Hatschi! Gesundheit!

Das Verlagshaus PapyRosssa hat aus gegebenem Anlass ein Buch herausgegeben, das den stolzen Titel „Was COVID-19 mit der ökologischen Krise, dem Raubbau an der Natur und dem Agrobusiness zu tun hat“ trägt und als Autor Rob Wallace angibt. Wenn man das Inhaltsverzeichnis durchsieht, sieht man allerdings, dass nur das erste und das letzte von neun Kapiteln und das Vorwort, das der Übersetzer Martin Becker beigesteuert hat, sich mit SARS-CoV-19 beziehungsweise mit COVID-19 befassen. A prima vista mag dies nach einem Etikettenschwindel aussehen, dessen sich der Verlag schuldig gemacht hat, aber auf den letzten zwei Seiten wird dargestellt, wie es zu der Art der der Herausgabe gekommen ist.

Erstens wird erklärt, auf welche Publikationen Rob Wallaces sich der deutsche Verlag bezieht. Hier geht es hauptsächlich um eine Schriftensammlung des amerikanischen Autors, die im englischen Original wohl mindestens dreimal so umfangreich ist wie die Auswahl, die PapyRossa auf deutsch und gekürzt zur Verfügung stellt. Das Buch, aus dem die Auswahl getroffen wurde, erschien 2016 bei Monthly Review Press in New York unter dem Titel „Big Farms Make Big Flu. Dispatches on Infectious Disease, Agribusiness, and the Nature of Science“, aber einige Teile der deutschen Ausgabe stammen auch aus anderen Veröffentlichungen.

Zum zweiten werden die beiden Artikel angeführt, die die Anfangs- und Schlusskapitel bilden und sich auf die aktuelle Pandemie beziehen. Die Kapitel dazwischen handeln vor allem von der Vogelgrippe H5N1 ab 1997, auch Ebola wird gestreift, aber einige Kapitel erscheinen doch in einer recht verwegenen Kürzung, die sich auf eine aphoristische Auswahl aus dem englischen Original beschränkt und über fünf bis sechs Seiten nicht hinauskommt. Warum und unter welchen Prämissen diese Kürzungen und Verschnitte vorgenommen wurden, wird leider nicht erklärt, aber der geneigten LeserIn wird wohl selbst die etwas opportunistische Verlagspolitik aufstoßen.

Warum also soll dieses Buch trotz all der ärgerlichen Verkürzungen empfohlen werden? Dafür gibt es zwei gute Gründe. Der eine ist, dass wieder ins Gedächtnis und wohl auch ins Bewusstsein zurückgerufen wird, wie Kapitalismus funktioniert. Rob Wallace ist zwar beileibe kein Marxist, auch wenn er marxistische Begriffe zitiert und anwendet (und wenn er Marxist ist, dann einer der amerikanisch-pragmatischen Sorte, wie es Paulus im ersten Brief an die Thessalonicher empfiehlt: Prüft alles und behaltet das Gute), aber er legt den Finger auf etwas, das viele nicht mehr sehen wollen: dass es keine Naturgewalt ist, worunter wir leiden, sondern menschliche Gewalt. Diese Gewalt, ökonomisch, politisch, ideologisch und internalisiert alltäglich, benennt er. Und das führt zum zweiten Punkt, warum dieses Buch lesenswert ist.

Rob Wallace war Berater der UNO-Organisation FAO (Food and Agriculture Organization) und der US-Behörde CDC (Centre for Disease Control and Prevention), er kennt das Regime solcher Organisationen wie auch das von verschiedenen, gut beleumundeten NGO wie etwa dem WWF aus eigener Erfahrung. Er weiß also, wie es dort zugeht, und plaudert aus der Schule. Dieses Insiderwissen ist höchst interessant, auch im Zusammenhang mit Oppositionsbestrebungen gegen vorgeblich medizinisch indizierte Maßnahmen der Regierungen gegen die Pandemie. Hier geben die – wenn auch verkürzten und ausgewählten – „dispatches“ von Rob Wallace ein feines Instrumentarium an die Hand, wenn es darum geht, den rationalen Hintergrund der Kritik zu benennen, die oft verstümmelt oder vielleicht auch bewusst als Verschwörungstheorie zurechtgemacht daherkommt.

In einem Abschnitt des sechsten Kapitels („Die Lebensmittelindustrie wird den Planeten nicht retten“ ab S. 117) über Landgrabbing referiert er etwa über die Verzahnung von Agroindustrie und die von ihr angeleitete und finanzierte Politik des WWF. Vor allem Interventionen von Jason Clay, dem leitenden Vizepräsidenten für Markttransformationen des WWF, zu Gunsten der Agrarpolitik des Imperialismus beschreibt er sehr ausführlich (S. 119f). Daneben verteilt er auch Seitenhiebe auf andere. Das liest sich so (S. 136):

„Die Allianz für eine grüne Revolution in Afrika (AGRA) ist eine Entwicklungshilfe-Organisation, bei der es sich sozusagen um die afrikanische Abteilung der Gates-Stiftung handelt. 2010 arbeiteten etwa 70 Prozent ihrer keniatischen Stipendiaten direkt mit Monsanto zusammen. Die Stiftung hält außerdem Monsanto-Aktien im Wert von geschätzten 23,1 Millionen US-Dollar.“

Skurril ist es, wenn auf Demonstrationen von Regierungsgegnern (was ist übrigens falsch daran, gegen Regierungen zu sein?), die deren Coronapolitik in Frage stellen, gegen Bill Gates vom Leder gezogen wird und ihm unterstellt wird, er strebe die Weltherrschaft an. Ebenso skurril ist es allerdings, diesen DemonstrantInnen durch die Bank Antisemitismus zu unterstellen, auch wenn der eine oder die andere diesem Vorwurf Vorschub leistet. Man könnte ihnen Dummheit oder Ungebildetheit unterstellen (der Unterschied zwischen Dummheit und Ungebildetheit ist der, dass man sich zwar gegen Ungebildetheit entscheiden kann, aber sehr bewusst für Dummheit entscheiden muss), aber dann ist man auf dem Auge blind, das kapitalistische Produktionsweise nicht sehen will, sondern bloß moralisches Versagen auf dem anderen Aug.

