SALZBURGER FESTSPIELE 1960

5. Jahrgang, Heft 8/9

 

DIE SALZBURGER FESTSPIELE 1960 IM NEUEN RAHMEN

Nun ist es also vorbei. Und nach vielem Blätterrauschen, Hetzen und Schimpfen stellte sich heraus, daß das mit großen Vorschußlästerungen bedachte neue Haus ganz außerordentlich schön und gut geraten ist - wir können stolz darauf sein. Und die Eröffnung wurde nicht die von vielen Seiten prophezeite Pleite, sondern ein großer weltweiter Erfolg.

Nun also. Wir haben es ja nie anders erwartet. Es war höchste Zeit, den unakustischen Gipsschlauch, jetzt liebevoll „Altes Festspielhaus" genannt, durch etwas Neues zu ersetzen. Es war sinnlos, vor dem mit viel Geld und Mühe errichteten neuen Hause und dessen technischen Einrichtungen plötzlich Angst zu bekommen, solche Angst, daß manche Kreise das Haus am liebsten vor der Eröffnung schon wieder geschlossen hätten. Warum das ganze Spiel?

Die Fortsetzung des Spiels ist weder neu noch originell. Jetzt beginnt wieder das große Reden, Debattieren um den Festspielgedanken, Kopfzerbrechen um die würdige Nachfolge Max Reinhardts ... Dabei ist das Ganze so einfach!

Die Salzburger Festspiele sind ein Fest großer Musik! Sie haben schließlich auch mit Aufführungen von Mozart-Konzerten und Mozartopern begonnen. Wir unvoreingenommenen Jüngeren müssen leider feststellen, daß Reinhardt-Hofmannsthal und ihr unseliger Hang zu Mysterienspielen Salzburg fast in die programmatische Sackgasse führten, aus dem die Festspiele erst fanden, als sie sich für die Musik entschieden.

Das ständige Zurückblicken in die Vergangenheit und das fortwährende Jammern nach den guten alten Zeiten, das sich im Falle Wiener Staatsoper zum Teil doch schon wieder aufgehört hat, ist in Salzburg unüberhörbar und peinlich. Man darf uns Jüngeren nicht übel nehmen, daß wir der Glorifizierung der alten Zeiten nicht mehr viel Glauben schenken. Wie der „Jedermann" heuer und alljährlich beweist, sind Mysterienspiele ohne Musik sehr schwer auszuhalten. (Wie Martins „Mystere" heuer bewies, vermag die Musik vieles – sogar ein ganz und gar nicht durchwegs katholisches Publikum zur Konzentration und zum Mitgehen zu zwingen.) Man darf uns nicht böse sein, wenn wir die eilfertigen Produktionen des cleveren Hofmannsthal gar nicht mehr so gern auf den Salzburger Schauplätzen sehen. Man darf uns nicht übel nehmen, wenn wir nicht glauben, der große ‘’Magier" Reinhardt habe beim Regieführen nicht auch dann und wann einmal danebengehauen, speziell dann wenn er ganze Stücke mit seiner Familie besetzte. Und die Beschränkung auf ein auserlesenes Publikum des Blut- oder Geld-Adels wird sicher auch seine schwachen Seiten gehabt haben. Allzu viele Vertreter des Geldsadels werden sich zu Reinhardts Zeiten wohl auch nicht auf dem Domplatz befunden haben!

Die Rechnung heutzutage ist einfacher und nüchterner. Es kommen viele Leute nach Salzburg, um die schöne Stadt zu sehen und die Festspiele zu besuchen, von denen sie viel gehört haben. Sie wollen, wenn sie Musikfreunde vom Fach sind, noch dazu ein interessantes Programm mit möglichst vollendeten Aufführungen sehen. Nebenbei bemerkt, sind aber auch die Musikfreunde auf Urlaub. Die das Programm der Festspiele verreißenden Kritiker vergessen immer, daß ja sonst niemand aus beruflichen Gründen hinkommt, als sie und die Künstler! Experimente sind also im Salzburger Sommer nicht am Platz. Dafür sorgt ohnedies das Wetter.

Eine gewisse Konzentration wäre den Festspielen ebenfalls zu wünschen. Nicht zu viele Opern! Nur ein großes, klassisches Sprechstück - neben dem offenbar unverwüstlichen „Jedermann", den man ja vielleicht probeweise einmal durch Calderons Welttheater ersetzen könnte. Eine Reduktion der Orchesterkonzerte auf ein paar wirklich ganz große. Eine Reduktion der kammermusikalischen Veranstaltungen, besonders wenn sie nicht das nötige Niveau haben. Serenaden und Matineen kann Bernhard Paumgartner doch das ganze Jahr veranstalten. (Die Fremdenverkehrssaison dauert ja lange genug). Dafür mehrere Wiederholungen der Opern- und Schauspielproduktionen, um die oft wirklich kostbaren Inszenierungen gebührend auszuwerten.

 

DIE ERÖFFNUNG DES NEUEN FESTSPIELHAUSES am 26. Juli 1960

Durch Katastrophenmeldungen und schlechte Wetterberichte eingeschüchtert, traf man zur Eröffnung des „Neuen Hauses" ein und erwartete die Stadt im Schnürlregen und zumindest das Café Winkler in Schnee gehüllt vorzufinden. Doch siehe da, es war ein recht schöner Tag, und so ging man mit entsprechend gesteigertem Wohlbefinden abends daran, das vielgelästerte neue Haus in Augenschein zu nehmen. Es erwies sich, daß die Formen nobel und schön geraten sind. Der Zuschauerraum hat – ganz abgesehen von seinen phänomenalen akustischen und Sichtverhältnissen – auch in den Farben und der Innendekoration Format und Atmosphäre. In die Pausenräume hat man ein bißchen zu viel hineingestopft. Leer mögen die großen Säle ziemlich schockierend gewirkt haben, aber man hat offenbar vergessen, daß die Räume doch von den Besuchern gefüllt sein werden und daher nicht allzu vieler Dekoration bedürfen. Wir finden eben deshalb die beiden Plastiken Wander Bertonis im Foyer als auch die kleinen Keramiken an den Stiegenaufgängen völlig unnötig. Das ornamentale Stahlband von Hoflehner, das mit viel Kopfschütteln betrachtet wurde, ist da schon weit eher am Platz, wenn auch der Name „Huldigung an Anton von Webern" einigermaßen weit hergeholt erscheint. Jede Art von Musik setzt sich schließlich aus kleinsten Bestandteilen zusammen, nicht nur die des Zwölftöners. Interessant ist, daß die abstrakten Gobelins der unbekannten Herren Fischer und Hoke weit besser gefielen als Kokoschkas schummrig rosafarbiger. Auch die Wandgemälde der Ranglogen-Vorräume – Hutters seltsame Kristallwelt und Plattners streng in geometrische Formen gepreßte Salzburger Schau – kommen bestens zur Wirkung. Beim Betreten des Zuschauerraumes fand man diesen schön, edel, festlich und in harmonischer Farbgebung vor. Die breite Bühnenöffnung zieht sofort den Blick auf sich und die beiden Vorhänge –sowohl der phantastische Eiserne als auch der rot-schwarz-violett gemusterte Schiebevorhang –erwecken Aufmerksamkeit.

