Wien im Jahre 1725

 

 

J.v. Bergenstamm, 1847

 

 

Die Bewohner der Stadt Prag lagen noch in festem Morgenschlummer; nur in einem Hause auf dem Hradschin war schon alles in Bewegung, denn vor Sonnenaufgang sollte der älteste Sohn die Familie verlassen und die weite, gefährliche Reise nach Wien antreten. Monate lang hatten die Vorbereitungen dazu gedauert. Das Testament war gemacht, Abschiedsbesuche bei allen Verwandten und Freunden waren abgestattet und nach einer in gebet und Tränen zugebrachten Nacht empfing der junge Meinrad kniend den väterlichen Segen und bestieg, in tiefer Trauer versenkt, den Reisewagen. Er gedachte der tausend Gefahren der weiten Reise, besorgte, die Seinigen nicht wieder zu umarmen und ein Opfer der Räuber zu werden, welche in Böhmen und Mähren, aber auch In Österreich, besonders in der Gegend von Stockerau, und Korneuburg, den Reisenden aufzulauern pflegten.

Die mit Radschlössern versehenen Pistolen, welche er bei sich führte, waren nett und leicht gearbeitet; das Stück wog kaum sechs Pfund. Es trat zwar nicht die Notwendigkeit ein, davon gebrauch zu machen, denn der General-Gewaltige hatte kürzlich die ganze Straße von Gesindel gesäubert, und an vielen Bäumen hingen Erinnerungen an dessen rastlose Tätigkeit. Indessen hatte er genug sonstige Gefahren und Unannehmlichkeiten zu bestehen und sein Leben war mehr als einmal in Gefahr. Es war nämlich auf dieser Reise zweimal die Achse gebrochen, viermal ward der Wagen umgeworfen, die Widerhaltkette riß fünfmal, unzählige Beschädigungen an anderen Bestandteilen des Fuhrwerkes zu geschweigen. An den Federn konnte der Wagen aus dem einfachen Grunde nicht Schaden leiden, weil er keine hatte, denn der kolossale Kasten hing bloß an Stangen und Ketten. Auch die Langwied kam unbeschadet in Wien an, denn sie bestand aus einem 10 Zoll im Durchmesser haltenden, mit dicken Eisenspangen beschlagenen Baume. Die Beschaffenheit der Straßen machte eine solche Bauart notwendig, indem einige Strecken eine Steigung von 1 auf 4 hatten und Löcher von anderthalb Fuß Tiefe nicht selten waren.

Nach einer siebentägigen Fahrt war er in Wien eingetroffen. Er stieg im Wirtshause zum Ochsen untern Seilern ab, jetzt zur Stadt Frankfurt in der Seilergasse genannt. Es war zum ersten Male, dass er Wien betrat, und seine Neugierde nach den Sehenswürdigkeiten der deutschen Kaiserstadt war nicht gering; indessen beschloß er doch, sie erst am folgenden Tage zu besichtigen und sich vor allem von den Beschwerden der langen Reise zu erholen. Nachdem die Holzkoffer, jeder zwei bis drei Zentner im Gewichte, in die Stube geschafft worden waren, eilte er zu Bette.

Seine Nachtruhe dauerte nicht lange, denn er war gleich allen seiner Zeitgenossen gewohnt, zu früher Stunde aufzustehen, und der Schlaf ward teils durch die Beschaffenheit des Bettes, welches drei Federbetten unter und zwei über dem Leintuche hatte, teils durch den Lärm im Wirtshause verscheucht. In der Küche klapperte der ungeheure Bratenwender, im Hofraume wurden die in großen Haufen aufgetürmten Kupfer- und Zinngefäße gescheuert, es wurden Schweine Kälber und Lämmer geschlachtet, auch Enten, welche zum Teile kopflos herumzappelten, es wurde Würste gehackt, Pferde beschlagen und unter der Einfahrt ließ sich ein Kellner  von einem herumziehenden Scharlatan unter Trompetenschall einen Zahn ausziehen.

So schnell als möglich kleidete sich der Fremde an. Er trug einen rechen grasgrünen Schwedulant, die Aufschläge der überaus weiten Ärmel mit Kardieß ausgeschlagen, ein mit Polamit gefüttertes Drap d´Orne Kamisol, dessen Taschen fast bis an die Knie reichten, mit Ärmeln, kurze schwarze Rasetbeinkleider, welche unter den Knien mit Brokadellbändern verziert waren, schwarz und weiß gestreifte Zwirnstrümpfe und hohe Schuhe mit zolldicken Sohlen. An der linken Hüfte trug er einen breiten Degen, wohl geeignet für Hieb und Stich, mit starkem, kupfernen Gefäße, und in der rechten Hand ein gegen fünf Fuß langesspanisches Rohr mit schwerem silbernen Knopfe. Die Taschenuhr, welche er zu sich steckte, hatte über dem goldenen Gehäuse ein zweites von Silber, ein drittes von Schildpatt und ein viertes von Chagrin. Mit Vorbedacht unterließ er es, die schönste seiner Perücken aufzusetzen, denn diese, ein wahres Kapitalstück, hatte eine beträchtliche Summe gekostet und ward nur für besonders festliche Gelegenheiten aufgespart.

