L’État, c’est quoi ...

James C. Scott hat 2017 bei Yale University Press ein Buch mit dem Titel Against the Grain vorgelegt. Der Titel bedeutet auf deutsch „gegen den Strich“, aber ebenso „gegen das Getreide“, ein Wortspiel, das im Titel der deutschen Ausgabe von 2019 nicht wiedergegeben werden kann. Das Wortspiel bezieht sich aber auf den Inhalt des Buchs, der im Untertitel angezeigt wird: A Deep History of the Earliest States. Der deutsche Band heißt Die Mühlen der Zivilisation. Eine Tiefengeschichte der frühesten Staaten, ein Titel, der nicht unglücklich gewählt wurde.

Der englische Untertitel aber bezieht sich nun nicht nur darauf, dass das bisher gültige Narrativ der Geschichte der ersten Hochkulturen von Scott gegen den Strich gebürstet wird, sondern auch darauf, dass Scott für diese Geschichte das Getreide verantwortlich macht: Es waren Weizen und Gerste, die die frühesten Staaten möglich gemacht hatten. Diese wiederum sieht Scott als insgesamt ökonomische, ökologische und soziale Verarmung der in diesen Staaten lebenden Menschen an, verschärft durch ein Arbeitsregime, das sich erzwungener Arbeit bediente; einer Arbeit, die durch kriegerischen Bevölkerungstransfer gespeist wurde.

Die Notwendigkeit einer permanenten Zufuhr von Arbeitskraft – unfreier Arbeitskraft – ergab sich daraus, dass die Lebensbedingungen in den frühesten Staaten keineswegs rosig waren, sondern durch Mangelernährung und Krankheiten, durch Missernten und Seuchen geprägt waren. Das ist nun nichts unbedingt Neues, aber Scott erhebt auch nicht den Anspruch, neue Erkenntnisse zu präsentieren. Er will nur die bekannten Erkenntnisse neu anordnen und neu interpretieren, vor allem aber der Standarderzählung, dem Grundnarrativ von der Sesshaftwerdung der Menschheit als zivilisatorischem Fortschritt, den Boden unter den Füßen wegziehen.

Die Frage ist nun, ob und wie das gelingt. Wenn ich die Argumentation des Buchs zusammenfasse, so haben wir es mit dem Folgenden zu tun: Scott bezieht sich auf das Schwemmland Mesopotamiens und auf eine Zeitspanne von von etwa 6.000 vuZ bis 1800 vuZ; daneben zieht er auch Beispiele aus China, dem präkolumbianischen Amerika und der europäischen Antike heran, wenn es seine Argumente stärkt oder illustriert, wie er in der Einleitung ankündigt (S. 15). In dieser Zeitspanne verortet er die „frühesten Staaten“. Die wiederum basieren auf dem Anbau von Getreide und auf der Verfügbarkeit über Arbeitskraft, einer Arbeitskraft wohlgemerkt, die zur Arbeit gezwungen werden muss. Scott verweist darauf, dass die Agrikultur, wie sie in Mesopotamien betrieben wird, ebenso wie der Bau und die Instandhaltung der religiösen und Verwaltungszentren, der Verteidigungsanlagen, der Transportwege und der Bewässerungen nur durch unfreie Arbeit erfolgt sein kann.

Zu diesem Moment der unfreien Arbeit tritt bei ihm noch das der Besteuerung und der Steuereintreiber erscheint als das Symbol der Staatlichkeit schlechthin. Es geht also nicht nur um erzwungene Arbeit, die Scott im Allgemeinen als Sklaverei bezeichnet, es geht auch darum, dass denen, die den Boden bebauen, auch noch ein Mehrprodukt abgepresst wird (Überschuss im deutschen Text, surplus im englischen). Scott spricht dabei einfach von Bevölkerung (s. paradigmatisch S. 196, Ende des zweiten Absatzes).

