillanz der Formulierung zu verschütten. So etwa dürfen wir lesen:

Freiheit ist ganz unbestritten ein hohes Gut, sie ist aber nicht das höchste und schon gar nicht das einzige, das eine an den Gedanken von Gerechtigkeit und Gleichheit ihrer Mitglieder orientierte Gesellschaft zu verteidigen hätte. Sie ist nicht das höchste Gut, weil es so etwas wie ein höchstes Gut in einem säkularen Gemeinwesen gar nicht geben kann.

Dies der Verteidigung der Freiheit des Handels in s Stammbuch geschrieben. Beginnen aber will das Buch mit einer Empörung: Christian Felber wurde in einem Lehrbuch für Wirtschaftskunde an den österreichischen Schulen als „Autor eines einflussreichen Wirtschaftsmodells“ vorgestellt, nachdem der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union Felbers Vorschläge einer Gemeinwohlökonomie als „nachhaltiges Wirtschaftsmodell für den sozialen Zusammenhalt“ qualifiziert hatte. Sein Bild erschien neben Marx, Keynes, Friedman und Hayek im Lehrbuch. In einem offenen Brief an die Unterrichtsministerin wurde daraufhin von 141 Unterzeichnern gefordert, das Buch „nicht weiter für den Einsatz an österreichischen Schulen“ zuzulassen. Felbers Modell entspreche nicht den Kriterien von Wissenschaftlickeit, ungeachtet der Tatsache, dass es Betriebe wie etwa die Brauerei Trumer gibt, die sich Felbers Vorschläge zu eigen machen. Der Petition wurde insofern stattgegeben, als dass das Bild Felbers und der Bezug auf Gemeinwohlökonomie aus dem Lehrbuch entfernt wurde.

Hartberger nimmt dies zum Anlass, in zehn, der Empörung („Wir sind uns alle ziemlich eing“) und der Einleitung („Minotaurus“) folgenden Kapiteln einige Lanzen für Christian Felber und seine Gemeinwohlökonomie zu brechen. Er räumt dabei mit gängigen Vorwürfen gegen Vorschläge für alternatives Wirtschaften und Produzieren auf, wie er ebenso die üblichen Ausreden der Wirtschaftstreibenden auf s Korn nimmt, warum sie denn nicht ökologischer und menschenfreundlicher, ohne Kinderarbeit, ohne landgrabbing und was da mehr ihr Geschäft betrieben. Genießen wir noch einmal die Eloquenz Hartbergers:

Das Drama „Die Verantwortung der Konsumenten“ ist bei allen jenen beliebt, welche an der aktuellen Wirtschaftsweise, am ungehemmtem Verbrauch von Ressourcen und am grenzenlosen Freihandel mit Staaten, in denen Menschenrechte nichts gelten, unbedingt festhalten wollen. … Die Behauptung, es sei der Konsument, der durch seine Kaufentscheidung für die Klimaerwärmung, die Tierfabriken, die Brandrodung des Regenwalds, die Ausbeutung von Kindern und das Bienensterben votiere und verantwortlich sei, weil er ja sonst wohl kein Brot kaufen würde, das mit Mehl gebacken wurde, welches auf einem Acker gewachsen ist, der mit Glyphosat behandelt wurde, ist nichts anderes als ein unredliches Abwälzen jener Verantwortung, welche in Wahrheit die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften, der Parlamente und der Regierungen trifft.

Sven Hartberger breitet mit Zorn und Engagement, also ira et studio seine Argumente für Christian Felbers Gemeinwohlökonomie und gegen die als VWL und BWL betriebene akademische Wirtschaftswissenschaft sowie gegen deren politische Anwender und Apologeten aus, wobei er deren Diskurs immer wieder die Wissenschaftlichkeit abzusprechen versucht ist und dieser Versuchung auch nachgibt. Ira und studium lassen es auch nicht zu, dass etwa andere Argumente als die kritisierten und verrissenen gegen Felbers Modell zur Sprache gebracht werden. Das ist aber auch zugegebenermaßen nicht das Anliegen dieses Buches. Doch in dieser Rezension soll kurz gestreift werden, was gegen das Modell Felbers ins Treffen geführt werden kann.