Um sich in die Lage zu versetzen, sich in den vielen krummen und winkeligen Gässchen der Stadt zurecht zu finden, beschloß er geleitet von dem Dizehausknechte, einen Spaziergang in der Stadt zu machen und ein Taschenbuch für Fremde, wie auch einen Plan von Wien zu kaufen. Der „Dize“, welcher über dem abgenähten Brustflecke einen nackten Pelz, dann schwarzlederne kurze Beinkleider, Justenstiefel und eine weiß und rot gestreifte Schlafhaube mit langem Zipfel trug, führte ihn in den Zwettelhof zu Johann Damer „Universitätischen Buch-Handlern“, wie er sich selbst nannte. Hier fand er ein Handbuch für Fremde in Wien. Es war der größeren Gemeinnützigkeit halber in lateinischer Sprache und führte den Titel:

Discursus familiaris de Rebus memorabiliibus Amplissimae hujus Vetustissimae, Nobilissimaeque Urbis Viennensis ect.

Nicht so glücklich war er mit dem gesuchten Plane der Stadt. Er frug nach bei dem „universitätischen“Buch- und Kunsthändler Christofori auf dem Kohlmarkte zum grünen Anker., bei dem Verleger Joh. Peter Schmalz in der Singerstraße, in Georg Lehmanns Buchladen auf dem Kohlmarkte an der Kaiserburg gegenüber vom Ballhause „dem jetzigen Burgtheater), bei Johann Karl Newen zum goldenen Vließe in der Annagasse, bei Johann Peter von Gehlen, dem n. ö. Landschafts Buchdrucker Johann Jakob Kürner und bei Johann Baptist Schilgen in der Kärntnerstrasse, gegenüber vom wilden Manne:

Allein er ward nicht zufrieden gestellt, denn der Plan Wolmuets und Hirsfogels vom Jahr 1547 war doch schon veraltet, und jener Fischers ebenfalls. Andere waren nicht zu finden, obschon auch bei den Spezereihändlern, welche die Musikalien gewöhnlich und zuweilen auch Kupferstiche führten, Nachfrage gehalten worden war.

Während dieses Spazierganges machte der „Dize“ den Fremden auf den Umstand aufmerksam, dass man jedermanns Stand leicht aus dem Äußeren zu erkennen vermag. Es bewirkten dieses teils die Luxusgesetze, teils die uralten Gebräuche, besonders jene der Handwerker.

„Dort“, sagte er, „stehen mehrere Herren, deren Schuhe mit roten Absätzen verziert sind; daran erkennt man, dass sie dem minderen Adel angehören; einer von ihnen trägt einen diamantenen, mit böhmischen Granaten verkramesirten Favor, folglich ist er dem höheren Adel, der allein Schmuck zu tragen berechtigt ist, angehörig. Hier im kaiserlichen „Jaugzug“ fahren die Herrn von Wiesenthal und Weirotter, beide bei Hof angestellt; dort im Klagschwimmer fährt die verwitwete Gräfin Oppersdorf, geborene Freiin von Schleiffras, welche ihren Gatten erst vor elf Moanten durch den Tod verlor und deshalb noch in der tiefen Klag ist. Dort fährt der venezianische Gesandte mit dem paleologischen Agenten in einem Galawagen. Er hält an, die Fenster werden als Zeichen ehrfurchtsvoller Begrüßung herabgelassen. Nebenan marschiert ein Dragonerfähnrich mit einer Abteilung jener Mannschaft auf die Wache. Er macht Front und senkt die Partisane. Wem gelten diese Grüße? Dem Prinzen Eugen, der in einer höchst einfachen Sänfte des Weges kommt und freundlich zu beiden Seiten dankt. Hier, an Tasche und Klapper kennbar, geht einer der beiden Briefträger, neben ihm der Hutstock (Gerichts Komissär) und der landmarschallische Weißboth. Der Bursche, in gelbes Leder gekleidet, welcher ein Fuchsprellnetz auf der Schulter trägt, ist Pfistererjung im kaiserlichen Rüdenhause am Hundsturm.

