Der Tandelmarkt

Adalbert Stifter

 

Der Referent dieser Zeilen gesteht, dass er ein großer Verehrer von Altertümern ist, gleichsam von Worten, die eine längst vorübergegangene Zeit an die unsere redet, oder vielmehr: die Worte lasen wir in irgend einer Geschichte, und die Altertümer sind der sinnlich eindringende Kommentar dazu, das Gewand, das der Urgroßvater ausgezogen und niedergelegt hat., als er auf immer fortging, welches Gewand nun rührend und naiv nun Bruchstücke von der Geschichte dieses Urgroßvaters erzählt.

Diese meine Liebe zu Altertümern erstreckt sich aber auch auf ganz unnützes, mittelalterliches Zeug, und auf jeden verschollenen Trödel, dessen Sprache wir gar nicht mehr verstehen und der sich nur mehr als übriggebliebener Plunder fortfristet – ich habe solche Dinge lieb und mir tut es weh, wenn ich sie zerstören sehe, oder wenn gar ein Haus abgebrochen wird, in dem ich mir oft zu wohnen gewünscht hatte, weil so viele Ecken und Erker und Stiegen und Gänge darin und daran waren, welches alles aber jetzt zerschlagen und verworfen wird, weil, wie die Leute sagen, der alte unnütze Kasten weg muß, damit ein ordentliches, vernünftiges Haus an die Stelle kommen mag – ein ordentliches, vernünftiges Haus aber heißen sie ein großes, gerades, viereckiges Ding mit vielen Fenstern, das erst recht einem Kasten ähnlich sieht und in seiner Prosa nicht den geringsten Reiz zu Gefühlen einflößt, außer denen der Bequemlichkeit. Für Antiquitäten dieser Art ist daher eine Residenz sehr gefährlich, weil da ein eigenes Treiben und Fortschreiten in Geschmacks- und Modesachen herrscht, und wenn ich noch hie und da ein schwarzes, vielgibliges , hochgestrecktes Haus sehe, so fürchte ich schon, dass, wenn ich morgen vorüber gehe, Gerüste dastehen und tausend Menschen daran sind, das Haus und seine Nachbarn abzutragen, um ein glänzendes, weißes, gerades, viereckiges, reizloses Zinsgebäude hinzustellen. Da nun dies täglich und stündlich geschieht, so sieht Wien wie eine Stadt von gestern aus, nicht wie eine aus der Zeit der alten Römer...

Es wird eben, so wie ich dieses schreibe, auf dem sogenannten lichten Steg ein kleines, unbequem gelegenes altes Haus abgebrochen und mit Recht; denn es ist dringend nötig, dass die Passage dort breiter werde, aber immer, wenn ich dieser Tage her vorbeiging, dachte ich:

„Mein Gott, wo wird nun der liebe, hübsche, steinerne Engel hinkommen, der an der Front aus einer Nische sah und seine Flügel so fromm und nett faltete, als wollte er sich wie eine Phaläne einhüllen – wo wird er hinkommen?“

Aber die Leite brechen lustig weiter, und der Engel, der am Ende gar nicht von Stein ist, liegt vielleicht auch schon irgendwo zerbrochen umher.

Nur die Namen als Denkmäler der Vergangenheit bleiben, aber auch die nicht immer. So ist noch das Lugeck, jetzt ein kleiner Platz in der Stadt, einst eine Warte in der Stadtmauer gegen das gefährliche Ungarn hin, dann der rote Turm, der Graben, die Freiung, Maria am Gestade, die Fischerstiege, die Wollzeile und andere; viele aber sind auch geändert, so z.B. steht an der Stelle des alten, romantischen Katzensteiges die prächtige Seitenstettengasse; wo es früher im „Elend“ hieß, liest man jetzt Zeughausgasse; andere, wie z.B. das Paternostergässchen verschwinden ganz und gar. Das bei einer solchen Bewandtnis der Sache all die kleineren, beweglichen Altertumsdinge sich nicht erhalten können, begreift sich, denn wenn es den niet- und nagelfesten nicht anders ergeht, als dass sie zerstört und zerrissen werden – was haben die zu erwarten, die in aller Welt herumkollern und ewig die Hände ihrer Eigentümer wechseln?

