Pool und Loft. Die Orte der "Leisure class"

1929, im annus mirabilis des Funktionalismus, publizierte Sigfried Giedion, frischgebackener Generalsekretär der CIAM (Congrés Internationaux d’Architecture Moderne), einen Bildband mit dem programmatischen Titel „Befreites Wohnen“. Als Cover diente der Blick vom Inneren einer im Bauhaus-Design gestalteten Wohnung durch eine breite Glasfront ins Freie. Auf der Terrasse sonnt sich die Dame des Hauses im Liegestuhl, während der Herr, seiner Gattin und den BetrachterInnen den Rücken zugewandt, am Geländer steht und auf die Straßen der Stadt hinab blickt. Über und auf die Verandatüren hatte Giedion mehrmals die Wörter „Licht“, „Luft“ und „Öffnung“ montiert. Das Versprechen der modernen Architektur, die Menschen aus den Kerkermauern dunkler und stickiger Gründerzeitwohnungen hinaus ins Licht der neuen Glas- und Stahlarchitektur zu führen, korrespondiert mit der Kurzschließung von Befreiung und Freizeit sowie einer extrovertierten Form des Wohnens, in der das Paar Sonne, Luft und Aussicht genießt. Unübersehbar ist jedoch die fehlende Kommunikation der beiden. Teilnahmslos und voneinander räumlich wie gefühlsmäßig isoliert, versinkt jeder in seiner eigenen Muße. Es ist, als ob das unterkühlte Industriedesign des Hauses auf das Verhalten seiner Bewohner abgefärbt hätte. Wie so oft imaginiert die Architektur der Moderne den Menschen als eine in ihrer Autonomie erstarrte Skulptur.
Solch „befreites Wohnen“ war in der Zwischenkriegszeit meist noch alleiniges Privileg eines gehobenen Bürgertums, das sich gerne an jener Gesellschaftsschicht orientierte, die aufgrund ihres Reichtums gar nicht mehr zu arbeiten brauchte und ihr ganzes Leben mit einem Gut ausfüllen konnten, das die anderen bis dahin kaum kannten: Freizeit. Im Englischen gibt es dafür eine treffende Bezeichnung: „Leisure class“, wörtlich „Freizeitklasse“, was die Klasse der Begüterten beschreibt, die es sich leisten kann, nichts (Produktives) zu tun.
Moni K. Huber befasst sich in ihren Bildern seit einigen Jahren mit dem Wechselverhältnis von „Leisure class“ und den für diese geschaffenen modernen Architekturen. Als Settings dienen ihr dabei vor allem zwei typologisch signifikante Orte – Pool und Loft. Dazu ein paar Anmerkungen:
I
Der Swimmingpool war bis in die 1960er Jahre ein wichtiges Statussymbol. Am eigenen Pool im Liegestuhl zu liegen, vielleicht noch mit einem Cocktail in der Hand, oder am Abend Poolparties zu feiern, gehörte zum fixen Bestandteil des „befreiten Körpergefühls“ (Giedion) der Oberschicht. Mittlerweile ist dieser Luxus längst in der Mittelschicht angekommen. Hubers Studienobjekt ist hier ein aus den 60er Jahren stammender Pool im Garten einer befreundeten Familie, wo sie oft den Sommer verbringt. Ihr Blickwinkel kommt also von innen wie außen zugleich: Private, nahsichtige Vertrautheit mischt sich mit der Distanz des Gastes. Vom Garten sind in Hubers Bildern immer nur der Rasen und das dunkle Grün der umgrenzenden Bäume und Hecken zu sehen. Es ist ein modernistischer "Hortus conclusus" aus reinen Flächen, ohne Blumenbeete, Ziersträucher und dergleichen, schmucklos und flach wie der Bungalow, den man sich dazu denken möchte (aber nie zu sehen bekommt), und ohne Sicht auf benachbarte Häuser, Gärten oder Landschaft. Das einzige strukturierte Element, das alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist der Pool in der Mitte. Seine eigentümliche Form - ein großes Rechteck mit kleinen rechteckigen Anfügungen an jeder Seite - betont die Symmetrie kreuzförmig in beiden Achsen und erinnert ein wenig an fernöstliche Mandalas (ein in der Moderne manchmal zu beobachtendes Kippen der Geometrie ins Kultische). Das lenkt das Freizeitvergnügen an diesem Ort in strenge, fast rituelle Bahnen. Helle Steinplatten rund um den Beckenrand heben diesen deutlich vom Rasen ab. Der Garten, wie in Huber zeigt, scheint also aus zwei konzentrischen Rahmen zu bestehen, die beide ebenso exklusiv wie inklusiv wirken: aus der "grünen Wand" der Hecke und der geschlossenen Form des Schwimmbeckens. Beides sind Leerformen, Hohlkörper, offene Hüllen, die darauf warten, gefüllt, benutzt und bespielt zu werden.