Worauf Scott dann hinaus will, ist die wohl begründete Behauptung, dass diese „Staaten“ jeweils über nur kurze Lebensspannen verfügten, dass aber der Zerfall dieser Staaten nicht mit Verarmung und Barbarei, nicht mit Rückfall in unzivilisierte Zustände verbunden war. Scott zufolge war ja im beschriebenen Zeitraum die überwiegende Mehrheit der Leute nicht in „Staaten“ mit Getreideanbau sesshaft (Scott nennt sie das spätneolithische Getreide- und Arbeitskraftmodul oder den Arbeitskraft-Getreide-Komplex), sondern hatten andere soziale Organisationsformen und verfügten über andere, breiter gestreute Ernährungsquellen. Er nennt alles Mögliche von Pastoralismus (also nomadische Viehzucht) über Gartenwirtschaft bis hin zu Wildbeuterei und Jagen und Sammeln und meint, dass hier ein wesentlich gesünderes und breiter gefächertes und weniger arbeitsintensives Nahrungsangebot vorlag mit weniger Plackerei und auch mehr persönlicher Freiheit.

Und entlang dieser Argumentationslinie ist das ganze Buch aufgebaut: Staat ist Sklaverei und damit verbundene Kriegsführung. Staat ist Besteuerung einer Produktion, die ertragreich genug sein muss, um Eliten durchzufüttern. Staat ist Repression gegen die eigene Bevölkerung, die in dieses reproduktive Korsett gezwungen wird, das ihr nicht einmal den Lebensunterhalt garantieren kann. Staat ist Spezialisierung auf eine einzige Nahrungsquelle, deren Monopolisierung durch die Eliten die Bevölkerung zwingt, ihr dienstbar zu sein unter Verzicht auf persönliche Freiheit und unter Zwang zu ungewollter Arbeit. Staat macht krank und ist lebensbedrohend.

Was nun stimmt daran? Zuallererst muss ich mir die Frage stellen, ob für die Zeit, die Scott behandelt, der Begriff Staat überhaupt zutrifft. Scott führt für diesen Begriff ins Treffen, dass die Staaten „historisch neuartige Institutionen“ (S. 45) und auch „demographische wie geographische Petitessen“ (S. 29) waren. Dennoch beharrt er auf der Bezeichnung Staat, was seiner Meinung nach ein „institutionelles Kontinuum, weniger ein Entweder-oder als ein Mehr oder Weniger“ beinhalte. „Ein Gemeinwesen mit einem König, einer spezialisierten Verwaltungsbürokratie, einer sozialen Hierarchie, einem monumentalen Zentrum und Stadtmauern sowie der Einnahme und Verteilung von Steuern ist zweifellos ein ,Staat‘ im im starken Sinne des Wortes. Solche Staaten entstehen in den letzten Jahrhunderten des vierten Jahrtausends vuZ und scheinen spätestens durch das starke territoriale Ur-III-Gemeinwesen im südlichen Mesopotamien um 2100 vuZ gut belegt. Schon vorher gab es Gemeinwesen mit bedeutenden Populationen, mit Handel, Handwerkern und offenbar auch Stadtversammlungen, doch könnte man darüber streiten, inwieweit diese Merkmale einer strengen Definition von Staatlichkeit genügen würden.“ (S. 38)

Scott scheint selbst nicht ganz sicher zu sein. Jedenfalls verwendet er ein paar Seiten (S. 46 f) weiter den Begriff kingdoms, der in der deutschen Übersetzung mit „Reiche“ wiedergegeben wird. Diese „waren eigentlich Konföderationen kleinerer Siedlungen und ,Zusammenbruch‘ könnte nichts weiter heißen, als dass sie wieder in ihre Bestandteile zerfielen, vielleicht um sich später erneut zu vereinen.“ Im Weiteren des Buchs haben wir es aber durchgehend mit „Staaten“ zu tun. Und hier bleibt Scott seltsam unpräzis. Die Staaten verfügen über Eliten und Bevölkerungen, verkörpert in Steuereintreibern und Sklaven. Was die Sklaven betrifft, wird ihnen ein ganzes Kapitel gewidmet, wobei Scott die Frage nicht umgeht, ob es sich um Sklaven handelt im wahren Wortsinn, also um verkäufliche menschliche Arbeitskörper. Er sieht dabei durchaus, dass bei Deportationen von im Krieg unterlegenen Bevölkerungen es sich nicht um die Bedienung von Sklavenmärkten handeln muss.