Der Leser folge mir nun nach dieser Einleitung, die ihn auf den Standpunkt setzen sollte, den Tandelmarkt recht vom Grund aus würdigen zu können, in diesen selber – wer weiß, wie lange er noch stehen wird, diese Ruine aus der guten, treuherzigen, bürgerlichen Zeit unserer Vorväter.

Auf den Glacis, am Wienflusse von der Karlskirche abwärts bis gegen den Heumarkt zu, stehen dicht aneinander gedrängt mehrere hundert hölzerne Hütten, fast den aufgeschlagenen, hölzernen Buden eines Marktes ähnlich da ihr Zweck Warenauslage ist, aber doch wieder anders, und fast an Wohnhäuschen erinnernd, da sie nicht so wandelbar wie Marktbuden sind, sondern so lange an Ort und Stelle zu bleiben haben, bis sie vor Schwärze und Alter morsch werden und brechen, wo dann an die Stelle der alten eine neue Hütte gebaut wird , bis man etwa einmal die ganze Sache als eine veralterte Barbarei ganz eingehen lässt.

Die Hütten stehen fast aneinander und bilden mit ihren offenen Vorderseiten förmliche Gassen, in denen sich das kauflustige Publikum treibt; diese Gassen sind häufig selbst wieder eingedeckt, so dass man auf diesem Markte wie in einer ungeheuren Bienenwabe voll Gerümpel und Menschen herumschliefen kann. Jede Hütte hat eine Nummer und fast jede ein gewaltiges Schild heraushängen, wovon sie den Namen „zum Jäger, zur Rose, zum grünen Baum“ usw. führt. Das Ganze bildet ein langes Viereck von schwarzen, wettergepeitschen Dächern, von denen dir, wenn du sie von weitem überschaust, bange wird, das einmal ein Feuer darunter komme, und in diesem lustigen, gedörrten Geraffel schrecklich wirtschafte. An schönen und besuchten Tagen ist das Ganze von ferne wie ein leibhafter Ameisenhaufen zu schauen, der sich über und über rührt und regt.

So ist der Schauplatz – und nun welche Waren, welche Käufer und Verkäufer sind da?

Das ist leichter gefragt als beantwortet. Wenn du ein Wiener bist und es fehlt dir was immer in deiner Haushaltung und an deinem Körper, es sei so klein und fragmentarisch als es immer wolle, es sei so heterogen und allen menschlichen Begriffen ferne liegend, als nur immer denkbar; gehe hin auf den Tandelmarkt und du bekommst es. Freilich sind viele Hütten sortiert, wo man nur bestimmte Waren ausbietet, namentlich gilt die von Kleidern, Lappen, und  Eisenwaren, aber dafür sind auch andere und diese, glaube ich, sind die echtesten, wo alles und jedes zu haben ist.

Der ganzen südlichen Front des Viereckes entlang, da wo die Fahrstrasse vorbeiführt, ist die ausschließliche Niederlage des alten Eisens. Was seit Kains und Enochs Zeiten her an Eisen und groben Metallwaren verfertigt worden ist, das, glaube ich, hat hier seinen Repräsentanten:

Ketten jeder Art und Größe, verrostet und neu, liegen wie Schlangennester an den Hütteneingängen und Barrierestöcken herum, daneben das Geschlecht der Öfen, der plumpe viereckige, der gefällige runde und der in lauter zierlichen Säulen emporstrebende, dann sind die Tragherde, Kochöfen, die Zangen, Hauen, Haken, Klammern, die Schaufeln, Sägen, Bohrer, die Feilblöcke, all das kleinere Volk der Lichtputzen, Scheren, Beschläge, dann sind die Torsos, die Fragmente, von einstigen Ganzen, die bloßen Eisenstücke, Aushängeschilde, Stiefel- und Krückenbeschläge und endlich die Sachen, die gar niemand mehr kennt; ich habe daselbst einmal sogar ein Römerschwert aufgefunden, ich besitze es noch, habe meine Freude daran und lasse durchaus keinen Beweis dagegen aufkommen, das es nicht echt sei. Solange ich es dafür halte, ist es echt, ich lasse daher gar niemanden darüber reden.

Alle Spezies und Spielarten von Leuchtern und Kannen und Tassen und anderem Zeugs besetzt das Innere dieser Hütten.