Eines ist allerdings wichtig beim Bespielen des neuen Hauses: Die Regisseure und Bühnenbildner müssen schon ungewöhnlich gut sein. Mit einigen Treppen und farblosen Projektionen ist es auf dieser Bühne nicht getan! Jene Regisseure, die ihren persönlichen Stil darin erblicken, das Geschehen einer großen Oper auf 2 1/2 Quadratmetern zusammenzudrängen, haben im neuen Haus nichts verloren.

 

DER ROSENKAVALIER am 26. Juli IM Neuen Festspielhaus

Die Wahl dieser Eröffnungsoper wurde als Gehen auf Nummer sicher gewertet und anerkannt, was aber auch dazu führte, daß man sich eigentlich nichts besonders Neues oder Überraschendes erwartete. Obendrein sind ja die Wiener (nach mannigfachen schlechten Erfahrungen im Ausland) derart auf die alten Roller-Bühnenbilder eingeschworen, daß man glaubt, es könne keine schöneren geben.

Es gibt schönere – Teo 0tto hat sie entworfen. Die bezaubernden Kostüme stammen von Erni Kniepert. Beim Aufgehen des Vorhanges und beim Anblick des weiß-gold-braun-roten, prunk- aber geschmackvollen Schlafzimmers der Marschallin wußten wir erst, wie schäbig die alten Roller-Bilder schon sind. Der zweite Akt zeigte das Palais des Parvenü Faninal mit einem leisen Anhauch des Karikaturistischen, wie es den turbulenten Geschehnissen dieses Aktes auch durchaus entspricht. Und der dritte Akt brachte endlich wirklich ein „gemeines Beisel" auf die Bühne, das man sich in Vororten mit nicht eben gutem Ruf recht gut vorstellen kann. Die meisten Bühnenbilder des dritten Aktes Rosenkavalier wirken doch meist wie ein gutbürgerliches Speiserestaurant, was sie eigentlich gar nicht sollten.

Rudolf Hartmann, der Strausskenner, hat die Aktionen auf der Bühne geschickt gelenkt, entstaubt, entblödelt – was bei Wiener Repertoireopern dieses Genres immer sehr wichtig ist. Wir hatten nicht

erwartet, daß der erste Akt – trotz der vielgelästerten Bühnenbreite – so intim, so kammerspielmäßig wirken werde. Die Überreichung der silbernen Rose hatte festlichen Prunk. Im dritten Akt wich der schreckliche Gielen’sche Masken-Gschnas, der eher nach Kölschem Karneval aussieht, einer vernünftigen, witzigen „Farce".

Offenbar ist jedem der anwesenden Kritiker bei den ersten Klängen des Vorspiels im neuen Haus der Kugelschreiber aus der Hand gefallen, denn solch einhellige Lobeshymnen, wie auf die Akustik des Holzmeister-Baues haben wir schon sehr lange nicht vernommen. Es ist ja wirklich kaum zu glauben, wie plastisch, wie durchsichtig, voll, dabei nie zu laut und – trotz der Größe des Raumes – unwahrscheinlich direkt der Klang einen anspricht. Dabei hört man überall gleich gut, ob man jetzt in der ersten oder in der letzten Reihe sitzt. (Wir haben es ausprobiert.)

Man lauschte also mit offenem Mund den ersten Klängen und erlebte philharmonisches Orchester von sympathischer Nervosität. Die ersten, heiklen Hörnerstellen des rauschenden Auftaktes waren noch

nicht hundertprozentig sicher, aber als dann die schwebenden Violinen und die süßen Holzbläser gegen Ende des Vorspieles an die Macht kamen, hatten sich die Philharmoniker gefangen. Warum sollten sie auch eigentlich nervös sein? Es gibt kein Orchester, das Strauss im allgemeinen und den Rosenkavalier im besonderen so spielt, wie unsere Philharmoniker, wenn sie in Stimmung sind. Und sie waren es!

Sicherlich hat sie Herbert von Karajans erster hiesiger Rosenkavalier zu besonderer Delikatesse, Klangschönheit, Transparenz, Eleganz inspiriert. Karajans Rosenkavalier ähnelt am ehesten dem Kleibers. Wir müssen in unseren Annalen weit zurückgehen, um eine musikalisch ähnlich vollkommene Aufführung zu finden, in der sich die große Linie so überlegen mit subtilster Detailmalerei verbindet, der Charme der Walzerszenen sich so untrennbar mischt mit drastischer Turbulenz, silberner Lyrik und machtvoll gefühlsintensiver Steigerung. (Terzett!). Es ist ein Jammer, daß uns Karajan den Rosenkavalier so lange vorenthalten hat!

Auf der Bühne stand ein Ensemble von höchster Qualität. Es ist kaum vorstellbar, daß eine andere Sängerin je so in die Titelrolle eingedrungen ist, wie Sena Jurinac. Sie ist der junge Herr aus großem Haus mit der überlegenen, eleganten Geste ebenso, wie der schüchtern Verliebte, der überschwengliche Liebhaber, das drollige, aber immer dezente Mariandl. Überdies sang sie über jedes Lob erhaben und schöner denn je.

Lisa Della Casas Marschallin ist eine Gestalt von apartem, persönlichem Reiz. Frau Della Casa, die

die Kunst des Unterspielens für die Opernbühne erst entdeckt und zu höchster Meisterschaft entwickelt hat, formt eine Figur, die absolut dem schlanken Silberklang ihrer Strauss-Stimme entspricht, überlegen und damenhaft, mit einer reizvollen Zärtlichkeit in Stimme und Bewegung (...jedes Ding hat seine Zeit!), tapfer im Verlieren, ergeben im Verzicht. Übrigens schien die ganze Rolle überarbeitet, vertieft, neu durchdacht.