Er erkennt zwar, dass die Gemeinwesen, die er beschreibt, eine Arbeitsteilung zwischen freier und unfreier Arbeit kannten und anwandten, er erkennt aber nicht (oder sagt nicht), dass diese Arbeitsteilung mehr Formen hatte, als er im Buch darstellt. Klientelverhältnisse kommen überhaupt nicht vor. Dass die Grundlage der Trennung von Freiheit und Unfreiheit die Verwandtschaftssysteme der damaligen Zeit waren, ist ihm nicht einsichtig oder wird nicht erwähnt. Die Verwandtschaftssysteme stellten aber erst so etwas wie Freie her und die damit verbundenen Alimentationsberechtigungen und die damit verbundenen sozialen Hierarchien. Und Adel oder Freie kennt Scott nicht, nur Eliten und Staaten. Die Staaten aber sind bei ihm nichts als ideeller Gesamtsteuereintreiber und ideeller Gesamtfeldherr.

Da er „Staat“ aber nur unter diesen funktionalen Abstraktionen – Zwangsarbeit und Steuern – sehen will oder kann, geht er am Wesentlichen dieser Gemeinwesen vorbei, nämlich daran, dass auch dort, wo es keine Staaten im Scott’schen Sinn gegeben hat, dieselben gesellschaftlichen Mechanismen von Verwandtschaft, Hierarchie und Alimentationsberechtigung vorhanden waren. Ein Blick auf die Fürstengräber von Nomaden zeigt einen elitären Reichtum der Häuptlinge und Adligen, der dem der „Eliten“ der „Staaten“ in nichts nachsteht. Auch dieser Reichtum wurde wohl auf Kosten anderer angehäuft, aber nicht durch Besteuerung, sondern durch Tribut und Tausch und Monopolisierung der Repräsentation.

Was aber Scotts „Staaten“ betrifft, so sieht er sie in einem sozialen Zusammenhang, der unzweifelhaft Züge unserer Zeit und ihrer polit-ökonomischen Diskurse aufweist. So schreibt er (S. 134 f): „Nur die fruchtbaren Böden waren pro Hektar produktiv genug, um eine große Bevölkerung in einem kompakten Gebiet zu ernähren und einen besteuerbaren Überschuss zu erzielen.“ Später (S. 161) heißt es dann: „Der für unseren Zweck wichtige Punkt ist der, dass eine Bauernschaft – vorausgesetzt, sie hat genug, um ihren Grundbedarf zu decken – nicht automatisch einen Überschuss produzieren wird, den sich die Eliten aneignen können, sondern gezwungen werden muss, ihn zu produzieren.“

Hier wird deutlich, dass sich Scott von einer Logik des „Staatlichen“ leiten lässt, das er mit Repression zusammen sieht und dieser Repression Modernität unterlegt, indem er Staatlichkeit quasi überhistorisch als eine immer wieder gültige Form des Sozialen sieht, unabhängig vom historischen Kontext. Hier sind die Staaten eben die „frühesten“, aber mit voll ausgebildeten Merkmalen der Herrschaft und Unterdrückung, auch wenn sie nicht lange bestehen. Scott lässt sich nicht auf die Logik der sozialen Verhältnisse der Sesshaftigkeit und der agrarischen Lebensweise ein.

So stellt sich denn auch die Frage, was denn der „Überschuss“ eigentlich sein soll, der zu Gunsten von Eliten produziert und von ihnen eingezogen wird. Zunächst müssen wir davon ausgehen, dass das erzeugte agrarische Produkt die Ernte ist. Nun kann es bei der Ernte keinen Überschuss geben, außer man vergleicht die Ernte mit der des Vorjahrs. Ernten werden verzehrt und führen zu volleren oder weniger vollen Bäuchen, aber nicht zu Überschüssen. Der Überschuss, von dem Scott spricht, ergibt sich aus Ausbeutungstheorien, wie sie im Kapitalismus diskutiert werden. Was hingegen in den „frühesten Staaten“ – und darüber hinaus bis in die Neuzeit und weiter – geschieht, ist die zentrale Verwaltung und Verteilung der Ernten.

Es ist interessant, dass Scott ja durchaus von der Verletzlichkeit dieser Gesellschaften spricht, die sich für ihre Lebensgrundlage einer einzigen Ernte (und Schlachtung) im Jahr ausliefern. Umso logischer, dass sie zentral verwaltet wird. Wie weit das aber nun mit einem ausgebildeten Steuersystem zu tun haben kann, ist doch recht fraglich. Darüber hinaus ist Steuer kaum etwas, das dem jahreszeitlichen Rhythmus einer agrarisch bestimmten Gesellschaft entspricht. Richtiger wäre hier der Begriff der Abgabe anzuwenden, der weit über den einzelnen Staat (oder besser Reich, wie groß oder klein es jeweils gewesen sein mag) hinausreicht und seine Beziehung mit anderen Reichen regelt, mögen sie nun auf dem Getreide-Arbeitskraft-Komplex (S. 187, im englischen Original manpower-and-grain complex) beruhen oder nicht.