Außer den Metallwaren haben nur noch die Kleider so ausschließliche Hütten, nur das diese nicht so einen einzigen, bestimmten Platz einnehmen, sondern mehr unter den anderen zerstreut sind, doch dürfte die Nordseite in dieser Hinsicht am meisten gesegnet sein. Da sind Hütten mit lauter Stiefeln, von dem neuesten und glänzendsten bis zu dem, der das Anziehen scheuen muss, damit er nicht auseinander gehe, daneben, wie Delinquenten, hängen die Röcke, gebürstet, gepresst und herausgeputzt, die Kappen und Mützen gaffen und glotzen auf den Bänken, die Bettdecken sind aufgeschichtet, und Frauenwäsche und Schürzen sträuben sich, und di9e Wäsche ist mit den schönsten, rotseidenen Bändchen umwickelt. Dazwischen geht es lustig und lebhaft zu: dort probiert einer einen Stiefel und flucht und seufzt dazu, hier kann ein anderer aus dem probierten nicht mehr heraus und der Tandlerbube muss ihm denselben herabreiten – hier wird um einen Frack gehandelt, dort packt einer ein Bündel aus und bietet dasselbe zum Verkauf und erschrickt über die geringschätzigen Mienen welche er an den zusammengelaufenen Käufern bemerkt – dazwischen geht und schreit ein Würstelbub, der seine brennheiße Ware ausbietet – dann wird etwas gestohlen, und es erhebt sich ein Lärm und ein Verfolgen, worin die Weiberzungen am lautesten und tätigsten sind – dann kommt das Speiseweib und bringt den Zettel, was alles heute zu Mittag zu haben sei, und sie preist die Sachen und fragt angelegentlich, was sie bringen solle. Die meisten dieser Kleidertrödler sind ihrem Gewerbe nach Schneider, manche haben zuhause oder beschäftigen anderwärts viele Arbeiter, und da werden auch ganz neue Sachen angefertigt, d.h. manche sind wohl ganz neu, andere werden aus alten „ganz neu“ angefertigt – ich habe oft gedacht, woher denn diese vielen neuen Dinge kommen, indem ich den Widerspruch entdecke, dass der Tandler alle Sachen, die er einkauft, für alt und wenig Wert erklärt, alle aber die er verkauft für ganz neu und ganz kostbar.  

Da, nicht in Betracht der Sachen an sich, sondern in Betracht der Börse der Kaufenden, diese Waren doch sehr wohlfeil sind und am Ende doch so lange halten müssen, als ursprünglich beim Kleidermacher bestellte, so haben diese Hütten ein verhältnismäßig sehr zahlreiches Publikum, und nicht nur von der Stadt, sondern der ganze dürftigere Teil des Landes besorft seine Garderobe vom Tandelmarkt , wobei er freilich den Vorteil hat, dass er nicht erst lange warten darf, dass er sich nicht zu ärgern braucht, dass der Schneider nicht Wort hält... oder dass etwas verschnitten ist. Freilich, mit dem Anpassen sieht es auch hier sonderbar aus, aber der Käufer hat die Wahl, er kann das Ding stehen lassen, wenn es ihm nicht gefällt – komisch ist es genug, wenn irgend ein redlicher Landmann seinem Buben hier ein „Stück Gwand“ kauft, es ihm nun anprobiert und den ganzen Buben auf- und ab- und hin- und zerrt und ihn endlich, weil er auf das Wachsen rechnet, wie eine Scheuche einballiert, davonführt. Im Frühjahre werden die Mäntel wohlfeil eingekauft und im Spätherbste teuer verkauft. Bei Paradekleidern, Theatergarderobe und bei Uniformen verstorbener Junggesellen lassen sich gute Geschäfte machen.

