DIE PRINZESSIN AUF DER BOMBE

 

 

»solange wir noch sterben,

brauchen wir den tod.«

 

(Konrad Bayer:»der sechste sinn«)

 

    

Die Prinzessin auf der Bombe sah fern, aber das genügte ihr nicht. Ihr Kammerdiener machte Männchen, Schrödinger, ihr Schoßhund, sprang nach gebratenen Brieftauben, und über die Haussprechanlage des königlichen Schlosses berichtete RADIO REALITÄT vom Ritterturnier auf Camelot. Was sich dort tat, ist von wenig Belang. Es mag genügen zu sagen, daß sich die Prinzessin langweilte.

     Arme Prinzessin! Das war ihr betrübliches Los. Sich zu langweilen nämlich. Obwohl im Gewühl ihrer Kissen eine Bombe tickte – und obwohl sie das wußte.

     »Bomben«, sagte die Prinzessin und schaltete auf einen anderen Kanal, »Flugzeugabstürze, verlorene Atomsprengköpfe, Hurrikans, Flutkatastrophen, brennende Ölfelder, ausgelaufene Dioxintanks. Es ist zum Verrücktwerden langweilig!«

     »Eine wichtige Durchsage an alle Zeitreisenden«, meldete RADIO REALITÄT. »In Ihrem Bezugssystem kommt Ihnen ein Geistervektor entgegen. Bitte bleiben Sie in Ihrem Orbital, und springen Sie nicht.«

     »Langweilig«, sagte die Prinzessin. »Ich hasse die Quantentheorie.«

     Auf Camelot hatte Sir Lancelot, ihr heimlicher Liebhaber, sämtlichen Streitern Eires die Köpfe abgeschlagen, die Brustkörbe zerschmettert, die Bäuche aufgeschlitzt, aber die Prinzessin konnte sich nicht freuen. »Der Sieger siegt«, sagte die Prinzessin. »Wie langweilig. Wie einfallslos. Wie überaus gewöhnlich.«

     Sie feilte ihre Fingernägel, zupfte an ihren Augenbrauen, trug Lidschatten aus Blattgold auf und war wie erleichtert von der plötzlichen Schwere ihrer Augen, die es ihr unmöglich machte, ihr Schlafgemach durch mehr als eine Art silbrigen Schleier zu sehen, einen ovalen Fokus, den gewaltige, schwarze Schwäne durchschwammen.

     »Keine Empfänge heute«, sagte die Prinzessin zur schemenhaften Gestalt ihres Kammerdieners, während Schrödinger, ihr Schoßhund, mit einem fraktalen Kalbsknochen experimentierte, der sich in einem gekrümmten Unwahrscheinlichkeitsfeld in sich selbst auflöste.

 

     Derweilen tickte die Bombe. Sie tickte und tickte. Nur, um der Wahrheit die Ehre zu geben: Tatsächlich tat sie nichts dergleichen. Die Bombe war modern. Sie ging mit der Zeit. Sie tickte digital, also gar nicht, und ihre Masse, in Sonderheit, war so gering, daß sie recht eigentlich nicht mehr als massiv bezeichnet werden konnte – zumindest nicht im Vergleich zum Polster- und Deckengebirge des imperialen Himmelbetts.

     »Weg von den Fenstern!« rief die Prinzessin, als ihr Kammerdiener Anstalten machte, einen der Vorhänge zur Seite zu ziehen. »Die Sonne kleidet mich nicht.« Was folgte, war die übliche Sühne für solcherlei Eigenmächtigkeiten, die sie in ihren berührendsten Dessous entgegennahm.

 

     Darüber kam der Mittag.

 

     RADIO REALITÄT verbreitete die wenig glaubwürdige Meldung von Aufständen in einer entlegenen, südlichen Provinz des Reiches, hervorgerufen, wie es schien, durch einen Kometen, eine Hungersnot und eine Staffel königlicher Tarnkappenbomber, der Geruch der gebratenen Brieftauben wurde von dem nach Wildbret, Preiselbeersauce und flambierten Pfirsichen überlagert, in den Gängen kicherten Edeldamen, schlurften Ratsherren, bellten Schoßhunde, und die Prinzessin gestattete sich einige Oliven und einen mürben Brocken schottischen Schafkäse.

 

     Es war in der zweiten Stunde eines schweren, doch wolkenlosen Nachmittags, als die Bombe endlich explodierte. Ihre Druckwelle schleuderte die Prinzessin quer durch das Schlafgemach, verbrannte ihre Kopfhaut und zerschmetterte ihre Wirbelsäule.

     »Langweilig«, sagte die Prinzessin und weigerte sich zu sterben. RADIO REALITÄT kündigte dem Herrscherhaus mit sofortiger Wirkung die Gefolgschaft auf und stellte sämtliche Sendungen ein. Die Prinzessin rief nach ihrem Kammerdiener, der unverantwortlicherweise das Theorem verlassen hatte.

     Kein Verlaß auf niemand.

 

     Es war zum In-die-Luft-Gehen.

 

 

 

 

 


 

Copyright © Andreas Findig
Erstmals erschienen in »Gagarins Galaxis«, Resistenz Verlag 1997