Ähnlich problematisch ist Scotts Fixierung auf die Sklaverei, deren Bild er aus der entwickelten mediterranen Antike, aber auch aus dem neuzeitlichen Sklavenhandel gewinnt. Er sucht die verschiedenen Abhängigkeiten und erzwungenen Arbeitsverhältnisse immer wieder mit dem Begriff des Sklaven in eins zu setzen, auch wenn er sich dabei oft selbst widerspricht. So beschreibt er sehr richtig das Ziel kriegerischer Unternehmungen, andere Völker zu unterwerfen und sich deren Arbeitskraft verfügbar zu machen, auch durch Umsiedlungen und Zerstörungen deren vorheriger Wohnstätten. Er erwähnt auch, dass eine solcherart versklavte Bevölkerung in der neuen Bevölkerung aufgehen und den Sklavenstatus verlieren kann. Dabei bleibt er aber im Bild der von Eliten ausgebeuteten erzwungenen Arbeit.

Mir scheint, dass Scott hier an der historischen Realität vorbei argumentiert. Das wohl bekannteste Beispiel, das auch in den Heiligen Schriften zu literarischen Ehren gekommen ist, ist doch die Geschichte Israels. Zweimal, einmal aus der ägyptischen Zwangsarbeit (wobei diese Zwangsarbeit wohl auch biblischer Redaktion sich zu verdanken hat; beim Aufbegehren gegen die Führerschaft Moses’  wird von den Fleischtöpfen Ägyptens gesprochen) und einmal aus dem babylonischen Exil, wird das Volk in seine alte Heimstatt beziehungsweise in die Heimstatt der Erzväter entlassen. Und nicht immer war die Unterwerfung mit dramatischen Umsiedlungen verbunden. Ich denke, sagen zu können, dass in der Mehrzahl der Fälle Tributpflichtigkeit das Ziel der Unternehmung war. Und diese Tributpflichtigkeit konnte auch, je nach militärischer Stärke oder geographischer Entfernung, sich abmildern oder sogar umkehren.

Es sind die letzten zwei Kapitel des Buchs, in denen Scott solchen Einwänden den Wind aus den Segeln zu nehmen scheint. Schon im fünften Kapitel meint er: „Sklaverei wurde nicht vom Staat erfunden“ (S. 164), und im sechsten und siebenten Kapitel – sie tragen die schönen Überschriften „Die Zerbrechlichkeit des frühen Staats: Zusammenbruch als Zerfall“ und „Das goldene Zeitalter der Barbaren“ – spricht er schon von Tribut und nicht nur von Steuern. Und hier stellt sich dann auch heraus, dass diese frühen Staaten durchaus flexibel waren, was ihre Zusammensetzung und ihren Zusammenschluss betrifft, die beschworene Staatlichkeit also gar nicht immer vorhanden und auch nicht so stark war, zumindest was das südliche Mesopotamien betrifft.

Allerdings macht sich Scott auch in diesen letzten beiden Kapiteln der Geschichtsklitterung schuldig, wie es ihm ja auch früher absichtsvoll unterlaufen ist, wenn es dem Wohl seines Arguments dient. So etwa schreibt er schon in der Einleitung: „Die chinesische Qin-Dynastie, berühmt für ihre zahlreichen Neuerungen auf dem Gebiet effektiver Herrschaftstechniken, überdauerte bloß fünfzehn Jahre. Die für die Staatenbildung günstige Agroökologie ist relativ gleichbleibend, während die Staaten, die gelegentlich an diesen Orten erscheinen, aufleuchten und verlöschen wie launische Verkehrsampeln.“ Eine Dynastie (Qin, herrschte von 221 – 207 vuZ), die einer nachfolgenden weicht (Han, herrschte von 206 vuZ – 220 uZ), mit einem geeinten Reich, das beide nacheinander beherrschen, bewusst zu verwechseln, ist schon ein starkes Stück.

Dabei unterschlägt er, dass es ein Qin-Reich schon vor der Reichseinigung gegeben hatte (während der Zeit der Streitenden Reiche), das durchaus langlebig gewesen war (778 vuZ – 207 vuZ), und die Qin-Dynastie des geeinten Reichs der letzte Ausläufer des Qin-Reichs war, das nun alle anderen unter seiner Herrschaft vereinigt hatte. Es erfordert also eine gewisse historische Skepsis, wenn man Scotts Argumenten bereitwillig folgen will.

