Piero* *Rismondo

TRIEST

Die Friedlose Stadt fand Frieden

WIEDERSEHEN MIT TRIEST: SPUREN ÖSTERREICHS SIND IMMER NOCH ZU FINDEN

"Diese Stadt ist friedlos - questa città è senza pace" : Der Satz steht in einer von fünfunsechzig Jahren, 1910 erschienen, ebenso sachlich fundierten wie poetisch inspirierten Triestmonographie. Sie stammt von Silvio Benco, der einer der ausgeprägtesten publizistischen und literarischen Persönlichkeiten der Adriastadt war. Er starb 1949, im Vorjahr gedachten die Triestiner der hundertsten Wiederkehr seines Geburtstags. Stimmt der Satz noch? Stimmt er in diesem Augenblick, da zwischen Italien und Jugoslawien Frieden geschlossen wird in der "Triestfrage"? Praktisch war ja Triest schon seit Kriegsende zur östlichsten Grenzstadt Italiens geworden. Doch wurde die bisherige Demarkationslinie, die die italienisch verwaltete "Zone A" von der jugoslawisch verwalteten "Zone B" des niemals verwirklichten "Freien Territoriums von Triest" trennte, als die "offenste Grenze Europas" bezeichnet. Nun wird sie völkerechtlich zur Staatsgrenze. Wird sie auch in Zukunft so offenbleiben wie bisher? Dies ist die besorgte Frage der Triestiner. Sie rührt an den Nerv der Stadt, während die Welt andere brennende Sorgen hat. Für Österreich aber, in dessen politischer und wirtschaftlicher Geschichte die "città senza pace", die friedlose, unruhevolle, rastlose Stadt jahrhundertelang eine oft dramatische Rolle spielte, ist sie immer noch mehr als ein Stück teilnahmsloser Erinnerung.

 

"Die ersten Zigaretten meiner Jugend wurden in Österreich erzeugt und in kleinen, mit dem Doppeladler geschmückten Schachteln verkauft" erzählt der von James Joyce entdeckte Triestiner Dichter  Italo Svevo in einem vom Atem der Stadt erfuellten Romane, in "La concienza di Zeno" (deutsch: "Zeno Cosini").

Die Zufahrt mit der Bahn ist ueberwaeltigend wie eh und je. "Die Stadt mit ihren weissen Hauesern an der Riva umfaengt im weiten Halbkreis das Meer. Es sieht aus, als habe eine ungeheure Welle sie in der Mitte eingedrueckt und ihr dadurch die Form gegeben"; so schildert Italo Svevo das Panorama in seinem ersten, 1892 veroeffentlichten Roman "Una vita" ("Ein Leben"). Alles wie eh und je.

Zu meinem Vergnuegen stelle ich fest, dass der Triestiner Dialekt auch heute noch nicht ausgestorben ist. Ich habe schon einmal darueber geschrieben, wie die Schueler am "deutschen Staatsgymnasium"  in Triest, das ich besuchte, sprachen. Da hiess es : "Il me ga fatto prifen e il me ga dado nictgenigend - er hat mich geprueft und hat mir ein Nichtgenuegend gegeben."

Selbst Joyce, der grosse Hexenmeister der Sprache, versuchte sich in diesem Dialekt, in Briefen, die er an Svevo schrieb und in denen er ihn bat, ihm das in Triest zurueckgelassene Manuskript des "Ulysses" zu bringen.

Das Wesen der Stadt wirkt unveraendert. Und doch, etwas fehlt. Endlich hab  ich´s heraus. Die Stadt ist sauberer geworden. Fast blitzsauber. Sie riecht nicht mehr nach Hanf und Zimt und Zwiebeln und all den Waren, die hier umgesetzt wurden. Der Hafen gibt mir die Antwort. Herrlich der Blick. Die Riva aber, an der die Schiffe anlegten und von der sie ausfuhren, in die nahen Staedtchens Istriens und weit nach Uebersee, diese etliche Kilometer lange Riva ist jetzt ein gigantischer Autoparkplatz...

Ich fahre nach Barcola hinaus, dem Vorort Triests, der zwischen der Stadt und dem Schloss Miramare liegt, dieser - so Benco- "weissen Melancholie" die sich ins blaue Meer schiebt. Irgendwo muss auch das Haus sein, in dem der Regisseur Giorgio Strehler geboren wurde, dessen Familie aus Wien kam.

Im Geist aber sehe ich mich noch vor den brandenden Wellen stehen, mit meinem verstorbenen Jugendfreund Bobi Bazlen, der dauernd auf der Spur "verkannter Genies" war und dem jungen Eugenio Montale, der jetzt fuer sein lyrisches Werk den Nobelpreis erhielt. Bobi machte den gebuertigen Genueser, der eine Triestinerin heiraten sollte, auf den damals kaum bekannten Italo Svevo aufmerksam, und er setzte sich auch bald darauf fuer diesen ein.