Hilde Güden war als Sophie leider nicht so gut, wie wir es gewohnt sind. So schlimm, wie es nachher der Mundfunk machte, war es allerdings auch wieder nicht. Es handelte sich sage und schreibe um drei etwas steife Töne bei der Rosenüberreichung, die wohl aus der Bestrebung entstanden sind, die Stimme möglichst schlank und instrumental zu machen. Ferner gab es einen abgerissenen Schlußton im Duett des dritten Aktes. Dem gegenüber stand ein sonst wunderschön gesungener zweiter Akt und ein herrliches Terzett. Es mag sein, daß wir die stimmliche Vollkommenheit, die Frau Güden in dieser Partie früher bewies hat, derart gewohnt sind, daß die kleinen Schwächen dieses Abends besonders auffiel.

Die größte Überraschung des Abends war der Ochs von Otto Edelmann, der nicht nur mit voller, profunder Stimme ausgezeichnet sang, sondern auch mit vollsaftigem Humor spielte, überhaupt nicht übertrieb und endlich einmal das Vertrauen rechtfertigte, das so viele große Dirigenten in ihn setzten und noch setzen. Und einmal mehr müssen wir feststellen: Das ist sein Fach, und dabei müßte er bleiben. Und die musikalische Sorgfalt und Einsatzbereitschaft, die er diesmal bewies, müßte er ebenfalls immer mitbringen! Er ist in dieser Form der weitaus beste Vertreter der Partie seit Ludwig Weber – wir sagen absichtlich nicht Richard Mayr, den wir nicht mehr gehört haben.

Erich Kunz war ein guter Faninal. Über die Höhen, die er rein stimmlich ja nicht hat und nicht haben kann, kam er mit Geschick hinweg. Er baute auch die Partie gut auf – vom devoten, unsicheren Emporkömmling ausgehend, mit kräftiger Steigerung zu komischen Wutausbrüchen.

Giuseppe Zampieri war als Sänger bestens bei Stimme, hatte aber einige Male mit der Tonhöhe zu kämpfen. (Die kurze Nachhallzeit des Raumes, die dazu führt, daß den Sängern der Ton direkt vom Mund weggerissen wird, macht offensichtlich Sängern, die erst ein wenig hinaufschieben, statt direkt auf den Ton loszugehen, Schwierigkeiten.)

Ein köstliches Intrigantenpaar waren Hilde Rössel-Majdan (endlich eine Gelegenheit, das Vokabel

„riegelsam" anzubringen!) und der flinke, kleine Renato Ercolani, der nichtsdestoweniger eine für einen Buffo sehr große und gut klingende Stimme hat. Außerdem haben wir die Intriganten noch nie so hübsch angezogen gesehen wie diesmal.

Josef Knapp (Notar) und Alois Pernerstorfer (Polizeikommisar) steuerten ausgezeichnete Typen bei. Judith Hellwig und Fritz Sperlbauer waren wesentlich besser als in Wien und auch die drei adeligen Waisen (unter denen sich Liselotte Maikl befand), die Lakaien und „Maikäfer da" standen auf der Höhe ihrer Aufgaben.

Die Statistenrollen waren durchwegs mit Ballett besetzt, was sich im Hinblick auf Disziplin und Präzision gut bemerkbar machte. Der kleine Mohr tänzelte in zierlichen Trippelschrittchen über die Bühne.

Das elegante Publikum zeigte sich der Aufführung gewachsen und applaudierte länger und herzlicher, als es in Salzburg ansonsten üblich ist. Mit Erstaunen hörte man sogar Bravorufe aus dem Parkett schallen. (Nicht genug, daß die Leute teure Karten kauften, schrien sie auch noch Bravo!) Aber die Aufführung hatte es verdient. Sie war, dem festlichen Anlaß entsprechend, glanzvoll, und die Welt konnte uns darum beneiden.

 

DER ROSENKAVALIER am 6. August im Neuen Festspielhaus

Wenn wir diese Aufführung als noch über der Premiere stehend bezeichnen, dann ist das nur zum Teil darauf, zurückzuführen, daß die Premierennervosität schon überwunden war. Es lag auch nur zum Teil an der Umbesetzung. Es war dies eine Aufführung, wie sie alle zwanzig Jahre einmal in einer Sternstunde zustandekommen kann, ein Abend, an dem alles gut und schön wird, noch schöner als sonst – und keiner weiß, warum und wieso.

Man muß unsere Philharmoniker beobachtet haben, mit welchem Genuß, aber auch mit welcher Aufmerksamkeit und mit stillem, fröhlichem Schmunzeln sie sich die Motive „zupaßten". Von dieser Stimmung wurde auch Herbert von Karajan angesteckt, der wesentlich weniger „arbeitete" als sonst. Es klappte ja ohnedies alles und es lief wie von allein. Diese höchste Form der Dirigier-Kunst ist sonst übrigens nur alten Herren gegeben. Das „Können" ist überwunden, es herrsche die Persönlichkeit.

Elisabeth Schwarzkopf ist über Hofmannsthals Marschallin hinausgewachsen. Die Partie ist weit moderner gestaltet, bis in die feinste Seelenregung nachempfunden und mit einer derartigen Vielfalt von Nuancen gestaltet, daß man aus dem Staunen nicht herauskommt. Dieser Auffassung entspringen auch die manchmal ungewohnt harten und herben Akzente (vor allem im dritten Akt), die so logisch wirken, daß sie einem bereits in jeder anderen Interpretation abgehen. Stimmlich war Frau Schwarzkopf von absoluter Vollkommenheit. Es scheint kaum glaublich, daß eine Steigerung nach ihren Wiener Marschallinnen noch möglich war, aber das Unglaubliche trat wirklich ein.

Anneliese Rothenberger, die ab der zweiten Aufführung als Sophie einsprang, ist mit ihrer impulsiven Gefühlsentfaltung, ihrer Innigkeit, Herzlichkeit und bildhafter Anmut eine Idealverkörperung der Rolle - idealer als sie eigentlich gedacht ist. Ihre Sophie ist keinen Augenblick das unbedeutende kleine Ding, das sie eigentlich, um die Tragödie der alternden Frau zu beleuchten, sein sollte. Aber zu einer starken Persönlichkeit als Marschallin paßt natürlich auch eine Sophie mit Persönlichkeit.

Sena Jurinac dürfte an diesem Abend den Oktavian ihres Lebens gesungen haben, so herrlich war sie.

Otto Edelmann bewährte sich auch wieder bestens.

Alfred Poell, der ausgezeichnet bei Stimme und in fröhlicher Spiellaune war, sang den Faninal.