Jener Husarenoffizier begibt sich eben nach Hofe, sonst trüge er nicht zur Husarenuniform kurze Beinkleider, seidene Stümpfe und Schnallenschuhe. Dort geht eine Dame mit einer „geschopften Haube“, hinter ihr ein Steckelknecht der n ö Regierung. Vielleicht verhaftet er sie, weil sie unbefugt und den Luxusgesetzen zuwider eine „geschopfte Haube“ trägt.

Handwerker waren an Farbe und Stoff der Kleider leicht zu erkennen. Die Müller trugen sich grau, die Bäcker lavendelblau, die Eisenarbeiter dunkelblau, die Gerber braun. Die Fassbinder trugen gelblederne Kittel von besonderem Schnitte mit ledernem Gürtel. Die Juden (nebstbei sei es gesagt, dass sie an Sonn- und Festtagen vor 10 Uhr nicht auf der Strasse erscheinen durften) waren an dem runden gelben Lappen erkennbar, ähnlich den Messingverzierungen, mit welchen die Fuhrleute ihre Rosse zu behängen pflegten. Die Pfründner der vielen Armenhäuser (ein gleichzeitiger Schriftsteller schätzt deren Zahl auf 12 000) und die Schüler gestifteter Anstalten waren ebenfalls uniformiert. So z.B. trugen die Pfrüntner des Hospitals weiße Röcke mit einem schwarzen Ärmel. Wie Waisenknaben, welche die chaosische Stiftung genossen, trugen spanische Tracht.

Der Spaziergang durch die Stadt war nicht so bequem wie heutigen Tages. Die am meisten besuchten Strassen waren mit kleinen spitzigen Kieseln gepflastert (eine regelmäßige Pflasterung führte erst Ritter von Managetta , ein Großneffe des berühmten Arztes ein). Die minder besuchten waren mit Schotter und dessen gewöhnlichen Gefährten, Staub und Kot bedeckt.

Die Strassen der inneren Stadt wurden wöchentlich einmal gesäubert, jene der Vorstädte bis zum Jahre 1738 gar nicht. Krumm, winkelig und uneben waren die meisten Gassen in dem Grade, dass sie ihren Ursprung von den „Lucken“ des Mittelalters nicht verleugnen konnten. Überdies waren sie noch mit zahllosen Hütten und Ständchen verengt.

Ober jedem Kaufladen war ein Schindeldach, an welchem ein breiter Streifen schwarzer Leinwand befestigt war. Auf dieser war in großen, weißen Buchstaben die Firma zu lesen. Es gab unveränderliche Arten, die einzelnen Handels- oder Geschäftszweige anzudeuten. So z.B. waren bei den Spezereihändlern große, eiserne Mörser, bei den Materialisten Missgeburten, Schlangen und Eidechsen in Spiritus ausgestellt. Die Wohnung eines Zahnarztes bezeichnete ein hölzerner, sehr großer und schadhafter Zahn. Die Fenster des ersten Stockwerkes waren durchgehends vergittert, nicht selten auch jene des zweiten und dritten.

Ein trauriges Gepräge trugen die Plätze, denn die Mehrzahl ward zum Begraben der Leichen verwendet. Auf dem Stephansplatze z.B. wo jetzt die schöne Welt lustwandelnd sich ergeht, wo glänzende Auslagen die Erzeugnisse einer weit fortgeschrittenen Industrie aufweisen, wo Mietkutschen jeder Art zu Spazierfahrten einladen, waren Grabsteine, Totenkreuze und Beinhäuser zu sehen und aus dem Dome drang nicht bloß der Wohlgeruch des Weihrauches und der Duft blumengeschmückter Altäre, sondern auch der Modergeruch der Grüfte.

 

Das schnelle Fahren, worüber jetzt so häufig geklagt wird, war noch um vieles ärger als heutzutage. Die zahllosen, sechsspännigen Staatswagen  (jeder Herrschaft fuhr sechsspännig) fuhren nie anders als in scharfen Galopp und weder die Rumorwache noch die Stadtguardi waren imstande, solchem und anderem Strassenunfuge Einhalt zu tun. Blutige Schlägerein der Handwerksburschen unter sich und mit der Wache waren häufig und umso gefährlicher, als jeder Handwerksbursche nach altem Brauche, obschon unzähligen Vorschriften zuwider, bewaffnet war. Auch die Lakaien, sämtlich mit Haudegen versehen, machten häufig davon Missbrauch.