Der Garten ist in Moni K. Hubers Bildern eine Bühne, auf der aber kein Drama stattfindet, sondern nur dessen Abwesenheit spürbar wird. Wenn sich der Garten an Sommertagen mit Menschen füllt, dann gibt es keine Handlung, kein Geschehen, nicht einmal nennenswerte Dialoge. Fragmentarisch und isoliert sind die Figuren auf hochformatigen Leinwänden übereinander montiert. Nackt in der Sonne dösend, tagträumend in einem Schwebezustand zwischen Schlafen und Wachen, nimmt der Einzelne höchstens nur mehr den eigenen Körper wahr. Selbst die Erotik bleibt selbstbezogen. Träge Passivität auch beim Stehen, Gehen und Schwimmen. Geistesabwesende Langeweile als paradiesischer Zustand. Die leere Rahmenform spart einen Freiraum aus, in dem sich nichts ereignet, die Zeit still steht und Freizeit bedeutet, vom Diktat der Zeit frei zu sein. Wenn Huber hier bis in die Helligkeit des Kolorits an die kunsthistorische Tradition der Sommersonntagnachmittagsstimmungen von den Impressionisten bis David Hockney und Alex Katz anknüpft, dann lässt sie ihr modernistisches High-Society-Setting aber auf Protagonisten treffen, die diesem Klassenhabitus nicht mehr entsprechen, sich wesentlich freier und legerer geben. Man spürt: Hier agiert eine Generation von Erben in einem Rahmen, zu dem sie selbst ein distanziertes Verhältnis besitzt. Dieser feine Riss macht die besondere Spannung der "Leisure class" aus.
Zum offenen Bruch wird der Riss in der Serie mit geleertem Pool. Die Party ist vorbei, die (männlichen) Gäste haben Hundemasken auf und benehmen sich zum Teil dementsprechend. Am Boden des Schwimmbeckens suchen sie nach etwas erfrischendem Nass, wie in einem Zwinger eingesperrt von den hohen verfliesten Wänden ringsum. Der Garten wird zum Zoo, zum Display einer beobachteten und überwachten Natur; die Menschen sind auf ihr animalisches Alter Ego zurückgestuft, quasi zu Underdogs unter Bodenniveau. In dem ergänzenden Video hört man nur das (mit menschlicher Stimme täuschend echt erzeugte) Bellen an den Poolwänden wiederhallen, was der Leere dieser Leerform eine grotesk existenzielle Note verleiht und die unheimliche Seite des modernistischen Settings beleuchtet.