Der Abend gipfelte in einem Terzett von so unwahrscheinlicher Dramatik und Steigerung, daß es selbst dem versierten Rosenkavalier-Besucher die Kehle zuschnürte und er nur noch fassungslos staunen konnte, und sich freuen, dabei gewesen zu sein.

 

COSÌ FAN TUTTE am 7. August im Landestheater

Eine Neuinszenierung von Così fan tutte! Das wir das überhaupt noch erlebt haben! Unsere alte Così fan tutte von O.F. Schuh war 1943 natürlich eine Sensation. 17 Jahre danach konnte man sie nicht mehr sehen. Schade ist nur, daß die Aufführung kaum nach Wien zu übernehmen ist, weil sie der Bühne des Salzburger Landestheaters angepaßt und darum sehr klein geraten ist. Wenn die Herren Waldemar Kmentt und Hermann Prey – beide von großer Statur – auf der Bühne stehen, hat sonst nicht mehr viel Platz.

Wir müssen wieder einmal – unser Steckenpferd reitend – eine Abhandlung über den Wiener- und damit Salzburger Mozart-Stil halten. Der Dirigent Josef Krips und der Regisseur O. F. Schuh haben nach 1945 die schon während des Krieges im Redoutensaal beginnende Entwicklung zu einem Mozart-Stil des Intimen, Pastellfarbenen, der Durchsichtigkeit und der Pianokultur zweifellos konsequent weitergeführt, die im Jänner 1948 mit einer Zauberflöte (Besetzung Wilma Lipp, Irmgard Seefried, Anton Dermota, Erich Kunz, Ludwig Weber, Paul Schöffler) ihren Kulminationspunkt erreichte. Die Hauptmerkmale auf der Bühne: Pastellfarben!, und die Hauptmerkmale im Orchester: Piano! (Was oftmals bei einzelnen Sängern bis zum Markieren der Ensembles ausartete!), verlangten natürlich kleine Räume. Seither hat sich eine Menge geändert. Günther Rennerst Mozartinszenierungen, die der Bühne wieder Farbe und Bewegung gaben, und eine neue Sängergeneration auf der Bühne, die wieder herzhaft und manchmal auch seelenruhig forte singt, was ja auch kein Malheur ist, hat eine Wiederbelebung der erstarrten Tradition herbeigeführt.

Interessant ist, daß Karl Böhm animiertes, herzhaftes Musizieren, das sich auch bei dieser neueinstudierten Così fan tutte wieder bestens bewährte, von Haus aus besser zu Rennert als zu Schuh paßte. Und mit einem Mozart, der nicht angedeutet, sondern gesungen wird, kann man ruhig in größere Häuser gehen. Im Falle Così fan tutte also ruhig in das alte Festspielhaus – damit alles schön im Festspielbezirk beieinander bleibt. Das Landestheater ist schließlich ein Allerwelts-Gips-Theaterchen mit schlechter Luft, engen Sitzreihen und stumpfer und keineswegs einwandfreier Akustik – da ist das alte Festspielhaus

ruhig als ebenso geeignet zu bezeichnen. (Ganz abgesehen vom größeren Fassungsraum!) Die Devise für das nächste Jahre laute also: Don Giovanni ins neue, Così fan tutte ins alte Haus.

Günther Rennerts neue Così fan tutte unterscheidet sich grundlegend von der alten durch die totale Aufgabe des Prinzips der absoluten Symmetrie, die den Aktionen etwas Starres, Marionettenhaftes verlieh. Auf einmal ist die Bühne mit sechs Menschen, bevölkert, die völlig menschlich, natürlich empfinden, handeln und sich bewegen. Die Intrige Don Alfonsos wird wirklich zu einer solchen statt zu einem Puppen-Mummenschanz. Und die verschiedenen Reaktionen der Damen und Herren schaffen Platz für eine unwahrscheinliche Fülle bester Gags und Einfälle, die den Zuhörer und -schauer mit größter Heiterkeit erfüllt. Die Damen Elisabeth Schwarzkopf, Christa Ludwig und Graziella Sciutti sind ein unüberbietbares Galaensemble:

Elisabeth Schwarzkopf, in der Auffassung eher ernst, standhaft, ist doch von subtilem Humor erfüllt, beispielsweise, wenn sie nach der Abreise des Verlobten körperlich zu leiden beginnt und mit Riechfläschchen und Kompresse „krank" spielt oder als verschleierte, trauernde Witwe in der Schaukel sitzt. Ihre Kapitulation geht nicht ohne große innere Kämpfe vor sich.

Christa Ludwig, die leichtfertigere Schwester, ist da ganz anders. Der Schmerz über die Abreise

ist graziös-theatralisch – und schon beim ersten Eintreten der neuen Freier rollen ihre lustigen, runden, schwarzen Augen schelmisch beiseite, nach jenem blonden Herrn Zara, den sie sich sofort ausgesucht hat. Ihre Witwengewandung ist lang nicht so konsequent wie die der treuen Schwester, sie läßt sich nicht lange belagern, sondern gleich erstürmen, dafür bittet sie viel ungenierter und mit einer bezaubernd Weibchenhaftigkeit um Verzeihung. So kontrastreich das Zusammenspiel der beiden Schwestern war, so einmalig konform gingen sie im Zusammensingen. Man hat so etwas vollendetes wie die Duette Schwarzkopf-Ludwig noch nicht gehört. Man hätte glauben können, die beiden Damen sängen mit einer Lunge, einem Herzen und einem Gehirn. Das ist Ensemblegeist!

Graziella Sciutti singt die Despina ohne die Manieriertheit einer Soubrette mit klarer Silberglöckchenstimme, Charme und einem handfesten Humor. Überdies sieht sie aus wie ein Filmstar, hat aber dabei das beredte Mienenspiel einer komischen Alten. (Pardon!) Es bleibt also kein, aber auch kein einziger Wunsch offen!

Bei den Herren war es nicht ganz so. Zweifellos stach der Guglielmo Hermann Prey seine Partner aus, spielte behende, elegant und witzig, hat eine unbeschreiblich komische Mimik - aber das hatten die beiden anderen Herren zum Teil auch. Musikalisch war er jedoch mit Abstand der beste Mann auf dem Felde. Seinem schönen, weichen, lyrischen Bariton, der überlegen geführt wird und sich durch ein prachtvolles, helles Timbre auszeichnet, paßt Mozart wie angegossen. Überdies sang er auch gut italienisch, mit einem natürlichen Gefühl für die italienische Sprachmelodie.