Außer den zwei Gattungen von Hütten, nämlich den Eisen- und Kleiderhütten sind keine mehr, welche so exklusiv wären nur einen einzigen Artikel zu verschleißen, wenn man etwa die östliche Front ausnimmt, wo mehrere Hütten sind, in denen ausschließlich Bettsachen verkauft werden, von dem fadenscheinigen Strohsack an bis zum blütenweißen, schwellenden Flaumenkissen. In allen anderen Buden sind die Waren mehr oder weniger gemischt, und je mehr alt und neu, vornehm und gering, ganz und gebrochen, staubig und rein durcheinander gemischt ist, desto mehr, glaube ich, verdient die Hütte den Namen einer Tandler- oder Trödlerhütte. Ich will es versuchen, mit dieser schwachen Feder ein Schattenbild einer solchen Hütte zu zeichnen: Sie ist vorne ihrer ganzen Länge nach offen, und dennoch ist es schwer in sie hinein zu gehen; denn zu beiden Seiten ihrer Querwände laufen Hindernisse gegen den Eintritt vor. Rechts steht ein Ding – einen Stuhl würde ich es nennen, wenn ich es sehen könnte, aber vielleicht ist es auch etwas anderes, kurz, es ist überdeckt mit einem Stilleben von Lumpen und Kram; Tuchenden schlingen sich um Abschnitzel, oder was die hundert zusammengerollten Dingerchen sind, das Unterfutter eines Spritzleders drängt sich vor und hängt gegen die Erde; ein spanisches Rohr lehnt daran, zusammengerollte Bettdecken liegen oben auf, ein Lichtschirm strebt empor und auf ihm reiten Halsbinden; unter einem Kessel quillt ein fast neuer, frischgrüner Teppich hervor, der sich auf die Erde fallen lässt; auf einer seiner Schleppe brütet ein Mantelsack, und das Felleisen eines Handwerks gesellen, beide im Dienste ergraut; hinten schaut noch ein Degengefäß hervor – all dieses liegt und lehnt auf dem Stuhle, wenn es einer ist; denn, wie gesagt, es ist eine Erhöhung über dem Boden, die mit einem Trödelberge beladen ist, der selber wieder an die Sachen streift, die hängen, nämlich an der Außenwand, wie z.B. eine Wärmpfanne und eine Guitarre an einem Nagel, an dem daneben ein Bündel Ausklopfstäbe, Fächer und Sonnenschirmgerippe, dann Pfeiffenröhren, Bratspieße und ein Gewehrkolben, ein eisernes Fenstergitter lehnt an den äußersten Grenzen, beinahe im Rücken der Hütte. Links wehren ähnliche Verhaue den Eintritt, oder sie sind eigentlich Festungsredouten, nämlich es stehen Reisekoffer übereinander, beladen mit allem möglichen Reiseding oder auch nicht zur Reise, wenn´s nur von Leder ist; daneben steht noch ein kurzes Bänkchen, welches mit Büchern belegt ist, mit einigen Dosen, alten Notenpapieren, Maultrommeln und Lithographien – und wenn du etwa die Bücher untersuchen willst, so schrecke dich nicht an dem Streicheln, das du an deiner Wange empfindest; es sind nichts als die Röcke und Mäntel und Westen und Damenkleider, die da herabhängen und den Berg unter sich beschatten. Neben ihnen ist noch ein Extrabrett beigenagelt, auf dem Ölgemälde hängen, die Licht brauchen oder einen guten Rahmen haben; die anderen lehnen an den Koffern tiefer gegen das Innere oder gar auf der Erde, wo ich einmal den alten Vater Laudon neben zwei Kurierstiefeln auf dem Kopfe stehen sah. Zwischen den Bildern auf dem Extrabrette und unterhalb ihnen hängen Tabakpfeifen, auch Beutel, manchmal eine Klarinette, ein Barometerbrett, eine Windbüchse, ja einmal sah ich ein von oben bis unten aufgesprungenes Fagott so ernsthaft da lehnen, als wäre es durchaus noch zu gebrauchen. So wichtig ist das Äußere solcher Hütten, dass, wenn die gegenüberstehende ihre Hinterwand herwendet, gewöhnlich der Besitzer der anderen auch noch an dieser ein Bänkchen anbringt, auf dem eine Sammlung Uhren und Glasstürze, Kaffeemaschinen, Tassen nebst Papieren und Büchern stehen; darunter stehen Stiefel und Schuhe, ja zuweilen sind als Servitut, die der Hinternachbar ersitzen will, Nägel in die fremde Hütte geschlagen, und es hängen Pistolen, leichte Flinten und Augengläser daran, während schwere Scheibengewehre und Bolzbüchsen daneben lehnen. Die Sackuhren, als schon leichter zu entwendende Gegenstände, sind meist mehr in der Nähe des Verkäufers. Während auf diese Weise schon das Äußere einer echten Trödlerbude so ausgestattet ist, sollte man vermuten, mit welchem Reichtum und welcher Mannigfaltigkeit erst Innere bedacht sein müsse, aber derjenige, welcher diesen Schluss macht, irrt sich meistens, bei Menschen – und bei Tandlerhütten – ich will nur von den letzteren sprechen. Da des Tandlers Zweck offenbar der ist, zu verkaufen, so muß er seine verkaufbaren Dinge so legen, das sie dem Lustwandler, der sie etwa Not hätte, am leichtesten in die Augen fallen...und da er aber alle seine Dinge zum Verkaufe hat, so muß er mit allen gegen außen drängen; daher die meisten dieser Buden gegen innen verhältnismäßig leer aussehen, aber im Grunde sind sie es doch nicht, sondern der Trödler oder die Trödlerin räumt alle Dinge, von denen sie eben jetzt nicht erwarten, dass sie einen Käufer finden werden, zurück in das Innere ihrer Behausung.