Das ist meiner Meinung nach vor allem, dass die Gemeinwohlökonomie doch nichts als eben – Ökonomie ist. Sie bleibt also im Rahmen von Markt, Geld, Lohnarbeit, Leistungsgerechtigkeit und was da mehr und beschäftigt sich bloß mit der Zähmung der kapitalistischen Produktionsweise, nicht wirklich mit Alternativen zu ihr. Insofern erinnert dies Unterfangen meiner unmaßgeblichen Meinung nach an den Staatskapitalismus der verwichenen UdSSR und ihrer Glacisstaaten, an die NEP Preobraschenskis und Lenins ebenso wie an das unselige „sozialistische Wertgesetz“ der DDR, das als „ein objektives ökonomisches Gesetz auch im Sozialismus“ in den einschlägigen Lehrbüchern behandelt wurde. Der Unterschied bei dessen Wirkung im „real existierenden Sozialismus“ wäre eben der segensreichen Planwirtschaft zuzubuchen.

Ich möchte Hartberger keine Ostalgie unterstellen und auch keinen Kryptorealsozialismus, auch wenn bei ihm zwar nicht Planwirtschaft eingefordert wird, sondern die demokratische Verantwortlichkeit und doch der politische Eingriff durch die „Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften, der Parlamente und der Regierungen“. Was ich aber der Gemeinwohlökonomie vorwerfe, ist, dass sie gewissermaßen auf halbem Weg stehen bleibt: Die Einsicht in die katastrophischen Widersprüchlichkeiten der kapitalistischen Produktionsweise, das Erleben, dass dieses System nichts seiner Versprechungen verwirklichen kann, etwa dass das Streben nach Erfolg und Reichtum der Einzelnen den Erfolg und Reichtum der Gesamtheit befördern soll oder dass am Freihandel alle verdienen und sich bereichern, dies alles ist noch nicht Anlass zu einem radikalen Bruch, wenigstens theoretisch, mit der herrschenden politischen Ökonomie.

Warum kann dann dieses Buch Hartbergers dennoch zur Lektüre empfohlen werden? Vor allem aus dem einen Grund: Auch wenn Hartberger über Felbers Vorschläge nicht hinausgeht, sie nicht einmal ausführlich vorstellt, sondern nur den abwertenden Umgang mit ihnen beklagt und tadelt, zeigt es seine größe Stärke in der Darstellung der Widersprüchlichkeiten des politisch-ökonomischen Systems und Regimes, unter dem wir leiden. Es zeigt dies auf eine redliche, moralische und gleichzeitig zwingende Weise, indem es einerseits System und Regime an seiner eigenen Logik misst und diese Logik zu einem schlechten Urteil zwingt. Andrerseits aber verlässt manchmal Hartberger den Boden der demokratischen gesellschaftlichen Sicherheiten und findet zu paradoxen Formulierungen.

Erinnern wir uns: Vor zweieinhalb Jahrhunderten war die Forderung „Gleiches Recht für alle“ großteils paradox und unverständlich. Warum sollte eine Stadt, ein Markt, eine Bergknappenschaft, eine Gilde, eine Schützenkompagnie, eine Grundherrschaft nicht jeweils eigenes Recht haben? Es ist daher hoch an der Zeit, angesichts der krisenhaften Verwüstungen des Kapitalismus wieder zu paradoxen Forderungen gegenüber unseren heutigen aktuellen Zuständen zu finden. Lassen wir also zum Ende der Besprechung des Buchs dessen Autor noch einmal zu Wort kommen:

Dass die Kunst im wirklichen Leben nichts bewirken kann, ist ein gerade unter Künstlern gängiger Gemeinplatz geworden. Niemand will sich durch das Bekenntnis der Überzeugung, sein Malen, Dichten, Singen, Bauen, Musizieren und Tanzen könne die Welt verändern oder gar noch verbessern, dem Verdacht kritikloser Naivität aussetzen. In Wahrheit ist aber gerade die gegenteilige Annahme naiv, dass nämlich irgendein geistiges Bemühen und sein Ausdruck jemals verloren gehen, vergeblich sein, ohne Wirkung bleiben sollten.


1 Das bekannte „pursuit of happiness“ der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung wurde am Tag nach der englischen Veröffentlichung im „Pennsylvanischen Staatsboten“ in der deutschen Übersetzung mit „Bestreben nach Glückseligkeit“ wiedergegeben.