Waldemar Kmentt, dem es zufiel, neben dem heiteren Guglielmo den dramatischeren Liebhaber Ferrando zu spielen, löste seine Aufgabe ausgezeichnet und mit viel Beweglichkeit und Animo. Mozartsänger ist er allerdings keiner. In der Aufführung, die wir besuchten, hatte er ungeheure Schwierigkeiten mit der Arie, die er mit knapper Not durchstand – man kann froh sein, daß seine Technik so solide ist. Aber beim Material beginnen die Schwierigkeiten. Die Stimme ist viel zu wenig weich und schmiegsam für die ganz lyrischen Rollen. Mit rotem Kopf, unglücklichem Ausdruck, schweißüberströmtem Gesicht und rutschendem Schnurrbart konnte er einem direkt leid tun. Schließlich ist er ein intelligenter, geschmackvoller und kultivierter Sänger, was er in den Ensemble-Szenen mit Nachdruck bewies. Aber er müßte ein anderes Fach wählen.

Karl Dönch als Don Alfonso war eigentlich eine Überraschung, weil er den Philosophen sehr dezent und sorgfältig sang und spielte und sich nicht zu seinen obligaten entzogen verleiten ließ. Aber für Don Alfonso ist das zu wenig! Es fehlte dieser Aufführung die große Persönlichkeit im Hintergrund, die erst die Verwechslungskomödie ins Allgemeingültige zu erhöhen imstande ist, es stand kein Herr von Welt mit dem ganzen kalten Zynismus des Erfahrenen auf der Bühne, sondern ein freundlicher kleiner Mann aus der besseren Gesellschaft einer Provinzstadt. Wo ist ein neuer Alfonso, der den großen Paul Schöffler ersetzen kann? Hotter! Siepi! Vielleicht auch Wächter oder Fischer-Dieskau? Jedenfalls nicht Carl Dönch. Die Aufführung war aber natürlich geschlossen genug, um diese erwähnten Mängel nur für ganz aufmerksame Beobachter bemerkbar zu machen. Die Aufführung spielte sich in bezaubernd-hingehauchten Bühnenbildern von Leni Bauer-Escys ab, die sich mit angedeuteten Versatzstücken in einem hellblauen Rundhorizont begnügte, durch den einfach ausgefranste Schlitze zum Auftreten geschnitten waren. Ebenso charmant, witzig und dabei kleidsam waren die Kostüme.

Und plötzlich fanden alle diejenigen, die noch vor kürzerer Zeit die Zerschlagung des Ensembles der Così fan tutte sehr betrauert hatten, dies sei die beste Aufführung der Festspiele gewesen! Natürlich war sie prächtig, aber daß man seine Meinung so plötzlich ändern kann ...

 

DIE HOCHZEIT DES FIGARO am 8. August im Alten Festspielhaus

Also Aufführungen von dieser Qualität hatten wir in der vergangenen Saison in Wien mehrere, da hätte man nicht eigens nach Salzburg fahren müssen. Trotz der regielichen Überholung durch Günther Rennert und der musikalischen von Karl Böhm hatte der Abend etwas von einer Repertoirevorstellung an sich, wenn auch einer sehr guten. Es werden sie auch sicher alle Festspielbesucher ausgezeichnet gefunden haben, außer den Wienern, die gute Figaros gewöhnt sind.

Wahrscheinlich liegt es daran, daß man Besetzungen, die man fünfzig mal gehört hat, nicht als festlich genug empfindet. Und gerade der Figaro ließe sich von der Besetzung her auf ungewöhnliche Weise variieren. Aber nein, man blieb bei Kunz und Seefried.

Dabei ist gerade die Leistung von Erich Kunz in der Titelrolle aller Ehren wert: Er ist gebändigter, ruhiger, mit den nötigen ernsten Akzenten und stimmlich besser, kräftiger und wohllautender, als er je gewesen ist. Außerdem ist das sein Fach, und er kann kaum viele andere Rollen singen als seine jetzigen Standardpartien.

Im Falle seiner Susanna ist das anders. Irmgard Seefried, eine stilvolle, kluge absolut bühnensichere Mozartsängerin, könnte längst – und vor allem bei Mozart – Partien finden, die ihrem geänderten

Stimmcharakter mehr entgegenkommen. Man erweist ihr keinen Dienst, wenn man sie immer wieder Susanna oder Zerlina singen läßt. Sie ist in dieser Partie längst keine Sensation mehr wie anno 1944. Drei mindestens ebenso gute Sängerinnen der Partie (Wilma Lipp, Anneliese Rothenberger oder Graziella Sciutti) finden in Salzburg alle Chancen versperrt, diese Partie zu bekommen. Ist das nötig? Es ist noch hinzuzufügen, daß auch Frau Seefried ihre Auffassung geändert hat, sowohl im Musikalischen, als auch auf der Bühne, wo sie auch ihrem Temperament die Zügel anlegte. Trotzdem hatte sie in den höheren Lagen stimmliche Schwierigkeiten.

Das an sich ausgezeichnet besetzte Grafenpaar befand sich offenbar am Premierenabend nicht in der besten Form. Lisa Della Casas Stimme klang am Anfang verschleiert – mit „Porgi amor" waren wir nicht ganz glücklich – sang aber dann ein ausgezeichnetes „Dove sono". Bei ihrem ansonsten zurückhaltenden und dezenten Spiel fällt die schreckliche Flirt-Szene mit dem verkleideten Cherubino im zweiten Akt

besonders unangenehm auf. Daß hier Günther Rennert nicht eingegriffen hat, ist uns unverständlich. Außerdem dürfte die Gräfin, auch wenn man sich erinnert, daß sie einmal Rosina gewesen ist, dem Pagen nicht in die Kleider helfen. Die Contessa ist trotz ihres gesellschaftlichen Avancements eine Dame von untadeliger Haltung. Sie hat aber vielleicht die damenhafte Note durch die Haltung ihres Gemahls eingebüßt, denn Dietrich Fischer-Dieskaus persönlichkeitsstarker Graf, der vor drei Jahren so prachtvoll war, hat sich mittlerweile zu einem Haustyrann ausgewachsen. Es ist ganz klar, daß ein Künstler vom Format Fischer-Dieskaus, mit einer Rolle, wenn er sie einmal ganz intus hat, zu experimentieren anfängt. Im Falle des Grafen ist er aber diesmal entschieden zu weit gegangen, nicht nur auf der Bühne, sondern auch musikalisch. Die Rezitative schwankten zwischen den Extremen des Flüsterns und des Donnerns und hatten somit jegliche Linie verloren. Man kam erst in der souverän aufgebauten und gestalteten Arie gesanglich auf seine Rechnung.