Das Strassengewühl war unleidlich, besonders nächst der Hauptfront der Stephanskirche, wo eine Kapelle und mehrere Wohnhäuser den Raum nahmen, zwischen dem Kohlmarkte und dem Graben, auf welchem (bis zum Jahre 1770) der Gemüsemarkt gehalten ward, am hohen Markte beim Brunnhause und am Peilertore, dann am Lobkowitzplatze, wo der Schweinemarkt gehalten wurde, und am Lichtensteg, wo man Ochsen schlachtete.

 Um den vielen Unannehmlichkeiten zu entgehen, welche jeden Spaziergang auf den Strassen verbitterten, beschloß Meinrad einen Gang über die Basteien zu machen. Dazu war aber vorerst die Bewilligung eines Wachkommandanten erforderlich, denn der Aufgang dahin war insgemein untersagt. Nachdem die Zustimmung eingeholt und dem Fremden ein Stadtguardi Soldat zur Bedeckung beigegeben worden war, stieg er über eine steile, aus Backsteinen erbaute Stiege auf den Wall, wo jedoch eine breite und hohe Brustwehr die Aussicht auf die Vorstädte völlig verdeckte. Jeder Versuch zur Gewinnung einer freien Aussicht die Brustwehr zu ersteigen, ward von den Schildwachen mit Nachdruck zurückgewiesen. Der Spaziergang über die Bastei führte bald durch enge Tore, bald zwischen einer Doppelreihe von Palisaden, zwischen Mauern, welche die Pulvermagazine umgaben, und wenn dort und da der Raum etwas breiter war, so war er zum trocknen der Wäsche benützt, oder er war von den Trabanten und Hatschieren, von Soldaten der Rumorwache und des Stadtguardi-Regiments zum Aufschlagen ihrer Hütten verwendet worden.

Das Glacis war auch nicht anmutiger. Man musste mehrere im Zickzack angelegte Brücken, welche über die Wassergräben führten, überschreiten, um dahin zu gelangen. Auf der einen Seite hatte man den Anblick der äußeren Festungswerke mit den Pulvermagazinen und den galgenartigen Gerüsten der Tuchscherer, auf der anderen breiteten sich die im Entstehen begriffenen Vorstädte aus. Die letzteren boten einen seltsamen Anblick dar. Einzelne Prachtgebäude, namentlich von Fischer von Erlach, z.B. die kaiserlichen Stallungen , die Karlskirche, das Belvedere, der fürstlich Trautsonsche Palast, der mannsfeldsche ( jetzt Schwarzenbergsche) standen ganz oder fast vollendet da, allein in deren Nähe waren Kellerhäuschen, Presshäuser, Ziegelhütten und Weinberge.

Auf dem Glacis selbst war von den schönen Baumreihen, dem grünen Rasen, den einladenden Bänkchen von den Tausenden wohlgekleideter Spaziergänger, welche man jetzt dort zu sehen gewohnt ist, keine Spur. Das Glacis war ein wellenförmiges Tarrainohne alle Pflege, auf dem in allen Richtungen beliebig gegangen, geritten oder gefahren wurde und wo jedermann beliebig Stubenkehricht, Bauschutt und dgl. abladen konnte.

Auf dem Glacis in tiefen Gruben pflegten die Buchdrucker ihre Farbe, die Firnissieder ihre Ware zu bereiten. Hier arbeiteten Zimmerleute und Steinmetze, teils unter freiem Himmel, teils in elenden Scheunen. An den Toren und Kreuzwegen hatten zahllose Obst- und Fischweiber, Trödler, Käsekrämer, auch „Bethen“ – (Rosenkranz) Händler ihre Ständchen aufgeschlagen. Nicht selten machten arme Leute auf dem Glacis ein offenes Feuer an, um sich daran ihr Mahl zu bereiten. Dort wo jetzt das freundliche Wasserglacis, zeigten gewaltige Haufen von Knochen und Hörnern, dass hier jahrhundertelang die – Abdeckerei war.

Der Cicercone mit der weiß- und rot gestreiften Schlafhaube erzählte dem Fremden mit Stolz, dass die Hinrichtungen nicht mehr wie vor 18 Jahren (1707), auf dem hohen Markte stattfinden, sondern am Hochgerichte nächst der Roßau, wo ein wunderschöner, vierbeiniger Galgen zu sehen war. Eben hatte die „peinliche“ Justiz einen Festtag, einem Meineidigen wurden die Finger der rechten Hand abgehauen und andere Verbrecher wurden teils mit dem halben Schilling zu 15, teils mit dem ganzen zu 30 Streichen abgestraft. Dass die Sitten sich schon sehr gemildert hatten, zeigte der Umstand, dass die Ruten nicht mehr, wie vormals der Gebrauch oder vielmehr der von den Henkersknechten eigenmächtig eingeführte Missbrauch war, vergiftet waren.