In der meist etwas dunklen Tiefe der Bude sitzt der Tandler oder die Tandlerin, entweder mit Sortierung beschäftigt, oder das erkorene Handwerk treibend, oder auf Kunden spähend, oder mit den Nachbarn und Nachbarinnen scherzend und plaudernd, und in der Tat, es findet sich bei diesem Schlage von Menschen eine eigene Gattung von Witz, der nicht selten recht jovial und wienerisch, manchmal sogar sprühend ist. Die Bilder und Gleichnisse sind von ihrer Umgebung genommen und meist sehr treffend. Unvergleichlich sind sie im Einkaufen ihrer Artikel, und sie müssen es sein, da sie nicht anders als wieder wohlfeil verkaufen können.

Ich selbst stand einmal dabei, als ein hageres, blasses Weib mit einigen Zinntellern kam, die sie schüchtern aus einem Fetzenbündel hervorzog und zum Verkaufe anbot. Der Mann der Bude sah wie zufällig hin und fragte um den Preis; er wurde genannt; der Mann sagte, diese Sachen könne er überhaupt nicht gebrauchen, er rate ihr, nach Hause zu gehen und die Dinge aufzubewahren – es war erstaunlich, mit welcher Trostlosigkeit das Weib dastand; nie habe ich das Bild getäuschter Hoffnung deutlicher gesehen – der Budenmann kramte auf dem Boden herum, ordnete seine Artikel und fing endlich aus eine Goldborde die Fäden zu zupfen an – das Weib stand noch immer da und regte sich nicht; endlich, da sie sehr zögernd fortzugehen sich wendete, sagte er ihr, dass er höchstens aus Rücksicht so und so viel geben könnte, dann aber dürfte sie gewiß sein, dass die Teller solange da liegen bleiben werden, bis sein Urenkel ein alter mann sei – der Preis aber war ein Fünftel der Summe, die sie anfangs gefordert hatte und die mir ohnehin sehr bescheiden geschienen.

„So geh die Frau herein“, rief er wieder, als sie noch immer halb zu gehen, halb zu bleiben zauderte – dieser Ruf schien sie plötzlich zu bestimmen, auch däuchte es mir, dass sie froh war, auf diese Weise den Blicken der Umgebung zu entgehen. Endlich kam sie wieder aus der Hütte zum Vorschein, aber ohne die Teller, und sie ging schnell durch die Reihen davon. In der Absicht, zu dem Blutgelde der abgepressten Ware noch eine Kleinigkeit hinzuzufügen, ging ich ihr nach; denn ich bildete mir fest ein, nur die allerbitterste Not habe sie zu dem Verkaufe der Zinnteller bewegen können, die etwas noch ein altes Hausstück von Voreltern her sein mochten. Als ich sie erreicht hatte, fragte ich sie, ob sie die Teller verkauft hätte.

„Ja.“

Nun, hat der Mann mehr gegeben, als er anbot?“

„Ach nein“, antwortete sie, „aber er ist ein kurioser Handelsmann; er kaufte mir die Teller ab um den Preis, den er selber bestimmt hatte. Als aber der ganze Handel aus war, gab er mir gerade so viel darauf, als ich anfangs gefordert hatte, und sagte:

`Sieht die Frau, den Markt kann ich nicht verteuern und Zinn ist eine Lumpenware, aber da schenke ich der Frau das andere, es ist ein pures Almosen, weil jetzt die Zinszeit erscheint. So in Gottesnamen! Wenn morgen die Frau wieder mit Zinn kommt, so kaufe ich der Frau keines ab und schenke der Frau nichts.`

Diese Worte hat er gesagt und das Geld hat er mir gegeben.“

Ich gab der Frau nun die beabsichtigte Münze und verließ sie. Fast hätte ich aus romantischem Geiste schon die Zinnteller gekauft, an die sich ein so edler Zug eines so unscheinbaren Menschen knüpfte; aber der Mann forderte einen so hohen Preis, als ich angelegentlich um Zinnteller fragte, das ich schamrot von dannen zog, ohne ihm nur irgend ein Anbot darauf zu legen.