Die einwandfrei beste Leistung des Abends bot Christa Ludwig mit einem herrliche gesungenen Cherubino, der auch (bis auf die erwähnte Flirtszene) ausgezeichnet gespielt und mit Ausdruck gestaltet war. Die Träger der kleinen Rollen (Hilde Rössel-Majdan, Liselotte Maikl, Alois Pernerstorfer, Murray Dickie, Ljubomir Pantscheff und Erich Majkut) sind ja in ihren Rollen bekannt und boten ihre gewohnt guten Leistungen. Die Wiener Philharmoniker unter der Stabführung von Karl Böhm gehörten freilich zu den Positive des Abends.

 

DON CARLOS am 9. August in der Felsenreitschule

Natürlich konnte Karajan in diesem Sommer nicht alles selber machen, aber beim Carlos fehlte er uns doch sehr. Nello Santi dirigierte zwar sicher, gekonnt und musikalisch, doch die Oper hat das aufwühlend Dramatische, ungewöhnlich Fesselnde und damit trotz fast gleich gebliebener Besetzung das Sensationelle verloren.

In der groß angelegte Inszenierung von Gustaf Gründgens, in der Peter Gorski eine nicht weiter bemerkbare Regie führte, und in den wirkungsvollen Bildern und prunkvollen Kostümen Caspar Nehers, die bis auf die auch hier vorkommenden unvermeidlichen „schiachen Perchten" (Salzburger „Genius loci"?), die Soldaten der Inquisition, und dem unmöglichen Quetzalcoatl-Kostüm des königlichen Herolds zu seinen besten Arbeiten gehören, interessierte vor allem der neue Philipp II. von Boris Christoff. Nun, er ist ein Charakterdarsteller von Format, der den düsteren König von Spanien zu erfassen und zu gestalten wußte. Er ist ein ausgezeichneter ausdrucksvoller Sänger dazu, mit einem etwas unruhigen typischen Charakterbaß. Es wäre zweifellos interessant, diesem Künstler noch in weiteren Rollen zu begegnen. Wir haben es aber offenbar so dick mit Bässen in Wien, daß dafür nicht Sorge getragen wird. Auch Cesare Siepi steht noch aus!

Sena Jurinac hatte einen guten Abend und sang ihre seelenvolle Elisabeth von Valois ausgezeichnet.

Regina Resniks starke Persönlichkeit kam in der Rolle der Eboli zu starker Wirkung. Sie brauchte nur einige Zeit zum Einsingen. Das maurische Liedchen machte ihr Schwierigkeiten. Dafür war die große Arie sehr wirkungsvoll aufgebaut und schön gesungen.

Ettore Bastianini, daß Stimmphänomen, sang wieder den Posa. Er stellt sich dekorativ auf die Bühne, läßt seine herrliche Stimme strömen, man schließt die Augen, um ihr zu lauschen, und wenn man sie nach zehn Minuten öffnet, steht er immer noch genauso da. Aber das macht nichts. Wenn man eine solche Stimme hat wie Bastianini kann man sich das leisten. Überdies ist sein Stehen ja auch nur gerade beim Posa so eklatant. Es stört übrigens auch gar nicht.

Eugenio Fernandi ist nun kein Anfänger mehr, und man kann über seine Ungeschicklichkeit auf der Bühne und seine Tendenz zum Brüllen nur wegen einiger Prachttöne nicht mehr hinweggehen. Er wirkte den Großteil des Abends in der anspruchsvollen Titelrolle sehr unglücklich.

Raphael Arié war ein Großinquisitor mit Stentorstimme, die in der Höhe etwas unausgeglichen wirkte. Sein „ombra di Samuel" verläßt sich mehr auf musikalische als auf schauspielerische Wirkung.

Nicola Zaccaria konnte sich als Mönch nicht mit Ruhm bedecken.

 

DON GIOVANNI am 10. August im Alten Festspielhaus

Mit raschem Entschluß hat Herbert von Karajan diese Aufführung gerettet, indem er den vorgesehenen Bühnenbildner Caspar Neher durch Teo 0tto (Dekorationen) und Georges Wakhevitch (Kostüme) ersetzte. Und nun, im neuen Rahmen, erwies sich der Regisseur Oskar Fritz Schuh als vorzüglich in der Personenführung, als sehr sicher in der Gruppierung und in der psychologischen Durcharbeitung der Rollen. Auf der Bühne war es meistens dunkel, das machte aber in diesem Falle nichts aus, denn es war ein - man könnte fast sagen - Rembrandtsches Dunkel mit Beimischungen von Rot, Ocker, Grau und Braun und die Hintergrundprojektionen wirkten herrlich plastisch und stimmungsvoll. Sie waren auch hervorragend ausgeleuchtet. Die gleichen Farbtöne fanden sich in den prunkvollen, schönen Kostümen, die die Sängerinnen hoheitsvoll und die Sänger elegant machten. Durch einige wenige Versatzstücke waren auch die kurzen Umbaupausen gewährleistet, die man eines abwechslungsreicheren Bühnenbildes wegen gerne in Kauf nahm und die meistens ohnehin durch Applaus überbrückt wurden Der goldene Ballsaal mit der Spiegeldecke war eine wahre Augenweide.

Herbert von Karajan dirigierte endlich auch bei uns Don Giovanni. Es liegt uns fern, ihm seiner Werkwahl wegen Vorschriften machen zu wollen, aber mit Mozart und Strauss müßte er sich auch in Wien mehr befassen. Sein „Dissoluto punito" hatte klassisches Ebenmaß und aufwühlende Dramatik, die ehernen Klänge des Komturs drohten, und die fröhlichen Bauerntänze gaben zu dem düsteren Geschehen den nötigen Kontrast. Ideal den Sängern angepaßt ist die Begleitung der Arien, bei denen er sich offenbar ganz nach den Sängern richtet. Was ganz besonders auffällt, wenn man ein Werk zum ersten Mal von Karajan hört, ist die ganz moderne, psychologische Durchdringung der Musik. Man höre nur bei „Là ci darem la mano" einmal ganz genau zu! Der Beginn ist leise, zärtlich, verführerisch. Beim Einsetzen der Zerlina folgt eine kleine Tempozurücknahme, Giovanni drängt und fleht und das alles kann man schon aus der Musik und nicht aus dem Text entnehmen.

Grandios waren wieder die drei Damen:

Leontine Price war die königlich-hoheitsvolle Donna Anna mit unwahrscheinlich wilder und doch gebändigter Dramatik in Stimme und Ausdruck, technisch perfekt und von in dieser Rolle unüberbietbaren Klangschönheit.