Eines ähnlich stringenten Entmystifizierens macht sich Wallace schuldig, wenn er der WHO politische Willfährigkeit und Liebedienerei vorwirft. Auch hier bleibt er konsequent und scharfsichtig, wenn er etwa die Namensgebung der WHO für Viren (nicht mit nationalen Bezeichnungen, also auf erste Beobachtung in China oder anderen Ländern bezogen, sondern chemisch-molekular) beschreibt und kritisiert (S. 106):

„Die Frage ist allerdings, welchen Preis wir für die Beschwichtigungsstrategie bezahlen werden: Verlierern wir genau die Mittel, mit denen wir widerspenstige Länder dazu bewegen können, in lokale Epidemien einzugreifen, die das Wohl der ganzen Welt bedrohen?
Die vorgeschlagene Bezeichnung (H5N1, G. W.) ist ein Versuch der WHO und vieler Regierungen, eine Influenza-Pandemie zu inszenieren. Hinweis an die Verschwörungstheoretiker da draußen: Das bedeutet nicht, dass die WHO oder ein Labor oder eine Behörde die Vogelgrippe absichtlich erzeugt hat. Influenza-Viren zirkulieren schon lange unter Zugvögeln und haben sich in den vergangenen Jahrhunderten an den modernen Lebensstil der Menschheit angepasst.“

Wenn in Diskussionen mit KritikerInnen der medizinischen und politischen Maßnahmen des Öfteren die Wortschöpfung Plandemie zu vernehmen ist, dann bringt Wallace andere argumentative Geschütze in Stellung: Die Planung bezieht sich nicht darauf, die Menschheit bis auf einen kleinen Teil auszumerzen (er erteilt durchgängig den malthusianischen Dystopien eine Absage), die Planung erscheint nur als verzweifeltes Modell und als traurige Simulation, das gesamte corpus delicti (Ökonomie, Politik und virale Umgebung) mit den herkömmlichen Mitteln der wissenschaftlichen Steuerung und des Regierens in den Griff zu bekommen. Dass die Prognose daraus nicht geglaubt und das Ergebnis verworfen wird, steht auf einem anderen Blatt, auf dem Verschwörungstheoretiker und Regierungsbehörden dieselben Schriftzeichen hinterlassen: Wir glauben an etwas ganz anderes – entweder an den globalen Bösewicht (etwa Bill Gates) oder an den Retter des Planeten mit der Lizenz zu töten (etwa Kurz, Anschober oder WHO und WWF). James Bond und Ähnliches aus der Pop-Kultur lassen grüßen.

Das große Positivum dieses stark verkürzten Buchs, wenn auch Wallaces Argumentation nicht verkürzt wurde, ist seine argumentative Hilfestellung, wenn es darum geht, sich zwischen rationalitätsbesoffener Unterstützung all dessen, das uns Kurz und seine Regierung auftrottelt, und verschwörungsgläubiger Hingabe an Argumentationen jenseits von eigener Kritikarbeit zurechtzufinden. Nicht, dass jetzt Rob Wallace voll allzu freundlicher und schlecht begründeter Illusion in antikapitalistische Alternativen wäre oder nur voll Häme über einen unüberwindbaren Kapitalismus und seine Regimes, seien sie amerikanischer, chinesischer oder ebenso kapitalistischer NGO-Natur; aber immerhin schafft er es, uns wieder auf die Fährte des eigenständigen Denkens zu setzen, wofür ihm und dem deutschen Verlag gedankt werden sollte. Und das Buch soll nicht nur gewürdigt, sondern auch gelesen werde; vielleicht sogar im englischen Original und im Vergleich zu ihm.

Um aber nicht in allzu begeistertes Lob zu verfallen, sei am Ende eine Einschränkung erlaubt, die aber weniger Wallace als vielmehr den Verlag selbst trifft: Auf die aktuellen politischen Auseinandersetzungen rund um Pandemiepolitik der europäischen Nationalstaaten und in der EU wird in keiner Weise eingegangen. Das wurde zwar nicht versprochen, auch wenn der Titel des Buchs anderes andeutet, und war ebenso wenig zu erwarten, wenn man sich daran erinnert, wann und unter welchen Umständen das amerikanische Original entstanden ist.

Dennoch hätte es gut angestanden, etwa in einem längeren Vorwort oder einer aktuellen Schlussbemerkung Stellung zu beziehen, beispielsweise zu den Diskussionen um Kontrollen, Datenschutz, Einschränkungen von Freiheiten, politische Anreize und medizinische Zwangsmaßnahmen, oder auch zum Wiedererstarken nationalistischer und autoritärer Politikansätze, zu der Gefahr von Regieren mit Notverordnungen, der Gefahr der politischen Willfährigkeit der öffentlichen Meinung unter dem Prätext der Vernünftigkeit, der Gefahr einer Spaltung der Bevölkerung in Verantwortungsvolle und Gefährder des Volkskörpers, und was da mehr. Das wäre durchaus angebracht gewesen, nicht zuletzt um das Feld der Auseinandersetzung nicht Obskuranten oder Machtpragmatikern, beide auf ihre Art unbelehrbar, zu überlassen.