Im letzten Kapitel wiederum spricht er durchgehend von Barbaren, auch dies ein Begriff, der nicht ins vierte oder zweite Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung passt. Er dürfte das wissen, denn er schreibt, dass er den Begriff „ironisch“, „distanziert“ (S. 227) verwendet; aber er verwendet ihn – wohl um das plakative Gegenstück zum Staat zu haben. Was aber dabei gegen Ende des Kapitels herauskommt, ist, dass Pastoralismus, Hortikultur, Wildbeuterei, Jagd, etc. durchaus einer ähnlichen sozialen Logik des Reichs folgen wie die „frühesten Staaten“. Zuvor allerdings singt er noch das Hohelied der „Barbaren“, die mit weniger Arbeit und weniger Zwang auskommen und daher ein Attraktionspol für flüchtende Stadt- und Staatsbewohner sind.

Dass „Barbaren“ und „Staaten“ so etwas wie siamesische Zwillinge sind, behauptet er erst ganz am Schluss: Da bedauert Scott, dass die Barbaren „natürlich andere nichtstaatliche Völker“ (S. 259) in die Sklaverei der Staaten verkauften. Ob das hier steht, um Scotts Argumentation zu unterfuttern, und ob dies stimmt, mögen Berufenere entscheiden. Mir erscheint es nicht richtig, vor allem weil Scott ganz andere Beziehungen unterschlägt. Es mag seiner Beschränkung auf das südliche Mesopotamien geschuldet sein, dass er nicht erkennt, dass Pferde, Karren und Wagen ein nicht zu unterschätzendes Gut war, mit dem sich die Herrscher der „Staaten“ schmückten, für standesgemäße Jagd ebenso wie für die Ausstattung ihrer Kämpfer; ein Gut, das eine Erfindung der Pastoralisten war und zum Anschub der Reichsbildungen auf Getreidebasis nicht wenig beigetragen hatte.

Aber darauf einzugehen, hätte Scotts Bild vom ausbeuterischen, Steuern eintreibenden, fragilen, aber solitären, neuartigen Sklavenhalterstaat getrübt und den Blick über Mesopotamien und über das Schwarze Meer zu den Steppen geleitet und die Frage aufgeworfen, was denn die gemeinsame soziale Logik jener Zeit und ihrer verschiedenen Gesellschaftsformen gewesen war, was ihre ähnlichen oder strukturell gemeinsamen Religionen waren, ihre Adelsfamilien und -verwandtschaften, ihre Fürstinnen, Häuptlinge, Könige, Kriegerinnen, ihre Reichtümer und ihre unfreien Klientelen und Abhängigen, die ihrerseits wieder andere von sich abhängig machen konnten, und ihre Grenzen, an denen sie sich austauschten. Scott beschränkt sich darauf, etwas dünn angesichts einer nicht beschriebenen, referierten und rezipierten Faktenlage, als letzten Satz seines Buchs zu konstatieren: „Indem sie systematisch das Arbeitskräftereservoir des Staates mit Sklaven auffüllten und ihn militärisch schützten und stärkten, schaufelten sich die Barbaren freiwillig ihr eigenes Grab.“ (S. 260)

Warum kann dieses Buch trotzdem zur Lektüre empfohlen werden? Seine Stärke liegt gewiss nicht in der historischen Schlüssigkeit der Darstellung. Seine Stärke liegt vielmehr in einer überblicksmäßigen Schau auf ökologische Beziehungen, in einer Erweiterung des Begriffs der Domestikation um umweltliche Auswirkungen und Neugestaltungen (etwa durch die Domestikation des Feuers oder des Lagers). Hier sind es vor allem die Einleitung und die ersten drei Kapitel, die recht interessant sind. Die letzten beiden Kapitel machen Lust auf eine Geschichte des besprochenen Zeitraums ohne die geographische und thematische Beschränkung und ohne die Beschränktheit Scotts. Empfohlen seien hier beispielsweise The Horse, the Wheel, and Language von David W. Anthony oder By Steppe, Desert, and Ocean von Barry Cunliffe. Cunliffe wird übrigens von Scott zustimmend zitiert, aber nicht mit diesem Buch.