Wenn eine Leistung noch ein wenig höher zu stellen ist, dann ist es die von Elisabeth Schwarzkopf, die es fertig bringt, seitdem sie 1946 die Rolle übernommen hat, als Elvira immer wieder aufs neue zu faszinieren. Als Gegengewicht zur dramatischen Donna Anna lag diesmal das Hauptgewicht ihrer Charakterisierung auf den leidenden und duldenden Zügen der Partie und alles Gesangliche, besonders natürlich die prachtvoll gesungene Arie, war von höchster Vollkommenheit.

Graziella Sciutti war als Zerlina von einer rührenden Schlichtheit, Innigkeit und Einfachheit, sehr glücklich gemischt mit Neugier, Angst und Zorn. Es ist direkt eine Wohltat, mit Frau Sciutti und Frau Rothenberger den idealen, nämlich gänzlich unsoubrettenhaften Vertreterinnen des oftmals so mißhandelten Soubrettenfaches zu begegnen. So etwas hat es früher auch nicht gegeben, daß die hohen Sopran Persönlichkeiten von Format waren.

Die Titelrolle sang Eberhard Wächter, ernster, dramatischer, zynischer, man kann sagen: dämonischer und härter als bisher, stimmlich sehr ausgeglichen, mit dem edlen Schmelz seiner Prachtstimme. Der Vollständigkeit halber sei noch hinzugefügt, daß er gerade in der Vorstellung, die wir besuchten, offenbar nicht in bester Verfassung zu sein schien, was man aber – wie immer bei diesem ungemein verläßlichen Künstler – nur daran merkte, daß er das eingelegte A in der Höllenfahrt ausließ.

Auch Walter Berry hat seine Leporello-Auffassung einer Revision unterzogen, im Hinblick auf die Wandlung vom komischen zum Charakterfach. Sein Leporello unterscheidet sich nunmehr gewaltig von dem naiven Charme Papagenos. Er ist eine richtige Dienerseele geworden, mit der typischen Schäbigkeit und Niedrigkeit, mit Bosheit und Zynismus. Und bei alledem ist er doch noch liebenswürdig-verbindlich. Auch stimmlich ließ er keinen Wunsch offen – er sang mit einem hohen Maß an Ausdruck und dem vollen und beherrschten Einsatz seiner profunden jungen Prachtstimme.

Ihm ebenbürtig war Rolando Panerai, mit dem ein idealer Masetto auf der Bühne stand, der die Rolle aus dem Chargen-Schema löste und einen wirklichen Menschen auf die Bühne stellte, einen bauernschlauen, demütig-wütenden und dabei tolpatschig-netten Charakter zu formen verstand. Die Ausdrucksmöglichkeiten seiner vollen, sonoren Stimme sind einfach unbegrenzt.

Von den beiden weiteren Herren ist nicht so Gutes zu berichten.

Nicole Zaccaria war als Komtur nicht mehr als passabel. Die Todes- und Kirchhofszene sang er zwar gut und mit eindrucksvoll düster-fahlem Timbre. Für die Höllenfahrt fehlte ihm die Durchschlagskraft, speziell in der Höhe.

Cesare Valletti besitzt eine typische „voce bianca", mit geläufiger Gurgel und ganz ausgezeichneter Atemtechnik, wie man an der zweiten Arie bemerken konnte, er kann auch Stilgefühl und Musikalität ins Treffen führen. Damit sind seine Vorzüge aber auch erschöpft. Sein Material ist dünn und schlank, Timbre ist nicht vorhanden. Überdies hat er noch zwei Sprachfehler aufzuweisen: Einen „S"-Fehler und ein gegurgeltes Zäpfchen-"R". Es ist kein Wunder, daß ihm manchmal dabei die Stimme mit in den Hals rutscht. Wir stellen uns Mozartgesang jedenfalls anders vor. Auch Mozart kann man ohne weiteres mit einer schönen großen Stimme singen, wenn man sie beherrscht.

Dieser Schönheitsfehler in einer sonst vollendeten Aufführung brachte einen zum Nachdenken, wieso der Künstler eigentlich engagiert wurde. Er kann doch niemandem gefallen haben? Als Ottavio sind jedenfalls alle anderen, die wir kennen, besser, inklusive Schock und Dermota, ganz zu schweigen von Gedda, Alva oder gar Wunderlich.

Immerhin bot der Don Giovanni aber soviel Schönes, daß man auf Cesare Valletti, außer bei den Arien, wo das nicht gut möglich ist, vergaß.

 

DIE ZAUBERFLÖTE am 19. August im Alten Festspielhaus

In der reizvollen, zarten, auf der Verwendung von in kühlen Farben bemalten Schleiervorhängen aufgebauten und klug den nicht sehr großen szenischen Möglichkeiten der Bühne angepaßten Inszenierung von Günther Rennert – Ita Maximowna ging die Zauberflöte heuer wieder über die Bretter und ließ szenisch, wie voriges Jahr, nur einen Wunsch offen, nämlich den nach Wakhevitch entzückenden Zaubertierchen. Aber die Teppich-Tiere und die übrigens sehr netten Sarastro-Löwen sind uns noch immer lieber als etwa die lemurenhafte Affenherde in der Münchener Inszenierung von Hartmann-Preetorius!

Die Zauberflöte unterschied sich insofern grundlegend von allen anderen Aufführungen dieses Sommers, als sie leider keine gute musikalische Leitung hatte und daß zweitens die Herren weit besser sangen als die Damen.

Joseph Keilbert hat keinen guten Sommer. Er ist zweifellos überarbeitet, er macht zuviel und kommt dann bei den Aufführungen ins Schlummern, weil er, zwischen München und Salzburg pendelnd, wahrscheinlich zum Schlafen zu wenig Zeit hat. Es war nämlich nicht nur die Zauberflöte schwach! Er treibt Raubbau mit seinen Kräften. Die Wiener Philharmoniker vermißten sofort die Ausstrahlung vom Pult her und reagierten mit Routinespiel.

Walter Berry, der Naturbursche unter den Papagenos, war wieder prachtvoll bei Stimme und in bester Spiellaune - er kann unbeschreiblich nett-naiv in dieser Partie sein.

Fritz Wunderlich, der den Tamino sang, hat wohl die schönste lyrischen Tenorstimme, die es jetzt im deutschsprachigen Raum überhaupt gibt, verfügt dazu über eine ausgezeichnete Bühnenerscheinung, Intelligenz, Stilgefühl und eine solide Technik. Auch schauspielerisch – und bei der Zauberflöte sehr wichtig – als Sprecher stellte er seinen Mann. Der große Erfolg konnte gar nicht ausbleiben.