Zuweilen aber werden auch seltsame Käufe gemacht, bei denen der Trödler wieder der verlierende Teil ist, weil es doch geschehen kann, dass ihm Objekte in die Hände kommen, über deren Wert und Wesenheit er keine Ahnung hat. So geschah es z.B. vor fünf oder sechs Jahren, dass eine Frau, die öfters alte Fußteppiche und dergleichen auf dem Tandelmarkte zu kaufen pflegte, auch wieder einmal dort war und mehrere größere und kleinere Stücke grauen Seidenzeugs, einiges Messinggeschirr und illuminierte Soldaten für ihre Kinder kaufte. Da aber der Trödler sagte, er gebe das Messinggeschirr nicht ohne den sechs Bildern in Goldrahmen, die dabei lagen, weil er alles zusammen einlizitiert habe, und da die Frau das Geschirr besonders gern gehabt hätte, die Bilder aber auch nur zwei Gulden kosteten, so nahm sie dieselben, indem sie meinte, so viel müsse sie ja wieder für die Rahmen bekommen, wenn sie dieselben putzen und verkaufen ließe. Aus dem Seidenzeuge wurden die schönsten Puppenkleider gemacht, das gescheuerte Messing prangte und funkelte in der Küche, mit den Soldaten hatten die Knaben die größte Freude, die sechs Bilder aber lagen in der Plunderkammer. Erst ein Jahr nach dem Einkaufe, da einmal die ganze Wohnung frisch ausgemalt und gereinigt wurde, dachte man an die Bilder, und die Mutter und die älteste Tochter begannen aus Unkenntnis der Sache die Goldrahmen, die geschwärzt und mit Fliegenkot über und über beschmutzt waren, zu waschen und erzielten auch glücklich, dass das Gold verschwand und stellenweise eine rote Grundierung oder gar das bloße Holz zum Vorschein kam, man lachte einander aus, und die Bilder – die erst recht schwarz und dunkel waren, so dass kaum hie und da ein roter oder blauer Lappen zu erkennen war, wurden nicht einmal einer Waschung würdig gehalten und wären beinahe gänzlich weggeworfen worden, wenn nicht zufällig der Vergolder dazugekommen wäre, der die neuen, schweren Spiegelrahmen brachte und der Frau riet, die Bilder doch untersuchen zu lassen. Sie willigte ein, und er verschaffte ihr einen jungen Mann, der das Geschäft übernehmen wollte. Es ging anfangs bei dem ersten, behutsamen Waschen dichter, brauner Ruß und fast Küchenpech von den Bildern, worauf sie sich sämtlich als alte niederländische Genrestücke auswiesen von mittelmäßigem Werte, nur dass zwei von ihnen deutliche Spuren späterer Reparaturen und öfteren Übermalens aufwiesen; und da man nun mit Weingeist und Terpentin und anderen Mitteln vorsichtig diese Retuschen behandelte, so kamen unter ihnen die geistreichsten Striche und Lichtsetzer zum Vorschein und endlich, da man die Urbilder mit größter Sorgfalt bloßgelegt hatte, so zeigten sich zwei der allerschönsten, kaum sichtbar beschädigten Tenier. Der Frau wurden hundert Dukaten für die beiden Bilder geboten, allein sie hatte eine solche Freude an ihnen und an dem seltenen Zufalle, dass sie dieselben in neue, prachtvolle Rahmen setzen und im Prunkzimmer aufhängen ließ, wo sie noch zu dieser Zeit makellos hängen und die Freude und Bewunderung der Kunstkenner erregen.

Wie oft sich nun solche Zufälle auf dem Tandelmarkt ereignen, kann ich denen, die etwa Neigung zu solchen Käufen haben, nicht sagen, wenigstens ich, der ich seit der Zeit jedes nur im mindesten verdächtige Bild, das mir in den Wurf kam, kaufte, habe bisher nichts anderes erstanden, als elende Scharteken, und je mehr Ruß auf einem Bild war, ein desto gräulicheres Familienporträt kam zum Vorscheine, wenn ich es wusch..

 

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