II
Die Hundemänner tauchen auch in der zweiten großen Bildergruppe Moni K. Hubers auf, die in einer Upper Class-Wohnung im 67. Stock des Lake Point Tower am Ufer des Michigansees in Chicago spielt. Dieses von einem Entwurf Mies van der Rohes von 1921 inspirierte, von John Heinrich und George Schipporeit geplante und 1968 fertiggestellte Gebäude war mit seinen 70 Geschoßen lange Zeit das höchste Wohngebäude der Welt. Mit seinem stromlinienförmig abgerundeten, dreiflügeligen Grundriss und seiner rundum freie Sicht gewährenden gläsernen Vorhangfassade ist es so etwas wie die monumentale Apotheose des „befreiten Wohnens“. Die ohne Ecken in leichter Biegung durchlaufende Fensterwand bietet ein atemberaubendes Panorama im Cinemascope-Format, das nur ab und zu von den nach innen versetzten Stahlbetonpfeilern unterbrochen wird. Boden und Decke sind als glatte, helle Scheiben ausgebildet, die den Blick ganz auf das Panorama fokussieren. Man könnte sagen: Das Fehlen von Einbauten und größeren Möbeln transferiert das Raumerlebnis nahezu völlig in ein rein optisches, vom Fernbild des Panoramas absorbiertes. Die loftartige Wohnung wird zur Sehmaschine, zum gebauten Auge, und steht in der langen Tradition jener panoptischen, für die modernen Disziplinierungsgesellschaften so signifikanten Gebäude, die Michel Foucault in „Überwachen und Strafen“ beschrieben hat.
Die Künstlerin hat sich selbst als die Regentin dieses Allmachtsphantasien beflügelnden Beobachtungsraumes inszeniert (eine Gelegenheit, die sich ihr aufgrund ihres „offiziellen“ Status als österreichischer Artist in residence in Chicago bot). Im Cocktailkleid und mit verspiegelter (!) Brille geriert sie sich als mondäne Hausherrin, während die Hunde-maskierten Männer nackt oder nur mit (österreichisch-patriotischen) rotweißroten Badehosen bekleidet und in unterwürfiger Haltung in dem für sie sichtlich ungewohnten Ambiente posieren. Die burleske Umkehrung traditioneller Geschlechterrollen und Körperbilder, wo etwa der bekleidete männliche Künstler von nackten weiblichen Modellen umgeben ist, konterkariert zum Einen die in der Spätmoderne noch übliche Geschlechterhierarchie, und spielt zum Anderen auf die berühmte Aktion von Valie Export an, die 1969 (ein Jahr nach Vollendung des Lake Point Tower) ihren Partner Peter Weibel am Hundehalsband durch die Straßen von Wien führte. Weibel hatte die unterwürfige, gerne mit dem Weiblichen bzw. Tierischen assoziierte Horizontalstellung eingenommen, während Export die vertikale Herrenrolle spielte. In Hubers Bildern werden die Symboliken der Körperhaltungen nicht so einfach ausgetauscht, sondern mehr durch eine inverse Persiflage unterlaufen. Wenn wie in „lake point tower # 2“ die beiden Hunde-Lakaien kerzengerade, aber mit sichtlich weichen Knien vor dem Fenster stehen, sodass sie die Reihe der phallisch aufragenden Hochhäuser der Skyline draußen etwas schwächlich fortsetzen, dann lagert die Hausherrin/Künstlerin dominant im Vordergrund auf dem Sofa. Die nackten Hunde bringen aber auch etwas von jener (schmutzigen, niederen, vulgären) Körperlichkeit eines Diogenes in das platonisch-idealistische Stahl- und Glasgebäude, das sich über die Niederungen (des Alltags, der Unterschichten) erhebt und ganz für das Regime eines körper- und geschlechtslosen Auges entworfen zu sein scheint.
Moni K. Huber gelingt es, ihre kritische Auseinandersetzung mit dem Modernismus auf eine sehr subtile und spielerische Weise zu führen. Ihre Bilder sind nicht illustrierte Theorie, sondern überzeugen vor allem als autonome, ebenso überraschende wie konzentrierte Bildfindungen, deren Interpretation sich in den wenigen Andeutungen, die hier gemacht werden konnten, bei weitem nicht erschöpft.


Anselm Wagner

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