PERCHT, STAMPA &
HOWANGOASS
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Frau Holle am Hörselberg
Vor Zeiten, als noch die Felsenhänge des
Hörselberges mit Urwald bedeckt waren und wilde Tiere in
den Schluchten wohnte, da hauste eine arme Frau mit ihren beiden
Töchtern in der Einöde. Im Sommer bewirtschaftete die
Frau mit ihren Töchtern den kleinen Hausgarten, und im Winter,
wenn die langen Nächte kamen, saßen sie beim Kienspanlicht
um den Ofen und spannen Wolle. Obwohl sie so arm waren, wurde
sie stark wie Brot und Brei und Ziegenkäse.
Als nun die drei Frauen wieder einmal am Spinnrocken
saßen, schlug der Nachtwind an alle Fenster und Luken und
rüttelte an den Läden, so dass es einer ganz bange werden
konnte. Die Mutter sagte: "Hat es da nicht eben geklopft?".
Die Jüngste erhob sich, zupfte ihre Schürze zurecht
und riegelte die Tür auf. Da stand auf der Schwelle ein Mütterchen,
zersaust und gebückt und bat um ein Obdach.
"Großmütterchen, frieret dich?
Komm, setz dich hintern Ofen und wärme dich!", rief
die Mutter und schon holte sie eine Schale vollwarmer Roggengrütze
aus der Röhre.
Die Alte wärmte ihre klammen Hände
an der warmen Schale. Bald hatte sie den Brei ausgelöffelt
und blinzelte nun schon ganz vergnüglich und neugierig um
sich.
"Fleißiges Mädchen, kurzes Fädchen",
lächelte sie und deutete auf die Spindeln, "so manches
Haar - so manches gute Jahr!".
"Ach ja", nickte die Mutter, "ein
guter Wunsch ist Goldes wert. Bertha, hol doch mal schnell ein
Glas Apfelwein aus dem Verschlag, das wird der alten Muhme gut
tun."
Nun hatte die Wanderin schon ganz helle Augen
und als sie das Glas zum Munde hob, sprach sie: "Mir bekom's,
euch aber fromm's!". Mit großem Wohlbehagen schlürfte
sie das süßsaure Getränk. "Vom Keltern versteht
ihr was, ihr solltet mehr davon machen!" setzte sie hinzu.
Die Mutter aber meinte, sie wären eben arme
Leute und hätten nur den einen einzigen Apfelbaum, und der
Garten reiche kaum für die Küchenkräuter. Dann
wiesen sie der Alten ein Bett in der Kammer zu.
Am Morgen hantierten die drei ganz sachte in
der Hütte herum, um die Alte nicht zu stören. Als aber
der Wind die Sturmwolken aufriss und die Sonne durch die winzigen
Scheiben blickte, da klinkte die Mutter ganz vorsichtig die Tür
zur Kammer auf, um nach ihrer Gästin zu sehen. Das Bett war
schon gemacht und die Kammer lag ganz sauber im Morgenglanz. Aber
von dem Mütterchen fand sich keine Spur!
Dafür durchzog ein Wohlgeruch von Rosen
das ganze Haus. Da sagte die Mutter: "Mädchen, das kann
nur die Frau Holle gewesen sein!"
Mit Spinnen und Singen ging der Winter dahin
und der Frühling machte offenbar, wie richtig die Mutter
mit ihrer Vermutung lag. Denn als die Töchter eines Morgens
durch die betauten Scheiben in den Garten lugten, da standen die
schönsten Äpfelbäume im Schneekleid der Blüte.
Die waren gestern an der Stelle noch nicht gewachsen. Also konnten
sie nur von Frau Holle in dieser Nacht gepflanzt worden sein,
denn sie ist ja die Herrin des Gartens, die Freundin der Spinnerinnen
und aller gastfroher Frauen. Das war ihr Dank für die gute
Bewirtung!
Und zur großen Freude der Frauen hörten
sie nun ein wunderbares Brausen und einen Summesang im Gezweig
der schneeigen Baumkronen. Da spielten abertausend Bienen und
Hummeln, die tauchten ihre Honigrüssel in alle Blütenkelche.
Und die Bäume verspürten es prickelsüß bis
herab zum feinsten Würzelchen im dunklen Erdreich. Und als
Dank schwoll zum Herbst der Saft in die wangenroten Apfelfrüchte.
So konnten die drei Frauen den allerköstlichsten
Apfelwein keltern, dessen süße Würze alles übertraf,
was sonst im Lande Thüringen geboten wurde. Gar bald ging
das Geschrei von diesem Getränk durch das ganze Land und
alle Welt wollte nur noch den Apfelwein aus Frau Holles Weingarten
trinken. So wuchs von Jahr zu Jahr der Wohlstand der drei Frauen.
Der gute Ruf lockte auch weitere SiedlerInnen
in jene Einöde. Später entstand dort, so sonst nur Hasen
und Füchse Verstecken gespielt hatte, das schmucke Dorf Weingarten
am Hörselberg. Allen EinwohnerInnen ging es gut, es herrschte
Wohlstand und Fülle - wenngleich auch niemand einen derartigen
guten Apfelwein herstellen konnte wie die Mutter mit ihren zwei
Töchtern.
Denn wo Frau Holle selber gepflanzt hat, da wächst
nun mal die edelste Frucht!
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