Meinrad hatte seinen bisherigen Begleiter und Wegweiser fortgesendet, weil er sich allein zurecht zu finden hoffte. Doch in Kürze hatte er seine Zuversicht zu bedauern. Ein plötzlich ausgebrochener Sturmwind wirbelte den Staub, welches das Glacis spannenhoch bedeckte, in die Lüfte, verdunkele die Sonne und raubte dem unberatenen Fremdlinge die Orientierung gänzlich.

Meinrad, in der Hoffnung, den Rückweg zu finden, setze seine Wanderung fort. Er bemerkte nicht, dass er die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen und sich zwischen den Scheunen der Werkleute, den Saliterhaufen, den Ziegelhütten, den Windmühlen, den Wächter- und Bettlerhütten gänzlich verirrt hatte. Mehr als einmal war sein Leben in Gefahr, den Reiter und Fahrende sprengten in wildem Galopp einher, um vor dem zu erwarteten Platzregen unter Dach zu kommen.

Bis der Verirrte die äußeren Festungswerke erreicht zu haben glaubte, befand er sich zu seinem größten Erstaunen in der Roffranogasse, welche Gegend man damals gern mied und zu meiden Ursache hatte.

Hier, längst einer halbverfallenen, durch viele Pistolenkugeln beschädigten Gartenmauer pflegten die Zweikämpfe ausgefochten zu werden, welche ungeachtet der strengen Gesetze häufig, ja beinahe täglich und unter Personen jedes Standes vorfielen.

Meinrad erfuhr nur zu bald wie leicht man in die Händel anderer verwickelt werden kann. Wenige Augenblicke zuvor war hier ein Zweikampf vorgefallen, welcher durch die leichte Verwundung des einen der Kämpfer beendigt worden war; schon waren die beiden Parteien scheinbar versöhnt, geschieden, als bei ausbrechendem Sturme dem Leichtverwundeten der Gedanke beikam, dem Gegner in der dicken Staubwolke nachzusetzen und sich durch einen Meuchelmord an ihm zu rächen.

In Begleitung des Sekundanten erreichte er ihn, und beide fielen mit Wut auf den Überraschten her, der gerade noch Zeit hatte, abermals vom Leder zu ziehen und sich zur Wehr zu setzen. Den Rücken an die Gartenmauer, die Zeugin so vieler Greueltaten, gelehnt, verteidigte er sich gewand und tapfer, dennoch aber hätte er den vereinigten Waffen beider Gegner bald unterliegen müssen, wenn nicht Meinrad, der eben herbeikam, sich alsogleich für den Schwächeren entschieden hätte und tapfer auf die Meuchler eingedrungen wäre. Bald war der Doppelkampf entschieden, die Meuchelmörder suchten, mit Wunden bedeckt, ihr Heil in der Flucht und der Gerettete fiel dankend um den Hals seines Beschützers.

Die Beiden begaben sich Arm in Arm auf den Rückweg. Der Sturm war besänftigt, der Staub hatte sich wieder Spannenhoch  auf dem Glacis gelagert und die Freunde eilten bei beginnendem Regen mit großen Schritten der Stadt zu um sie noch vor der Torsperre, welche mit Sonnenuntergang stattfand, zu erreichen.

Da die Sonne noch am Himmel stand, rechneten sie auf freien Einlass, doch die beiden Soldate, welche an den Außenwerken des Schottentores Wache standen (ein Wallone und ein Spanier) kreuzten vor ihnen die 24 pfündigen Musquetons und wehren den Einlass, weil ein Kreudenschuss gefallen und hierauf alsogleich das Tor geschlossen und die Zugbrücke aufgezogen worden war.

Was war zu tun? Der Regen ergoss sich in Strömen und nirgens war eine passende Unterkunft, wo sie Schutz hätten finden können; Zwar standen hie und da Hütten der Trödler und Fischweiber, der Obst- und Käsekrämer, allein es war weder rätlich noch schicklich, sie zu betreten, weil sich dort Gesindel aller Art aufzuhalten pflegte. Sie mßten daher zum bösen Spiele gute Miene machen und, im Platzregen stehend, das Öffnen des Tores abwarten.

Nach einem Stündchen wurden sie erlöst. Die Feuersbrunst im unteren Wörthe, wegen der die Kreudenschüsse gefallen waren, war bald gedämpft. Sie war unbedeutend, nur zanzig bis dreißig hölzerne Häuser waren abgebrannt. Die Zugbrücke fiel, die Torgitter wurden aufgezogen und die Torflügel geöffnet.

 

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