Jetzt wäre nur zu hoffen, daß Fritz Wunderlich bald in Wien landen möge. Weiters wäre zu hoffen, daß er bis dahin nicht so viel und in so vielen Bühnen singt, daß die kostbare Stimme darunter leidet.

Eberhard Wächter sang den Sprecher mit Autorität, Persönlichkeit und kraftvoller Stimme.

Gottlob Frick bewies wieder, daß er derzeit als Sarastro auf einsamer Höhe steht. Auffallend war die Verbesserung, seiner Prosa.

Kurt Marschner gab einen wohltuend farblosen Monostatos, wohltuend im Rückblick auf Karl Dönch

im Vorjahr.

Die Geharnischten Robert L. Charlebois und Alois Pernerstorfer waren stimmstark und gut.

Anders die Damen. Obwohl doch wirklich genug gute Paminen (Leontine Price oder Irmgard Seefried in Salzburg anwesend waren, holte man sich die farblose, provinziell wirkende mit einer für Mozart viel zu harten und zu wenig modulationsfähigen Stimme versehene Lieselotte Fölser (für die erkrankte Hilde Güden), nur weil sie am Mozarteum studiert hat, und brachte die Aufführung dadurch um den Gutteil ihrer Wirkung.

Erika Köths Vielsingen beginnt sich zu rächen. Sie kam zwar über die Distanz, sang aber glanzlos, unkorrekt und mit merkwürdig kleiner Stimme.

Graziella Sciutti fiel es als Papagena zu, die Ehre der Damen an diesem Abend zu retten, was sie

auch prompt tat.

Sie wurde dabei von der eingesprungenen ersten Dame Lisa 0tto unterstützt, während sich deren Mezzokolleginnen Hetty Plümacher und Sieglinde Wagner auch nicht auszeichneten.

 

LE MYSTERE DE LA NATIVITE am 15. August im Neuen Festspielhaus

Es ist eine schwierige Sache mit den modernen – oder besser gesagt: zeitgenössischen Stücken in Salzburg. Der Wille, sie aufzuführen, ist vorhanden, weniger die Stücke selbst – wie man in den vergangenen Jahren des öfteren mit Kopfschütteln feststellen mußte. Frank Martins Mysterium war schon aus dem Grunde begrüßenswert, weil es endlich einmal wieder ein würdiges Stück war. Martins Können und gereifte Meisterschaft garantierte auch für das Musikalische, und so konnte man es riskieren, eine so prunkvolle und erstklassige, ja luxuriöse, szenische Uraufführung vorzubereiten, wie sie wohl kaum noch einem zeitgenössischen Stück zuteil wurde. Aus dem Riesenwerk Mystere de la Passion" des – in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts lebenden Kanonikus von Le Mans, Arnoul greban, das mehr als 34.000 Verse umfaßt, wählte der Komponist eine Auslese des ersten Spieltages und bringt die Verkündigung, die Geburt, die Hirtenszene, die Anbetung der Könige und die Darstellung im Tempel. Martin selbst verlangt für die szenische Aufführung eine Dreiteilung der Bühne in Himmel, Erde und Hölle, wobei die Erde vier Simultanschauplätze, den Tempels, Josephs Haus, den Stall von Bethlehem und das Haus Elisabeths einschließt.

Die klare, schlichte und stark vereinfachte Tonsprache Martins in den Marienszenen kontrastiert aufs Beste mit den exotischen Klangfarben der heiligen drei Könige, der volkstümlich-kräftigen Hirtenmusik, den hymnischen Engelschören und der turbulenten Höllenmusik, die keine Gesangsnoten vorschreibt, sondern nur die annähernd zu sprechende und zu schreiende Tonhöhe.

Diese Vielfalt musikalischer Formen hat Margarethe Wallmann in wunderschönen, naiven, den Stilkreis der italienischen Frührenaissance und der mitteleuropäischen Gotik entstammenden Bildern auf der Bühne gebracht, wobei ihr die Bühnenbilder Helmut Jürgens (besonders eindrucksvoll die goldenen Spitzbogen des Himmels auf dunkelblauem Grund) und die farblich sehr vornehmen Kostüme von Anni Keim-Strauss beste Hilfe leisteten. Es wäre Frau Wallmann allerdings etwas mehr Abwechslung in ihrem Repertoire zu wünschen, denn wenn sie immer nur solche religiösen Themen sucht, werden manche gehässigen Leute behaupten, sie könne nichts anderes.

Der wohlgelungenen szenischen Ausdeutung war die musikalische absolut adäquat. Heinz Wallberg beherrschte den Riesenapparat mit dem kompletten Staatsopernchor, einem Salzburger Zusatzchor und den Berliner Philharmonikern souverän und verlieh den vielfältigen Formen der Musik Farbe, Ausdruck und Steigerung.

Von der Besetzung ist wohl an der ersten Stelle die Hölle mit dem faszinierenden Gerhard Stolze als Satan zu nennen, aber auch Ludwig Welter (Luzifer in einer interessanten Maske als gefallener Engel) und Murray Dickie (Beelzebub ) fielen durch beste Charakterisierung auf.

Auf der Erde war die diesmal ganz ausgezeichnete Teresa Stich-Randall als Maria zu hören. Ihre instrumentale Stimme klingt sehr schön, wenn sie fast nur Piano singt, so wie hier. Ferner beeindruckten Otto Wiener (Josef), Regina Resnik (Anna und Elisabeth), Frederick Guthrie und die bis jetzt hierorts unbekannten holländischen Sänger Caspar Bröcheler und Guus Hoekman, die über kräftige und robuste Stimmen verfügen. Waldemar Kmentt fiel die Rolle des Erzengels Gabriel zu.

Da auch die Chöre und das Orchester konzentrierte und vorzügliche Leistungen boten, konnte man diesmal mit dem Salzburger modernen Werk mehr als zufrieden sein, zumal es wieder alle technischen und akustischen Vorzüge des neuen Hauses bestens zur Geltung brachte, was ja wohl auch zum Teil beabsichtigt war.

 

LA FINTA SEMPLICE

wurde in diesem Jahr als eine Art Studio-Aufführung in der Bearbeitung des Präsidenten Bernhard Paumgartner geboten. Wir finden solche Vorstellungen bei Festspielen einfach sinnlos und unnötig. Ein Festspielensemble findet man auf diese Art auch nicht schneller. Das soll die Leistungen der jungen Sänger, vor allem der Damen Ingeborg Hallstein und Edith Mathis nicht schmälern.

 

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